„Eine Interpretation von Amoris Laetitia aus der Tradition ist nicht möglich“ – Interview mit Abbé Claude Barthe


Abbé Claude Barthe: Kapitel VIII von Amoris Laetitia ist mit der kirchlichen Überlieferung unvereinbar
Abbé Claude Barthe: Kapitel VIII von Amoris Laetitia ist mit der kirchlichen Überlieferung unvereinbar

(Rom) Der fran­zö­si­sche Prie­ster Abbé Clau­de Bar­the war einer der Ersten, der bereits am 8. April, dem Tag der Ver­öf­fent­li­chung, zum Apo­sto­li­schen Schrei­ben Amo­ris Lae­ti­tia Stel­lung nahm. Der Theo­lo­ge ist Autor zahl­rei­cher Bücher, unter ande­ren von La mes­se, une forêt de sym­bo­les (Die Mes­se, ein Wald an Sym­bo­len), Les roman­ciers et le catho­li­cis­me (Die Roman­au­to­ren und die Katho­li­zi­tät) und Pen­ser l’œcuménisme autre­ment (Die Öku­me­ne anders den­ken). Der Histo­ri­ker und katho­li­sche Den­ker Rober­to de Mat­tei führ­te für Cor­ri­spon­den­za Roma­na ein Inter­view mit Abbé Bar­the, um sei­ne Ana­ly­se zu vertiefen.

Anzei­ge

Prof. de Mat­tei: Abbé Bar­the, es inter­es­siert uns sehr, Ihnen das Wort zu geben, weil Sie in Ihrer Reak­ti­on auf Amo­ris Lae­ti­tia nicht wie ande­re in einem ersten Moment ver­sucht haben, das Apo­sto­li­sche Schrei­ben anhand eines tra­di­tio­nel­len Rasters zu lesen, und wir Ihre Les­art teilen.

Abbé Clau­de Bar­the: Ich kann ehr­li­cher­wei­se nicht erken­nen, wie man das Kapi­tel VIII des Schrei­bens im Sin­ne der über­lie­fer­ten Leh­re inter­pre­tie­ren könn­te. Es hie­ße, dem Text Gewalt anzu­tun und die Absicht der Redak­teu­re nicht zu respek­tie­ren, die ein neu­es Ele­ment ein­füh­ren wol­len: „Daher ist es nicht mehr mög­lich zu behaup­ten …“ (AL, 301).

Prof. de Mat­tei: Und doch ist das, was im Apo­sto­li­schen Schrei­ben gesagt wird, nicht so neu.

Abbé Clau­de Bar­the: Sie haben recht, es ist nicht neu von sei­ten der theo­lo­gi­schen Pro­test­be­we­gung. Seit dem Kon­zil, unter Paul VI. und Johan­nes Paul II., war das gro­ße Unter­fan­gen der Pro­test­theo­lo­gen in erster Linie der Angriff gegen Hum­a­nae vitae mit Hil­fe von Büchern, „Erklä­run­gen“ von Theo­lo­gen und Kon­gres­sen. Gleich­zei­tig spiel­te die For­de­rung der Kom­mu­ni­on für die „wie­der­ver­hei­ra­te­ten“ Geschie­de­nen (und auch die Homo­se­xu­el­len als Paar und die Zusam­men­le­ben­den), wür­de ich sagen, eine sym­bo­li­sche Rol­le. Man muß wis­sen, daß es seit lan­gem die Pra­xis sehr vie­ler Prie­ster in Frank­reich, Deutsch­land, der Schweiz und vie­len ande­ren Orten ist, die „wie­der­ver­hei­ra­te­ten“ Geschie­de­nen zur Kom­mu­ni­on zuzu­las­sen, und ihnen auch die Los­spre­chung zu geben, wenn die­se sie wünschen.

Die bekann­te­ste Unter­stüt­zung für die­se For­de­rung kam durch einen Hir­ten­brief vom 1. Juli 1993 der ober­rhei­ni­schen Bischö­fe Sai­er, Leh­mann und Kas­per mit dem Titel: „Zur seel­sorg­li­chen Beglei­tung von Men­schen aus zer­bro­che­nen Ehen, Geschie­de­nen und Wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen“. Dar­in ging es um „den Respekt vor einer Gewis­sens­ent­schei­dung“. Er ent­hielt unter ande­rem exakt die Anord­nun­gen des aktu­el­len Apo­sto­li­schen Schrei­bens: in der Theo­rie kei­ne gene­rel­le Zulas­sung zur Kom­mu­ni­on, son­dern die Aus­übung einer Unter­schei­dung mit dem Prie­ster, um zu sehen, ob die neu­en Part­ner „sich durch das eige­ne Gewis­sen auto­ri­siert sehen, zum Tisch des Herrn zu tre­ten“.  In Frank­reich haben eini­ge Bischö­fe (Cam­brai, Nan­cy) die Akten von Diö­ze­san­syn­oden ver­öf­fent­licht, die in die­sel­be Rich­tung gehen. Kar­di­nal Mar­ti­ni, Erz­bi­schof von Mai­land, hat­te in einer am 7. Okto­ber 1999 an die Voll­ver­samm­lung der Bischofs­syn­ode über Euro­pa gehal­te­nen Rede, die ein regel­rech­tes Pro­gramm für ein Pon­ti­fi­kat war, eben­falls Ände­run­gen der Sakra­men­ten­ord­nung gefordert.

Und tat­säch­lich geht man in Frank­reich, in Bel­gi­en, in Kana­da und den USA sogar noch wei­ter: Eini­ge Prie­ster, sogar rela­tiv vie­le, zele­brie­ren für Zweit­ehen eine klei­ne Zere­mo­nie, ohne daß die Bischö­fe sie dar­an hin­dern. Eini­ge Bischö­fe ermu­ti­gen die­se Pra­xis sogar, wie es Msgr. Armand le Bour­geois, der ehe­ma­li­ge Bischof von Autun in sei­nem Buch „Chré­ti­ens divor­cés rema­riés“ (Wie­der­ver­hei­ra­tet geschie­de­ne Chri­sten, Des­clée de Brou­wer, 1990) getan hat. Die „Ordo­diö­ze­sa­nen“, wie jener der Diö­ze­se Auch, „regeln“ die­se Zere­mo­nie sogar, die dis­kret, ohne Glocken­ge­läut, ohne Seg­nung der Rin­ge usw. sein soll.

Prof. de Mat­tei: Tei­len Sie die Ein­schät­zung, daß Kar­di­nal Kas­per eine trei­ben­de Rol­le spielte?

Abbé Clau­de Bar­the: Am Anfang schon. Von Papst Fran­zis­kus kurz nach sei­ner Wahl als „gro­ßer Theo­lo­ge“ bezeich­net, berei­te­te er den Boden mit sei­ner Rede vor dem Kon­si­sto­ri­um vom 20. Febru­ar 2014, die gro­ßes Auf­se­hen erreg­te. Ab da wur­de die Sache mit gro­ßer Mei­ster­schaft in drei Etap­pen wei­ter­ge­führt: zwei Syn­oden­ver­samm­lun­gen im Okto­ber 2014 und im Okto­ber 2015, deren Berich­te die „Bot­schaft“ Kas­pers enthielten.

Zwi­schen den bei­den Syn­oden wur­de am 8. Sep­tem­ber 2015 der Geset­zes­text Mitis iudex Domi­nus Jesus ver­öf­fent­licht, des­sen Archi­tekt Msgr. Pin­to, der Dekan der Rota Roma­na ist, der das Ehe­nich­tig­keits­ver­fah­ren ver­ein­facht, vor allem weil es direkt vor dem Bischof statt­fin­det, wenn die Ehe­leu­te gemein­sam die Nich­tig­keit bean­tra­gen, und der allein dar­über ent­schei­den kann, da das dop­pel­te Urteil abschafft wur­de. Eini­ge Kir­chen­recht­ler spra­chen in die­sem Fall bereits von einer Annul­lie­rung durch gegen­sei­ti­gen Konsens.

Bei den Syn­oden bil­de­te sich eine Art von Lei­tungs­kern, die Cupo­la [das von Abbé Bar­the gebrauch­te ita­lie­ni­sche Wort bezeich­net die Füh­rungs­spit­ze einer mafiö­sen Orga­ni­sa­ti­on], rund um den sehr ein­fluß­rei­chen Kar­di­nal Bal­dis­se­ri, dem Gene­ral­se­kre­tär der Syn­ode, zusam­men mit Msgr. Bru­no For­te, Erz­bi­schof von Chie­ti-Vas­to und Son­der­se­kre­tär der Syn­ode, also die Num­mer Zwei, dazu Msgr. Fabio Fabe­ne, neu­es Mit­glied der Bischofs­kon­gre­ga­ti­on und Unter­se­kre­tär der Syn­ode, dann noch Kar­di­nal Rava­si, Vor­sit­zen­der des Päpst­li­che Kul­tur­ra­tes, der für die Bot­schaft der Syn­oden­ver­samm­lung zustän­dig war, und alle zusam­men auf­merk­sam unter­stützt von Msgr. Vic­tor Manu­el Fer­nan­dez, Rek­tor der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät von Argen­ti­ni­en, und vom Jesui­ten Anto­nio Spa­da­ro, Chef­re­dak­teur der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift Civil­tà Cat­to­li­ca. Hin­zu kom­men noch wei­te­re ein­fluß­rei­che Per­so­nen, die alle dem Papst nahe­ste­hen wie der Bischof von Alba­no und C9-Kar­di­nals­rats-Sekre­tär Mar­cel­lo Semer­a­ro und Msgr. Vin­cen­zo Paglia, Vor­sit­zen­der des Päpst­li­chen Fami­li­en­ra­tes. Zu ihnen kam noch Kar­di­nal Schön­born, der Erz­bi­schof von Wien hin­zu, der Haupt­ver­ant­wort­li­che für den katho­li­schen Welt­ka­te­chis­mus, der bei der Syn­ode die Rol­le des Garan­ten über­nahm, daß der Text des Schluß­be­rich­tes schon ortho­dox sei, was Kar­di­nal Mül­ler abge­lehnt hat­te. Die­se gan­ze Mann­schaft lei­ste­te eine beacht­li­che Arbeit, um das ange­streb­te Ziel zu erreichen …

Prof. de Mat­tei: Um nach der zwei­ten Syn­oden­ver­samm­lung einen Text von mehr als 250 Sei­ten vorzulegen …

Abbé Clau­de Bar­the: Auch schon vor­her … Der Text des nach­syn­oda­len Schrei­bens war in gro­ben Zügen bereits im Sep­tem­ber 2015, also schon vor Beginn der zwei­ten Bischofs­syn­ode über die Ehe und die Fami­lie, ausgearbeitet.

Prof. de Mat­tei: Sie haben von einem ange­streb­ten Ziel gespro­chen. Wel­ches genau?

Abbé Clau­de Bar­the: Es ist sehr gut mög­lich, daß es am Anfang die Absicht von Papst Fran­zis­kus war, nur einen „pasto­ra­len“ und „barm­her­zi­gen“ Pas­sier­schein zu gewäh­ren. Da die Theo­lo­gie aber eine stren­ge Wis­sen­schaft ist, muß­ten Grund­sät­ze ver­kün­det wer­den, die eine Gewis­sens­ent­schei­dung recht­fer­ti­gen, laut der Men­schen, die im öffent­li­chen Ehe­bruch leben, zu den Sakra­men­ten gehen kön­nen. Von Anfang an berei­ten zahl­rei­che Pas­sa­gen des Apo­sto­li­schen Schrei­bens die dok­tri­nel­le Aus­sa­ge des ach­ten Kapi­tels vor. Dar­in ist die Rede von „Situa­tio­nen der Schwä­che oder der Unvoll­kom­men­heit“ (AL, 296) und beson­ders von den Geschie­de­nen, die sich „in einer zwei­ten, im Lau­fe der Zeit gefe­stig­ten Ver­bin­dung, mit neu­en Kin­dern, mit erwie­se­ner Treue, groß­her­zi­ger Hin­ga­be, christ­li­chem Enga­ge­ment, mit dem Bewusst­sein der Irre­gu­la­ri­tät der eige­nen Situa­ti­on“ enga­gie­ren, „und gro­ßer Schwie­rig­keit, die­se zurück­zu­dre­hen, ohne im Gewis­sen zu spü­ren, dass man in neue Schuld fällt (AL, 298). In die­ser „unvoll­kom­me­nen“ Situa­ti­on (AL, 307), was das „voll­kom­me­ne Ide­al der Ehe“ betrifft, stellt das Apo­sto­li­sche Schrei­ben Regeln für eine „beson­de­re Unter­schei­dung“ (AL, 301) auf.

Das geschieht natür­lich mit der Hil­fe eines Prie­sters „im forum inter­num“ (für bei­de Part­ner der neu­en Ver­bin­dung?), das den Inter­es­sier­ten es erlau­be, ein kor­rek­tes Gewis­sen­s­ur­teil zu for­men (AL, 300). Die­ses Urteil (des Prie­sters?, der Part­ner mit der Erläu­te­rung des Prie­sters?) mache es auf­grund von „Bedingt­hei­ten oder mil­dern­der Fak­to­ren […] mög­lich, dass man mit­ten in einer objek­ti­ven Situa­ti­on der Sün­de – die nicht sub­jek­tiv schuld­haft ist oder es zumin­dest nicht völ­lig ist“ zu den Sakra­men­ten gehen kann (AL, 305). Es wird nicht gesagt, ob die­ses Urteil auch für die ande­ren Prie­ster gilt, die den Inter­es­sier­ten die Sakra­men­te spen­den sol­len. Jeden­falls muß gesagt wer­den, daß der Text sich nicht auf den Zugang zu den Sakra­men­ten fokus­siert, der in einer Fuß­no­te behan­delt wird, was einen ziem­lich ver­schäm­ten Ein­druck ver­mit­telt (Fuß­no­te 351).

Betont wird hin­ge­gen ein theo­lo­gi­sches Prin­zip, das im Para­gra­phen 301 zusam­men­ge­faßt ist, den es noch ein­mal zu zitie­ren gilt: „Daher ist es nicht mehr mög­lich zu behaup­ten, dass alle, die in irgend­ei­ner soge­nann­ten ‚irre­gu­lä­ren‘ Situa­ti­on leben, sich in einem Zustand der Tod­sün­de befin­den und die hei­lig­ma­chen­de Gna­de ver­lo­ren haben. Die Ein­schrän­kun­gen haben nicht nur mit einer even­tu­el­len Unkennt­nis der Norm zu tun. Ein Mensch kann, obwohl er die Norm genau kennt, gro­ße Schwie­rig­kei­ten haben‚ im Ver­ste­hen der Wer­te, um die es in der sitt­li­chen Norm geht‘,[339] oder er kann sich in einer kon­kre­ten Lage befin­den, die ihm nicht erlaubt, anders zu han­deln und ande­re Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, ohne eine neue Schuld auf sich zu laden.“

Ein Prin­zip, das wie folgt ana­ly­siert wer­den kann: 1) auf­grund kon­kre­ter Bedingt­hei­ten, wür­den Per­so­nen, die sich im „akti­ven“ öffent­li­chen Ehe­bruch befin­den und die Moral­vor­schrift ken­nen, die ihnen das ver­bie­tet, eine Schuld auf sich laden, wenn sie die­se Situa­ti­on ver­las­sen wür­de (beson­ders gegen­über den aus die­ser Ver­bin­dung gebo­re­nen Kin­dern); 2) Die Per­so­nen die im „akti­ven“ öffent­li­chen Ehe­bruch leben, wür­den dem­nach kei­ne schwe­re Sün­de bege­hen, wenn sie in die­sem Zustand verbleiben.

In Wirk­lich­keit sind die nega­ti­ven Fol­gen, die sich aus der Been­di­gung des ehe­bre­che­ri­schen Zustan­des erge­ben (die aus der unrecht­mä­ßi­gen Ver­bin­dung gebo­re­nen Kin­der wür­den unter der Tren­nung der Eltern lei­den) kei­ne neu­en Sün­den, son­dern die indi­rek­te Wir­kung einer tugend­haf­ten Hand­lung, näm­lich der Been­di­gung eines sünd­haf­ten Zustandes.

Natür­lich muß die Gerech­tig­keit respek­tiert wer­den, das gilt beson­ders für die Fort­set­zung der Erzie­hung der Kin­der aus der zwei­ten Ver­bin­dung, aber außer­halb eines sünd­haf­ten Zustan­des. Hier haben wir also einen fron­ta­len Gegen­satz mit der bis­he­ri­gen Leh­re, die Johan­nes Paul II. im Para­graph 84 von Fami­lia­ris con­sor­tio beton­te. Die­ser prä­zi­sier­te: Wenn schwer­wie­gen­de Moti­ve es ver­hin­dern, daß „Wie­der­ver­hei­ra­te­te“ das gemein­sa­me Leben unter einem Dach been­den, haben sie wie Bru­der und Schwe­ster zu leben. Im Gegen­satz dazu lau­tet der neue dok­tri­nel­le Vor­schlag: Unter bestimm­ten Bedin­gun­gen ist Ehe­bruch kei­ne Sünde.

Prof. de Mat­tei: Sie sag­ten, daß man den Glau­bens­in­stinkt nicht erken­nen könne?

Abbé Clau­de Bar­the: Das alles läßt sich nicht in Ein­klang brin­gen mit der natür­li­chen und der christ­li­chen Moral. Per­so­nen, die Kennt­nis von der mora­li­schen Norm haben, die sie sub gra­vi ver­pflich­tet (das gött­li­che Gebot, das Unzucht und Ehe­bruch ver­bie­tet), deren Sün­de kann nicht ent­schul­digt wer­den, und des­halb kann von ihnen auch nicht gesagt wer­den, daß sie sich im Stand der Gna­de befin­den. Der hei­li­ge Tho­mas von Aquin sagt in einer Quae­stio der Sum­ma theo­lo­gi­ca, die alle Mora­li­sten gut ken­nen, in der Quae­stio 19 von IA und IIæ: Es ist die Güte eines Objekts, das sich unse­rem Stre­ben stellt, die eine Wil­lens­hand­lung gut macht und nicht die Umstän­de der Hand­lung (Art. 2), und auch wenn es stimmt, daß die mensch­li­che Ver­nunft sich irren kann und eine schlech­te Hand­lung für gut hal­ten kann (Art. 5), sind eini­ge Feh­ler nicht ent­schuld­bar, beson­ders nicht jener, der miß­ach­tet, daß man sich nicht der Frau eines ande­ren nähern darf, da dies direkt vom Gesetz Got­tes ange­ord­net ist (Art. 6).

An ande­rer Stel­le, die eben­falls den Mora­li­sten wohl­be­kannt ist, im Quod­li­bet IX, Quae­stio 7, Art. 2 erklärt der hei­li­ge Tho­mas, daß die Umstän­de nicht den Wert einer Hand­lung ändern kön­nen, aber sei­ne Natur: die Tötung oder die Bestra­fung eines Straf­tä­ters gehört zur Gerech­tig­keit oder der legi­ti­men Ver­tei­di­gung. Es han­delt sich in die­sem Fall nicht um unge­rech­te Gewalt, son­dern um eine tugend­haf­te Hand­lung. Dem­ge­gen­über betont er, daß mit eini­gen Hand­lun­gen die Schlech­tig­keit untrenn­bar ver­bun­den ist, so bei der Unzucht, dem Ehe­bruch und ande­ren ver­gleich­ba­ren Hand­lun­gen. Sie kön­nen nie­mals gut werden.

Ein Kind, das den Kate­chis­mus liest, ver­steht das, sag­te Pius XII. in einer Rede vom 18. April 1952, mit der er die Situa­ti­ons­ethik ver­ur­teil­te, die sich nicht auf das uni­ver­sa­le Moral­ge­setz stützt, wie die Zehn Gebo­te, son­dern „auf rea­le und kon­kre­te Bedingt­hei­ten und Umstän­de, unter denen man han­deln muß, und denen gemäß das indi­vi­du­el­le Gewis­sen urtei­len und ent­schei­den muß“.

Pius XII. erin­ner­te dar­an, daß eine gute Absicht nie abzu­leh­nen­de Mit­tel recht­fer­ti­gen kann, und daß es Situa­tio­nen gibt, in denen der Mensch, und beson­ders der Christ, alles opfern muß, sogar sein Leben, um sei­ne See­le zu ret­ten. Das­sel­be wie­der­hol­te die Enzy­kli­ka Veri­ta­tis sple­ndor von Johan­nes Paul II., wenn sie sagt, daß die Umstän­de oder die Absich­ten eine in sich unehr­li­che Hand­lung wegen ihres Objekts nie in eine sub­jek­tiv ehr­li­che Hand­lung ver­wan­deln kön­nen. Er zitier­te dabei den hei­li­gen Augu­sti­nus (Con­tra men­d­a­ci­um): Unzucht, Flü­che, usw. blei­ben, auch wenn sie aus guten Grün­den began­gen wur­den, immer Sünde.

Prof. de Mat­tei: Was ist also zu tun?

Abbé Clau­de Bar­the: Die Wor­te Chri­sti kön­nen nicht geän­dert wer­den: „Auch eine Frau begeht Ehe­bruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe ent­läßt und einen ande­ren hei­ra­tet“ (Mk 10,12). Pro­fes­sor Robert Spae­mann, ein deut­scher Phi­lo­soph und Freund von Bene­dikt XVI. bemerk­te dazu, daß jeder ver­nünf­ti­ge Mensch erken­nen kann, daß wir hier einen Bruch haben. Ich den­ke nicht, daß man sich damit begnü­gen kann, eine Inter­pre­ta­ti­on des ach­ten Kapi­tels des apo­sto­li­schen Schrei­bens zu behaup­ten, laut der sich nichts geän­dert habe. Man muß zudem die Wor­te des Pap­stes ernst neh­men, der auf dem Rück­flug von Les­bos die Prä­sen­ta­ti­on des Schrei­bens durch Kar­di­nal Schön­born bekräftigte

Der theo­lo­gi­sche Grund­satz ist ein­deu­tig und die Ver­pflich­tung zur Wahr­heit ver­langt, zu sagen, daß er nicht akzep­ta­bel ist. Das gilt auch für die damit ver­bun­de­nen Vor­schlä­ge, wie jene, die behaup­ten, daß das wil­de Zusam­men­le­ben oder die Ver­bin­dung von wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen das Ide­al der Ehe „zumin­dest teil­wei­se und ana­log“ ver­wirk­li­chen (AL, 292). Es ist daher zu hof­fen, und zwar im star­ken Sinn der theo­lo­gi­schen Hoff­nung, daß zahl­rei­che Hir­ten, Bischö­fe und Kar­di­nä­le auf kla­re Wei­se spre­chen für das See­len­heil. Gleich­zei­tig kann man durch das unfehl­ba­re Lehr­amt des Pap­stes oder vom Papst und den mit ihm ver­bun­de­nen Bischö­fen, eine authen­ti­sche Inter­pre­ta­ti­on erbit­ten, bean­tra­gen und for­dern – im Sin­ne einer Inter­pre­ta­ti­on des geof­fen­bar­ten Depo­si­tums ein­schließ­lich des Depo­si­tums des Natur­rechts, das damit ver­bun­den ist  – , die unter­schei­det und damit im Namen des Glau­bens bekräf­tigt, was wahr ist und zurück­weist, was es nicht ist.

Mir scheint, daß wir heu­te, 50 Jah­re nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil, in eine neue Nach­kon­zils­pha­se ein­tre­ten. Wir haben mit weni­gen Text­stel­len über die Öku­me­ne, über die Reli­gi­ons­frei­heit, den Damm der lehr­amt­li­chen und theo­lo­gi­schen römi­schen ekkle­sio­lo­gi­schen Leh­re bre­chen sehen, den man für sicher und fest­ge­fügt hielt. Dar­auf wur­de ein ande­rer Damm errich­tet, um gegen die Sturm­flut der Moder­ne stand­zu­hal­ten, die natür­li­che und christ­li­che Moral, deren Aus­gangs­punkt Hum­a­nae vitae von Paul VI. und alle nach­fol­gen­den Doku­men­te von Johan­nes Paul II. zu die­sem The­ma waren. Alles was „Restau­ra­ti­on“ genannt wur­de, wie Joseph Ratz­in­ger in „Zur Lage des Glau­bens“ sag­te, wur­de weit­ge­hend auf der Grund­la­ge der Ver­tei­di­gung der Ehe und der Fami­lie auf­ge­baut. Alles geschieht nun, als wür­de auch die­ser Damm jeden Augen­blick brechen.

Prof. de Mat­tei: Jemand könn­te Ihnen über­trie­be­nen Pes­si­mis­mus vorwerfen …

Abbé Bar­the: Im Gegen­teil. Ich den­ke, daß wir einen ent­schei­den­den Moment der Nach­kon­zils­ge­schich­te erle­ben. Es ist schwer zu sagen, wel­ches die Kon­se­quen­zen des­sen sein wer­den, was wir gera­de erle­ben, aber sie wer­den beacht­lich sein. Und trotz allem bin ich mir sicher, daß sie am Ende posi­tiv sein wer­den. Zual­ler­erst bin ich mir des­sen aus dem Glau­ben sicher, weil die Kir­che die Wor­te des ewi­gen Lebens hat. Ich bin es aber auch auf sehr kon­kre­te Wei­se, weil die Not­wen­dig­keit einer Rück­kehr zum Lehr­amt, zum Lehr­amt das auch tat­säch­lich eines ist, sich in Zukunft immer deut­li­cher abzeich­nen wird.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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