(Karthum) Im vierten nachchristlichen Jahrhundert ging das Reich von Kusch (Nubien) im Norden des heutigen Sudan unter. Die genauen Gründe dafür liegen noch im Dunkeln. Das Land zerfiel in eine Reihe von Kleinkönigtümern, darunter Makurien, Nobadien und Alwa. 568 war die Christianisierung Nubiens bereits abgeschlossen, die von Byzanz und vor allem vom koptischen Ägypten aus erfolgte. Begonnen hatte sie noch zu apostolischer Zeit, wie die Apostelgeschichte belegt, wo von einem äthiopischen Kämmerer der Kandake berichtet wird, der nach Jerusalem gekommen war, um Gott anzubeten, und der sich taufen ließ.
Kandake war der Titel der nubischen Königinnen des Reiches von Kusch. In der Apostelgeschichte wurde offenbar ein Kämmerer der Kandake Amanitore gemeint, der Frau von König Natakamani.
Hundert Verteidigungswerke
Zwischen dem vierten und dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert wurden in Nubien, rund 500 Kilometer südlich der heutigen ägyptischen Grenze, mindestens einhundert monumentale Verteidigungsanlagen errichtet. Polnische Archäologen erforschen sie gerade und gelangten zu neuen Erkenntnissen.
Einige dieser Verteidigungswerke hatten Mauern von mehreren Metern Breite und Höhe. Je nach Lage wurden sie mit Steinen oder Lehmziegeln errichtet, manchmal sogar in einer Mischtechnik aus beiden Baumaterialien. Als Bindemittel zwischen den Blöcken wurde Lehm verwendet.
Ausgrabungen in einer rechteckigen Festung brachten im Innenhof eine Kirche und einen Brunnen zutage. Bisher herrschte Unklarheit über die Funktion dieser Anlagen. Da Ecktürme fehlten und die Mauern zum Teil dürftig waren, hatte man eine Verteidigungsfunktion ausgeschlossen.
Die polnischen Archäologen entdeckten nun Steintreppen. Durch Grabungen stellte sich heraus, daß die Mauern deutlich höher waren, als bisher angenommen. Es wurden Spuren von Bliden entdeckt, also großen Wurfwaffen, mit denen Steingeschosse mit hoher Präzision bis zu 100 Meter und weiter geschleudert werden konnten.
Das Fehlen von Wohngebäuden unterstreicht, so die polnischen Wissenschaftler, den Verteidigungscharakter der Anlagen. Die Entdeckung einer Kirche bestätigt nicht nur die zu dieser Zeit bereits erfolgte Christianisierung. Die Kirche in der Festungsanlage zeige deren hohe Bedeutung für die Bewohner. Der Kirche kam durch die Errichtung in einer Festung besonderer Schutz zu. Zugleich entspreche das dem christlichen Denken jener Zeit, daß die Kirche selbst die beste Verteidigung sei.
Die polnischen Archäologen gehen davon aus, daß die nubischen Festungsanlagen keine ständige Besatzung hatten. Sie dienten offenbar als Zufluchtsorte in Kriegszeiten und wurden von den Menschen verteidigt, die darin Zuflucht fanden.
Ihre Entstehung scheint eine direkte Folge des Untergangs des Reiches von Kusch gewesen zu sein. Dessen Ende hinterließ ein Vakuum, das die Grenzen unsicher werden ließ. Die Festungswerke wurden in einem ziemlich regelmäßigen Abstand von 20–30 Kilometern errichtet. Dazwischen lagen Wachtürme. Diese Systematik deutet auf eine ordnende staatliche Macht hin, unter deren Anleitung sie angelegt wurden.
Älteste Mariendarstellung Nubiens
Polnische Archäologen sind seit mehreren Jahren unter der Leitung von Professor Wlodzimierz Godlewski, dem Leiter des Archäologischen Instituts der Universität Warschau, im Sudan tätig. In Dongola, der ehemaligen Hauptstadt des christlichen Königreichs Makurien, entdeckten sie in einer Kirche, die mutmaßlich Teil des Königspalastes war, die älteste bisher bekannte Mariendarstellung Nubiens. Gefunden wurde auch eine beidseitig bemalte Ikone aus dem 8./9. Jahrhundert, die auf einer Seite die Gottesmutter Maria und auf der anderen Seite einen König zeigt. Es handelt sich dabei um den ersten Fund dieser Art im Sudan.
Makurien, das zum bedeutendsten Nachfolgestaat des Reiches von Kusch wurde, umfaßte in seiner Blütezeit fast den gesamten heutigen Sudan und das südliche Ägypten.
Trotz der arabisch-islamischen Eroberung Ägyptens konnten sich die christlichen Königreiche in Nubien halten. Erst Jahrhunderte später, unter den Mamelucken, die seit 1250 Ägypten beherrschten, erhöhte sich der militärische Druck auf das christliche Nubien. 1323 wurde der letzte König Makuriens von den muslimischen Angreifern auf dem Schlachtfeld besiegt. Mitte des 14. Jahrhunderts scheint Makurien unter diesem islamischen Druck schließlich zusammengebrochen zu sein.
Eine letzte christliche Provinz Makuriens, die Herrschaft Dotawo, um den 2. Nil-Katarakt, konnte sich noch bis ins 16. Jahrhundert behaupten. 1518 wird in islamischen Quellen noch ein Herrscher in Nubien als „Feind der Muslime“ genannt. Damit könnte das christliche Dotawo gemeint sein, das noch für 1486 sicher belegt ist. Um 1560 hatten die Türken den Sudan bis zum 3. Nil-Katarakt erobert. In der Zwischenzeit muß auch diese letzte christliche Herrschaft beseitigt worden sein.
Christliches Königreich Alwa 1504 zerstört
180 Jahr länger als Makurien konnte sich das südlich davon gelegene christliche Königreich Alwa (Alodien) mit der Hauptstadt Soba halten, das erst Anfang des 16. Jahrhunderts von den Türken vernichtet wurde. Alwa hatte seinen Mittelpunkt am Zusammenfluß von Weißem und Blauem Nil. Im Süden reichte es bis zum Fuß der abessinischen Berge. Seine Nordgrenze konnte es nach dem Untergang Makuriens kurzzeitig bis Dongola vorschieben. Die nördlich davon gelegenen Gebiete (Nordmakurien und Nabadien) scheinen aber zum Niemandsland geworden zu sein. Die archäologischen Funde verarmen dort in nachchristlicher Zeit. Das Gebiet wurde zum Menschenreservoir für die islamischen Sklavenhändler. Berichte aus dem 15. Jahrhundert sprechen davon, daß vor allem nubische Frauen auf dem arabischen Sklavenmarkt sehr begehrt waren.
Der Zusammenbruch des Christentums wird mit der Beseitigung der Königreiche und damit der christlichen Zentralgewalt in Zusammenhang gebracht. Das Christentum Nubiens stand in enger Abhängigkeit vom koptischen Patriarchat von Alexandrien. Nur der Patriarch konnte Bischöfe einsetzen. Der nubische Klerus wurde in der Regel in Ägypten ausgebildet. Mit der zunehmenden Islamisierung Ägyptens und vor allem dem Ende der offiziellen Verbindung zu Alexandrien durch die Beseitigung der christlichen Herrschaft wurde das kirchliche Leben auch südlich davon geschwächt, bis es schließlich zum Erliegen kam.
1520: Die Einwohner bezeichneten sich noch als Christen
Wie es um das Christentum zwei Jahrhunderte nach der islamischen Zerstörung des Königreiches Makurien stand, berichtete 1520 der Portugiese Alvarez, der sieben Jahre, bis 1527, am abessinischen Kaiserhof verbrachte. Unter Berufung auf seinen Begleiter, Johannes dem Syrer, der selbst in Nubien gewesen war, schildert Alvarez, daß es dort zahlreiche alte Kirchen mit Kruzifixen und Wandmalereien der Gottesmutter Maria und von anderen Heiligen gebe. Was die Ausgrabungen der vergangenen Jahre auf beeindruckende Weise bestätigten. Die Einwohner, so Alvarez, seien keine Muslime, sondern bezeichneten sich selbst als Christen, hätten aber kaum mehr Kenntnis von ihrem Glauben.
Andere Reisende berichteten noch im 17. Jahrhundert, daß sie im Sudan eine ungewöhnliche Mischung aus christlichen und heidnischen Riten vorgefunden hatten. Der Übergang vom Christentum zum Islam erfolgte, nach dem Zusammenbruch der kirchlichen Hierarchie und dem Verschwinden des christlichen Priestertums, nicht direkt, sondern über die Zwischenstufe eines teilweisen Rückfalls in eine Art von vorchristlichem Heidentum.
Die christliche Gemeinde auf der Nil-Insel Kulubnarti
Auf der Nil-Insel Kulubnarti, von der ägyptischen Südgrenze 300 Kilometer nilaufwärts gelegen und 215 Kilometer Luftlinie nördlich von Dongola, dürfte sich eine letzte christliche Gemeinde noch länger als die Herrschaft Dotawo und das Königreich Alwa gehalten haben. Eine Zerstörung durch die Türken ist nicht belegt, ebensowenig Bautätigkeiten oder eine Moschee aus osmanischer Zeit. Im 19. Jahrhundert war die alte christliche Festung von Kulubnarti Sitz eines Steuerbeamten. Wann genau und ob die Christen der Insel ihren Glauben aufgegeben und den Islam angenommen oder die Insel verlassen haben und durch Muslime ersetzt wurden, ist nicht bekannt.
Bereits 2013 legte Wlodzimierz Godlewski mit seinen Mitarbeitern die Ergebnisse von Ausgrabungen in einem Mönchskloster vor, das 1993 entdeckt worden war. Bei den Grabungsarbeiten wurde eine Krypta aus dem 11./12. Jahrhundert entdeckt. Unter den mumifizierten Toten fanden die Archäologen auch die Mumie von Erzbischof Georgios, dem zu seinen Lebzeiten wahrscheinlich höchsten geistlichen Würdenträger des Königreichs Makarien. Auf seinem Grabstein steht, daß er im Jahr des Herrn 1113 im Alter von 82 Jahren gestorben ist.
Die Wände der Krypta sind fast zur Gänze mit Texten in griechischer und koptischer Sprache beschrieben. Der Großteil sind Textstellen aus den vier Evangelien, aber auch zahlreiche Fürbittgebete, offenbar für die Verstorbenen.
Arabische Geschichtsquellen zeigten sich beeindruckt von den christlichen Klöstern Nubiens. In der Tat konnten die Archäologen bereits mehrere phantastische, mittelalterliche Kirchen und Klosteranlagen freilegen.
Siehe auch: Die lange christliche Geschichte des Sudan – Älteste Marienikone Nubiens entdeckt
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Nebbie del tempo