
(Rom) Papst Franziskus empfing gestern im Vatikan die Teilnehmer der Wallfahrt der Armen aus Frankreich, die aus Anlaß des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit nach Rom kamen. Die Initiative ging von der Menschenrechtsbewegung ATD Vierte Welt aus. Begleitet wurden die Pilger vom Erzbischof von Lyon, Philippe Kardinal Barbarin. In seiner Ansprache forderte der Papst die Armen auf, für die Bekehrung der Reichen zu beten. „Eine Mission, die nur Ihr erfüllen könnt.“ Die Ansprache von Papst Franziskus im vollen Wortlaut in deutscher Übersetzung:
Ansprache des Heiligen Vaters Franziskus
an die Wallfahrt der Armen aus den französischen Bistümern der Provinz von Lyon
Aula Paolo VI
Mittwoch, 6. Juli 2016
Liebe Freunde,
ich bin sehr froh, Euch empfangen zu dürfen. Was auch immer Eure Situation, Eure Geschichte, die Last ist, die Ihr tragt, es ist Jesus, der uns um sich versammelt. Wenn Jesus etwas hat, dann gerade diese Fähigkeit, anzunehmen. Er nimmt jeden von uns an, so wie er ist. In Ihm sind wir Brüder, und ich möchte, daß Ihr spürt, wie sehr Ihr willkommen seid. Eure Anwesenheit ist für mich wichtig, und es ist auch wichtig, daß Ihr zu Hause seid.
Mit den Verantwortlichen, die Euch begleiten, gebt Ihr ein schönes Zeugnis der evangelischen Brüderlichkeit durch diesem gemeinsamen Weg der Pilgerschaft. In der Tat seid Ihr gekommen, indem Ihr Euch gegenseitig begleitet habt. Die einen, indem sie Euch großzügig geholfen haben, indem sie Euch Ressourcen und Zeit geschenkt haben, um Euch hierher kommen zu lassen, und Ihr, indem Ihr ihnen, indem Ihr uns, indem Ihr mir Jesus selbst geschenkt habt.
Weil Jesus Eure Situation teilen wollte, hat er sich aus Liebe zu einem von Euch gemacht: verachtet von den Menschen, vergessen, einer, der nichts zählt. Wenn es Euch widerfährt, das alles zu erleben, vergeßt nicht, daß auch Jesus es wie Ihr erlebt hat. Das ist der Beweis, daß Ihr in Seinen Augen kostbar seid, und daß Er Euch nahe ist. Ihr seid im Herzen der Kirche, wie Joseph Wresinski [1]Joseph Wresinski (1917–1988), war ein französischer Priester und der Gründer der Menschenrechtsbewegung ATD Vierte Welt. Sein Vater war als Angehöriger der polnischen Volksgruppe in den deutschen … Continue reading sagte, weil Jesus in Seinem Leben den Menschen, die wie Ihr waren, die in ähnlichen Situationen lebten, immer Vorrang gegeben hat. Und die Kirche, die liebt und bevorzugt, was Jesus geliebt und bevorzugt hat, kann nicht ruhig bleiben, bis sie nicht alle jene, die Zurückweisung und Ausgrenzung erfahren, und die für niemanden mehr zählen, erreicht hat. Im Herzen der Kirche ermöglicht Ihr uns, Jesus zu begegnen, weil Ihr uns von Ihm sprecht, nicht so sehr mit Worten, aber mit Eurem ganzen Leben. Und Ihr bezeugt die Bedeutung der kleinen Gesten, die für jeden in Reichweite sind, die dazu beitragen, den Frieden zu schaffen, indem Ihr uns daran erinnert, daß wir Brüder sind, und daß Gott der Vater von uns allen ist.
Ich versuche mir vorzustellen, was wohl die Leute gedachte haben, als sie Maria, Joseph und Jesus auf den Straßen sahen auf der Flucht nach Ägypten. Sie waren arm, waren geplagt durch die Verfolgung: aber dort war Gott.
Liebe Begleiter, ich will Euch danken für alles, was Ihr macht in Treue zur Intuition von Vater Joseph Wresinski, der vom gemeinsam geteilten Leben ausgehen wollte und nicht von abstrakten Theorien. Die abstrakten Theorien führen uns zu den Ideologien, und die Ideologien führen uns dazu, zu leugnen, daß Gott fleischgeworden ist, einer von uns! Es ist das gemeinsam geteilte Leben mit den Armen, das uns verwandelt und uns bekehrt. Und bedenkt das gut! Ihr geht ihnen nicht nur entgegen – auch jenen, die sich schämen und sich verstecken – , Ihr geht nicht nur mit ihnen, indem Ihr Euch anstrengt, ihr Leiden zu verstehen und in ihren Seelenzustand einzutreten: Ihr strengt Euch an, in Ihre Verzweiflung einzutreten. Zudem schafft Ihr um sie herum eine Gemeinschaft und gebt Ihnen auf diese Weise eine Existenz, eine Identität und eine Würde zurück. Das Jahr der Barmherzigkeit ist die Gelegenheit, um diese Dimension der Solidarität, der Brüderlichkeit, der Hilfe und der gegenseitigen Unterstützung wiederzuentdecken und zu leben.
Geliebte Brüder, ich bitte Euch vor allem, den Mut zu bewahren und gerade auch inmitten Eurer Ängste die Freude der Hoffnung zu bewahren. Diese Flamme, die in Euch wohnt, möge nicht verlöschen, denn wir glauben an einen Gott, der alle Ungerechtigkeit wiedergutmacht, der alles Leid tröstet und jene zu belohnen weiß, die das Vertrauen in Ihn bewahren. In Erwartung jenes Tages des Friedens und des Lichts ist Euer Beitrag für die Kirche und für die Welt wesentlich: Ihr seid Zeugen Christi, Ihr seid Fürsprecher bei Gott, der auf ganz besondere Weise Eure Gebete erhört.
Ihr habt mich gebeten, die Kirche Frankreichs daran zu erinnern, daß Jesus an der Tür unserer Kirche leidet, wenn die Armen nicht da sind. Wenn die Armen nicht da sind … „Der Reichtum der Kirche sind die Armen“, sagte der römische Diakon, der heilige Laurentius.
Und schließlich möchte ich Euch um einen Gefallen bitten, um mehr als einen Gefallen, ich möchte Euch einen Auftrag geben: Eine Mission, die nur Ihr in Eurer Armut imstande sein werdet, zu erfüllen.
Ich will es Euch erklären: Jesus war einige Male sehr streng und hat Menschen, die die Botschaft des Vaters nicht annahmen, heftig getadelt. Und so wie Er dieses schöne Wort„selig“ zu den Armen sagte, zu den Hungrigen, zu den Weinenden, zu jenen, die gehaßt und verfolgt werden, so hat Er noch ein anderes Wort gesagt, das aus seinem Mund Angst macht! Er hat gesagt: „Wehe!“ Er hat es zu den Reichen gesagt, zu den Satten, zu jenen, die jetzt lachen, zu jenen, denen es gefällt, daß man ihnen schmeichelt (vgl. Lk 6,24–26), zu den Heuchlern (vgl Mt 23,15ff).
Ich gebe Euch den Auftrag für sie zu beten, damit der Herr ihr Herz verwandelt. Ich bitte Euch, auch für die Schuldigen an Eurer Armut zu beten, auf daß sie sich bekehren! Betet für die vielen Reichen, die sich mit Purpur und mit Byssus kleiden und mit großen Banketten feiern, ohne zu bemerken, daß es vor ihren Türen viele Lazarusse gibt, die sich danach sehnen, ihren Hunger an den Resten ihres Tisches zu stillen (vgl. Lk 16,19ff). Betet auch für die Priester, für die Leviten, die den verprügelten und halbtoten Mann sehen und dennoch weitergehen, indem sie einfach in die andere Richtung schauen, weil sie kein Mitleid haben (vgl. Lk 10,30–32). Allen diesen Menschen und sicher noch anderen, die auf negative Weise mit Eurer Armut und vielen Schmerzen verbunden sind, lächelt aus dem Herzen zu, wünscht ihnen Gutes und bittet Jesus, daß sie sich bekehren. Und ich versichere Euch, wenn Ihr das tut, wird in der Kirche in Eurem Herzen und auch im geliebten Frankreich große Freude herrschen.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: vatican.va (Screenshot)
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↑1 | Joseph Wresinski (1917–1988), war ein französischer Priester und der Gründer der Menschenrechtsbewegung ATD Vierte Welt. Sein Vater war als Angehöriger der polnischen Volksgruppe in den deutschen Ostgebieten deutscher Staatsbürger, seine Mutter war Spanierin. Als sein Motto gilt: „Das Elend ist nicht unabänderlich; es wird von Menschen verursacht, und die Menschen können es auch überwinden.“ Auf seine Anregung geht der 1992 von der UNO eingeführte „Internationale Tag für die Beseitigung der Armut“ zurück. Ein Seligsprechungsverfahren wurde eingeleitet; Anm. der Redaktion |
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Diese abgeschmackte sozialistische Schwarzweißmalerei vom edlen Armen und vom bösen Reichen, der sich grundsätzlich immer erst bekehren muss, würde ich nicht einmal einem Dorfpfarrer durchgehen lassen, mit Verlaub und in aller Wertschätzung für unsere hervorragenden Dorfpfarrer.