Kardinal Walter Kasper: Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene? „Ja und Punkt“


Kardinal Walter Kasper als Deuter der Papst-Worte in "Amoris Laetitia". Dürfen wiederverheiratet Geschiedene zur Kommunion? "Ja und Punkt!"

Von Giu­sep­pe Nardi*

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(Rom) Das Ergeb­nis der bei­den Bischofs­syn­oden über die Fami­lie ist umstrit­ten. Nie­mand weiß so recht, was genau das Ergeb­nis ist. Das nach­syn­oda­le Schrei­ben Amo­ris Lae­ti­tia von Papst Fran­zis­kus  im Umfang von 200–300 Sei­ten, je nach Druck, brach­te auch kei­ne Klar­heit. Oder doch? Kar­di­nal Kas­per ver­sucht als Deu­ter der Papst­wor­te, etwas nachzuhelfen.

Papst Franziskus: „Ich könnte sagen Ja und Punkt, aber …“

Am 16. April wur­de Papst Fran­zis­kus auf dem Rück­flug von der Insel Les­bos gefragt, ob zivil­recht­lich wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne nun zur Kom­mu­ni­on gehen dürf­ten oder nicht. Der Papst ant­wor­te­te: „Ich könn­te sagen Ja und Punkt, aber das wäre eine zu knap­pe Ant­wort.“ Eine kla­re Ant­wort und doch kei­ne kla­re Ant­wort. Der Kon­junk­tiv, ein „aber“ und der Ver­weis auf eine sie­ben Sei­ten lan­ge Prä­sen­ta­ti­on von Kar­di­nal Chri­stoph Schön­born als „authen­ti­sche“ Interpretation.

Kardinal Kasper: „Ja und Punkt“

"Stimmen der Zeit": Kardinal Kasper als Papst-Deuter
„Stim­men der Zeit“: Kar­di­nal Kas­per als Papst-Deuter

Kar­di­nal Wal­ter Kas­per lie­fer­te in der deut­schen Jesui­ten­zeit­schrift Stim­men der Zeit  die Inter­pre­ta­ti­on der Inter­pre­ta­ti­on der Inter­pre­ta­ti­on. Kas­per selbst schreibt vom Streit um die Deu­tungs­ho­heit. Amo­ris Lae­ti­tia, so der Kar­di­nal, erlau­be wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen die sakra­men­ta­le Kom­mu­ni­on „und Punkt“. Ein „neu­er rea­li­sti­scher, bibli­scher und pasto­ra­ler Ton“ kom­me in Amo­ris Lae­ti­tia zum Aus­druck. Die Fra­ge, ob Amo­ris Lae­ti­tia „Bruch oder Auf­bruch“ sei, beant­wor­tet der Kar­di­nal auf kla­re Wei­se. Es sei natür­lich kein Bruch, son­dern ein Auf­bruch, ja sogar ein Auf­bruch zur Wie­der­ent­deckung des hei­li­gen Tho­mas von Aquin.

Kas­per darf in die­ser Sache durch­aus als authen­ti­scher Papst-Inter­pret gel­ten. Er war es schließ­lich, der die gan­ze Fra­ge ins Rol­len gebracht hat­te. Die schritt­wei­se Ent­hül­lung der päpst­li­chen Absich­ten wie beim Schä­len einer Zwie­bel ist dabei Teil der Strategie.

Hören und sehen

Wer näm­lich hören und sehen woll­te, der ver­stand die Signa­le spä­te­stens am 20. Febru­ar 2014, als Kar­di­nal Wal­ter Kas­per im Auf­trag des Pap­stes vor dem Kar­di­nals­kon­si­sto­ri­um die Zulas­sung der zivil­recht­lich wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen zur Kom­mu­ni­on for­der­te. Von da lie­ßen sich die Spu­ren bis zum ersten Ange­lus von Fran­zis­kus nach sei­ner Wahl zurück­ver­fol­gen, bei dem er Kar­di­nal Kas­per nament­lich hervorhob.

Als sich am 20. Febru­ar 2014 eine Rei­he von Kar­di­nä­len über Kas­pers Vor­schlag empör­ten, eil­te ihm Fran­zis­kus zu Hil­fe. Am Mor­gen dar­auf trat der Papst selbst vor das Kon­si­sto­ri­um und lob­te Kas­per über­schweng­lich für des­sen Wor­te: „Dan­ke, dan­ke“, sag­te der Papst vor den erstaun­ten Kar­di­nä­len, das sei wah­re „Theo­lo­gie auf den Knien“.

Strategie und viel Taktik

Der Rest seit­her ist eine kla­re Stra­te­gie mit viel Tak­tik, um den Wider­stand mög­lichst klein­zu­hal­ten und die Geg­ner der „neu­en Barm­her­zig­keit“, eben­falls eine Ein­flü­ste­rung von Kar­di­nal Kas­per, zu spal­ten in sol­che, die das Spiel durch­schaut haben und offen Wider­stand lei­sten, und sol­che, die auf den ulti­ma­ti­ven Beweis war­ten, daß der Papst tat­säch­lich das „Uner­hör­te“ will, näm­lich den Bruch mit der über­lie­fer­ten Leh­re über das Ehe­sa­kra­ment und die Unauf­lös­lich­keit der Ehe. Was aber, wenn die­ser norm­set­zen­de Beweis nie erbracht wird, wäh­rend die „Lebens­wirk­lich­keit“ längst ganz ande­re Bäche berg­ab schwimmt?

Die­sen „ulti­ma­ti­ven“ Beweis ver­mei­det Fran­zis­kus offen­sicht­lich und ver­än­dert wäh­rend­des­sen durch die Macht des Fak­ti­schen das Den­ken und die Pra­xis in der katho­li­schen Kir­che. Er scheut die direk­te Kon­fron­ta­ti­on, weil er befürch­tet, damit zu schei­tern. Es gibt auch ande­re Wege, wie er seit­her unter Beweis stellt. Den Weg des Sagens und des Nicht-Sagens. Einen Meter vor­wärts, einen Meter zurück. Bei­de gro­ßen Flü­gel der Kir­che kön­nen sich auf den Papst beru­fen. Eine „wun­der­ba­re“ Form der Neu­tra­li­sie­rung. Ent­schei­dend ist jedoch: Wer folgt, der folgt.

Dynamik des Fortschritts

Fran­zis­kus setzt auf jene, die ihm fol­gen. Er geht von einer Dyna­mik des Fort­schritts aus, die zwangs­läu­fig Ver­än­de­rung bringt. Er will kei­ne Spal­tung der Kir­che, son­dern die gan­ze Kir­che in sei­nem Sinn umbau­en, durch vie­le grö­ße­re und klei­ne­re Schrit­te, durch die Behin­de­rung der Tra­di­ti­on außer­halb des Eccle­sia-Dei-Gehe­ges (Abset­zung von tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Bischö­fen, kom­mis­sa­ri­sche Ver­wal­tung für die Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta) und die För­de­rung pro­gres­si­ver, aber nicht zu radi­ka­ler Kräf­te (Msgr. Galan­ti­no, Msgr. Cupich, Kar­di­nal Kasper).

Markt­schreie­ri­sche Moder­ni­sten mag er min­de­stens eben­so­we­nig wie „pela­gia­ni­sche“ Tra­di­tio­na­li­sten. Daß Letz­te­re weit­ge­hend das Pro­dukt eines Denk­feh­lers sind, könn­te dem Papst inzwi­schen bewußt gewor­den sein. Kor­ri­gie­ren läßt sich der Denk­feh­ler den­noch nicht so schnell, weil er mit einer Aver­si­on auf emo­tio­na­ler Ebe­ne ver­bun­den ist. Die Grün­de dafür sind nicht leicht aus­zu­ma­chen. Sie kön­nen auf ganz per­sön­li­che, schon län­ge­re Zeit zurück­lie­gen­de Erleb­nis­se oder Beein­flus­sun­gen zurück­ge­hen, oder auf die Erwar­tung des von Papst Johan­nes XXIII. 1963 ver­spro­che­nen „neu­en Früh­lings“ wider die „Unheils­pro­phe­ten“, die „nichts aus der Geschich­te gelernt“ hät­ten und daher das anbre­chen­de neue Zeit­al­ter nicht erken­nen wür­den. Eine stän­di­ge Erwar­tung, die nicht in Erfül­lung gehen will, von der man aber nicht mehr ablas­sen kann, ohne ein lebens­prä­gen­des Den­ken in Fra­ge zu stellen.

Fatima und Luther

Fran­zis­kus will kei­ne äußer­li­che Revo­lu­ti­on, son­dern einen syste­ma­ti­schen Umbau der Kir­che. Eine revo­lu­tio­nie­ren­de Evo­lu­ti­on dürf­te sei­nem Den­ken ent­spre­chen. Er will Fati­ma und Luther. Als Pro­gres­si­ven zieht es ihn des­halb weni­ger nach Fati­ma, weil er Fati­ma bereits hat, dafür um so mehr zu Luther, weil das Neu­land ist. An Theo­lo­gie und Dog­men ziem­lich des­in­ter­es­siert, fühlt er sich mehr durch den Augen­blick gefor­dert und sucht nach der Ad-hoc-Lösung. Das nennt sich „pasto­ral“ und indi­vi­du­ell“. Bei­de Aspek­te fügen sich schmieg­sam in das vor­herr­schen­de Den­ken der Welt ein, das jede nor­ma­ti­ve reli­giö­se Leh­re unter Gene­ral­ver­dacht stellt.

Fatima, Luther und Papst Franziskus
Fati­ma, Luther und Papst Franziskus

Dar­aus ergibt sich der päpst­li­che Hang zum impro­vi­sier­ten Wort, das größt­mög­li­chen Spiel­raum läßt.

Damit hat auch die stän­di­ge Wie­der­ho­lung von Ankla­gen zu tun, wie jene vom ver­gan­ge­nen Mon­tag,  als Fran­zis­kus einen eigen­wil­lig beton­ten Gegen­satz in ein Bibel­wort hineininterpretierte:

Bei der mor­gend­li­chen Pre­digt in San­ta Mar­ta klag­te er die „Stren­ge der Heuch­ler“ an. Die Men­schen dürf­ten „nie Skla­ven des Geset­zes“ wer­den, wobei – wohl­ge­merkt – das gött­li­che Gesetz gemeint ist. Die „Stren­ge“ sei eine „Krank­heit“. Dahin­ter „ver­ber­ge“ sich „immer“ etwas. „Die Stren­ge ist nicht von Gott.“ Auch der älte­re Bru­der, Papst Fran­zis­kus nennt ihn den „guten“ Sohn, im Gleich­nis vom ver­lo­re­nen Sohn, den Fran­zis­kus den „schlech­ten Sohn“ nennt, ent­pup­pe sich als „Heuch­ler“. Der Papst wört­lich: „Er gibt zu erken­nen, was hin­ter sei­ner Güte steckt“, näm­lich „der Hoch­mut, zu glau­ben, gerecht zu sein“. Das sei, so Fran­zis­kus, die Hal­tung des „Heuch­lers: hin­ter dem das Gute tun steckt Hoch­mut“. Der ver­lo­re­ne Sohn wuß­te, trotz aller Laster und Ver­stö­ße „gegen das Gesetz“, im „dun­kel­sten Moment sei­nes Lebens“ einen Vater zu haben, und er „ging zum Vater“. Der „gute“ Sohn aber, der laut Fran­zis­kus von sich selbst behaup­tet habe, „so gut zu sein“, der habe nur ver­stan­den, einen „Herrn“ zu haben, aber „nie“ einen Vater: „Er war streng, er befolg­te das Gesetz mit Strenge“.

Päpstliches Privileg kaum offen kritisiert zu werden

Wenn er es nicht schon vor­her wuß­te, konn­te er nach sei­ner Papst-Wahl schnell fest­stel­len, daß die Welt auf die Macht von Gesten, von Bil­dern und dem gespro­che­nen Wort weit mehr reagiert als auf das gedruck­te Wort. Weni­ge lesen es nach und ana­ly­sie­ren. Das Pri­vi­leg, als Papst inner­kirch­lich kaum der offe­nen Kri­tik aus­ge­setzt zu sein, erlaubt ihm auch wider­sprüch­li­che Aus­sa­gen ohne ernst­haf­te Kon­se­quen­zen. Das schafft den nöti­gen Frei­raum, situa­ti­ons­spe­zi­fisch auf den jewei­lig momen­ta­nen Adres­sa­ten ein­ge­hen zu können.

Den Umbau aber betreibt der ehe­ma­li­ge Erz­bi­schof von Bue­nos Aires über Per­so­nal­ent­schei­dun­gen: Abset­zun­gen, Ernen­nun­gen, Beför­de­run­gen. Zudem bestimmt er das Tem­po, das er sich auch nicht durch unduld­sa­me Pro­gres­si­ve dik­tie­ren läßt. Mehr Ein­druck scheint dem Kir­chen­ober­haupt der Wider­stand der „Stren­gen“ zu machen, die an der Leh­re und an den Sakra­men­ten fest­hal­ten. Damit hat­te er in sei­ner anfäng­li­chen Eupho­rie nicht gerech­net. Im Herbst 2014 erklär­te er am Vor­abend zur ersten Bischofs­syn­ode noch allen Ern­stes, die Syn­oda­len soll­ten „den Schrei des Vol­kes“ hören, der als Schrei für pro­gres­si­ve Ände­run­gen zu ver­ste­hen war.

Der zwei­te Hebel zur Umset­zung der päpst­li­chen Agen­da ist die Eröff­nung immer neu­er Bau­stel­len. Sie sol­len Kräf­te bin­den, Unru­he stif­ten, ihrer Viel­zahl wegen zur Resi­gna­ti­on ver­lei­ten. Fran­zis­kus scheint selbst gar nicht ernst­haft dar­an zu den­ken, in allen den ange­sto­ße­nen Punk­ten Ergeb­nis­se zu erzie­len. Es geht ihm auch dar­um, die Kir­che auf­zu­schrecken und auf­zu­rüt­teln. Dar­in ist ihm durch­aus zu fol­gen, wenn damit neu­er mis­sio­na­ri­scher und apo­sto­li­scher Eifer gemeint ist. Ob er es auf ziel­füh­ren­de Wei­se tut, darf hin­ge­gen bezwei­felt werden.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Chiesaepostconcilio/​SMM (Screen­shots)

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