(Paris) Kardinal Philippe Barbarin, der Erzbischof von Lyon und Primas von Gallien, wurde heute von der Polizei einvernommen. Dabei geht es um den Vorwurf, der Kardinal könnte einen 25 Jahre zurückliegenden sexuellen Mißbrauch eines Priesters vertuscht haben.
Seit Wochen steht der Kardinal im Blitzlichtgewitter der französischen Presse. Wegen seines Ranges in der Katholischen Kirche berichten auch internationale Medien. Barbarin wurde als Zeuge gehört. Gegen ihn wurde keine Anklage erhoben.
Die Medien scheinen eine Anklage jedoch geradezu herbeischreiben zu wollen. Die sozialistische Staatssekretärin Juliette Méadel forderte bereits seinen Rücktritt. Die Vorverurteilung eines Kirchenführers fällt in Regierungskreise nicht schwer. Das Klima in Frankreich ist seit der sozialistischen Regierungsübernahme angeheizt. Kardinal Barbarin hatte sich deutlich gegen die Legalisierung der „Homo-Ehe“ ausgesprochen.
Die juristische Frage ist kompliziert. Der Priester Bernard Preynat wurde im vergangenen Januar angeklagt, sich zwischen 1986 und 1991 an mehreren Kindern vergangen zu haben.
Kardinal Barbarin versichert, keinen sexuellen Mißbrauch gedeckt zu haben. Er wurde erst 2002 Erzbischof von Lyon, also viele Jahre nach dem letzten Preynat zur Last gelegten Übergriff.
Der „Skandal“ wurde von den Medien rund um die Frage aufgezogen, wann der Kardinal von den Vorfällen erfahren habe. Preynat war bis 2015 in der Erzdiözese tätig. Die Diözese hatte ihn im Herbst des Vorjahrs zur Anzeige gebracht.
Laut Medienberichten hätten sich die Antworten der Diözese im Laufe der Zeit geändert. Zunächst habe Kardinal Barbarin erklärt, 2014 einen ersten Kontakt mit einem mutmaßlichen Opfer gehabt zu haben. Später sagte er, 2007/2008 erste Gerüchte durch Dritte gehört zu haben. Die Zeitfrage steht nun im Blickfeld, weil es um Verjährungsfristen für das Delikt der Vertuschung geht.
Das Motu proprio von Papst Franziskus zur Absetzung von Bischöfen
Das am vergangenen Samstag von Papst Franziskus erlassene Motu proprio, das dem Papst umfassende Möglichkeiten einräumt, Bischöfe und Ordensobere abzusetzen, wird seither im Zusammenhang mit dem Fall Barbarin gesehen.
Der Kardinal hatte am vergangenen 25. April bei einer Priesterversammlung seiner Diözese „Fehler bei der Amtsführung“ durch die Ernennung einiger Priester eingeräumt. Genau diese Formulierung findet sich im Motu proprio von Papst Franziskus wieder.
Die Opfer von Preynat haben sich in der Vereinigung La Parole Libérée (Reden befreit) zusammengeschlossen und behaupten, auch Kardinal Barbarin habe die frühere Linie verfolgt, die in der Kirche gegolten habe, daß man über solche Vorfälle schweigen soll. Sechs von ihnen haben gegen den Kardinal Anzeige erstattet und damit die Ermittlungen gegen den Kardinal losgetreten, die heute zu seiner Einvernahme führten.
Der Fall Preynat war im Oktober 2015 durch die Anzeige der Diözese ins Rollen gekommen. Seither wurden Ermittlungen gegen weitere Priester des Erzbistum eingeleitet, weil durch die Medienberichte weitere Anschuldigungen erhoben wurden. Schuldsprüche gab es bisher keine.
Am kommenden Freitag wird sich das zuständige Gericht mit der Verjährungsfrage im Fall Preynat befassen. Sollte vom Gericht die Verjährung bestätigt werden, dürfte eine Anklage gegen den Kardinal hinfällig sein. Der Fall löste jedoch soviel Wirbel auf, und trifft in Frankreich auf ein zum Teil kirchenfeindlichen Milieu, daß nicht alle Juristen diese Meinung teilen.
Bisher wurde ein Bischof in Frankreich wegen Vertuschung eines sexuellen Mißbrauchsfalls verurteilt. Das war Msgr. Pierre Pican, der 2001 zu drei Monaten bedingter Gefängnishaft verurteilt wurde.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL (Screenshot)