Kardinal Kaspers ökumenische Allgemeinplätzchen (IV)


Walter Kaspers Annäherungsversuch an Martin Luther "kann in keiner Weise überzeugen.
Walter Kaspers Annäherungsversuch an Martin Luther "kann in keiner Weise überzeugen.

Kuri­en­kar­di­nal Wal­ter Kas­per hat im März ein neu­es Luther­buch her­aus­ge­bracht. Dar­in glaubt er posi­ti­ve Anlie­gen des Refor­ma­tors ent­decken zu können.

Anzei­ge

Eine kom­men­tie­ren­de Buch­re­zen­si­on von Hubert Hecker.

Kas­pers klei­nes Büch­lein mit dem Titel: „Mar­tin Luther. Eine öku­me­ni­sche Per­spek­ti­ve“ geht auf einen Vor­trag vom Janu­ar 2016 zurück. Zu Anfang meint der Autor, dass den heu­ti­gen Chri­sten aller Kon­fes­sio­nen Luthers Reden und Schrif­ten in viel­fa­cher Hin­sicht fremd erschei­nen. Dazu stellt Kas­per die küh­ne The­se auf, dass „gera­de die Fremd­heit Luthers und sei­ner Bot­schaft des­sen öku­me­ni­sche Aktua­li­tät“ aus­ma­chen wür­de. Der Leser darf gespannt sein, ob und wie der Kar­di­nal die Fremd­heit Luthers in aktu­el­le öku­me­ni­sche Nähe ver­wan­deln will.

Luther speit Gift und Galle über Andersdenkende aus

Tat­säch­lich gibt es vie­le Aspek­te in Luthers Lebens­werk, die auf heu­ti­ge Zeit­ge­nos­sen äußerst befremd­lich wir­ken. Kas­per weist auf die Hass­re­den des spä­ten Refor­ma­tors hin, der den Juden als Ver­stock­ten und Abtrün­ni­gen alles Böse an Fluch und Ver­der­ben auf den Hals wünscht. Auch den Tür­ken /​ Mus­li­men sagt er als Fein­den der Chri­sten­heit den Kampf an – solan­ge sie nicht gegen den Papst und die Katho­li­ken im Krieg ste­hen. Denn der Papst als ver­fluch­ter Anti­christ sowie alle papi­sti­schen Katho­li­ken sind Luthers ärg­ste Fein­de, gegen die er bis zu sei­nem Lebens­en­de mit Hass und Höl­le giftet.

Protestantische Anheizung des Hexenwahns
Pro­te­stan­ti­sche Anhei­zung des Hexenwahns

Aber auch kon­kur­rie­ren­de refor­ma­to­ri­sche Grup­pen woll­te er bekämpft haben. Er for­der­te die dama­li­gen fürst­li­chen Macht­ha­ber auf, die Vor­gän­ger-Gemein­schaf­ten der heu­ti­gen Men­no­ni­ten und Bap­ti­sten zu ver­fol­gen bis zur Aus­lö­schung. Eben­so soll­te mit sei­nen refor­ma­to­ri­schen Gegen­spie­lern Karl­stadt und Münt­zer ver­fah­ren wer­den. An die Für­sten ging auch Luthers mör­de­ri­scher Auf­ruf, die auf­stän­di­schen Bau­ern tot­zu­schla­gen wie tol­le Hun­de, um sich mit die­sen blu­ti­gen Wer­ken den Him­mel zu ver­die­nen. Schließ­lich ist auf Luthers Hexen­wahn hin­zu­wei­sen. Auf das Kon­to der durch evan­ge­li­sche Hexen­pre­dig­ten auf­ge­hetz­ten Pro­te­stan­ten gehen deut­lich mehr als die Hälf­te der Hexen­op­fer im Deut­schen Reich zurück, deren Gesamt­zahl nach aktu­el­lem For­schungs­stand mit 15.000–20.000 ange­ge­ben wird.

Luthers theologische Fragestellungen und Antworten sind heute irrelevant

Die Fremd­heit Luthers gehe aber noch tie­fer, bemerkt Kas­per. Den mei­sten Chri­sten bei­der Kon­fes­sio­nen sei­en die von Luther auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen schlicht nicht mehr ver­ständ­lich. Das gel­te zum einen für den Dis­put um die Ablass­fra­ge durch den bekann­ten The­sen­ka­ta­log. Sicher­lich wer­den vie­le Pro­te­stan­ten Luther nicht ver­ste­hen, wenn er in The­se 71 aussagt:

Wer gegen die Wahr­heit des apo­sto­li­schen – d. h. päpst­li­chen – Ablas­ses spricht, der sei ver­wor­fen und ver­flucht.

Oder:

Der Papst han­delt sehr rich­tig, den See­len im Fege­feu­er die Ver­ge­bung (der Sün­den­stra­fen …) auf dem Wege der Für­bit­te zuzu­wen­den (The­se 26).

Zum andern erscheint den heu­ti­gen Chri­sten Luthers exi­sten­ti­el­le Fra­ge, die zu sei­ner Recht­fer­ti­gungs­leh­re führ­te, bedeu­tungs­los: Wie krie­ge ich einen gnä­di­gen Gott? Bei der ver­brei­te­ten Auf­fas­sung im zeit­gei­sti­gen Chri­sten­tum, nach der man allein schon wegen der Barm­her­zig­keit Got­tes (theo­lo­gisch als umfas­sen­der Heil­wil­le Got­tes für alle for­mu­liert) in den Him­mel kom­me, ist Luthers Lebens­fra­ge irrele­vant (und damit auch sei­ne Ant­wor­ten in der Rechtfertigungslehre).

Luthers Fürstenreformation führte zur allseitigen Knechtung des Volkes

Ent­ge­gen all­ge­mei­ner Auf­fas­sung waren die Adres­sa­ten von Luthers Publi­ka­tio­nen nicht das christ­li­che Volk, son­dern die Für­sten, der Adel und die städ­ti­schen Patri­zi­er. Die­se damals herr­schen­den Stän­de­grup­pen und ihren Anteil an den kirch­li­chen Miss-Stän­den hat der Refor­ma­tor nie kri­ti­siert. Im Gegen­teil. Auf der Basis sei­ner 1520er Schrift: An den christ­li­chen Adel deut­scher Nati­on über­trug Luther die Durch­set­zung sei­ner ein­ge­lei­te­ten Refor­ma­ti­on auf die herr­schen­den adli­gen Schich­ten. Nach dem Reichs­tag von Spey­er (1526) domi­nier­ten die Für­sten als Lai­en­bi­schö­fe die pro­te­stan­ti­sche Kirchenordnung.

Antikatholische Hetze
Anti­ka­tho­li­sche Hetze

Es erscheint uns Heu­ti­gen äußerst befremd­lich, wie Luther mit die­sem kirch­li­chen Ord­nungs­kon­zept und der Zwei-Rei­che-Leh­re sei­ne Anhän­ger zu Für­sten­knech­ten in welt­li­chen und kirch­li­chen Din­gen degra­dier­te. Im lan­des­herr­li­chen Kir­chen­re­gi­ment der welt­li­chen Lan­des­her­ren hat­te die Glau­bens­frei­heit eines Chri­sten­men­schen kei­nen Platz (cui­us regio, eius reli­gio). Kas­per stellt fest: So führ­te die Refor­ma­ti­on zunächst nicht in die Neu­zeit, son­dern zu einer Ver­län­ge­rung des Mit­tel­al­ters. Das trifft aber so nicht zu. Denn in der mit­tel­al­ter­li­chen Stadt­ge­sell­schaft mit kom­mu­na­ler Selbst­ver­wal­tung hat­ten die Bür­ger – geglie­dert nach Stän­den – deut­lich mehr Rech­te als die recht­lo­sen Unter­ta­nen in dem von Luther favo­ri­sier­ten abso­lu­ti­sti­schen Obrig­keits­staat. In die­sem Punkt fiel Luther hin­ter das Mit­tel­al­ter zurück.

Anfällig für nationalistische Pathologien

Kas­per führt wei­ter aus: Durch Luthers Refor­ma­ti­on und Kir­chen­spal­tung wur­den die bei­den mit­tel­al­ter­li­chen Klam­mern des Rei­ches, Papst und Kai­ser, aus­ge­klinkt. Das Ende des reichs­kirch­li­chen Uni­ver­sa­lis­mus brach­te kirch­li­chen und poli­ti­schen Par­ti­ku­la­ris­mus und einen oft kon­fes­sio­nell gefärb­ten Natio­na­lis­mus, der Euro­pa viel Unheil bescher­te.

Auf Luthers auto­kra­ti­schen Obrig­keits­staat wur­de schon hin­ge­wie­sen: Der Esel will Schlä­ge haben und der Pöbel mit Gewalt regiert wer­den – so Luthers ver­ächt­li­che Mei­nung vom Volk. Lehr­mä­ßig war die tota­le Für­sten­herr­schaft durch Luthers Auf­fas­sung von der tota­len Ver­derbt­heit der Men­schen, auch der getauf­ten, abgeleitet.

Luther als "Hercules Germanicus" - protestantische Propaganda
Luther als „Her­cules Ger­ma­ni­cus“ – pro­te­stan­ti­sche Propaganda

Die Für­sten­herr­schaft über die luthe­ri­schen Glau­bens­ge­mein­schaf­ten führ­te zu einem ter­ri­to­ri­al­staat­lich und spä­ter natio­nal­kirch­lich orga­ni­sier­ten Pro­te­stan­tis­mus. Der war beson­ders anfäl­lig für natio­na­li­sti­sche Patho­lo­gien. Schon den abso­lu­ti­sti­schen Köni­gen des 17. und 18. Jahr­hun­derts dien­ten sich pro­te­stan­ti­sche Pre­di­ger mit dem gött­li­chen Schlach­ten­len­ker an. Bei den Befrei­ungs­krie­gen und dem 300jährigen Luther-Jubi­lä­um von 1817 wur­de Luther als Kron­zeu­ge dafür auf­ge­baut, dass Chri­sten­tum und Deutsch­tum auf­ein­an­der ange­legt sei­en – ein­schließ­lich anti­se­mi­ti­scher Ten­den­zen. End­punkt die­ser Ent­wick­lung war 1939 die Erklä­rung von elf deutsch­christ­li­chen Lan­des­kir­chen, dass die natio­nal­so­zia­li­sti­schen Welt­an­schau­ung das Werk Mar­tin Luthers fort­führt.

Der legendarische Luther – diesmal als Bannerträger des modernen Rechtsstaates

Los­ge­löst von natur­recht­li­chen Prin­zi­pi­en sowie dem Stand­punkt des päpst­lich-kirch­li­chen Uni­ver­sa­lis­mus waren und sind die pro­te­stan­ti­schen Grup­pen dafür anfäl­lig, ein anschmieg­sa­mes Ver­hält­nis zum jewei­li­gen Zeit­geist auf­zu­bau­en. In dem neu­en Grund­satz­pa­pier der EKD zum Refor­ma­ti­ons­ju­bi­lä­um 2017 mit dem Titel Recht­fer­ti­gung und Frei­heit heißt es: Luthers grund­sätz­li­cher theo­lo­gi­scher Über­zeu­gung ent­spricht die moder­ne Ver­fas­sungs­ge­stalt des demo­kra­ti­schen Rechts­staa­tes. Dar­auf ange­spro­chen, dass Luther doch gera­de den frei­en Wil­len, die auto­no­me Gewis­sens­ent­schei­dung sowie alle Rech­te des Indi­vi­du­ums in welt­li­chen (und spä­ter auch) geist­li­chen Din­gen ver­neint hat­te, ver­wei­sen die Autoren auf ihren Ansatz, Per­son und Werk Luthers frei vom heu­ti­gen Zeit­geist her inter­pre­tie­ren zu wol­len: Jubi­lä­en rekon­stru­ie­ren nicht ein­fach Gewe­se­nes, son­dern schrei­ben es in all­ge­mei­nen Erzäh­lun­gen ein, die aktu­el­le Rele­vanz bean­spru­chen. So wird Luther nach­träg­lich als Licht­ge­stalt der Moder­ne auf einen legen­da­ri­schen Sockel geho­ben. Die neue Recht­fer­ti­gungs­leh­re besteht anschei­nend dar­in, dass der Pro­te­stan­tis­mus Auf­klä­rung und moder­ne Staat­lich­keit begrün­det und beglei­tet hät­te. Doch die­se The­sen wer­den ent­ge­gen der histo­ri­schen Wahr­heit, wider intel­lek­tu­el­ler Red­lich­keit und ohne theo­lo­gi­schen Inhal­te auf­ge­führt. Die katho­li­sche Kir­che wür­de sich schul­dig machen, wenn sie an die­sem Jubel­pro­zess der unwahr­haf­ti­gen pro­te­stan­ti­schen Selbst­be­spie­ge­lung teilnähme.

Die neuzeitlich Geschichte fing nicht erst 1517 an

Kardinal Kaspers Lutherbuch
Kar­di­nal Kas­pers Lutherbuch

Der Kar­di­nal drückt sei­ne Skep­sis gegen­über einem Luther als Bahn­bre­cher der Gei­stes­frei­heit und Ban­ner­trä­ger der Neu­zeit etwas zurück­hal­ten­der aus. Er ver­weist aber auf die kate­go­ri­sche Ableh­nung des frei­en Wil­lens durch den Refor­ma­tor. In der Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Huma­ni­sten Eras­mus behaup­te­te Luther, dass jeder Christ wie ein Reit­tier ent­we­der von Gott oder vom Teu­fel gerit­ten wer­de. Im Übri­gen, so Kas­per wei­ter, gab es Bibel­kri­tik, frei­mü­ti­ge Kri­tik an der Kir­che und Reform­be­mü­hun­gen  schon vor Luther im Spät­mit­tel­al­ter zuhauf. Das waren die Wur­zeln für die eigen­stän­di­gen Refor­men der Kir­che im 16. Jahr­hun­dert, die als Reak­ti­on auf Luther oder Gegen­re­for­ma­ti­on fälsch­lich ver­kürzt wären. Die Eigen­ent­wick­lung der kirch­li­chen Refor­men kann man an der Form der triden­ti­ni­schen Lehr­aus­sa­gen erken­nen: Zunächst ent­fal­tet das Kon­zil die schon immer gelehr­ten kirch­li­chen Dog­men. Erst danach wer­den die Abwei­chun­gen des Pela­gia­nis­mus und Pro­te­stan­tis­mus als häre­tisch ver­ur­teilt. Die­se Lehr­grund­la­gen sowie die jesui­ti­sche Spi­ri­tua­li­tät, die spa­ni­sche Mystik und die Welt­fröm­mig­keit des Franz von Sales bil­de­ten die geist­li­che Basis für die katho­lisch inspi­rier­te euro­päi­sche Barock­kul­tur. Und selbst bei den gei­stes­ge­schicht­li­chen Strö­mun­gen kann man nach Ernst Troeltsch fest­hal­ten: Mit Des­car­tes und Pas­cal, Koper­ni­kus sowie ita­lie­ni­schen und spa­ni­schen Klas­si­kern sind im kon­fes­sio­nel­len Zeit­al­ter die Mut­ter­län­der der moder­nen Zivi­li­sa­ti­on Ita­li­en, Frank­reich und auch Spa­ni­en katho­lisch. Selbst die von evan­ge­li­ka­len und Cal­vi­ni­sten pro­pa­gier­ten Men­schen­rech­te hat­ten die Domi­ni­ka­ner-Theo­lo­gen von Sala­man­ca schon im 16. Jahr­hun­dert vor­ge­dacht und grund­ge­legt. Jeden­falls haben sie im luthe­ri­schen Lehr­cor­pus kei­ne Basis.

Der Trick mit dem Aussagen-Hintersinn der ‚Anliegen

Nach die­sen Aus­füh­run­gen fragt sich der Leser erst recht, wie Kas­per bei den frem­den und befremd­li­chen Ten­den­zen in Luthers Reden und Schrif­ten eine öku­me­ni­sche Aktua­li­tät ent­decken will. Das gelingt ihm auch nur schein­bar mit einem Trick, den schon vor ihm katho­li­sche Öku­me­ni­ker wie Hans Küng und O. H. Pesch ange­wandt hat­ten: Sie stüt­zen sich nicht auf Sinn und Bedeu­tung der tat­säch­li­chen Aus­sa­gen von Luther, son­dern kon­stru­ie­ren einen Hin­ter­sinn in sei­ne Schrif­ten hin­ein – sei­ne angeb­li­chen Anlie­gen. Kas­per will allein in sei­nem zwei­ten Kapi­tel sechs reli­giö­se, evan­ge­li­sche, katho­li­sche, mysti­sche und öku­me­ni­sche Anlie­gen Luthers ent­deckt haben. In der klei­nen Schrift sind es ins­ge­samt elf infla­tio­nä­re Ur- und Grund­an­lie­gen, die hin­ter, vor, unter oder über Luther ste­hen sollen.

Kardinal Walter Kasper
Kar­di­nal Wal­ter Kasper

Die Phi­lo­so­phie der eigent­li­chen Anlie­gen wird in fol­gen­de Grund­an­nah­me ein­ge­bet­tet: Wegen der Ableh­nung von Luthers ursprüng­li­chen Reform­ru­fe zur Buße durch Rom und die deut­schen Bischö­fe sowie gedrängt durch die deut­schen Für­sten und Ade­li­gen habe er sich gezwun­gen gese­hen, die gefor­der­ten Refor­men zu einer umfas­sen­den kirch­lich-theo­lo­gi­schen Refor­ma­ti­on aus­zu­wei­ten, die Papst­kir­che als anti­christ­lich zu bekämp­fen und eine eige­ne Kir­chen­or­ga­ni­sa­ti­on zu eta­blie­ren. Im Evan­ge­li­um der Gna­de Got­tes hät­te er dafür Begrün­dung und Recht­fer­ti­gung gefunden.

Ambivalenz der 95 Thesen

Mit dem Kon­strukt des Refor­ma­tors wider Wil­len wird der angeb­lich reform­re­si­sten­ten Kir­che die Ursa­che und Schuld für die Kir­chen­spal­tung in die Schu­he gescho­ben. Jedoch sind prak­tisch alle Aspek­te der obi­gen Erklä­rung fehlerhaft.

  • Wich­ti­ge Tei­le der 95 The­sen ste­hen  im dia­me­tra­len Wider­spruch zu Luthers spä­te­ren Refor­ma­ti­ons­schrif­ten: Mit dem buß­fer­ti­gen Leben der Gläu­bi­gen mein­te Luther aus­drück­lich man­cher­lei Wer­ke zur Abtö­tung des Flei­sches (3. The­se). In ein Dut­zend wei­te­ren The­sen spricht Luther von heils­not­wen­di­gen Wer­ken der Lie­be und Barm­her­zig­keit. Auf­rich­ti­ge Reue, die nach The­se 40 die Stra­fe liebt und begehrt, lehn­te Luther spä­ter zusam­men mit Abso­lu­ti­on und Beich­te kate­go­risch ab. Gleich­wohl war in eini­gen The­sen durch­aus ein Bruch mit Rom angelegt.
  • Lehr­te Luther zum Zeit­punkt des The­sen­an­schlags noch katho­lisch? Die quä­len­de Skru­pel­haf­tig­keit beim frü­hen Luther füh­ren Kir­chen­ge­schicht­ler auf eine semi-pela­gia­ni­sti­sche Werk­ge­rech­tig­keit zurück in Ver­bin­dung mit einem ‚unbe­re­chen­ba­ren‘ (Will­kür-) Gott nach Wil­liam Okham. Dar­in war das Schei­tern von Luthers Stre­ben nach Heil­si­cher­heit (The­se 32) durch Wer­ke ange­legt. Sowohl die ein­sei­ti­ge Fixie­rung auf Werk­ge­rech­tig­keit (ohne Glau­ben) wie auf Heils­si­cher­heit (die die Hoff­nung über­flüs­sig macht) sind nicht katholisch.

Luther war für die kirchenspaltende Reformation verantwortlich

  • War der Theo­lo­ge Mar­tin Luther nicht der wirk­li­che Akteur sei­ner Hand­lun­gen, son­dern nur ein kirch­lich Reagie­ren­der oder durch poli­tisch-geschicht­li­che Umstän­de Getrie­be­ner? Der Kon­ver­tit Paul Hacker bestrei­tet die­se gän­gi­ge The­se ener­gisch. Denn aus sei­nen Stu­di­en ergibt sich schlüs­sig, dass Luthers strik­te Ableh­nung von Papst und Kir­che aus des­sen Leh­re von der sub­jek­ti­ven Heils­ge­wiss­heit des ein­zel­nen Gläu­bi­gen ent­stan­den ist – und nicht als Reak­ti­on auf päpst­lich-kirch­li­ches Han­deln. Es hät­te für ihn zwei Mög­lich­kei­ten gege­ben: den Weg der Refor­men, den er in sei­nen vor­pro­te­stan­ti­schen Schrif­ten jah­re­lang gepre­digt hat­te, oder den Weg der kirch­li­chen Abspal­tung, für den er sich ab 1518 entschied.
  • Aus Luthers Schrif­ten nach dem The­sen­an­schlag zeigt sich eine zuneh­men­de Pole­mik und Front­stel­lung gegen kirch­li­che Leh­ren. Sei­ne publi­zi­sti­schen Äuße­run­gen machen eher den Ein­druck von theo­lo­gi­scher Recht­ha­be­rei und kirch­li­chem Hoch­mut, als dass es sein Anlie­gen gewe­sen wäre, die katho­li­sche Kir­che als gan­ze zu erneu­ern. Sei­ne Schrif­ten jener Zeit kön­nen schwer­lich als ein Ange­bot des Hei­li­gen Gei­stes an die Kir­che gese­hen wer­den (S. 24f).

Für Luthers subjektive Heilgewissheit aus dem Glauben war die Kirche überflüssig

  • Aus der unsi­che­ren Heils­ge­wiss­heit allein durch Wer­ke (sie­he oben) ent­wickel­te Luther in den Jah­ren ab 1518 das Gegen­teil – die siche­re Heils­ge­wiss­heit allein durch Glau­ben. Für die­se neue Leh­re muss­te er sich sowohl die Theo­lo­gie­ge­schich­te als auch die Bibel­ex­ege­se zurecht­schnei­dern. Was Luther als sein Evan­ge­li­um der Erlö­sung allein durch Gna­de und Glau­ben erklär­te, ent­sprach einer selek­ti­ven Schrift­aus­le­gung. Es ist von daher frag­wür­dig, Luthers Vor­ge­hen als Erneue­rung der Chri­sten­heit aus dem Evan­ge­li­um anzu­prei­sen (S. 23).
  • Ganz unpas­send ist Kas­pers Ver­gleich von Luthers evan­ge­li­schem Anlie­gen mit der lan­gen Tra­di­ti­on der katho­li­schen Erneue­rung, ins­be­son­de­re der des Franz von Assi­si (S. 25). Wäh­rend die­ser und sei­ne Min­der­brü­der im Rah­men der kirch­li­chen Tra­di­ti­on die Wei­sun­gen des Evan­ge­li­ums und der Kir­che demü­tig annah­men und leb­ten, bringt Luther mit aus­drück­li­chem Stolz und Hoch­mut die Bibel gegen die Kir­che in Gegen­satz­stel­lung, um dar­aus allein die Recht­fer­ti­gung durch Glau­ben bewei­sen zu wollen.
  • Luthers The­se von der sub­jek­ti­ven Erlö­sungs- und Heils­ge­wiss­heit durch den immer wie­der erneu­er­ten per­sön­li­chen Glau­bens­akt ist der Kern sei­ner neu­en refor­ma­to­ri­schen Leh­re. Für die­se allein heils­ent­schei­den­den Glau­bens­ak­te waren Sakra­men­te und kirch­li­che Ver­mitt­ler über­flüs­sig. Aus dem Ansatz resul­tier­te also die kate­go­ri­sche Ableh­nung von Papst, sakra­men­ta­ler Kir­che und kirch­li­chen Ämtern. Dem­nach ist das unter­stell­te Anlie­gen falsch, Luther habe nur für die Defor­ma­tio­nen des bestehen­den römi­schen Systems eine Reform ein­lei­ten wol­len, wie Kas­per auf S. 30f behaup­tet. Ange­sichts der deut­li­chen luthe­ri­schen Aus­sa­gen muss der Buch­au­tor spä­ter selbst fest­stel­len, dass die pro­te­stan­ti­schen und katho­li­schen Leh­ren zu Kir­che und Ämtern gänz­lich unver­ein­bar sind. Auch die heu­ti­gen Model­le der evan­ge­li­schen Kir­chen­ge­mein­schaf­ten und der katho­li­schen Kir­chen­ein­heit in Wort, Sakra­ment und Amt sei­en inkom­pa­ti­bel (S. 54).

Enttäuschende Vorschlags-Ökumene

Der Ansatz von Kas­per und Co., aus den ver­meint­lich eigent­li­chen Anlie­gen Luthers öku­me­ni­sche Fun­ken zu schla­gen, führt offen­sicht­lich nicht wei­ter. Das zeigt sich im sech­sten Kapi­tel des Büch­leins, in dem Luthers öku­me­ni­sche Aktua­li­tät eigent­lich aktu­ell wer­den soll­te. Tat­säch­lich ver­brät Kas­per hier (S. 60 – 65) nur dün­ne All­ge­mein­plätz­chen wie:

  • Luthers Glau­be an die Selbst­durch­set­zung der Wahr­heit des Evan­ge­li­ums (ohne kirch­li­ches Lehr­amt und Lehr­tra­di­ti­on) ist nach Geschich­te und Theo­lo­gie ein typisch luthe­ri­scher Holzweg.
  • Das Zwei­te Vati­ca­num habe neue öku­me­ni­sche Impul­se gegeben.
  • Man soll­te die Wahr­heit in Lie­be sagen, über Luthers Abend­mahls­fröm­mig­keit erneut ins Gespräch kommen.
  • Man könn­te auch die Fra­gen über Kir­che und Amt erneut auf­grei­fen etc.
  • Sol­len das ernst­haf­te Vor­schlä­ge sein, dass die katho­li­sche Kir­che auf das pro­te­stan­ti­sche Kir­chen­mo­dell der ver­söhn­ten Ver­schie­den­heit einschwenkt?
  • Das Kir­chen­bild des Poly­eders von Papst Fran­zis­kus scheint in die­se Rich­tung zu gehen, wider­spricht aber direkt den Kir­chen­aus­sa­gen des Kon­zils und dem Doku­ment Domi­nus Jesus.

Nach die­ser ent­täu­schen­den Vor­schlags­ö­ku­me­ne zieht der Autor sei­nen letz­ten, kas­per­ty­pi­schen Trumpf aus sei­ner Tasche – die Öku­me­ne der Barm­her­zig­keit (Kapi­tel 7): Luthers ursprüng­li­cher Ansatz beim Evan­ge­li­um von der Gna­de und Barm­her­zig­keit Got­tes wäre damals wie heu­te die Ant­wort auf die Zei­chen der Zeit und die drän­gen­den Fra­gen vie­ler Men­schen. Damit ist Kas­per auf sei­ne Anfangs­the­se zurück­ge­kom­men, nach der in der Fremd­heit von Luthers Bot­schaft sei­ne öku­me­ni­sche Aktua­li­tät bestehe. Über­zeu­gend ist sei­ne Schluss­the­se nicht. Denn inwie­fern sol­len Luthers frem­de The­sen für die heu­ti­gen Men­schen plötz­lich ver­traut und ant­wort­ge­bend sein?

Der Kar­di­nal spricht davon, dass man Öku­me­ne nicht ‚machen‘ kön­ne. Man soll­te auf das Wir­ken des Hei­li­gen Gei­stes ver­trau­en. Dann aber stutzt er das öku­me­ni­sche Ziel doch wie­der auf ein mach­ba­res Maß zusam­men – auf das Bild des Poly­eders Ein­heit in gro­ßer ver­söhn­ter Viel­heit (S. 70). Der wider­sprüch­li­che Vor­schlag von der kirch­li­chen Ein­heit in gro­ßer Viel­heit klingt nach plu­ra­li­sti­scher Theo­lo­gie und der Qua­dra­tur des Kreises.

Kar­di­nal Wal­ter Kas­per kann mit sei­nem Anlie­gen, bei Mar­tin Luther eine öku­me­ni­sche Per­spek­ti­ve auf­zu­wei­sen, in kei­ner Wei­se über­zeu­gen. Damit dürf­te er auch kein guter öku­me­ni­scher Rat­ge­ber für Papst Fran­zis­kus sein.

Bis­her von Hubert Hecker in die­ser Rei­he erschie­ne­ne Auf­sät­ze über Mar­tin Luther:

Text: Hubert Hecker
Bild: MiL/​Wikicommons (Screnshots)

 

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2 Kommentare

  1. „An den Früch­ten wer­det ihr sie erken­nen“ – was aber waren die Früch­te der Reformation?
    Über­all nur Streit und Zwi­stig­kei­ten, Bau­ern­auf­stän­de, blu­ti­ge Reli­gi­ons­krie­ge, Mord und Tot­schlag wo man hinsah!
    Und der Initia­tor all des­sen wird uns heu­te als nach­ah­mens­wer­tes Vor­bild vor­ge­stellt, den es zu ver­eh­ren gilt!?
    Katho­li­sche Kir­che Quo Vadis ??!!

  2. Das ist nichts ande­res als Hegel­sche Dia­lek­tik die hier auf­ge­stellt wird. The­se und Anti­the­se= Syn­the­se. Die Refor­ma­ti­on wird zugun­sten der Öku­me­ne ver­ein­nahmt und die röm./kath. Kir­che fährt ein­deu­tig mehr­glei­sig um ans Ziel zu kom­men. Das Ziel ist Eine Welt und eine Reli­gi­on. Dabei sagt Jesus Chri­stus ganz klar, dass sein Reich nicht von die­ser Welt ist und er nicht gekom­men sei um Frie­den zu brin­gen, son­dern das Schwert. Er sagt auch das sein Frie­den nicht ist, wie die ihn Welt gibt. Das Schwert ist sein Wort und sein Wort spal­tet, trennt die Spreu vom Wei­zen und die Wahr­heit von der Lüge.

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