
In einer beispiellosen Kampagne im Sinne von Schwarmjournalismus hatten die Medien im Frühjahr 2010 die Kirche wegen Missbrauchsvorfällen an den Pranger gestellt. Damit verbreiteten sie in der Bevölkerung die absurd irrige Meinung, Kindesmissbrauch sei unter Priestern in der katholischen Kirche weit verbreitet. So lautete damals der Vorhalt des Allensbach-Instituts, dem 47 Prozent der Befragten zustimmte. Fünf Jahre nach dem rufschädigenden Kampagnen-Journalismus, an dem sich auch der NDR beteiligte, schlägt der Sender mit einem neuen Filmbericht in die gleiche Kerbe.
Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker.
Im Jahre 2011 hatte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen in einer repräsentativen Studie 11.428 Personen zwischen 16 und 40 Jahren nach Missbrauchserfahrungen befragt. Daraus ergab sich, dass 683 Personen (knapp sechs Prozent der Befragten) vor dem 16. Lebensjahr mindestens einmal Opfer von Missbrauch geworden waren. Bei mehr als drei Viertel der den Opfern „bekannten“ Missbrauchstätern mit Körperkontakt (473 Betroffene) handelt es sich um männliche Täter aus dem engen Familienkreis oder aus dem Umfeld der Eltern. Zugeordnet nach gesellschaftlichen Bereichen kamen fast einhundert Missbrauchstäter bezüglich aller Sexualdelikte aus dem Schulbereich, jeweils um die vierzig aus dem Freizeit/Sportbereich sowie dem Heim- und Pflegekontext. Von den elftausend Befragten gab eine Person an, von einem katholischen Priester missbraucht worden zu sein.
Dieser extrem niedrige Wert von unter einem Promille kann allerdings unter verschiedenen Gesichtspunkten relativiert und damit höher gewichtet werden. Gleichwohl zeigen diese empirischen Daten, dass das Gegenteil der medial verbreiteten These richtig ist: Missbrauchshandlungen sind in kirchlichen Einrichtungen eher selten verbreitet, jedenfalls weniger häufig als im säkularen Schul‑, Freizeit- oder Pflegebereich. Dieses Ergebnis bestätigte der Kriminologe Prof. Hans-Ludwig Körber. Nach seinen Studien sind zölibatäre Priester signifikant weniger in Missbrauchsverhalten verwickelt sind als die entsprechende nicht zölibatär lebende Männergruppe. Schließlich sprechen Vergleichszahlen aus Hessen für diese Tendenzen: Nach dem Aufruf der drei hessischen Bistümer von 2011 hatten sich 65 Opfer gemeldet, die angaben, in den Jahren seit 1945 von kirchlichen Mitarbeitern missbraucht worden zu sein. Das war weniger als die Hälfte der Missbrauchsopfer an einer einzigen hessischen Heimschule, der Odenwaldschule, im Zeitraum von 1970 bis 1990.
Mit dieser Richtigstellung der statistischen Zahlen soll keinesfalls eine Marginalisierung von moralischer Schuld einhergehen oder gar eine Ent-Schuldigung. Jedes einzelne von einem Kleriker missbrauchte Kind ist eine Anklage, die sexuelle Verführung einer Anzahl von Schutzbefohlenen schreit zum Himmel. Die Fehler der Bischöfe bei der Behandlung der Missbrauchstäter im letzten Jahrhundert beklagte kürzlich der australische Kardinal George Pell.
Diese ethische Perspektive, also die Compassion mit den Opfern und die Anklage gegen die Täter, darf in der öffentlichen Debatte über die verbreiteten Missbrauchsfälle nicht verdrängt werden. Zugleich muss die gesellschaftliche Diskussion darüber auch sachlich und realitätsgerecht geführt werden, damit die missbrauchsbegünstigenden Strukturen erkannt sowie institutionelle und präventive Korrekturen eingeleitet werden können.

Unter diesen Prämissen und auf dem Hintergrund der oben gegebenen Sachinformationen ist die folgende Untersuchung zu lesen, in der der Filmbericht des NDR über das Bemühen der deutschen Bischöfe und Bischofskonferenz bei der Aufarbeitung und Bewertung der Missbrauchsfälle kritisch unter die Lupe genommen wird. Dabei soll ausdrücklich berechtigte Kritik der Sendung gewürdigt werden, etwa wenn auf das vereinzelte Fehlverhalten von kirchlichen Autoritäten in der Zeit vor 2010 hingewiesen wird. Andererseits sind eine Reihe von Passagen und Themen des Sendebeitrags zu beanstanden, die einseitig, tendenziös und voreingenommen, nicht neutral und objektiv behandelt werden: Ein weiterer Fall von medienethischem Versagen eines ARD-Senders.
Die Deutsche Bischofskonferenz hatte erstmals im Juni 2011 ein wissenschaftliches Forschungsprojekt zu Missbrauchsvorfällen in der katholischen Kirche in Auftrag gegeben. Nach dem Scheitern des ersten Ansatzes konnte die DBK am 23. 3. 2014 in Bonn ein neues interdisziplinäre Forschungsprojekt vorstellten unter dem Thema: Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz. Bischof Dr. Stephan Ackermann (Trier), der Beauftragte der Bischofskonferenz für Fragen sexuellen Missbrauchs, präsentierte das Forschungskonsortium unter der Leitung von Prof. Dr. Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim als Verbundkoordinator. Daneben sind weitere sieben Forscher aus den kriminologischen Instituten von Gießen und Heidelbergs sowie des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg beteiligt.
Ein neues Forschungsprojekt für Klarheit und Transparenz zu Missbrauchsfällen
Bischof Dr. Stephan Ackermann betonte bei der Vorstellung des neuen Projektes, dass die Kirche Klarheit und Transparenz über den Missbrauch – um der Opfer willen anstrebe. Mit dem nun interdisziplinären Forschungsverbund schöpfe die Katholische Kirche neues Vertrauen in die Kooperationspartner. Diese werden wissenschaftlich und ethisch begleitet durch einen Beirat aus Betroffenen, Wissenschaftlern und Kirchenvertretern, der auch dieses Forscherkonsortium aus drei Bewerbergruppen ausgewählt hat.
Prof. Dr. Harald Dreßing erklärte, Ziel der auf dreieinhalb Jahre angelegten Studie sei es, den sexuellen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche sowohl für die Betroffenen als auch für die Öffentlichkeit so transparent wie möglich aufzuarbeiten. Man wolle die Opfer von Anfang an miteinbeziehen. Im Mittelpunkt stünden die Opfer, diese seien die eigentlichen Experten, so Dreßing. Auch werde es der Sache nicht gerecht, den Missbrauch auf eine Zahl zu reduzieren. Daher werde neben der quantitativen Datenerhebung vor allem die qualitative Analyse der Täter-Opfer-Institutionen-Dynamik im Fokus stehen, die sich auf biografische Interviews stützt. Dieser psychologische Kontext sei der wesentlich neue Aspekt. Genauso wie die Täter-Opfer-Beziehung wird die Auseinandersetzung mit dem traumatischen Taterleben hinterfragt werden. Hierdurch sollen Einblicke in Täterstrategien und das Verhalten von Kirchenverantwortlichen gewonnen werden.
Als Untersuchungsgegenstand der empirischen Erhebung dienen Personalunterlagen seit 1945. Das Projekt will sich zunächst einen Überblick über die bestehenden Aktenbestände verschaffen, denn diese seien kirchenrechtlichen Vorgaben zufolge nach zehn Jahren zu vernichten, wie es auch in Klinik und Forschung der Fall sei, so Dreßing. Alles, was an Material zur Verfügung stehe, werde ausgewertet.

Aus datenschutzrechtlichen Gründen wird die Auswertung der Personalakten durch Kirchenmitarbeiter vorgenommen, so dass Daten in anonymisierter Form an das Konsortium weitergeleitet werden. Um Transparenz zu wahren, wird dieser Vorgang unter Aufsicht einer juristischen Person dokumentiert und aufgezeichnet.
Prof. Dr. Dieter Dölling vom Kriminologischen Institut der Universität Heidelberg verwies zusätzlich auf den Institutionenvergleich, der die Besonderheiten der Katholischen Kirche im Vergleich zu anderen Institutionen herausarbeiten soll. Hierzu werden auch außerkirchliche Strafakten deutscher Staatsanwaltschaften ausgewertet, um eine vergleichende Analyse zu ermöglichen.
Mit diesem Themen-Komplex beschäftigt sich der NDR-Film Das Schweigen der Männer – Die katholische Kirche und der Kindesmissbrauch im ersten Teil. Die Sendung wurde am 16. März 2015 ausgestrahlt. Dazu im Folgenden eine kritische Auseinandersetzung, die auch als Beschwerde an den NDR ging.
Film-Recherche unter der Hermeneutik des Verdachts
Der NDR-Film kleidet alle seine Anfragen und Darstellungen zu dem DBK-Forschungsauftrag in eine Hermeneutik des Verdachts. Er
- stellt die Ehrlichkeit der katholischen Kirche bei der Aufarbeitung durch diesen neuen Forschungsansatz in Frage,
- fragt, wie frei die Wissenschaftlicher wirklich forschen könnten,
- unterstellt durch verschiedene Meinungsäußerungen, dass die Bischöfe dabei Vertuschung betreiben wollten,
- stellt in den Raum, die Bischöfe würden dem Forschungsprojekt kein Vertrauen entgegenbringen und
- befürchtet, dass die angekündigte wissenschaftliche Aufarbeitung nicht viel mehr als ein PR-Aktion der Bischöfe sei.
In der schriftlichen Einleitung zur Filmdokumentation heißt es, dass die Filmautoren die Frage stellen: Wie ehrlich meint es die katholische Kirche wirklich mit der Aufarbeitung? Diese Recherchefrage nach der inneren Wahrhaftigkeit der auftraggebenden Kirche zur Missbrauchsaufarbeitung ist journalistisch kaum objektivierbar. Daher ziehen sich durch den ganzen Film zahlreiche Äußerungen von subjektiven Spekulationen um Motive und Einstellungen von anderen Priestern und Bischöfen – etwa als Schutzmechanismen, Reputationssorge, Vertuschung, Ausgrenzung, Blockadehaltung, Verdrängung und was man sonst noch an Negativ-Haltungen für möglich halten kann (Bischof Bode). Ein gewisser Höhepunkt in dieser Meinungenreihe ist die im Film unwidersprochene apodiktische Tatsachenbehauptung eines Missbrauchsopfer: Die Bischöfe haben seit 2010 alles dafür getan, dass keine Aufarbeitung zustande kam. Teilweise scheinen die Interviewpartner zu solchen Vermutungen ermuntert worden zu sein. Gelegentlich werden subjektive Ansichten der Interviewten von den Filmautoren als Tatsachen-Behauptungen weitergeführt. Diese Art von journalistischer Aufbereitung eines Themas läuft eher in Richtung von Meinungs- und Stimmungsmache hinaus – jedenfalls dann, wenn die subjektiven Meinungen nicht mit Fakten, objektiven Aussagen oder wissenschaftlichen Studien belegt werden können. Das ist in diesem Film vielfach der Fall, wie an verschiedenen Beispielen gezeigt werden wird.
Die Wissenschaftler arbeiten ganz frei und ohne Einschränkungen
Journalistisch angemessen ist die weitere Fragestellung der Einleitungspassage, wie frei die Wissenschaftler wirklich forschen könnten. Bei der Beantwortung dieser Frage wäre es sinnvoll gewesen, die Verfahrensweisen und Studienziele des Forschungsverbundes zu skizzieren. Aber auf die Modalitäten des Forschungsprojekts wird in dem dreiviertelstündigen Film genauso wenig eingegangen wie die Forscher selbst zu Wort kommen – auch nicht zu der obigen Filmfrage. Stattdessen reden dazu in mehreren Beiträgen zwei Kirchenrechtler, die mit dem Projekt direkt nichts zu tun haben und deshalb die Frage nach den Bedingungen der Forscher nur vom Hörensagen beantworten können, jedenfalls ungenau und fehlerhaft. Statt gesicherter Informationen werden auch in diesem Punkt subjektive Vermutungen und Unterstellungen zu Lasten der Kirche ins Feld geführt – auch das kein Journalismus der Sorgfalt.
Die Redaktion hat offensichtlich bei ihrer Recherche mit den Wissenschaftlern gesprochen. Denn einer der Filmautoren, Sebastian Bellwinkel, gibt in der Film-Begleitsendung ndr Kultur am 16. 3. 19 Uhr deren Antwort wieder, dass sie ganz frei arbeiten und keinerlei Einschränkungen bei ihrer Forschung haben. Auch in diesem Fall passt der Redaktion die objektive Aussage der Forscher zu einer von der Kirche völlig unbeeinflussten Projektführung anscheinend nicht ins Konzept, so dass sie diese Antwort in der ausgestrahlten Sendung unterschlägt.
Suggerieren und Verdächtigen
In der Sendung wird mehr oder weniger suggeriert, die Bischöfe wollten im Rahmen des wissenschaftlichen Forschungsprojektes Vertuschung betreiben. Diese Verdächtigung wird zum Ersten an den Begriff Aktenvernichtung gekoppelt.
Bei dem mehrmaligen Vorkommen dieses Wortes wird jeweils suggeriert, dass gezielt belastende Akten vernichtet worden seien. Erst nachdem sich dieser Eindruck verfestigt hat, wird am Schluss dieser Themenbehandlung beiläufig erwähnt, dass nach kirchenrechtlicher Regelung Akten nach zehn Jahren vernichtet werden können. Die ganze entlastende Wahrheit aber besteht darin, dass diese Archivierungsregel kein kirchliches Sonderrecht ist, sondern auch in anderen säkularen Institutionen wie Kliniken oder Universitäten so vorgeschrieben ist und entsprechend gehandhabt wird. Diese allgemeine Archivregel der Aktenvernichtung nach zehn Jahren beschreibt also eine Rechtskonformität und hat somit grundsätzlich erstmal nichts mit Vertuschung zu tun. Jedenfalls ist das mehrmalige Suggerieren von Vertuschung durch gezielte Aktenvernichtung, ohne das belegen und beweisen zu können, ein unlauteres journalistisches Vorgehen.
Den zweiten Verdächtigungsstrang mit dem Unterton der Vertuschung treibt der Film über die primäre Datenerhebung voran. Vorab sind zwei Punkte klarzustellen, auf die der Projektsprecher des Forschungskonsortiums hinwies:
- Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden die Sichtung und Erfassung der Personaldaten von Mitarbeitern des jeweiligen Bistums vorgenommen. Die so aufbereiteten Daten werden in anonymisierter Form an das Forscherkonsortium weitergeleitet.
- Zur Vermeidung von Manipulationen und zur Wahrung der Transparenz wird dieser Vorgang unter Aufsicht einer neutralen, juristischen Person dokumentiert und aufgezeichnet. Der Leiter des Forschungskonsortiums, Prof. Dreßing, erklärte auf der Bonner Pressekonferenz diese Regelung als ein rechtlich und wissenschaftlich abgesichertes Verfahren.

Statt diese Sachinformationen aus erster Hand an die Zuschauer weiterzugeben, lässt der Film einen Kirchenrechtler zu Wort kommen, der den Vorgang nur aus zweiter Hand vom Hörensagen kennt. Prof. Norbert Lüdicke ist mit der befragten Sachlage nicht vertraut und kann daher nur Ungefähres und Fehlerhaftes aussagen. Die beiden oben ausgeführten Eckpunkte der primären Datenerhebung erwähnt er gar nicht. Daher kommt er dann zu der falschen Folgerung fehlender Kontrolle bei der Materialsichtung. Allerdings drückt er sich sehr vorsichtig aus mit Formeln wie: So scheint es mir etc.
Ein der Sorgfalt verpflichteter Journalismus hätte diese Signale der Unsicherheit zum Anlass genommen, weitergehend zu recherchieren auf die oben erwähnten Eckdaten hin. Die Redaktion macht das Gegenteil. Sie erweitert und verfestigt die bedenklichen Vermutungen des Kirchenrechtlers zu Behauptungen wie: Die mit der Materialsichtung befassten Bistumsangestellten seien in dieser Sache dem Bischof zum Gehorsam verpflichtet. Abgesehen davon, dass diese Formel der Gehorsamsverpflichtung nur für geweihte Priester gilt, stehen die kirchlichen Mitarbeiter in diesem Fall unter von den Wissenschaftlern formulierten Arbeitsaufträgen, deren Ausführung wiederum von einer neutralen juristischen Person beaufsichtigt wird. Daher ist auch die weitere Film-Behauptung falsch, dass alle Materialweitergabe im Ermessen des Bischofs liege. Mit dieser Falsch-Behauptung soll wohl wieder der Eindruck einer bischöflichen Vertuschung den Zuschauern übermittelt werden. Ähnlich falsch lautet die Schlussbehauptung des Filmes, bei der Missbrauchsaufarbeitung gebe es keinerlei Kontrolle.
Dass diese Falsch- oder Suggestivbehauptungen bei den Zuschauern Wirkung zeigen, kann man an einem TV-Bericht der Frankfurter Rundschau ersehen: Der angeblich fehlende Wille der Bischöfe zur Aufklärung wird zur Tatsache erklärt, die Aufklärung selbst sei nicht glaubwürdig. Aufgrund der fehlerhaften Film-Darstellung von der Materialerhebung kommt die Zeitung zu dem Ergebnis, sogar die Wissenschaftlichkeit des Forschungsprojektes infragezustellen.
Nach diesen Ausführungen muss der Film-Suggestion von einer Vertuschungsabsicht der Bischöfe als unbewiesen und unbegründet zurückgewiesen werden. Im Übrigen bringt der Film selbst ein Beispiel dafür, dass die Vertuschungsabsicht der Bischöfe nicht zutrifft. Bischof Bode, der einzige Bistumsleiter, der zu diesem Punkt befragt wurde, stellte klar, dass er dafür sorgen werde, dass alle verfügbaren Akten – auch aus dem Geheimarchiv – den Forschern zur Verfügung gestellt würden. Damit ist nach den Regeln des empirischen Forschens die These gesetzt, dass alle anderen Bischöfe auch so handeln. Wenn man trotzdem die Behauptung des Vertuschens aufrechterhalten wollte, müsste man das bei anderen Bischöfen und Bistümern beweisen, was die Filmautoren aber nicht tun. Sie bleiben dagegen im vagen Bereich des Meinens und Unterstellens. Das ist ein unredliches journalistisches Vorgehen.
Die Missbrauchszahlen sind bei Zölibatären 36 Mal niedriger als beim männlichen Durchschnitt der Bevölkerung
Ein weiterer zentraler Themenblock der Sendung besteht in der Frage nach den Tätern, ihren Motiven und Vermutungen zu weitergehenden institutionellen Bedingungen für die Missbräuche wie etwa dem Zölibat.
Zu diesem Fragenkomplex liegen schon aus dem Jahre 2010 Untersuchungen von namhaften Wissenschaftlern vor wie die von dem forensischen Psychiater Prof. Hans-Ludwig Körber und dem Kriminologen Prof. Christian Pfeiffer. Beide Forscher kommen aufgrund von statistischen Studien unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass die Gruppe der zölibatären Priester signifikant weniger häufig in Missbrauchsverhalten verwickelt ist als andere Männer der entsprechenden Altersgruppen. Nach Prof. Körber sind die Missbrauchszahlen bei katholischen Geistlichen 36 Mal niedriger als beim männlichen Durchschnitt der Bevölkerung. Prof. Pfeiffer stützte seine Aussage, dass nur 0,1 Prozent (= 1 Promille) der gesamten Missbrauchstäter aus dem kirchlichen Bereich stammen, auf eine Befragung von 11.500 Personen.
Mitte 2010 vertraten laut Allensbach 47 Prozent der Befragten die absurd irrige Meinung: „Kindesmissbrauch ist unter Priestern in der katholischen Kirche weit verbreitet“. Wie oben erwähnt, lag der tatsächliche Anteil von Missbrauchsopfer durch kath. Priester bei 0,1 Prozent, bei säkularen Lehrpersonen bei 25 Prozent. Der völlig fehlerhafte Eindruck in der Öffentlichkeit zum Rufschaden der Kirche war durch die Meinungs- und Stimmungsmache der Medien im Frühjahr 2010 entstanden, an der sich auch der NDR beteiligt hatte. Fünf Jahre nach diesen Fehlinformationen durch Kampagnen-Journalismus hätte die öffentlich-rechtliche Anstalt die Pflicht gehabt, etwas gutzumachen und dem falschen Eindruck in der öffentlichen Meinung entgegenzuwirken. Zumindest hätte man vom NDR erwarten müssen, dass der Sender einen objektiven, neutral-ausgewogenen Bericht vorstellt, wie das die ARD-Leitlinien verlangen. Stattdessen haut der Filmbericht in die gleiche Kerbe wie damals, indem er erneut den falschen Eindruck vermittelt, Missbrauch sei im Bereich der kath. Kirche weit verbreitet.
Man wird eher vom Küssen schwanger als vom Zölibat pädophil
Dagegen stellen in einer Studie aus dem Jahre 2012 renommierte Forscher fest, dass bisher keine empirischen Befunde den Zölibat als ein erhöhtes Risiko für Sexualdelikte belegen können. Prof. Körber kommt zu dem Ergebnis, man werde eher vom Küssen schwanger als vom Zölibat pädophil.
Der Film will uns Gegenteiliges weismachen: Demnach wäre der Zölibat gerade die hauptsächliche Ursachen-Bedingung für missbräuchliches Handeln. Der Filmbericht suggeriert die empirisch widerlegte Folgerung, dass zölibatäre Priester stärker als sexuell aktive Männer vergleichbarer Gruppen in Missbrauchshandeln verwickelt wären.
Journalistische Fokussierung auf den Zölibat seit dem Pfaffenspiegel vor 150 Jahren
Missbräuche in der Kirche mit dem Zölibat zusammenzubringen scheint für Journalisten eine reflexhafte – und daher gedankenlose – Reaktion zu sein. Jedenfalls legt das der Schwarm-Journalismus im Frühjahr 2010 nahe, als die Medien unisono Missbrauch und Zölibat zusammenbrachten. Spätestens aber nach den empirischen Studien von Prof. Pfeiffer und Prof. Körber hätten seriöse Journalisten diesen Konnex infragestellen müssen. Insbesondere die Feststellung des letzteren, dass die Missbrauchsquote bei zölibatären Priestern signifikant niedriger ist als bei vergleichbaren Männergruppen, hätte vorurteilsfreie Journalisten zum Umdenken veranlassen müssen. Denn dieser Befund macht die ganz andere Folgerung plausibel, dass das Zölibats- oder Keuschheitsversprechen kath. Priester stärker vor Missbrauchshandlungen bewahrt als sexuell aktive Männer. Aber wenn man die wissenschaftlichen Ergebnisse von Prof. Körber ausblendet, wie das der NDR-Bericht tut, dann kann man natürlich auch nicht auf den schlüssigen Zusammenhang von Zölibat und verminderten Missbrauchszahlen kommen. Dafür sprechen ebenfalls die Tatsachen, dass verheiratete Männer – auch evangelische Pfarrer – massenhaft in Missbräuche verwickelt sind, jährlich in der Größenordnung von zigtausend Mal.
Inhaftungnehmen der Institution Kirche
Schließlich ist eine weitere Konnexion der Medien – und auch des NDR-Berichts – zu kritisieren, nämlich bei der Verantwortung für sexuelle Missbrauchshandlungen die ganze Institution in Haftung zu nehmen, wie es in der medialen Berichterstattung häufig der Fall ist (Prof. Körber). Auch darin besteht eine Einseitigkeit der Medien (einschließlich des NDR) gegenüber der Kirche, während sie bei Missbrauchsfällen in anderen Bereichen kaum oder gar nicht die Institutionen dafür verantwortlich machen: So wurde aufgrund der Missbräuche in der Odenwaldschule nicht die Reformpädagogik infragegestellt, obwohl schon die reformpädagogischen Gründerväter Wyneken und Geheep Missbrauch praktiziert hatten. Auch bei den relativ häufig vorkommenden Missbrauchshandlungen bei Lehr- und Trainerpersonen stellen Journalisten nicht deren Profession und Lehrbedingungen in Frage. Bei der Missbrauchspropaganda und ‑praxis der Grünen hat man nicht den basisdemokratischen Ansatz dafür verantwortlich gemacht. Schließlich wird bei dem massenhaften Missbrauch von Familienvätern nicht die Institution Familie auf den Prüfstand gestellt.
Statt Spekulationen über den Zölibat anzustellen oder die Kirche als ganze anzuprangern ist es allerdings notwendig, institutionelle Bedingungen und personale Verflechtungen aufzuspüren, die Missbrauch begünstigen können oder die Aufdeckung behindern. Diesen Fragen will das Forschungskonsortium der DBK in seiner Studie nachgehen, auch im Vergleich mit anderen Institutionen. In dem NDR-Filmbericht findet man diese not-wendige Fragestellung dagegen nicht.
Selbstverständlich kann ein Medium als Hypothese die subjektive Meinung vertreten, der Zölibat würde Missbräuche befördern. Bei einem seriösen Presseorgan ist es aber geboten, für diese These stichhaltige Beweise beizubringen, wie das auch Bischof Ackermann von den Filmautoren fordert. Insbesondere eine öffentlich finanzierte und normierte Anstalt wie der NDR steht unter der Verpflichtung, nicht einseitig an einen Sachverhalt heranzugehen, sondern nach Hören der anderen Seite eine ausgewogene, objektive und unabhängige Darstellung zu bieten.
Keine Einbeziehung von gesicherten Forschungsergebnissen
Diesem gebotenen Anspruch genügt der Filmbericht nicht. Er setzt sich weder mit den oben genannten gesicherten Forschungsergebnisse auseinander, noch zieht er für seine eigene These wissenschaftliche Studien heran, sondern stützt sich ausschließlich auf die Behauptungen eines einzigen Sexualpsychologen. Dem wird in mehreren Einspielungen breiter Raum eingeräumt für seine Thesen vor allem gegen den Zölibat und allgemein die kirchliche Morallehre, während die oben genannten Wissenschaftler sowie weitere Forscher und Studien, die gezielt zu diesem Thema Studien erstellt haben, nicht einmal erwähnt werden, auch nicht in allgemeiner Form wie: Andere Forschen sehen das anders. Übrigens sehen das auch ganz unverdächtige Personen des öffentlichen Lebens anders – wie etwa die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer: Ich glaube ganz ehrlich gesagt nicht an den Zusammenhang von Zölibat und Missbrauch, überhaupt nicht. Aber so eine Gegenposition passt den Filmautoren offenbar nicht ins Konzept. In ihrer Hermeneutik der Verdächtigung blenden sie alle Kontra-Positionen aus.
Empirische Studie: Kein Kausalzusammenhang zwischen Zölibat und Pädophilie
b) Zum Zeitpunkt der Filmrecherche lag eine repräsentative Untersuchung zu Täterprofilen und Missbrauchsstrategien im kirchlichen Bereich vor, mit der namhafte Professoren 2012 den wissenschaftlichen Standard in der Forschung zu dem Thema: Sexuelle Übergriffe durch katholische Geistliche in Deutschland gesetzt haben. Dabei handelt es sich um die Zusammenschau von forensischen Gutachten aus den Jahren 2000 bis 2010, die von drei universitären Instituten erstellt worden waren. Nach der Untersuchung von 664 Delikten kommen die Wissenschaftler bezüglich Tätern und kirchlichem Umfeld zu folgendem Ergebnis:
Bisher liegen keine empirischen Befunde vor, die belegen könnten, dass ein gewollter oder ungewollter Verzicht auf Sexualität und/oder Partnerschaft das Risiko für Sexualdelikte erhöht. Viele Menschen, ob sie nun in Paarbeziehungen leben oder alleinstehend sind, haben keinerlei, wenige oder unbefriedigende Sexualkontakte, ohne dabei sexuell grenzverletzende Verhaltensweisen zu zeigen oder eine Störung der Sexualpräferenz zu entwickeln. Die grundlegende Sexualstruktur wird im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter festgelegt, also in der Regel Jahre vor dem Gelübde des Zölibats, sodass ein direkter Kausalzusammenhang zwischen dem Zölibat und einer pädophilen Störung der Sexualpräferenz wenig plausibel erscheint.
Auch die Hypothese, dass Männer mit einer pädophilen Präferenzstörung eher dazu neigen, den Priesterberuf zu ergreifen, lässt sich weder auf Basis internationaler Befunde (z. B. Terry et al., 2011; Deetman et al., 2011) noch anhand der hier vorliegenden Ergebnisse bestätigen. Sexuelle Missbrauchshandlungen an Minderjährigen werden auch innerhalb der katholischen Kirche aus Beweggründen begangen, die sich überwiegend dem normalpsychologischen Bereich zuordnen lassen (Körber, 2009) und nicht einer krankhafte oder gestörten Pschopathologie entspringen. Man mag dem Zölibat kritisch gegenüberstehen, aber eine Koppelung der Debatte um sexuellen Missbrauch durch Geistliche und dem Zölibat entbehrt jeglicher wissenschaftliche Grundlage.
Die Verantwortung für sexuelle Missbrauchshandlungen ist bei den Tätern zu suchen und kann nicht auf die Institution ‚katholische Kirche’ übertragen werden, wie es in der derzeitigen medialen Berichterstattung häufig der Fall ist. Sexualdelikte werden von den unterschiedlichsten Berufsgruppen begangen (z. B. auch Polizisten, Richtern, Ärzten, Pädagogen u.v.a.m), dennoch stellt man nicht das Rechtssystem oder eine ganz Profession in Frage (zitierte Passagen aus der oben genannten Studie S. 9).
Sexualberater als Frontmann der Meinungsmache
Entgegen diesen wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen geht die Redaktion von der freischwebenden These aus: Der Zölibat ziehe Männer mit gestörter Sexualität an (Präferenztäter) und selbst bei seelisch gesunden Priestern könne der Zölibat zu seelischer Unterernährung führen. Dazu wird der Sexualberater Dr. Christoph Ahlers als einziger Kronzeuge herangezogen. Dabei ist zu fragen, wieso Herr Ahlers, nach Eigenauskunft sexualpsychologischer Berater bei partnerschaftlichen und sexuellen Beziehungsstörungen sowie Behandlung von Libidostörungen aller Art, der geeignete Experte sein soll, Geistliche mit Zölibatsgelöbnis beurteilen zu können. Außerdem sind von ihm keine Untersuchungen bekannt, in denen er sich als Fachmann für den Bereich von Missbrauchstätern ausgewiesen hätte. Wenn Herr Ahlers aber nicht wegen besonderer Qualifikation für das infragestehende Spezialthema ausgesucht wurde, dann ist zu fragen, ob er vielleicht deshalb so breiten Raum in der Sendung bekam, weil er vorgefasste Thesen der Redaktion bestätigen und ihnen den Nimbus von sexualmedizinischer Plausibilität geben sollte?
Aus den Ausführungen von Ahlers ergibt sich, dass er eine mechanistische Trieb-Überdrucktheorie vertritt, nach der die sexuelle Triebenergie nicht sublimiert werden kann, sondern ausschließlich in sexueller Befriedigung und Beziehungen Entladung sucht. Bei dem zölibatären Triebstau käme es dann öfters zu Missbräuchen an Minderjährigen in Form von Ersatzhandlungen.
Mechanische Triebüberdrucktheorie aus der Steinzeit der Sexualwissenschaft
Diese Theorie ist höchst umstritten. Insbesondere die Darstellung der Sexualität in Analogie zu mechanistisch-biologischen Abläufen wird von der Gestaltpsychologie und anderen Schulen kritisiert. Selbst der Psychologen-Urvater Siegmund Freud würde einer Anti-Sublimierungsfolgerung widersprechen. Denn gerade die Sublimierung der sexuellen Triebenergie ist nach Freud Grundlage für alle Kulturentwicklung. Auch alle empirisch-wissenschaftlichen Studien sprechen dagegen, dass diese Theorie ein zutreffender Erklärungsansatz für Missbrauchstäter im Bereich der Kirche wäre.
Nur Behauptungen, keine Streitkultur
In einer zweiten Einspielung widerspricht Ahlers seinen vorherigen Ausführungen, wenn er behauptet, Missbräuche von Priestern seien nicht vorwiegend dem Typus der Ersatzhandlungen zuzuordnen. Im Gegenteil. Wir müssen davon ausgehen, dass problematische Sexualpräferenzen vorliegen, also Präferenztäter am Werk seien. Mit diesem Begriff meint Ahlers insbesondere pädophil veranlagte Menschen, wie aus seinen Ausführungen in einer dritten Einspielung zu entnehmen ist.
Er spricht auch nur von klinischen Eindrücken. Daraus können aber höchstens Hypothesen gestellt werden, aber nicht solche apodiktische Behauptungen, wie Ahlers sie vertritt. Empirische Studien dagegen – etwa die des Essener Gerichtspsychiater Norbert Leygraf – kommen zu gegenteiligem Ergebnis: Bei der Auswertung von 78 Gutachten über auffällig gewordene Priester stellte er fest, dass bei ihnen nur eine Minderheit von zehn bis fünfzehn Prozent pädophile Präferenztäter waren.
Ephebophilie – vorwiegend von homosexuell ausgerichteten Tätern ausgehend
Ahlers These von den vorwiegend (pädophilen) Präferenztätern im kirchlichen Bereich steht auch im Widerspruch zu den aufgeführten Filmbeispielen von Missbräuchen. Bei den etwa ein Dutzend dargestellten Verführungen Minderjähriger ist kein einziges Beispiel von Pädophilie dabei. Es werden – bis auf eine Ausnahme von einem neunjährigen Mädchen – ausschließlich Missbräuche an geschlechtsreifen Jungen dargestellt. Dieser Befund von ‚Ephebophilie’ ist nach Täterprofil, Diagnose und Therapieansatz fachlich und sachlich von ‚Pädophilie’ zu unterscheiden. Bei den vergleichbaren Missbräuchen von acht Lehrern an der Odenwaldschule handelte es sich ebenfalls um Ephebophilie. Diese Delikte gehen vorwiegend von homosexuell ausgerichteten Tätern aus, wie bei den Lehrer-Tätern an der Odenwaldschule nachweisbar.
Die Filmautoren wollten anscheinend keine sachliche Erörterung ihrer Thesen durch andere Wissenschaftler, Gegenargumente und sachlich-fachliche Differenzierungen. Sie machen sich die Anschauungen Ahlers vollständig zu eigen und formulieren als weitere These: Sexualpsychologen weisen darauf hin, dass der Zölibat Männer mit gestörter Sexualität anziehe. Abenteuerlich ist die Begründung dieser tendenziösen These durch Christoph Ahlers: Organisationen mit Sexualitätsverbot (kirchliches Zölibat für Priester) üben eine Anziehungskraft auf Personen aus, die mit problematischer Sexualpräferenz zu Tätern werden können. Allein schon aus logischen Gründen ist Ahlers These wenig plausibel, nämlich dass ein Sexualitätsverbot Sexualtäter besonders anziehe. Darüber hinaus ist die These – wie vorher gezeigt – auch empirisch falsifiziert worden. Die Filmautoren setzten sich über solche Bedenken und Gegenpositionen einfach hinweg mit der pauschalen Behauptung: Andere Forscher bestätigen das. Bei einer ausgewogenen, neutralen und objektiven Berichterstattung hätte die Endaussage lauten müssen: Von anderen Forschern wird diese These bestritten.
Vorurteile gegenüber der kirchlichen Moraltheologie
Es zeugt nicht von journalistischer Sorgfalt und Verantwortung, wenn die Filmmacher die für den Bereich Kindesmissbrauch anerkannten Forscher wie die Forensiker-Professoren Körber, Pfeiffer, Leygraf, Pfäfflin und König und deren einschlägige Studien nicht zu Rate ziehen, statt dessen sich allein auf einen einzigen Sexualberater beziehen. In den drei längeren Einspielungen steigert sich Ahlers in eine stark emotionalisierte Sprache, die die gebotene wissenschaftliche Nüchternheit vermissen lässt. Zum Schluss zeigt der Sexualpsychologe, dass er offensichtlich in Vorurteilen gegenüber der Kirche befangen ist, wenn er das völlig überzogene Urteil fällt: Die kirchliche Moraltheologie und Sexualmoral ist seit Jahrtausenden (!) falsch, ungesund, schädlich und riskant. Allein schon wegen dieses extremen Negativ-Urteils über die kirchliche Sexualmoral im Allgemeinen hätte es sich für die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt verbieten müssen, den Mann zu dem Thema Zölibat und Missbrauch als alleinigen ‚Experten’ auftreten zu lassen.
Vereinnahmung von Pater Mertes
Auch bei der weiteren Behandlung des Zölibats-Themas im innerkirchlichen Bereich zeigt die Redaktion Einseitigkeit, Tendenzaussagen und mangelnde Sorgfalt in der Darstellung.
Im Film wird der Jesuitenpater Klaus Mertes mit dem Satz zitiert: Dem würde ich hundertprozentig zustimmen. Dieser Satz ist aber so an die Ahlers-Rede herangeschnitten worden, dass die Zuschauer den Eindruck bekommen, als ob er mit dessen Theorie übereinstimme. Doch Mertes stellte nachträglich klar: Dieser Satz von mir bezog sich aber nicht auf die Äußerung des Experten, sondern erschließt sich aus dem Zusammenhang der Interviews mit mir. Meine Kernaussage war und ist: Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauch. … (siehe Kirche – Missbrauch – Medien). Gegenüber dieser klaren Aussage im O‑Ton Mertes behauptet die Sprecherin im Film Gegenteiliges: Mittlerweile sage Mertes, halte er den Pflichtzölibat aus Präventionsgründen für ein Risiko. Nach der filmtechnischen Fehl-Vereinnahmung von Mertes für die Ahlers-Thesen liegt auch in diesem Fall die Vermutung nahe, dass die Filmautoren die Aussage von Mertes manipuliert, jedenfalls fehlerhaft wiedergegeben haben, damit sie mit der vorgefassten Redaktionsthese übereinstimmen sollte. Denn wenn es nach Mertes ausdrücklicher Überzeugung keinen direkten Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauch gibt, dann stellt der Zölibat logischerweise auch kein Risiko dar.
Der NDR lässt sich parteiisch vor den Karren der ‚Progressiven’ spannen
Die Einseitigkeit und Parteilichkeit der Filmautoren wird auch durch folgenden Kommentar bestätigt: Bei unseren Recherchen bekommen wir den Eindruck: Die progressiven Stimmen in der katholischen Kirche sind zwar nur vereinzelt zu hören, aber es werden mehr. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass mit den Progressiven die Kräfte in der Kirche gemeint sind, die für eine Infragestellung oder Abschaffung des Zölibats eintreten. Mit der wertenden Wortwahl progressiv verraten die Filmautoren, dass sie sich auf die Seite der ‚fortschrittlichen’ Zölibatsgegner schlagen. Es gehört aber nicht zu den Aufgaben eines öffentlich-rechtlichen Senders, bei Streitfragen in der katholischen Kirche zwischen ‚Progressiven’ und ‚Konservativen’ sich parteiisch auf eine Seite zu schlagen und sich damit vor deren Karren spannen zu lassen.
Verleumdung der kirchlichen Orden
Der Film beschäftigt sich im Schlussteil mit Missbrauch in kirchlichen Ordenseinrichtungen und deren Aufarbeitung. Zunächst behauptet man, dass nur in einigen wenigen der Hunderte von katholischen Orden die Vergangenheit aufgearbeitet würde. Doch dann wird selbst diese ‚nur in einigen’ wieder zurückgenommen mit den Worten: Die Aufarbeitung der Missbräuche in kirchlichen Einrichtungen geschieht nur im Machtbereich der Bischöfe. Was hingegen in den Orden passiert mit ihren Schulen, Heimen und Internaten, wird nicht einmal untersucht. Was da an Missbrauch passierte, bleibt im Dunkeln. Dabei gibt es bundesweit Hunderte von Orden. Von deren Aufarbeitung hört man nichts. Nach unseren Recherchen gibt es allein 60 Tatorte von Missbrauchsanzeichen im Bereich der Orden. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.
Die Film-Behauptung der Untätigkeit von Orden bezüglich der Aufklärung und Aufarbeitung von Missbräuchen ist eindeutig falsch und damit verleumderisch:
Eine unvoreingenommene Recherche würde neben dem Jesuitenorden leicht zahlreiche, sogar hunderte Bestätigungen dafür finden, dass alle betroffenen Orden sich um die Missbrauchs-Aufarbeitung kümmern. Genannt seien einige exemplarische Beispiele der größeren Orden, die sich schon bei einer viertelstündigen Internetsuche ergeben:
Klosterschule Ettal – vorbildlich für Kirche und Welt
Die Benediktiner-Klosterschule Ettal war im Frühjahr 2010 ebenfalls wie das Canisius-Kolleg der Jesuiten im Fokus der medialen Missbrauchs-Berichterstattung. Die Hölle von Ettal titelte damals die Welt. Heute loben Missbrauchsopfer vor allem den nach persönlichen Gesprächen erfolgten Gesinnungswandel der Klosterleitung. Insbesondere das unbürokratische Vorgehen sei vorbildlich für die gesamte Kirche (Christian Wölfel: Vom Verdrängen und Anerkennen, katholisch.de, 1. März 2012). Ähnliches darf man für die weiteren 25 Benediktiner-Niederlassungen annehmen. Sie alle haben unabhängige Missbrauchsbeauftragte ernannt, so wie es in den Diözesen geschehen ist.
Die Salesianer Don Boscos, heißt es im fünften Bericht der ordenseigenen Aufklärungs-Arbeitsgruppe vom 2. 2. 2011, sehen sich in besonderer Weise der Aufklärung und Aufarbeitung der schwerwiegenden Vorwürfe und Vorfälle verpflichtet, die in einem deutlichen Widerspruch zu den Idealen der Ordensgemeinschaft und zu den Aufgaben, Zielen und Werten der salesianischen Pädagogik stehen. Die Salesianer haben nach dem gleichen Muster wie die deutschen Bischöfe die Missbrauchsaufarbeitung sowie Prävention organisiert.
In gleicher Weise haben die Orden der Franziskaner, Kapuziner und Redemptoristen Arbeitsgruppen und Leitlinien für die Aufklärung von Missbrauchsfällen eingerichtet.
Für das von Dernbacher Schwestern betreute St. Vincenzstift Aulhausen am Rhein wurde 2013 eine wissenschaftliche Aufklärungsstudie vorgestellt.
Die pauschale Unterstellung der Filmautoren: Was aber in den Orden passiert mit ihren Schulen, Heimen und Internaten, wird nicht untersucht. Was da an Missbrauch geschieht, bleibt im Dunkeln – ist offensichtlich eine Falsch-Behauptung.
Die ca. 160 Männer- und Frauen-Orden haben sich in Deutschland zu der Deutschen Ordensoberen-Konferenz (DOK) zusammengeschlossen. Zu der Missbrauchsaufklärung und ‑prävention heißt es auf der Seite der Deutschen Ordensoberen Konferenz:
In enger Abstimmung mit der Deutschen Bischofskonferenz hat die Deutsche Ordensoberen-Konferenz (DOK) die Leitlinien überarbeitet und im Herbst 2010 den Oberen der Ordensgemeinschaften in Deutschland zur Inkraftsetzung empfohlen. Ordensgemeinschaften in Deutschland haben sich der notwendigen Aufarbeitung gestellt und vor allem Maßnahmen zur Prävention verstärkt. Die DOK war am Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ beteiligt und ist bezüglich der Umsetzung seiner Ergebnisse mit den beteiligten Bundesministerien im Gespräch.
Auf der DOK-Seite sind für alle Orden in Deutschland und darüber hinaus für einzelne Ordensschulen und ‑Internate sowie für ordenseigene Heime unabhängige Missbrauchsbeauftragte benannt, an die sich die Missbrauchsopfer der einzeln Orden melden können. Da sind insgesamt 350 Namen aufgeführt.
Einseitige Verdächtigungsrecherche
Die Filmautoren machen die verräterische Aussage, dass nach ihren Recherchen im Bereich der Orden Missbrauchsanzeigen für 60 Tatorte vorlägen. Doch von deren Aufarbeitung höre man bislang kaum etwas.

Man kann aus dieser Bemerkung entnehmen, dass die Redakteure nach Missbrauchs-Tatorten in den Orden recherchiert haben, nicht aber danach, was die betreffenden Orden an Aufarbeitung und Aufklärung nach 2010 getan haben. Die Aussage: Von deren Aufarbeitung hört man kaum was – ist entlarvend für die Filmredakteure, insofern sie einerseits die einseitige Verdächtigungsrecherche der NDR-Journalisten belegt, andererseits deren Unwillen ausdrückt, in gleicher Intensität nach den öffentlich bekannten Aufarbeitungsmaßnahmen der Orden journalistisch zu forschen. Diese Feststellungen belegen einmal mehr die These, dass die Film-Journalisten offensichtlich mit Vorurteilen und nicht unparteiisch an ihre Recherchen herangegangen sind und daher auch keine ausgewogene und objektive Dokumentation vorlegen. Die gebotene Unabhängigkeit und Sorgfalt beim journalistischen Vorgehen ist auch in diesem Punkt nicht gegeben.
Stets die gleiche Formel: Programmbeschwerde abgewiesen!
Mit Schreiben vom 23. Mai 2016 wies der Rundfunkrat die vorliegende Programmbeschwerde zurück: Der Rundfunkrat konnte keinen Verstoß gegen die für den NDR geltenden Rechtsvorschriften erkennen.
Damit bestätigt sich einmal mehr, dass man sich bei dem derzeitigen Konstrukt des ARD-Beschwerdeverfahrens jede noch so gut begründete Programm-Beschwerde sparen kann. Die ARD-Sender könnten sich allerdings auch die Beschwerde- und Kontroll-Ausschüsse selbst sparen. Denn die Ergebnisse stehen praktisch in allen Beschwerdefällen schon vor der angeblich intensiven Diskussion und sorgfältiger Prüfung des Sachverhaltes fest: Ihre Programmbeschwerde wird abgewiesen. (Ende der Serie)
Text: Hubert Hecker
Bild: Polizei-dein-Partner/Youtube (Screenhots/Montage)/NDR (Screenshots)/Wikicommons
Ich lebe schon seit 63 Jahre im aktiv Katholischen Umfeld und bin noch nie von einem Katholischen Geistlichen missbraucht worden.Ich habe nur gelernt dass Sex in der Ehe gehoert,und so gefaellt es mir.Leider sind viele andere Leute nicht damit einig.
Das Risiko eines sexuellen Missbrauchs dürfte sich allerdings auch auf eine relativ eng begrenzte Lebensspanne in der Kindheit und (frühen) Jugend beziehen.
Ansonsten Zustimmung.