(Mailand) Im kommenden Juni finden in Mailand Kommunalwahlen statt. Mailand ist die zweitgrößte Stadt Italiens und die Wirtschaftsmetropole des Landes. Die in Italien und in Mailand regierenden Linksdemokraten (PD) kandidieren auf ihrer Liste gleich zwei Mosleminnen an aussichtsreicher Stelle, die die ganze Widersprüchlichkeit im Verhältnis der politischen Linken zur islamischen Gemeinschaft zum Ausdruck bringen.
Die beiden Kandidatinnen stehen sich innerhalb der italienischen Ummah, also innerhalb der moslemischen Gemeinschaft Italiens, auf diametral entgegengesetzten Barrikaden gegenüber. Beobachter reiben sich die Augen und wundern sich, wie sie sich nun gemeinsam auf derselben Kandidatenliste wiederfinden können.
Sumaya und die Muslimbrüder
Da ist einmal Sumaya Abdel Qader, 38 Jahre alt. Sie wurde bereits in Italien geboren als Tochter jordanisch-palästinensischer Eltern, die in der Zeit des italienischen Stillhalteabkommens mit der PLO in den 1970er Jahren nach Italien gekommen waren. Sumaya ist das Aushängeschild und die Vorsitzende der Union der Italienischen Islamischen Gemeinschaften (UCOII), die im Dunstkreis der Muslimbrüder entstanden sind, und scheint die Widersprüche der Linksdemokraten am geschicktesten auszunützen.

Die bisherige linke Stadtregierung schrieb einen Wettbewerb zur Errichtung einer Moschee aus. Dagegen regte sich erheblicher Protest in der Bevölkerung. Die Linksdemokraten zogen sich damit auch innerislamische Rivalitäten zu. Auch unter den Leitern der bereits bestehenden Moscheen gab es Widerstand gegen die neue Konkurrenz.
Gegen die Konkurrenz wehrte sich vor allem der CAIM, eine Koordinationsstelle der Islamischen Vereinigungen von Mailand und einiger anderer Städte, der von Davide Picardo geleitet wird. Picardo ist Mitglied des European Muslim Network des Salafisten mit Lehrstuhl in Oxford, Tariq Ramadan. Tariq Ramadan, der sich selbst als „Reformsalafist“ bezeichnet und aus einer Familie von Muslimbrüdern stammt, wird als Vertreter eines „gemäßigten europäischen Islam“ herumgereicht. Picardo ist der Sohn von Hamza Picardo, einem ehemaligen Funktionär der UCOII der Muslimbrüder. Das Moscheeprojekt endete nach mehreren Anzeigen vor Gericht und versandete dort.
Maryan und der „gemäßigte Islam“

Auf der anderen Seite der Barrikaden steht Maryan Ismail Bari-Bari, eine Somalierin, die als politischer Flüchtling nach Italien kam. Die Tochter eines somalischen Politikers und ehemaligen Diplomaten, ist eine erklärte Gegnerin des politischen Islam. Ihr Bruder Yusuf Mohamed Ismail Bari-Bari, somalischer Botschafter bei der UNO, wurde am 27. März 2015 von den Dschihadisten von al-Shabaab ermordet, dem somalischen Zweig von Al-Qaida. Sie beansprucht im Richtungsstreit einen gemäßigten Islam zu vertreten. Sie ist Mitglied der linksdemokratischen Parteiorganisation der Stadt Mailand. Maryam präsentiert sich auch äußerlich als Anti-Sumaya, die aus ihrem Kopftuch im linksdemokratisch regierten Italien Kapital schlägt. „Jeder politisch Korrekte erstarrt vor Ehrfurcht vor dem Kopftuch und stammelt etwas von interkulturellem und interreligiösem Dialog“, so die Tageszeitung Il Foglio.
Sumaya gehört zu den Gründern der GMI, der Giovani musulmani d’Italia (Jungen Moslems Italiens). Bekannt wurde sie 2008 mit dem Buch: „Ich trage Kopftuch und verehre Queen. Neue Italienerinnen wachsen heran“. Nun soll Sumayas politischer Aufstieg beginnen. Die Muslimbrüder um CAIM organisieren fleißig ihren Wahlkampf.
Sumaya, die gerne ihre verschiedenen Mitgliedschaften und Ämter auflistet, vergißt systematisch ein Amt zu nennen, obwohl es ihr ranghöchstes ist: Sie ist Leiterin der Jugend- und Studentenabteilung der FIOE, der Federation of Islamic Organizations in Europe. Die FIOE ist das Flaggschiff der Muslimbrüder in Europa, wie Ibrahim Munir, ihr zweithöchster Anführer 2014 in einem Interview mit einer ägyptischen Tageszeitung sagte: „Unsere Methode in Europa wird durch eine unabhängige Einrichtung vertreten, die sich FIOE nennt.“ Sumaya gilt offenbar als Nachwuchshoffnung der Muslimbrüder für ihren europäischen Satelliten.
Stimmenmaximierung um jeden Preis
Die Parteitaktik ist durchschaubar. Die Linksdemokraten versuchen eine Stimmenmaximierung unter den zahlreichen Moslems der norditalienischen Metropole. Ideologische, kulturelle, demokratie- und sicherheitspolitische Widersprüche werden dafür billigend in Kauf genommen. Ein Vorgehen, wie es auch andere etablierte Parteien in Europa an den Tag legen, das sie „Integration“ nennen.
Nicht nur in Mailand fragen sich Leute, warum diese innerislamischen Grabenkämpfe, die so tief nicht sein können, wenn sie durch einen Platz auf einer Kandidatenliste überwindbar sind, in Europa ausgetragen werden müssen.
Text: Andreas Becker
Bilder: MiL/Il Foglio (Screenshots)