In dem FAZ-Beitrag: Das Leben ist der Güter höchstes doch vom 24. 11. 2015 versucht sich der Autor an einer weiteren Variation der bekannten Islam-Rechtfertigung: Was die Muslime des Islamischen Staats machen, habe nichts mit dem Islam zu tun.
Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker.
Der Islam-Wissenschaftler Karakaya behauptet im Einzelnen, muslimische Selbstmordattentäter und Terroristen missachten jegliche Werte des Islam. Sie könnten sich in ihrem Märtyrertum nicht auf den Koran und die islamische Tradition berufen.
Der christliche Blutzeuge steht in der Nachfolge des leidenden Christus …
Der Begriff Märtyrer als Zeuge und Bekenner seines Glaubens kristallisiert sich in der hellenistischen Kultur heraus. So wird er auch im Neuen Testament gebraucht. Die heutige Bedeutung des Wortes, nämlich verfolgter Blutzeuge um seines Glaubens willens, wurde erstmals um die Mitte des zweiten Jahrhunderts für den Märtyrer Polykarp, Bischof von Smyrna, angewandt.
Zur gleichen Zeit entwickelte Ignatius von Antiochien eine Theologie des Martyriums: Der Blutzeuge steht in der Nachfolge Christi mit Verfolgung, Leiden und Tod. Er erwirbt im Tod mit Jesus Christus die Vollendung und Auferstehung. Ein Martyrium kann zur Bluttaufe werden, wenn der Betreffende noch nicht förmlich getauft ist. Das Urbild eines solchen Märtyrers ist der hl. Stephanus, der von jüdischen Kreisen für seinen Glauben an Christus als Messias und Herrn gesteinigt wurde.
… muslimische Kampftodmärtyrer sterben mit der Waffe in der Hand
Das entscheidende – und zum Islam unterscheidende – Merkmal des christlichen Martyriums ist leicht erkennbar: Der christliche Märtyrer steht und stirbt in der Situation der Verfolgung. Er ist ein besonders treuer Glaubenszeuge, weil er den Mut aufbringt, eher den Tod auf sich zu nehmen als seinen Glauben zu verleugnen. Dabei orientiert er sich am Leiden Christi, der zu Beginn seiner Passion ausdrücklich die Waffen verbannte.

Im Islam dagegen gilt als Märtyrer, wer im Krieg – auch im Angriffskrieg – für Allahs Herrschaft kämpft und fällt. Sein Mut bezieht sich in erster Linie auf den blutigen Waffenkampf, der Glaubensaspekt ergibt sich indirekt aus dem religiösen Kriegsziel seiner Kampftruppe. Zum Religionsstifter besteht der Bezug darin, dass Mohammed solche Kriege anordnete und anführte sowie den getöteten Kriegern das Paradies versprach. Muslimische Kriegsmärtyrer werden ungewaschen und in ihrer blutigen Kleidung begraben. Auch diese Praxis des islamischen Märtyrerkultes geht auf Mohammed zurück. Das Blut des gefallenen Muslim zeugt von seiner Aggression im Krieg für Allah; das Blut des christlichen Martyrers zeigt seine Passion für den Glauben an Christus an.
Wollte man den islamischen Begriff vom Kampftod-Märtyrer auf das Christentum übertragen, müsste man alle gefallenen Kreuzritter zu Märtyrern glorifizieren. Das aber hat die Kirche nie getan oder diesem Ansinnen zugestimmt.
In seinem Aufsatz macht der Autor Karakaya verschiedene Anläufe, um das spezifisch islamische Kriegsmärtyrertum zu relativieren.
Untaugliche Versuche, Dschihad und Selbstmordtöter zu verharmlosen
- Zunächst geht er etymologisch vor. Der islamische Begriff Schahid sagt zwar das gleiche aus wie der griechische martyr – nämlich Zeuge, Bekenner sein. Aber diese historische Bedeutungsgleichheit bringt keinen Erkenntnisgewinn dafür, welchen Bedeutungsinhalt das Wort Märtyrer historisch und gegenwärtig bei Muslimen hat – auch in Bezug auf Koran und Tradition. Damit verhält es sich ähnlich wie mit dem Wort Dschihad. Für die vorherrschende Wortbedeutung als Krieg für die Herrschaft Allahs gegen Ungläubige bringt der Hinweis wenig, dass das Wort ganz allgemein Anstrengung heißt.
Die Schwertverse des Koran fordern Kampf und Tod den Ungläubigen
- Auch nicht weiter bringt die Behauptung, der Islam sei eine lebensbejahende Weltanschauung. Daher würden wahre Glaubenszeugen ihr ganzes Leben dem Erhalt des gottgegebenen Lebens widmen. Sie lebten nach ihrem Tod weiter in dem, was sie an Gutem hinterlassen hätten und in den Menschen, die sich an ihnen ein Vorbild nähmen.
Doch die Behauptung von islamischer Lebenszugewandtheit ist nur ein Aspekt der koranischen Lehre. Gegen diese allgemein-fromme Erklärung sprechen die verschiedenen Kampf- und Schwertverse des Koran. Danach dürfen die Muslime das eigene Leben und das der Ungläubigen nicht schonen – auch wenn ihnen Kampf und Töten zuwider sei (Sure 2,216).
Mohammed war nicht barmherzig gegenüber Kritikern, Christen und Polytheisten
- Schließlich führt Karakaya das Leben Mohammeds dafür an, dass im Islam das menschliche Leben höher stehe als der Märtyrertod: Der Prophet sei gesandt worden aus Barmherzigkeit für alle Welt, habe 23 Jahre für die gesamte Schöpfung gelitten und sich dabei für die Vervollkommnung der Menschen gemäß ihrer gottgegebenen Anlage eingesetzt. Aber auch mit diesem Loblied auf das Leiden des islamischen Religionsstifters kann der Autor nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mohammed ziemlich unbarmherzig war gegenüber dem Leben der Andersgläubigen und seinen Kritikern: So ließ er etwa 400 jüdische Männer vom Stamm der Banu Quraiza gnadenlos öffentlich enthaupten, ihre Frauen und Kinder versklaven. Seinen Mitkriegern gab er laut Sure 9,5 den Befehl: Tötet die heidnischen Polytheisten, wo immer ihr sie findet, greift sie, belagert sie und lauert ihnen auf jeden Wegen auf.
Der Kampftod für Allahs Herrschaft als Garant für Paradiesfreuden
Gegen die Auffassung des Autors, dass das islamische Martyrium eher als Lebenszeugnis denn als Kriegstodergebnis zu verstehen sei, sprechen weitere Koranstellen, die nur die im Kampftod Gefallenen als islamische Märtyrer ansehen: Die auf meinem Weg gekämpft haben, sagt Allah laut Sure 3,195, und getötet worden sind, werde ich ihre Missetaten sühnen und sie in Gärten mit fließenden Bächen eingehen lassen als Belohnung. In verschiedenen Koran-Versen wird von einem Kaufgeschäft über Tod und Leben gesprochen: Muslime verkaufen durch Kampf und Tod ihr diesseitiges Leben gegen Lohn im jenseitigen Leben (Sure 4,74). Und wenn Muslime auf dem Wege Allahs kämpfen und dabei töten und getötet werden, dann wird Gott für diese Taten ihnen das Paradies erkaufen. Dieses Versprechen hätte Gott angeblich schon in der Thora und im Evangelium gemacht, behauptet Mohammed in der Sure 9,111.
Lohnversprechen für Krieger und Drohbotschaft für Kriegsdienstverweigerer
In diesen und weiteren Stellen wird eindeutig für das aktive Kampftod-Martyrium geworben und mit Paradies-Belohnung gelockt. Allah selbst würde alle ihre Missetaten sühnen und sie damit sündenfrei machen. Der Kampftod auf Allahs Wegen wird damit zum sicheren Garant für einen Sitz im Paradies an der Seite des Propheten im siebten Himmel hochgestellt. Diese Ausnahmestellung der islamischen Kriegsgefallenen ist für Muslime besonders verlockend und attraktiv. Denn jeder auch noch so fromme Muslim müsse auf dem Weg zum Gericht eine peinliche Befragung zu den Missetaten seines Lebens über sich ergehen lassen. Den Kampfmärtyrern dagegen werde diese Qual des Gerichts erspart, da Allah alle ihre Sünden automatisch sühnen würde. Verstärkt werden die Verlockungen der Paradiesversprechungen für die Kampf- und Todesbereiten durch Mohammeds Drohreden von Höllenqualen für diejenigen, die sich vor dem angesagten Kampf auf Allahs Wegen drücken wollten.
Mit dieser dialektischen Lohn- und Drohbotschaft hatte schon Mohammed Massen von Araber für seine Kriege mobilisiert. Damit brachte er bis zu seinem Tod ganz Arabien unter seine Herrschaft. Die Nachfolger-Kalifen eroberten auf der Basis dieser Doppelformel die halbe Welt. Und mit diesem paradiesischen Lohnversprechen werben auch die heutigen salafistischen und ISlamischen Prediger für Kampftod-Märtyrer in der ganzen Welt.
Todesbereite Kampfeinsätze und todsichere Selbstmordattacken
Erdogan Karakaya stellt dagegen die Behauptung auf: Nicht der Tod, sondern das Leben ist zu glorifizieren, das dem Menschen im Namen eines barmherzigen und allerbarmenden Gottes geliehen wurde. Diese These kann sich allerdings nicht auf den Koran und das Beispiel Mohammeds berufen, wie oben gezeigt. Und der Hinweis auf Allahs allerbarmende Barmherzigkeit gilt weder für das Leben der Ungläubigen noch der Muslime, die sich nicht für Kampf und Krieg für Allahs Herrschaft einsetzen.
Weiter folgert der Autor: Da die Selbstmordattentäter das gottgeliehene Leben von unschuldigen Menschen angriffen, würden sie jegliche Werte des Islam missachten. Auch diese Behauptung entspricht nicht dem koranisch-islamischen Selbstverständnis. Mohammed hatte seine Mitkrieger in allen Schlachten aufgefordert zu töten, also das gottgebene Leben der „Ungläubigen“ auszulöschen. Denn Andersgläubige, die Allahs Kriegern gegenüberstehen, gelten den Muslimen nicht als unschuldig. Selbst das Verbot, Muslime im Krieg zu töten, wird seit dem Frühislam auf die Weise umgangen, dass die jeweiligen muslimischen Feinde zu Ungläubigen erklärt werden. Und Ungläubige dürfen auch im erobernden ‚Krieg für Allah’ bekämpft und getötet werden.
Über die Methoden des Kriegskampfes sagt Mohammed direkt nichts aus. Aber aus den Worten: mit Gut und Blut, mit Leib und Leben auf Allahs Wegen zu kämpfen, ergibt sich die Aufforderung, unter Einsatz seines eigenen Lebens gegen den Feind zu ziehen. Unter dieser Formeln schrumpft die Differenz zwischen dem todesbereiten Kampfeinsatz und der todsicheren Selbstmordattacke auf ein Minimum.
Die religiöse Perversion der ISlamischen Kampfmartyrer verweist auf den Frühislam
Der Autor Karakaya berücksichtigt zum Thema islamische Märtyrer nicht einen der oben zitierten Schwertverse. Stattdessen lenkt er mit allgemein lebensbejahenden Formeln vom Gewaltproblem des Islam ab. Das ist keine lautere Argumentation. Resümierend setzt er den Lesern eine harmlos-verschleiernde Definition vor: Märtyrer seien im traditionellen Islam jene, die für eine religiös eingebettete Handlung gestorben seien. Das hört sich an wie ein Todesfall bei eine religiösen Ritualhandlung. Demnach wären die Totgetrampelten durch die Massenpanik bei einer Mekka-Wallfahrt auch Märtyrer. Erst recht ist die Gedankenführung zu der These nicht überzeugend, dass muslimische Suizidattentäter alle Werte des Islam missachten würden. Denn offensichtlich ist eine solche Kampfmethode aus der koranbasierten Islam-Lehre legitimierbar und sogar naheliegend.
Karakaya setzt sich nicht in der gebotenen Sorgfalt mit dem religiös inspirierten Aggressionscharakter der koranischen Schwertverse auseinander. Das gilt für die meisten islamischen Gelehrten. Unter diesen Umständen ist es Augenwischerei, den ISlamischen Terror mit der Formel: Missbrauch von Koran und Islam abzutun. Gewiss, die menschenfeindlichen Mordtaten von Nizza, Würzburg und Saint Etienne du Rouvray wurden von religiös-pathologischen „Soldaten des Islamischen Staats“ begangen. Aber deren Pathologie oder Perversion weist auf die Urschrift und die Anfänge des Frühislam zurück. Eine Distanzierung von diesem mörderischen Ansatz ist erst dann glaubwürdig, wenn sich die muslimischen Repräsentanten ernsthaft mit den zugrunde liegenden Schwertversen und Kampfbefehlen Mohammeds auseinandersetzen.
Text: Hubert Hecker
Bild: Catholiccanada/4bp/op-online/CR (Screenshots)
Ich möchte den Autor dieses Gastbeitrages, Hubert Hecker, ermutigen, seine fundierte ausführliche Kritik an dem Artikel von E. Karakaya zumindest als Leserbrief mit Verweis auf dieses Original in der FAZ zu platzieren versuchen. Besser noch wäre der Originalartikel, wenn das die Zeitungs-Redaktion gestattet.