(Rom) Am morgigen Dienstag, dem 25. Oktober 2016, stellt die römische Kongregation für die Glaubenslehre die neue Instruktion Ad resurgendum cum Christo über die Bestattung der Verstorbenen und die Aufbewahrung der Asche von Toten, deren Leichnam im Krematorium verbrannt wurde. Seit einigen Jahrzehnten erleben die Bestattungssitten im Zuge von Entchristlichung und Individualisierung einen radikalen Wandel.
Die Instruktion wird im Rahmen einer Pressekonferenz im Pressesaal des Heiligen Stuhls vorgestellt. An der Pressekonferenz werden Gerhard Kardinal Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, Pater Serge Thomas Bonino OP, der Sekretär der Internationalen Theologischen Kommission, und Msgr. Angel Rodriguez Luño, Consultor der Glaubenskongregation, teilnehmen.
Das Christentum und der Erlösungsglaube – Von der Feuer- zur Erdbestattung
Die Feuerbestattung kam erst vor noch nicht einmal 140 Jahren auf und war eine ideologische Kampfansage der Liberalen und der Sozialdemokratie im Vordergrund und der Freimaurerei im Hintergrund gegen die Kirche. Um möglichst radikal die Distanzierung vom Christentum und dem Erlösungsglauben zu demonstrieren, wurde nach der Entwicklung des ersten tauglichen Verbrennungsofens in den 1870er Jahren mit Nachdruck die Feuerbestattung propagiert. Antiklerikale Ideologen, ob Liberale oder Sozialisten, ließen sich verbrennen, andernfalls hätten sie im Tod gar noch verächtlich als Christen gegolten. Der geschickte Schachzug, der zu einem beachtlichen Erfolg führte, war aber – wie so oft – nicht die Ideologie, sondern ein Nützlichkeitsdenken. Die Feuerbestattung sei billiger, und man spare sich die Grabpflege. So prosaisch werden selbst bedeutende Sitten abgebrochen.
Die Feuerbestattung hatte es bereits in vorchristlicher Zeit im Rom und im Athen der Antike gegeben, war aber nie allgemein praktiziert worden. Nur hochrangige Persönlichkeiten wurden in einem öffentlichen Spektakel auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Wegen der auftretenden Holzverknappung wurden in Rom schließlich nur mehr die Kaiser verbrannt, bis Kaiser Konstantin der Große sich zum Christentum bekehrte und taufen ließ, und damit selbst diese Repräsentationsverbrennungen endeten.
Mit der Ausbreitung des Christentums wurde die Feuerbestattung zugunsten der Erdbestattung zurückgedrängt. Das hatte mit der Auferstehung Jesu Christi und mit der verheißenen Auferstehung des Fleiches (also des Leibes) zu tun. Es ging nicht mehr um einen Mangel an Brennholz, sondern um einen Bestandteil des Erlösungsglaubens, woraus sich eine bewußte Ablehnung der heidnischen Praxis der Feuerbestattung ableitete.
Im germanischen Norden stand Holz in ausreichender Menge zur Verfügung, weshalb dort die Feuerbestattung weiter verbreitet war, bis Kaiser Karl der Große 785 mit dem Capitulare von Paderborn die Feuerbestattung als Sitte der Heiden unter Strafe stellte.
Die christliche Bestattungssitte hatte sich durchgesetzt und prägte durch viele Jahrhunderte den Totenkult.
Die Freimaurerei und der bewußte Bruch mit dem Christentum
Erst in der Zeit der freimaurerisch geprägten Aufklärung, mit ihrer bewußten Distanz zum Christentum und auch zum überlieferten Brauchtum, sprachen sich vereinzelte Persönlichkeiten für einen Rückgriff auf die antiken Verbrennungsformen hin. Der Preußenkönig Friedrich der Große wollte sich selbst idealistisch-romantisierend überhöhen, indem er schrieb, man solle ihn wie einen römischen Kaiser verbrennen und seine Asche aufbewahren.
Die enge Verzahnung der Freimaurerei mit der Wiedereinführung zeigt sich am „Pionier der Feuerbestattung“. Als solcher gilt der aus Mähren stammende Freimaurer Albert Joseph Reichsgraf von Hoditz und Wolframitz. Er trat in preußische Dienste und propagierte die Wiederbelegung der Feuerbestattung. 1752 ließ er seine Ehefrau Sophia von Sachsen-Weißenfels einäschern, damals noch auf dem Scheiterhaufen. Hoditz war 1741 in Breslau in die Loge zu den Drei Skeletten aufgenommen worden. 1742 führte er die Gründung der ersten Wiener Loge, der Loge zu den Drei Kanonen durch, wie er überhaupt maßgeblichen Einfluß auf die Entstehung der Freimaurerei in Österreich hatte.
Was nur zunächst nur ganz vereinzelte Gestalten taten, erlebte durch die Französische Revolution einen „Brandbeschleuniger“. Schließlich wollten die Revolutionäre mit dem Christentum brechen und zwar auf radikale Weise. 1797 beschloß der Rat der Fünfhundert für Paris, daß „das ganze Begräbniswesen soll neu geordnet werden“ und ein zentraler Verbrennungsofen am Montmartre errichtet werden soll. Zum Bau eines Krematoriums kam es nicht, aber Pläne wurden entworfen. Begründete wurde die Absicht neben ideologischen Motiven mit der Hygiene. Hauptargument war jedoch die „gleichmachende Wirkung der Flamme“, wie Henning Winter in einer Studie über die Architektur der Krematorien im zweiten Deutschen Reich schreibt. Die „egalité“ sollte durch Beseitigung jeder Individualität bei der Bestattung verwirklicht werden.
„Vitrification“
Das Pariser Krematorium sollte nach außen das Aussehen einer 28 Meter hohen Pyramide haben. Wegen des Holzmangels sollte für die Verbrennung Chemie zu Hilfe gezogen werden. Die technischen Helfer der Revolutionstheoretiker wollten die Verbrennung der Leichen dazu nützen, um Glas herzustellen.
„Der Mensch als Baustoff blieb Utopie“, so Henning Winter. Die sogenannte „Vitrification“, die Herstellung von Glas durch Einäscherung der Knochen, ging auf eine Schrift des deutschen Alchimisten Hans Joachim Becher aus dem Jahr 1669 zurück. Becher, der Sohn eines protestantischen Pastors aus Speyer, konvertierte später zum katholischen Glauben und trat in den Dienst des Mainzer Fürsterzbischofs Johann Philipp von Schönborn. Er blieb allerdings bei der Suche nach dem „Stein der Weisen“ wenig erfolgreich, machte sich dafür aber als Ökonom einen Namen.
Zu Bechers Zeiten fehlten noch die Maschinen, um die Glasherstellung durchführen zu können. 125 Jahre später, während der Französischen Revolution, dachte man, soweit zu sein. Es kam dennoch nicht zur Umsetzung, weil unter dem an die Macht gelangten Napoleon Bonaparte 1801 ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl zustande kam, das nach dem brutalen Vernichtungskrieg der Revolutionäre den Wiederaufbau des Kirchenwesens in Frankreich ermöglichte.
19. Jahrhundert: hochideologischer Kampf
Das 19. Jahrhundert ist, besonders in der zweiten Hälfte, geprägt von einer heftigen Auseinandersetzung zwischen „Konservativen“ und „Progressiven“, die auch die Bestattung betraf. Letztere führten „sanitäre, ethische und ästhetische Gründe“ für due Feuerbestattung ins Feld, wie es im Internationalen Freimaurerlexikon heißt. In Wirklichkeit war der Konflikt hochideologisch motiviert, wenngleich das in den öffentlich vorgebrachten Argumenten teilweise weniger gezeigt wurde. Eine „fortschrittliche“ Bestattungsform wurde einer angeblich „rückständigen“ entgegengesetzt.
Die Auseinandersetzung läßt sich nur im Kontext des allgemeinen, technikfreundlichen Klimas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstehen. Das hing mit dem politischen Siegeszug des Liberalismus und dem Aufstieg des Sozialismus zusammen, die durch schrittweise Wahlrechtsänderungen zustande kamen. Die Freimaurerei gehörte zwar nicht in allen Staaten gleichermaßen, vor allem aber in Italien, zu den radikalen Verfechtern der Feuerbestattung, was nachdrücklich auf die katholische Kirche zurückwirkte.
In den protestantischen Staaten des Deutschen Reiches und den reformierten Kantonen der Schweiz, in denen die Liberalen eine maßgebliche Rolle spielten, wurde die Feuerbestattung ab 1877 (den Auftakt machte das Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha) erlaubt. Sich von der katholischen Kirche und den Katholiken abheben zu können, die sich vehement gegen die Feuerbestattung aussprachen, spielte dabei eine wesentliche, wenn auch noch nicht breitenwirksame Rolle.
Vom Scheiterhaufen zum Verbrennungsofen
1898 wurde im reformierten Zürich das erste Krematorium der Schweiz in Betrieb genommen. An die Stelle des Scheiterhaufens der Antike trat nun ein Verbrennungsofen.
Die protestantischen Kirchen lehnten anfangs wie die katholische Kirche die Feuerbestattung ab, doch noch vor dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer faktischen, nach dem Ersten Weltkrieg zu einer offiziellen Akzeptanz. Seit 1955 sind für die Evangelischen Feuer- und Erdbestattung formal gleichgestellt. 1977 wurde auch die „Empfehlung“ der Erdbestattung fallengelassen.
Im katholischen Österreich reichte der liberale Einfluß nicht aus, um die Feuerbestattung zu legalisieren. Hier wurde der Kampf gegen die Erdbestattung von der sozialistischen Bewegung übernommen und mit ideologischer Härte fortgeführt. Mit der Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Feuerbestattung auch in Österreich legalisiert. Wer katholisch war, ließ sich in der Erde begraben, wer Sozialist war, ließ sich verbrennen. Dieser Gegensatz erlangte vor allem im rot regierten Wien unter organisierten Parteigenossen Bedeutung.
Die katholische Kirche hielt an der Erdbestattung fest und lehnte die Feuerbestattung als Angriff gegen den christlichen Erlösungsglauben ab. Der Kirche war durchaus bewußt, daß Teile der Liberalen und vor allem die Sozialisten die Feuerbestattung aus Ablehnung gegen die Kirche und das Christentum propagierten.
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab die katholische Kirche 1964 ihren Widerstand teilweise auf. Seither wird die Feuerbestattung akzeptiert unter der Bedingung, daß sie aus „kirchlich neutralen Gründen“ der Erdbestattung vorgezogen wird. Die Kirche versuchte, die sich ausbreitende Praxis der Einäscherung, die häufig mit den höheren Kosten einer Erdbestattung begründet wurde, zu integrieren, um einen möglichen Grund zu beseitigen, daß sich Menschen von der Kirche abwenden.
Durchbruch durch utilitaristisches Kostendenken statt Ideologie
Überhaupt waren die Kostengründe das Hauptargument der Feuerbestattungsbefürworter, mit denen sie in weite Kreise der Bevölkerung hineinwirkten, die für deren eigentlichen, ideologischen Überlegungen weniger zugänglich waren. Das galt auch für die Kommunen, die für die Errichtung von Krematorien mit der Kostenfrage argumentierten und sich mögliche Einsparungen erhofften oder solche jedenfalls vorschützten. So waren es nicht zuletzt Kommunen, die bei der jeweiligen Landesregierung auf eine Legalisierung drängten. Dabei wurde in der Diskussion immer eine angebliche „Liberalität“ in die Waagschale geworfen.
Protestantische und liberal regierte Länder des Deutschen Reiches machten den Auftakt. Die beiden größten Flächenstaaten, die Königreiche Preußen und Bayern, legalisierten, wegen der starken katholischen Bevölkerungsanteile bzw. einer konservativeren Ausrichtung der Regierung, 1911 bzw. 1912 als Letzte die Feuerbestattung. In beiden Staaten strengten die Feuerbestattungsvereine Prozesse an, um das Recht ihrer Mitglieder zu erstreiten, verbrannt zu werden. In Preußen wurde in der linksliberal regierten Stadt Hagen als Druckmittel ein Krematorium errichtet, obwohl dessen Betrieb verboten war. Dann wurde prozessiert um dessen Inbetriebnahme. In Bayern waren es ebenso Liberale, die im protestantischen Franken sich vor Gericht den Bau eines Krematoriums erstritten.
Wegen der noch starken christlichen Prägung, zumindest was die Totenkultur anbelangte, und wegen der höheren Abgaben für die Feuerbestattung wurden 1920 im Deutschen Reich erst 1,8 Prozent aller Verstorbenen verbrannt, obwohl es den Feuerbestattungsvereinen mit Hilfe ihrer regen Propagandatätigkeit bereits gelungen war, 53 Krematorien zu errichten. Am leichtesten ging das dort, wo Feuerbestattungsvereinsmitglieder im Gemeinde- oder Stadtrat saßen. Die Feuerbestattung blieb auf eine kleine, betuchtere, stark antichristlich motivierte Minderheit beschränkt.
DDR-Primat und städtischer Unwille zur Grabpflege
Die katholische Kirche hält aber weiterhin an der Empfehlung zur Erstbestattung fest, die als eigentliche christliche Bestattungsform gilt, während die Feuerbestattung stillschweigend geduldet, aber nicht gefördert, allerdings auch nicht mehr bekämpft wird.
Während die Erdbestattung in ihrem Wesen zutiefst mit dem christlichen Glauben verbunden ist, zielten die Feuerbestattungsvereine mit ihren Krematorienplänen von Anfang an auf eine akonfessionelle Bestattungsform. Das Verbrennen der Leichen sollte Atheisten, Christen, Juden usw. offenstehen.
Während des Nationalsozialismus erlebte das Krematorium in den Konzentrationslagern eine erste, pervertierte „Blütezeit“.
„Fettleibige Menschen brennen länger. Bis zu eineinhalb Stunden bei knapp 1300 Grad Celsius. Und am Ende wiegt dann auch der dickste Österreicher nicht mehr als 3,5 Kilo“, berichtete die österreichische Tageszeitung Kurier im Oktober 2012.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Feuerbestattung vor allem in Mitteldeutschland durch die kommunistische Einheitspartei SED propagiert, in Österreich durch die Sozialistische Partei SPÖ. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Zum Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung wurden in der alten Bundesrepublik Deutschland 27,6 Prozent der Verstorbenen verbrannt, in der ehemaligen DDR hingegen fast 78 Prozent. Besonders in den Großstädten wie Berlin (65 Prozent) und München (58 Prozent) liegt der Anteil der Feuerbestattung bei über 50 Prozent. Erstaunlicherweise bildet gerade das rote Wien, einst stadtregierungsgewünschte „Avantgarde“ der Abkehr vom Christentum, heute eine Ausnahmen im großstädtischen Durchschnitt. In Wien läßt sich nur jeder Vierte einäschern, während es etwa in Graz, Linz oder Innsbruck mehr als zwei Drittel sind.
Schweizer „Liberalität“
Ob im wiedervereinigten Deutschland oder der Schweiz überwiegt in katholischen Gegenden und grundsätzlich unter Katholiken die Erdbestattung, in protestantischen Gegenden hingegen die Feuerbestattung. Die Repaganisierung der Bestattungssitten wurde offenbar durch den Protestantismus begünstigt. In der Schweiz gilt keine Friedhofspflicht. Mit der Asche der verbrannten Verstorbenen kann jeder mehr oder weniger machen, was er will: sie zu Hause auf den Kaminsims stellen, im Garten vergraben, von einem Berggipfel durch den Wind in alle Himmelsrichtungen verblasen lassen oder in bestimmte Flüsse schütten.
In Summe liegt heute der Prozentsatz der Schweizer, die im Verbrennungsofen enden, auf ehemaligem DDR-Niveau. Rund 80 Prozent der Eidgenossen lassen sich zu Asche pulverisieren und haben damit unter allen europäischen Staaten den Primat vom einstigen „Arbeiter- und Bauernstaat“ übernommen. Wie weit der Verbrennungsofen auch in den katholischen Bereich hineingreift, zeigen die Zahlen. Immerhin bekennen sich fast 40 Prozent der Schweizer als katholisch, 30 Prozent als protestantisch, 20 Prozent sind konfessionslos, fast fünf Prozent Muslime. Jeder zweite Schweizer Katholik läßt sich statistisch verbrennen.
Dennch fällt beim Besuch eines Schweizer Friedhofs der Unterschied zwischen den katholischen und protestantischen Bereichen ins Auge. Letztere lassen sich zum größten Teil kremieren. In 20 Prozent der Fälle, wird die Asche der verbrannten Toten in irgendeiner Form, nicht selten von den Heizmeistern der Krematorien, „in der Natur verstreut“, wie Swissinfo.ch vor vier Jahren berichtete. „Für die Umwelt stellt das kein Problem dar, denn die Asche ist heute sehr fein“, weiß ein Lausanner Bestattungsunternehmer zu erklären.
Jede dritte Totenfeier in der Schweiz findet übrigens ohne Priester und ohne Pastor statt. Vielleicht die Verstorbenen, jedenfalls die Hinterbliebenen glauben offensichtlich nicht mehr an ein Leben nach dem Tod nach christlichem Verständnis.
Vom Kostenfaktor zu neuen kostenintensiven Bestattungsformen
Der Kostenfaktor wird nach wie vor als häufigster Grund bei der Entscheidung für die Feuerbestattung angeführt. Allerdings werden aus Prestigegründe, wie Studien zeigen, bei Feuerbestattung zum Teil nicht minder aufwendige Särge gewählt, als bei Erdbestattung. Auf katholischer Seite setzte irgendwann eine Resignation ein, da gegen den Faktor Geld in einem utilitaristisch geprägten Denken schwer anzukommen ist. Ein Erdgrab kostet für Platzmiete und Pflege durch einen Gärtner 350 Euro im Jahr, ein Urnengrab „nur knapp 200 Euro“, so ein Vertreter des österreichischen Bundesverbandes für Bestatter. Vor allem in den größeren Städten wollen sich viele die Gräberpflege nicht mehr antun. Die Lebenden haben keine Zeit für die Toten und wollen schon gar nicht Geld für sie ausgeben.
Das mit dem Geld ist allerdings so eine Sache: Für modische Alternativen sind manche bereit durchaus weit mehr Geld hinzublättern als für eine klassische Erdbestattung. Das Abschiednehmen und das Loslassenkönnen von den Verstorbenen bleibt den nicht mehr christlichen Zeitgenossen nicht erspart und zwingt zu neuen, selbstgestalteten Strategien. Todesanzeigen in den Medien etwa, auch zum ersten, fünften oder 20. Todestag. Die Kosten werden nach Millimetern verrechnet. Eine Wasserbestattung, um die Asche nach einer Feuerbestattung in den Fluß kippen zu lassen, kostet ab 2.000 Euro aufwärts. Eine „Bestattung“ im Weltall ist zum Schnäppchenpreis ab 50.000 Euro und viel mehr zu haben. Da gäbe es noch die Baumbestattung, um mit der Natur, dem Heimatboden oder einer imaginären Muttergöttin Erde vereint zu sein, usw. Dafür werden heute in manchen Schweizer Gemeinden „Einzel- oder Familienmietbäume“ angeboten. Auch private Waldbesitzer erschließen sich damit eine Nebenverdienstquelle: Man kann einen Baum mieten, an dessen Fuß die Asche vergraben werden kann. Äußerlich ändert sich nichts, da weder Tafeln noch Herzen angebracht werden dürfen. Der Wert des Holzes wird nicht beeinträchtigt. Im Kanton Jura nennt man die Mietbäume „Wald der Erinnerung“. In den USA werden als letzte Ruhestätte für Aschenurnen auch auf den Meeresgrund versenkte „Kolumbarien“ angeboten.
Ein Faktor für die sich ändernden Bestattungssitten ist die wachsende Mobilität, die durch eine sich verändernde Berufswelt aufgezwungen wird. Die Heimat wird „global“, die Pflege der Ahnengräber aber zum Klotz am Bein. Neuerdings kommen neue Moden mit kommerziellem Hintergrund auf: aus der Asche des Verstorbenen kann man sich einen Industriediamanten herstellen lassen, um ihn oder sie „immer bei sich“ zu tragen. Das kostet natürlich extra. In der Wirtschaft spricht man vom Erzeugen von Bedürfnissen. Wo das Christentum schwindet, und die Sinnhaftigkeit der traditionellen Erdbestattung nicht mehr verstanden wird, gerät auch der Totenkult in die Mühlen erfinderischer Kommerzialisierung durch neue Ideen, geschickte Werbestrategien, um in den Menschen „Bedürfnisse“ zu wecken, und ihnen vor allem das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und plötzlich wird der Totenkult ganz wichtig, allerdings nicht mehr christlich. Dafür läßt man ihn sich aber einiges kosten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/wikicommons