(Rom) In den obersten Etagen der Katholischen Kirche geht es drunter und drüber. Vier Kardinäle stellen dem Papst Fragen zum katholischen Glaubens und werden dafür beschimpft und bedroht. Der Dekan der Sacra Rota Romana drohte ihnen sogar mit Entzug der Kardinalswürde.
Wer in der katholischen Kirche des „weltoffenen“ (La Repubblica) Papstes Franziskus die „falschen“ Fragen stellt, dem droht Ungemach. Er läuft nicht nur Gefahr, in Ungnade zu fallen, sondern mit Schimpf und Schande aus Amt und Würden gejagt zu werden – zumindest wenn es nach dem Dekan der Römischen Rota, Msgr. Pio Vito Pinto ginge.
1867 wurde zuletzt eine Kardinalswürde entzogen
„Die vier Kardinäle, die dem Papst geschrieben haben, könnten ihre Kardinalswürde verlieren“, titele Religion Confidencial. In der Tat besteht die Möglichkeit, daß einem Kardinal für Häresie, Schisma oder unwürdiges Verhalten die Kardinalswürde aberkannt wird. Fälle dieser Art sind allerdings in den vergangenen Jahrhunderten nur wenige bekannt. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, für progressive Kirchenkreise die entscheidende Zäsur in der Kirchengeschichte, gab es überhaupt keinen Fall. Im 20. Jahrhundert gab es mit Louis Billot SJ 1927 nur den Fall eines Kardinals, der selbst auf die Kardinalswürde verzichtete.
150 Jahre, bis ins Jahr 1867, muß man daher zurückgehen, um einen Fall zu finden, in dem ein Papst einem Kardinal das Purpur wieder aberkannte. Es handelte sich um den neapolitanischen Kardinal Girolamo d’Andrea, der sich in einer politischen Frage wegen der italienischen Einigungsbewegung (Risorgimento) mit Papst Pius IX. überworfen und seine Aufgabe im Vatikan gegen dessen Willen verlassen hatte. 1867 entzog ihm der Papst die Kardinalswürde. 1868 unterwarf sich d’Andrea und wurde wieder in seine Würde eingesetzt.
Msgr. Pinto: „Architekt“ des neuen Ehenichtigkeitsverfahrens
Die Sacra Rota Romana ist der zweithöchste Gerichtshof der katholischen Kirche. Bekannt ist er vor allem als Letztinstanz für Ehenichtigkeitsverfahren. Der Dekan führt den Vorsitz als primus inter pares.
Msgr. Pinto trat während des Pontifikats von Papst Franziskus durch die Reform des Ehenichtkeitsverfahrens in den Vordergrund, die am 8. Dezember 2015 in Kraft getreten ist. Pinto war von Papst Franziskus mit der Ausarbeitung der Motuproprien beauftragt worden, mit denen die Reform in Gang gesetzt wurde und weltweit zahlreiche verfahrensrechtliche Probleme geschaffen hat. Umstritten sind vor allem die tatsächlichen Auswirkungen der Reform. Beobachter nannten die Befürchtung, daß damit de facto eine „katholische“ Scheidung eingeführt werden könnte.
Msgr. Pinto gilt seither als treuer Gefährte des regierenden Papstes. Also solcher ließ er am Montag, 28. November, mit einem Angriff gegen die vier Kardinäle Brandmüller, Burke, Caffarra und Meisner aufhorchen, um Franziskus in Schutz zu nehmen.
Vertrauensverlust durch Schweigen
Die vier namhaften Kardinäle hatten am 14. November fünf Dubia (Zweifel) zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia publik gemacht. Ziel der Dubia ist es, von Papst Franziskus nach einer seit zweieinhalb Jahren andauernden Unklarheit, eine Klärung zur Frage der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten zu erreichen. Die vier Kardinäle lehnen eine solche Änderung als unvereinbar mit der kirchlichen Lehre und Praxis ab. Sie wollen vom Papst wissen, wie er zu dieser Frage steht. Seither ist Feuer am Dach der Kirche.
Beobachter, auch hohe Kirchenvertreter, hegen seit dem 20. Februar 2014 den Verdacht und die Sorge, daß Papst Franziskus mit der immergültigen Lehre und Praxis der Kirche in diesem Punkt brechen will. Es wäre der erste Schritt zu einer faktische Anerkennung der Zweitehe. Im Februar 2014 hatte es Kardinal Walter Kasper in einer Ansprache, mit der er von Franziskus beauftragt worden war, so gefordert. Franziskus äußerte sich nur indirekt. Seine Entscheidungen und Aussagen lassen sich jedoch unschwer als Unterstützung für die Kasper-These lesen. Wozu das Versteckspiel? Wegen der zu befürchtenden Widerstände. Zu diesem Widerstand gehören auch die Dubia.
Papst Franziskus im Dilemma
Brandmüller, Burke, Caffarra und Meisner haben dem Papst nur tadellos formulierte Fragen gestellt. Die Beantwortung würde den Papst aber zu etwas zwingen, was er seit zweieinhalb Jahren meidet: eine klare Antwort zu geben. Er müßte sich entweder zur katholischen Lehre oder zur „neuen Barmherzigkeit“ von Kardinal Kasper bekennen.
Im Vatikan sind sich der Papst und seine engsten Mitarbeiter bewußt, in welches Dilemma das Kirchenoberhaupt sich und die Kirche mit Amoris laetitia manövriert hat. Franziskus ist bisher aber nicht bereit, seinen Kurs aufzugeben. Also schweigt er weiter und setzt sich der bedrückenden Blöße aus, als Nachfolger des Petrus nicht auf simple Fragen antworten zu wollen.
Da der ansonsten redselige Papst aus Argentinien schweigt, versuchen seine Vertrauten in die Bresche zu springen. Sie tun es, indem sie die Kardinäle angreifen und deren Absichten öffentlich zu diskreditieren versuchen.
„Ärgernis“ und Einschüchterungsversuch
Nachdem der Papst-Vertraute Antonio Spadaro, Schriftleiter der römischen Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica den vier Kardinälen unterschwellig böse Absichten unterstellte, drohte ihnen der Dekan der Rota Romana am Montag mit der Aberkennung der Kardinalswürde.
Msgr. Pio Vito Pinto hielt am Montag an der Kirchlichen Universität San Damaso in Madrid einen Vortrag über das neue Ehenichtigkeitsverfahren. Dabei sprach er eine unverhohlene Drohung gegen die vier Unterzeichner der Dubia aus.
Den Einschüchterungsversuch begründete Msgr. Pinto mit einem „schwerwiegenden Ärgernis“, das sie vier Kardinäle gegeben hätten, weil sie ihren Brief an den Papst veröffentlichten. Ein „Ärgernis“ sind die Dubia für den Papst, aber nicht für das Kirchenrecht, wie ein bekannter katholischer Journalist aus Madrid im Anschluß an die Veranstaltung anmerkte. Bei der Wahl der Mittel, um die vier Kardinäle zum Schweigen zu bringen, ist die päpstliche Entourage nicht mehr zimperlich. Der Hut brennt offensichtlich lichterloh. Es scheint undenkbar, daß ein Dekan eines Obersten Gerichtshofes ohne Rücksprache mit Papst Franziskus, eine so schwerwiegende Drohung ausspricht.
Msgr. Pinto hält die Veröffentlichung respektvoll formulierter Fragen für ein „schwerwiegendes Ärgernis“, das nach Strafe schreit. Um wieviel größer müßte dann erst das „Ärgernis“ sein, daß ein regierender Papst sich weigert, auf präzise Fragen zu Lehre und Praxis der Kirche zu antworten, die der Klärung dienen, um eine bestehende Verwirrung zu beenden?
Statt Schadensbegrenzung noch größerer Schaden
Im päpstlichen Umfeld scheint man sich eine Sprachregelung zurechtgelegt zu haben: Diskreditierung der vier Kardinäle und Verteidigung des päpstlichen Schweigens durch Verweis auf die Bischofssynode. Wie bereits Msgr. Vincenzo Paglia und Pater Antonio Spadaro begründete auch Msgr. Pinto die unverständliche Haltung von Franziskus mit Verweis auf die Synode. Der Dekan der Rota unterstellte den vier Kardinälen. mit ihren Dubia „zwei Bischofssynoden über die Ehe und die Familie in Frage zu stellen. Nicht eine Synode, sondern zwei! Eine ordentliche und eine außerordentliche. Man kann das Wirken des Heiligen Geistes nicht in Frage stellen.“
Mit empörtem Brustton fragte Msgr. Pinto am Montag: „Welche Kirche verteidigen diese Kardinäle? Der Papst ist der Lehre Christi treu. Was sie getan haben, ist ein sehr schwerwiegendes Ärgernis, das den Heiligen Vater dazu bringen könnte, ihnen den Kardinalshut abzuerkennen, wie es in der Vergangenheit bereits in anderen Momenten der Kirche geschehen ist“, so der Rota-Dekan gegenüber Religion Confidencial.
Der Papst habe laut Pinto zwar nicht direkt auf die Fragen der vier Kardinäle geantwortet, sehr wohl „aber indirekt“. Er haben „ihnen gesagt, daß sie nur schwarz und weiß sehen, obwohl es in der Kirche viele Farbschattierungen gibt.“
Kann eine solche Argumentation überzeugen? Wohl kaum. Es wird mit den schärfsten Geschützen (Widerspruch gegen den Heilgen Geist) auf vier Kardinäle geschossen, obwohl sie nur Fragen gestellt haben. Die Beantwortung der Fragen wird ihnen aber verweigert. Mit solchen Reaktionen wollen die Papst-Vertrauten zwar Schaden begrenzen, richten aber nur noch größeren Schaden an. Nicht nur Papst Franziskus leidet Schaden, sondern vor allem die katholische Kirche.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Religion Confidencial (Screenshots)