Irrungen und Wirrungen des Kölner Kardinals


Ein Gast­kom­men­tar von Hubert Hecker.

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Kar­di­nal Rai­ner Maria Woel­ki hielt am Fron­leich­nams­tag 2016 eine dra­sti­sche Pre­digt vor dem Köl­ner Dom. Er stand dabei hin­ter einem Flücht­lings­boot von der Mit­tel­meer­in­sel Mal­ta. Das Boot einer Schlep­per­ban­de dien­te ihm als Kan­zel und Altar. Die Kern­sät­ze sei­ner Pre­digt lau­te­ten: Wer Men­schen im Mit­tel­meer ertrin­ken lässt, lässt Gott ertrin­ken – jeden Tag tau­send­fach. Wer Men­schen in Lagern zu Tode quält, quält Gott. Mit Hin­weis auf den Schleu­ser-Kahn sag­te der Kar­di­nal: Chri­stus sei mit­ten in die­sem Boot, das Men­schen über das Mit­tel­meer schleu­ste. Er sei in allen Flücht­lin­gen anzu­tref­fen. Ihr Schrei nach Gerech­tig­keit ist Got­tes Schrei.

Stirbt der Schöpfer mit seinen Geschöpfen?

In einer glo­ba­li­sier­ten Welt darf Woel­kis Satz­rei­he von den vie­len Toden Got­tes in Men­schen nicht an den Gren­zen Euro­pas halt machen. Etwa so: ‚Wer die Men­schen in den aktu­el­len Dür­re­ge­bie­ten der Welt ver­hun­gern lässt, lässt Gott ver­hun­gern.’ Und: ‚Mit der moder­nen Skla­ven­hal­tung welt­weit auf Bau­stel­len und Bor­del­len wird Gott ver­sklavt’. Oder: ‚Wer die mil­lio­nen­fa­che Tötung von unge­bo­re­nen Kin­dern zulässt, lässt Gott abtreiben.’

Bei sol­chen Sät­zen hat man das Gefühl von reli­giö­ser Pro­vo­ka­ti­on, mehr noch von Irrun­gen und Ver­wir­run­gen. Doch wel­che theo­lo­gi­schen Denk­feh­ler stecken dahinter?

In Kir­che und Kir­chen­ge­schich­te waren sol­che theo­lo­gi­schen Kon­struk­te bis­her nicht bekannt. In Woel­kis Pre­digt-Bei­spie­len wird der Tod von Men­schen mit dem Tod des Schöp­fers ineinsge­setzt.  Das steht im Wider­spruch zur bibli­schen Leh­re vom Schöp­fer­gott, der die Men­schen als sein Eben­bild geschaf­fen hat. Der fun­da­men­ta­le Wesens­un­ter­schied zwi­schen Schöp­fer und Geschöpf schließt aus, dass bei der Tötung des Abbil­des auch das gött­li­che Urbild ver­blu­ten soll – wie etwa im Voo­do-Kult geglaubt.

Keine seinsmäßige Identität von Christus und Migranten

Nicht min­der irri­tie­rend ist die behaup­te­te Iden­ti­tät von Chri­stus mit allen Migran­ten. Kann sich die­se The­se auf die bibli­sche Gerichts­re­de beru­fen? In der bekann­ten Geschich­te bei Mat­thä­us recht­fer­ti­gen sich die Ver­wor­fe­nen auf der lin­ken Sei­te damit, dass sie doch an Chri­stus geglaubt und ihn als Herrn ver­ehrt hät­ten. Der Rich­ter ant­wor­tet ihnen: Was ihr den Gering­sten mei­ner Brü­der nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan. Das heißt: Der (evan­ge­li­sche) ‚Glau­be allein’ reicht nicht, die Wer­ke der Barm­her­zig­keit müs­sen zur Recht­fer­ti­gung dazu­kom­men. Der Gerichts­spruch mahnt die täti­ge Näch­sten­lie­be an. Dabei hilft die Ana­lo­gie des Hilfs­be­dürf­ti­gen mit Jesus. Eine onto­lo­gi­sche Iden­ti­tät erbar­mungs­wür­di­ger Men­schen mit dem Got­tes­sohn wider­spricht aber der Leh­re Chri­sti, nach  der die Näch­sten­lie­be von der pri­mä­ren Got­tes­lie­be unter­schie­den wird. Doch genau die­se Unter­schei­dung wol­len moder­ni­sti­sche Theo­lo­gen und Kle­ri­ker ver­wi­schen. Dabei kommt es dann zu sol­chen Aus­sa­gen, dass die Got­tes­lie­be in der Näch­sten­lie­be aufgehe.

Ehrfurcht vor dem Boot: Sakralisierung des Banalen

Kardinal Woelki stößt auf die Reise mit dem Boot von Malta nach Köln an
Kar­di­nal Woel­ki stößt auf die Rei­se mit dem Boot von Mal­ta nach Köln an

Wenn im hil­fe­be­dürf­ti­gen Näch­sten nicht mehr die lei­den­de Krea­tur, son­dern Gott selbst gese­hen wird, dann bedeu­tet das eine sakra­le Über­hö­hung der Men­schen und ihrer Wer­ke. Mehr­fach ist in der Pre­digt des Köl­ner Erz­bi­schofs die Ten­denz zur Sakra­li­sie­rung der Men­schen­welt erkenn­bar. Er über­höht das Schleu­ser­boot zu einem Ort der Gegen­wart Got­tes. Der alte Kahn wird zu einem christ­li­chen Altar erklärt. Damit wird ein bana­les Men­schen­werk sakra­li­siert und zugleich das Hei­li­ge bana­li­siert. Denn es gibt nur den einen kirch­li­chen Altar: der geweih­te Reli­qui­en­schrein als Sym­bol für den gestor­be­nen, begra­be­nen und auf­er­stan­de­nen Chri­stus. Auf die­sem Opfer­stein setzt der Prie­ster in per­so­na Chri­sti den ein­ma­li­gen Erlö­sungs­tod des Herrn in sakra­men­ta­ler Wei­se gegen­wär­tig. Ein Boot oder ein Schleu­ser­kahn ist kein Sym­bol für unse­re Erlö­sung. Oder ist Jesus beim Sturm auf dem See Gene­za­reth für unse­re Sün­den ertrunken?

Sakramentalisierung der Migranten

Auch den Flücht­lin­gen selbst wird ein sakral-sakra­men­ta­ler Cha­rak­ter zuge­spro­chen: So wie in der Gestalt des eucha­ri­sti­schen Bro­tes der gekreu­zig­te Jesus im Glau­ben erkannt wer­de, so sol­len die Gläu­bi­gen in den Gesich­tern der Flücht­lin­ge die Wun­den des Gekreu­zig­ten wahr­neh­men, sag­te der Kar­di­nal. Hin­ter­grund für die­se Argu­men­ta­ti­on ist die moder­ni­sti­sche Leug­nung der Got­tes­sohn­schaft Jesu Chri­sti sowie sei­nes Erlö­sungs­to­des für unse­re Sün­den.  Danach hät­te Jesu Kreuz­weg und Tod kei­ne Heils­be­deu­tung. Sie wären nur eine mensch­li­che Com­pas­si­on mit allen Gequäl­ten und Ster­ben­den die­ser Welt. Deren Lei­den wären dann mit Chri­sti Pas­si­on grund­sätz­lich gleich­be­deu­tend. Inso­fern könn­ten sich die Lei­den der Men­schen und die Lei­den Chri­sti gegen­sei­tig spiegeln.

Mit die­ser Ent­gött­li­chung Jesu Chri­sti geht eine Ver­gött­li­chung der Men­schen ein­her. Nur wenn Gott sich in alle Men­schen inkar­niert, ist Woel­kis Behaup­tung stim­mig, dass Gott in allen Flücht­lin­gen anzu­tref­fen sei. Dazu hat Karl Rah­ner ein Denk­mo­dell erson­nen: Die Inkar­na­ti­on Got­tes in dem Men­schen­sohn sieht er als blei­ben­den Anfang der Ver­gött­li­chung (der Mensch­heit und) der Welt im Gan­zen (Zitat aus Rah­ners ‚Kurs­buch des Glau­bens’). Die Gott­mensch­lich­keit Jesu Chri­sti kom­me allen Men­schen zu. Des­halb wer­de alle Theo­lo­gie auf ewig Anthro­po­lo­gie sein, maß­te sich der Jesu­it an zu behaupten.

Sol­che irren Pre­digt-Sät­ze wie die von Woel­ki fal­len nicht vom Him­mel. Sie sind die Aus­wüch­se einer irren­den Theo­lo­gie, die seit Jahr­zehn­ten in den Köp­fen von Kir­chen­leu­ten wuchert.

Das tolle Boots-Event drückt die Fronleichnamsprozession in den Hintergrund

Das Köl­ner ‚dom­ra­dio’ berich­te­te, der Auf­tritt Woel­kis hin­ter dem Schleu­ser­boot sei beklatscht wor­den. Das Boots-Spek­ta­kel hät­te vie­le Gläu­bi­ge beein­druckt: Ein Sym­bol, das in unse­re Zeit passt. Der opti­sche Ein­druck war sehr ein­dring­lich. Ein Mit­fei­ern­der mein­te: Ist mal was ganz ande­res. Ich fin­de das toll. Ich habe ein schö­nes Bild gemacht und neh­me das mit nach Hau­se.

Das tol­le Boots-Event hat die Fron­leich­nams­pro­zes­si­on in den Hin­ter­grund gedrückt

Was soll nun mit dem Schleu­ser­boot wei­ter gesche­hen? Nach der Sakra­li­sie­rung als Fron­leich­nams­al­tar soll­te es als Sakra­men­ta­lie im Dom instal­liert wer­den. Doch in der Brei­te pass­te es nicht durch eines der Dom­por­ta­le. Und aus Ehr­furcht vor dem Boot (sic!) woll­te man es nicht zer­schnei­den und nach­her wie­der zusam­men­set­zen. Inzwi­schen hat man den alten Kahn – breit­sei­tig auf­ge­stellt – in den Dom gezo­gen. Dort soll er in der Nord­turm-Hal­le den Gläu­bi­gen zur ehr­fürch­ti­gen Anschau­ung prä­sen­tiert werden.

Text: Hubert Hecker
Bild: Express​.de (Screen­shots)

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