
von Ferdinand Boischot
Am 18. Februar 2016, auf dem Rückflug von Mexiko nach Rom, gab Papst Franziskus ausgewählten Journalisten ein aufsehenerregendes Interview.
Angesprochen auf die Thematik von Abtreibung und den Einsatz von Verhütungsmitteln bei der Infektion mit dem Zika-Virus sagte Franziskus:
„Paul VI. – ein großer! – hat in einer schwierigen Situation in Afrika den Ordensschwestern erlaubt, im Fall von Vergewaltigung Verhütungsmittel zu verwenden“, zitiert nach der offiziellen Seite des Heiligen Stuhls.
Diese Aussage hat zu sehr kritischen Kommentaren von katholischen Moralphilosophen und Theologen geführt und hat viele Gläubige verwirrt.
Schlimmer jedoch: Diese Aussage ist schlicht und einfach unwahr.
Daß mit „der schwierigen Situation in Afrika“ auf die Gefahrenlage im vormaligen Belgisch-Kongo angespielt wird, ist allen Betrachtern klar.
Es kommen in der Geschichte des ehemaligen Belgisch-Kongo zu dieser Problemstellung („Vergewaltigungen von Nonnen“) nur drei Perioden in Betracht:
Juli 1960-September 1960
Sofort nach der Entlassung des belgischen Kongos in die Unabhängigkeit am 1. Juli 1960 und besonders nach Schüssen in der Hafenstadt Matadi kam es zu einer breiten Welle von Gewalt, zu Plünderungen, Angriffen gegen Weiße, Vergewaltigungen und Tötungen.
Diese Gewaltexplosion war besonders stark in den Provinzen Kasai, Nordost (Uele) und lokal unterschiedlich um die Hauptstadt Léopoldville herum (mit einer großen Dichte von Weißen). In der erzreichen Provinz Katanga im Südosten blieb es ruhig.
Innerhalb von vier Wochen flohen in Panik 30.000 Belgier aus dem Kongo, größtenteils mit dem Flugzeug, mit dem Auto über den Kongostrom nach Congo-Brazzaville, oder via Katanga nach Südafrika und mit der wöchentlichen Schiffsverbindung nach Antwerpen.
Es wurden nachweislich auch Schwestern und Nonnen vergewaltigt (weißer und schwarzer Hautfarbe ohne Unterschied. Es gibt eine Meldung, daß die zwei ältesten, vergewaltigten Nonnen 80 Jahre alt gewesen seien und italienischer Herkunft).
Genaue Ziffern gibt es keine: Die Augenzeugenberichte und Erklärungen, vom belgischen Staat damals angefordert, sind bis jetzt unter Verschluß.
Die Orden und die Kirche nahmen damals nicht dazu Stellung.
In der belgischen Presse wurde über die Greueltaten an Frauen kaum berichtet.
Ausländische Presseorgane schrieben, daß die Berichte über Vergewaltigungen zwar sehr intensiv kolportiert werden, aber recht wenige Fälle direkt bekannt seien.
Es gab jedoch sehr viele freiwillige Helfer und Pflegepersonal, deren Erinnerungen wertvoll sind.
Allererste Sorge war die Bergung der Opfer, die Stabilisierung und der sichere Transport, Reinigung, Desinfizierung und Wundversorgung, und die Behandlung und die Postexpositionsprophylaxe von Krankheiten.
Die Opfer wurden mit sehr viel Empathie versorgt.
In der Folge wurden mehrere Missionsposten aufgegeben und teilweise verlegt.
Die meisten Missionsstationen blieben in den Monaten und Jahren darauf jedoch weiter funktionierend und waren in 1964 noch gut besetzt, teils mit vielen jungen, schwarzen Novizen und Schwestern, was doch bestimmte Rückschlüsse auf die (eher geringe) Prävalenz der Vergewaltigungen von Schwestern in 1960 zuläßt.
Antikonzeptionspillen kamen in Belgien erst im Sommer 1960 auf den Markt.
Von Papst Johannes XXIII. sind keine Äußerungen über die Kongo-Probleme und die armen, vergewaltigten Nonnen bekannt. Daß damals ganz neuartige gynäkologische Präparate im Kongo aufgetaucht seien bzw. ihre Anwendung dort vor Ort diskutiert worden sei, ist äußerst unwahrscheinlich.
Papst Johannes XXIII. war damals schon krank. Weltkirchlich stand die Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils ganz im Vordergrund.
Paul VI. hatte damit nichts zu tun. Er wurde erst 1963, drei Jahre später, gewählt.
November 1964-Mai 1965
Nach einem Staatsstreich in Kinshasa (früher: Léopoldville) riefen Gizenga und Gbenye die „Volksrepublik Ostkongo“ aus und sammelten die Weißen in Kasai und Kasi als Geiseln gegen eine Intervention in Kisangani (früher: Stanleyville).
In der Operation „Dragon Rouge“ (Roter Drachen) sprangen in einer großen Kommandoaktion am 24. November 1964 belgische Fallschirmjäger über Kisangani ab. Sie nahmen das Flugfeld und die Stadt ein und befreiten die dortige Geiseln (2.300 Personen lebend gerettet). Es gab 60 Tote, 350 weitere Personen wurden exekutiert.
Eine kleinere Gruppe von Geiseln (Schwestern und Missionare) auf dem nicht befreiten linken (südlichen) Ufer der Lualaba wurde von den „Simbas“ schwer mißhandelt, gefoltert und dann mit Gewehrschüssen und Messerstichen getötet (16 Schwestern und Nonnen). Ein schwerverletzte Pater und drei Brüder konnten fünf Tage später gerettet werden.
Sieben Schwester der Soeurs de la Doctrine Chrétienne, vier Dominikanerinnen des Heiligen Rosenkranzes, drei Schwestern der Heiligen Elisabeth und zwei Franziskanerinnen-Missionarinnen starben. Sie waren zwischen 31 und 58 Jahren alt.
Am 26. November 1964 wurde eine ähnliche Kommandooperation auf Paulis (Isarto), Hauptstadt der Provinz Ulue (Nordost), ausgeführt, die den Namen „Dragon vert“ (Grüner Drachen) trug. Bei Isiro wurden 50 Schwestern umgebracht, darunter Sr. Marie Clémentine Anuarite Nengapeta (1939–1964), die sich einer Vergewaltigung bis zum Äußersten widersetzte. Ihr wurde die Kehle durchgeschnitten.
Sr. Nengapeta wurde als erste schwarze Ordensfrau und Märtyrerin des Kongos seliggesprochen.
Weitere große Massaker fanden statt in Wamba (wurden Bischof Wittebols, 7 Priester der Missionare des Hl. Herzens, 2 Missionsärzte und 20 weitere Opfer ermordet), in Bafwasende (6 Priester und 1 Bruder ermordert, 11 Schwestern mißhandelt, aber am 19. Dezember 1964 befreit), in Watsa (38 Tote, alle weiß) und in Buta (am 30. Mai 1965) (Missionare von Scheut: 31 Tote).
Insgesamt forderten die Unruhen sehr viele Tote, Unmengen an Gewalt und Erniedrigungen, an Blut und Leid. Von ungewollten Schwangerschaften bzw. Empfängnisverhütung ist allerdings nirgends etwas zu lesen.
Totgeschwiegene Märtyrer
Diese Ereignisse sind sehr gut dokumentiert, sowohl in militärischen Berichten als auch in Mitteilungen und Briefen der Missionsstationen und der Missionsorden.
Militärisch war diese schwierige Kommandooperation äußerst gelungen.
International erntete Belgien hingegen sehr viel Protest von Ländern der Dritten Welt und vom Ostblock.
In jener äußerst instabilen und sehr gefährlichen Atmosphäre wurden in der Folge die meiste Missionsposten sehr schnell geräumt.
Die belgischen Missionare verlegten ihre Aktivitäten größtenteils nach Asien und Süd- und Nordamerika.

Viele missionarische Gesellschaften haben sich von dieser Katastrophe nicht mehr erholt.
Der Niedergang des katholischen Lebens in Belgien, vor allem in Flandern, ist nicht zuletzt mit darauf zurückzuführen.
Aussagen von Papst Paul VI. zu jenen Ereignissen von 1964/1965 sind nicht bekannt.
Am 14. November 1964 fing die sogenannte „Schwarze Woche“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, die „Settimana nera“ an, welche alle Aufmerksamkeit in der Kirche forderte.
Interessant ist jedoch, daß der belgische Kardinal Léon-Joseph Suenens, Erzbischof von Mecheln-Brüssel, von sehr modernistischer Gesinnung und einer der vier Moderatoren des Konzils, bei einer Reise in die USA am 7. Mai 1964 (also etwa ein halbes Jahr VOR der den Massakern) einen Vortrag hielt: „The nun in the world“ („Die Ordensfrau in der Welt“). Er sprach dabei sehr offen über Verhütung, Zölibat usw., und wohl sehr modernistisch.
Es ging dabei überhaupt nicht um Vergewaltigung, sondern um Sex.
Der nachfolgende Sturm der Entrüstung (inklusiv Kardinal Ottaviani) war so gewaltig, daß Suenens am 21. Juni 1964 Papst Paul VI. einen Brief schrieb, um sich zu rechtfertigen.
Am 23. Juli 1964 gab Paul VI. wegen der großen Verwirrung an der Kirchenspitze durch die Suenens-Aussagen zur Verhütung eine Erklärung ab, daß alle Normen von Papst Pius XII. diesbezüglich gültig blieben (Fonds Suenens 274).
März 1977- Mai 1978
In März 1977 fielen katangische Gendarmen in die zairischen Provinzen Kasai und Shaba ein. Im April 1977 wurde diese Invasion durch französische und marokkanische Truppen und mit belgischer, französischer und US-amerikanischer Luftunterstützung zurückgeschlagen. Über Vergewaltigungen von Frauen bzw. von Ordensfrauen läßt sich nichts finden.
In Mai 1978 fiel die FNLC (Front National pour la Libération du Congo) erneut in Shaba (früher: Katanga) ein und besetzte die Bergbaustadt Kolwezi. Das technische Kaderpersonal, Weiße und zairisches Staatspersonal wurden als Geisel genommen.
Es kam teils sehr unterschiedlich zu Terror, Mißhandlung, Vergewaltigung und Mord.
Belgien entsandte in der Operation „Red Bean“ 1.200 Fallschirmjäger (1. und 2. Paracommando, 13. Cie, Mörser des 2. Cdo, zusätzlich ATC und Recce), Frankreich das 2. Regiment der Fremdenlegion.
Rund 2.300 Geiseln wurden gerettet, ein Soldat fiel, ca. 90 bis 280 Personen (davon 170 Europäer) starben.
Nach einem Augenzeugenbericht seien „in einer Allee alle Frauen dort vergewaltigt worden“. Über Nonnen und Missionare wurde nichts publiziert.
Der übergroße Teil der Geretteten war übrigens männlich.
Eine Reaktion von Papst Paul VI. ist nicht bekannt.
Dies wäre allein deshalb schon unwahrscheinlich, weil sich gleichzeitig in Italien die lang dauernde Entführung des christdemokratischen Ministerpräsidenten Aldo Moro, eines sehr guten Freundes von Papst Paul VI., abspielte. Die Entführung endete am 9. Mai 1978 mit der Ermordung Moros durch die Roten Brigaden (BR)
Dieser Mord setzte Papst Paul VI. seelisch und körperlich schwer zu. Vier Monate später verstarb der Papst.
Fazit
In diesen drei besonders kritischen Perioden habe ich trotz sorgfältiger Suche nichts über eine Genehmigung durch den Papst von Verhütungspillen für Ordensfrauen finden können.
Dies korrespondiert mit dem Befund der heuristischen Untersuchung des amerikanischen Priesters John Zuhlsdorf (Fr. Z’s Blog vom 20.02.2016, ebenso Stramentarius vom 22.02.2016).
Tatsächlich geht die am Anfang erwähnte, von Papst Franziskus erzählte Geschichte auf einen Artikel in Studi Cattolici Nr. 27/1961 zurück: „Una donna domanda: come negarsi alla violenza? Morale esemplificata. Un dibattito“ (Eine Frau fragt: Wie kann man sich der Gewalt verweigern?) von P. Palazzini, Francis Xavier Hurth SJ und Fernandino Lambruschini.
Darin geht es um hypothetische Überlegungen betreffend die (damals neuartigen) Verhütungspräparate und gefährdete Frauen. Das war noch unter Papst Johannes XXIII.).
Dieser Artikel wurde dann Anfang der 90er Jahre aus der Versenkung geholt und vom Jesuiten Giacomo Perico (1911–2000) in der modernistischen Jesuitenzeitschrift Civilta Cattolica (vol. III, Quaderno 3433, 3 luglio 1993) referiert und – besonders plakativ – mit dem Namen von Papst Paul VI. (in glaubenskritischen Kreisen und nach der Enzyklika Humanae vitae auch als „Pillen-Paul“ verunglimpft) und mit Afrika und Ordensschwestern verknüpft, damit das Ganze knackiger würde.
Der Artikel von 1993 ist eine bösartige Mischung von uralten Gegensätzen Mann-Frau, Gewalt gegen Reinheit, Sex zwischen Schwarz und Weiß, Zulässigkeit von künstlicher Verhütung, faktischer Relativismus bei hypothetischer und als real vorgespiegelter Gefahr, und das alles noch gewürzt mit dem Namen von Papst Paul VI. Kurzum, es handelt sich um ein übelmachendes Fake, das auf hypothetische Überlegungen von drei Theologen des Jahres 1961 zurückgeht und erst dreißig Jahre später von Modernisten aufgewärmt und völlig unzutreffend, daher böswillig mit Papst Paul VI. verknüpft wurde.
Ob Paul VI. ein „großer“ (Papst) war, darüber muß einmal die Geschichte urteilen.
Aber die plakative Aussage, daß Ordensschwestern (Nonnen) im Falle von drohender Vergewaltigung Verhütungsmittel verwenden dürften, hat er nicht gemacht.
Das ist ein Konstrukt, eine Unwahrheit, und das zu einem fundamentalen Punkt unserer Zeit.
Die Jesuiten und die Zuarbeiter von Papst Franziskus, übrigens selbst ein Jesuit, hätten dies wissen sollen.
Diese Aussage, diese Geschichte geht diametral gegen den Weg, die Wahrheit und das Leben.
Text: Ferdinand Boischot
Bild: Belgisch-Kongo/Wikicommons
Unser Bisschof Bekkers von Den Bosch hat in 1963 ins Fernsehen gesagt dass die Pille zugelassen ist,obwohl er doch wusste dass Papst PaulusVI diese verboten hatte. Und er hat Nonnen arbeiten lassen in der Organonfabrik in Oss, wo die Pille hergestellt wurde, um die Pillen in Schachtel zu verpacken. Ich finde das unglaublich! Aber viele Hollaender finden diesen sehr progressiven Bisschof deshalb sehr gut, wegen seine Propagierung der Pille.
Durch bewusste Verdrehung der Fakten gelingt es einigen Kirchenvertretern immer wieder, Gift in die Herzen der Menschen zu streuen! Wehe aber jenen, die andere zum Bösen verführen!