
(Damaskus) Ein islamischer Selbstmordattentäter verübte während des orthodoxen Pfingstfestes einen Anschlag in der syrischen Stadt Qamischli. Das Ziel des Attentats war Ignatius Ephräm II. Karim, der Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient der Syrisch-Orthodoxen Kirche. Während der Patriarch unverletzt blieb, wurden drei Menschen getötet und mehrere verletzt.
Der Anschlag wurde während des Gedenkens verübt, mit dem des türkischen Völkermord an den Christen am Beginn des 20. Jahrhunderts gedacht wurde.
Am gestrigen Sonntagvormittag zelebrierte Patriarch Ignatius Ephräm II. die Heilige Messe zum orthodoxen Pfingstfest in der St. Gabriel-Kirche in der Stadt Qamischli im Nordosten Syriens nahe der irakischen und der türkischen Grenze. Die Stadt ist eines der christlichen Zentren Syriens.
Türkisch-kurdischer Völkermord an den syrischen Christen (1915–1917)
Im Rahmen der Pfingstfeierlichkeiten segnete der Patriarch ein Denkmal, das an den von Türken und Kurden nicht nur an armenischen, und griechischen, sondern 1915–1917 auch an syrischen Christen verübten Genozid erinnert, der von den Christen aramäisch „Sayfo“ (Schwert) genannt wird. Der Völkermord an den Armeniern, dem 1,5 Millionen Christen zum Opfer fielen, ist einigermaßen bekannt. Kaum bekannt ist, daß damals von den Türken und ihren islamischen Helfern auch 750.000 syrische Christen und rund eine halbe Million griechische Christen ermordet wurden. Die Begriffe assyrische, syrische oder aramäische Christen werden häufig als Synonyme gebraucht, was sie nicht sind. Gemeint sind damit die Christen verschiedener Kirchen, die eine syrische oder neo-aramäische Sprache sprechen. Dazu gehören die syrisch-orthodoxe und die mit Rom unierte syrisch-katholische Kirche, aber ebenso die assyrische Kirche des Ostens und die mit Rom unierte chaldäisch-katholische Kirche, deren Gläubige historisch in der heutigen Türkei, im Irak, in Syrien, dem Libanon und dem Iran leben.

Die nebenstehende Karte zeigt das Siedlungsgebiet der assyrischen Christen vor dem türkischen Völkermord, also der Gläubigen der assyrischen Kirche des Ostens und der chaldäisch-katholischen Kirch gemeint. Im Süden und Westen der osmanischen Provinzen Van und Bitlis (den heutigen Südostprovinzen der Türkei) stellten sie mehr als 50 Prozent der Bevölkerung. Im Westen der Provinz Mossul (heutiger Nordirak) mehr als 30 Prozent, in der Provinz Diyarbekir (heutige Türkei) mehr als 20 Prozent, in der Provinz Aleppo mehr als 10 Prozent und in der Provinz Deyr Zor (beide heute Syrien) mehr als fünf Prozent. Die Zahlen beziehen sich nicht auf die Gesamtzahl der Christen in diesen Gebieten.
Die Nutznießer der Ermordung, Vertreibung und Zwangsislamisierung der Christen waren auch die Kurden, die den Türken bei den Massakern tatkräftig zur Hand gingen.
Selbstmordattentäter sprengte sich vor Kirche in die Luft
Tausende von Christen waren am Wochenende zu den Feierlichkeiten zusammengekommen. Die christlichen Milizen hatten die Gegend zwar frühzeitig zu sichern versucht. Gegen Selbstmordattentäter gibt es allerdings kaum wirkliche Sicherheit.
Laut Augenzeugenberichten versuchte der Attentäter in die Kirche einzudringen, wurde jedoch von Sicherheitskräften daran gehindert. Daraufhin sprengte er sich noch außerhalb der Kirche in die Luft. Dabei kamen drei Sicherheitskräfte, zwei Christen und ein Kurde, ums Leben. Mindestens fünf weitere Personen wurden verletzt. Insgesamt wurden in den vergangenen sechs Monaten vier Selbstmordattentate gegen die Christen von Qamischli verübt, bei denen insgesamt 27 Menschen getötet und mindestens ebensoviel Verletzte, der Großteil davon Christen.
Bisher gibt es keine Bekennerbotschaft. Der Islamische Staat (IS) hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach Selbstmordattentäter in der Gegend eingesetzt. Zuletzt hatte sich am 22. Mai ein Dschihadist im Bezirk in die Luft gesprengt und dabei fünf Menschen getötet. Die Christen und politische Beobachter schließen auch ein Attentat gegen das Gedenken an den Völkermord nicht aus. Das Thema ist unter den Türken und Kurden weitgehend tabu, wie die scharfen türkischen Reaktionen auf die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch den Deutschen Bundestag Anfang Juni zeigten.
UNO ergeht sich in „politischen Spielchen“, anstatt das „Monster zu bekämpfen“

Christliche Persönlichkeiten verurteilten das Attentat. Die Föderation der Aramäer forderte die „internationale Staatengemeinschaft auf, den Schutz der in ihrer Heimat verbliebenen Aramäer zu garantieren“. Man könne „die herzzerreißenden Tränen und die Hilfeschreie einer im Aussterben begriffenen Zivilisation und eines syrischen Volkes nicht ignorieren.“ Hunderttausende Aramäer haben „bereits ihr Land verlassen“, heißt es in der Erklärung weiter, Angehörige eines Volkes, das „für seine Anerkennung und für sein Überleben kämpft“.
Das Global Council der indischen Christen (GCIC) sprach in einer Erklärung von einem „brutalen Selbstmordangriff“, verübt von „islamisch-extremistischen Milizionären“, die das Oberhaupt der syrisch-orthodoxen Kirche treffen wollten. „Der tödliche Cocktail des islamischen Terrorismus verbreitet sich vom Nahen Osten aus schnell in Asien und Afrika, ohne auf wirklichen Widerstand zu stoßen“, während die UNO und andere internationale Institutionen, die gegründet wurden, um den Frieden zu fördern, sich in „politischen Spielchen“ erheben, anstatt „dieses Monster zu bekämpfen“, so GCIC.
Qamischli eine Gründung der Christen, die den Völkermord überlebten
Papst Franziskus behauptete am vergangenen Samstag in Rom, Selbstmordattentäter seien faktisch harmloser als „Tratsch und Geschwätz“, denn ein Selbstmordattentäter habe „zumindest die Tapferkeit“, sich selbst zu töten, während Tratsch und Geschwätz ein „Terrorismus“ sei, der andere zerstört, aber nicht sich selbst.
Die Christen im Nahen Osten, deren Angehörige durch islamische Selbstmordattentäter getötet oder zu Krüppeln gebombt wurden, werden dies anders sehen.
Die Stadt Qamishli war 1926 von assyrischen Christen gegründet worden, die den türkischen Völkermord überlebt hatten. Aus demselben Grund ließen sich auch mehrere Tausend Armenier in der Stadt nieder. Im Laufe der Zeit folgten zahlreiche Kurden und Araber. Vor Ausbruch des Krieges 2011 zählte die Stadt rund 200.000 Einwohner, davon waren fast 25 Prozent Christen.
Text: Asianews/Giuseppe Nardi
Bild: Asianews