Franziskus und das rätselhafte „Volk der Armen“ – Eindeutige politische Präferenz


Sichel und Hammer und Christus : das "Kunstwerk" eines befreiungstheologischen Jesuiten
Sichel und Hammer und Christus : das "Kunstwerk" eines befreiungstheologischen Jesuiten Luis Espinal

(Rom) Auch nach drei Jah­ren des Pon­ti­fi­kats von Papst Fran­zis­kus gibt das vom katho­li­schen Kir­chen­ober­haupt häu­fig gebrauch­te Wort vom „Volk der Armen“ Rät­sel auf. Was genau ver­steht Fran­zis­kus unter „Volk“, und was will er sagen, wenn er von den „Armen“ spricht?

Peronismus und „Volkstheologie“

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Als erster ging der Histo­ri­ker und katho­li­sche Intel­lek­tu­el­le Rober­to de Mat­tei zwei Wochen nach dem Kon­kla­ve auf eini­ge Chif­fren des päpst­li­chen Sprach­ge­brauchs ein. Dar­un­ter befand sich auch die For­mu­lie­rung „Volk der Armen“. De Mat­tei ver­wies auf den argen­ti­ni­schen Jesui­ten und Karl-Rah­ner-Schü­ler Juan Car­los Scan­no­ne, des­sen Zög­ling Jor­ge Mario Berg­o­glio war. Pater Scan­no­ne wird der „Argen­ti­ni­schen Schu­le“ der Befrei­ungs­theo­lo­gie zuge­rech­net. Sein Den­ken wur­zelt in der „Volks­theo­lo­gie“ von Lucio Gera und Rafa­el Tel­lo, die den bewaff­ne­ten Kampf der mar­xi­sti­schen Befrei­ungs­theo­lo­gie durch eine prak­ti­zier­te Armut ersetz­ten. Aus Berg­o­gli­os Jugend­zeit ist zudem sei­ne Sym­pa­thie für den Pero­nis­mus bekannt.

De Mat­tei benann­te die sozio­lo­gi­sche Kom­po­nen­te des Armuts­be­grif­fes von Papst Fran­zis­kus und stell­te die Fra­ge nach der theo­lo­gi­schen Kom­po­nen­te. „Es han­delt sich um ein The­ma, das wei­te­re Ver­tie­fung ver­dient, aber letzt­lich nicht der ent­schei­den­de Punkt ist“, so der Histo­ri­ker damals.

In einem Elends­vier­tel im ost­afri­ka­ni­schen Nai­ro­bi sprach Fran­zis­kus von einer „ange­bo­re­nen Weis­heit der Armen“. Die­se stell­te er direkt der „durch den zügel­lo­sen Kon­sum ein­ge­schlum­mer­ten Wohl­stands­welt“ ent­ge­gen, die nicht mehr zu „Gemein­schafts­er­fah­rung“, zur Durch­bre­chung der „Wän­de des Ichs“ und zur Über­win­dung der „Schran­ken des Ego­is­mus“ imstan­de sei.

Die „Armen“ als dritte Quelle der göttlichen Offenbarung?

„Der Weg Jesu begann in den Rand­ge­bie­ten, er geht aus von den Armen und geht mit den Armen zu allen“, so der Papst wört­lich. Das war auch die ein­zi­ge Erwäh­nung Jesu in der Papst-Rede. Der bekann­te­ste pro­gres­si­ve US-Vati­ka­nist, John Allen, schrieb im Anschluß begei­stert, daß die Armen für Papst Fran­zis­kus eine eige­ne „Quel­le der gött­li­chen Offen­ba­rung“ sei­en, die eben­so wich­tig sei wie die Hei­li­ge Schrift und die Tra­di­ti­on. Allen sag­te damit, wenn auch zustim­mend, nichts weni­ger als daß Fran­zis­kus ein Kir­chen- und Offen­ba­rungs­ver­ständ­nis sui gene­ris habe, das außer­halb der Offen­ba­rung und damit außer­halb der Kir­che liege.

„Die Armen sind zwei­fels­oh­ne der Polar­stern die­ses Pon­ti­fi­kats“, schrieb damals der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster und ver­mu­tet seit­her einen „myst­hi­schen“ Ansatz hin­ter dem päpst­li­chen Armen­be­griff. Aller­dings blieb die päpst­li­che Anspra­che auch im Elends­vier­tel von Kan­ge­mi letzt­lich popu­li­stisch und undeut­lich. Zu den der Kir­che wich­ti­gen Fra­gen der Bio­ethik und der Sexu­al­mo­ral schwieg der Papst auch dort.

Die „Armen“ als Opfer der Weltmächte?

Die Fra­ge nach dem „Volk der Armen“ steht noch heu­te im Raum. Wirk­li­che Ant­wort konn­te noch nie­mand geben. „Wenn er die Berei­che der Poli­tik kreuzt, schlägt Papst Fran­zis­kus ori­gi­nel­le Wege ein. Er sucht den direk­ten, soli­da­ri­schen Kon­takt mit jenen, die er für Opfer der Welt­mäch­te und zugleich für die Haupt­ak­teu­re für die künf­ti­ge Befrei­ung hält“, schrieb nun der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster. Er ver­kün­de dabei kei­ne Pro­gram­me, setzt Zei­chen, von denen er selbst wis­se, daß sie nichts lösen. Ent­schei­dend sei für ihn jedoch, daß sie eine star­ke sym­bo­li­sche Bedeu­tung hät­ten, so der Vatikanist.

Am 16. April besuch­te der Papst die Insel Les­bos. Zwölf Asyl­su­chen­de nahm er gewis­ser­ma­ßen als diplo­ma­ti­sches Hand­ge­päck kur­zer­hand mit nach Rom. Nicht etwas Chri­sten, die vor den Schläch­tern des Isla­mi­schen Staa­tes flüch­ten muß­ten, son­dern drei mos­le­mi­sche Familien.

Eine eben­so deut­li­che wie fata­le Ermah­nung der 28 EU-Staa­ten, die Gren­zen für die Ein­wan­de­rung zu öff­nen. Ob gewollt oder nicht, war min­de­stens eben­so demon­stra­ti­ve Auf­for­de­rung an Mil­lio­nen von Migra­ti­ons­be­rei­ten, auf­zu­bre­chen, weil schon irgend­wer eine Bre­sche in die Mau­er schla­gen wer­de, durch die man in das Wohl­stands­pa­ra­dies Euro­pa gelan­gen kann.

Widerspruch: Wohlstandskritik und Wohlstandsmigration

Hat sich der Papst, der die Wohl­stands­men­ta­li­tät des Westens so scharf gei­ßelt, noch nicht gefragt, war­um denn Hun­dert­tau­sen­de Men­schen aus aller Welt die größ­ten Stra­pa­zen auf sich neh­men, Tau­sen­de Kilo­me­ter weit zu zie­hen, um die­sen Wohl­stand zu haben? Wer um sein Leben ban­gen muß, geht bis dort­hin, wo er sich nicht mehr fürch­ten muß. Das ist in der Regel das unmit­tel­ba­re Nach­bar­land, aber nicht das weit ent­fern­te Euro­pa. Könn­ten die Migran­ten nicht vom Wohl­stand geblen­det sein, den der Papst kri­ti­siert? Ist sei­ne Unter­stüt­zung der Mas­sen­mi­gra­ti­on dann nicht viel­leicht ein Widerspruch?

Die Papie­re der drei mos­le­mi­schen Fami­li­en sei­en „in Ord­nung“ gewe­sen. Die grie­chi­sche und die ita­lie­ni­sche Regie­rung hät­ten der päpst­li­chen Geste zuge­stimmt. Die päpst­li­che Prä­zi­sie­rung will den Ein­druck ver­mei­den, einer unkon­trol­lier­ten Mas­sen­ein­wan­de­rung das Wort zu reden. Die­ses Klein­ge­druck­te dürf­te aber auf kei­ner Sei­te wirk­li­che Beach­tung gefun­den haben.

Der Papst woll­te demon­strie­ren, daß Asyl­su­chen­de auf­zu­neh­men sei­en. Den Rest, etwa, wie das zu bewäl­ti­gen ist, über­läßt er den Poli­ti­kern. Papst Fran­zis­kus beschränkt sich auf sym­bo­li­sche Gesten. Er weiß um sei­ne Medi­en­prä­senz. Er unter­stützt eine bestimm­te Rich­tung in Poli­tik und Gesell­schaft. Um ihre Wir­kung zu erzie­len, müs­sen die Gesten ein­deu­tig sein. Platz für die Mei­nun­gen und Beden­ken aller ande­ren Tei­le der Gesell­schaft bleibt da kei­ner, auch nicht für Differenzierungen.

Eindeutige politische Präferenz

Im Gegen­satz zu Papst Paul VI., der eine ein­deu­ti­ge poli­ti­schen Prä­fe­renz für die Christ­de­mo­kra­tie von Kon­rad Ade­nau­er, Alci­de Degas­pe­ri und Robert Schu­man hat­te, lehn­ten sich Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. nie so deut­lich an eine poli­ti­sche Rich­tung an. Fran­zis­kus scheint wie­der den Vor­stel­lun­gen einer poli­ti­schen Prä­fe­renz zu fol­gen. Doch welcher?

Papst Fran­zis­kus ver­sucht unter dem Begriff „Volks­be­we­gun­gen“ eine welt­wei­te Bewe­gung zu schaf­fen. 2014 und 2015 fan­den inter­na­tio­na­le Tref­fen die­ser „Volks­be­we­gun­gen“ statt. Wer ihnen genau ange­hört und mehr noch, an wen er sich damit wen­det, blieb bis­her ziem­lich unklar. Hin­zu kom­men die inten­si­ven, von sei­nem Ver­trau­ten, Kuri­en­bi­schof Mar­ce­lo Sanchez Sor­on­do, geknüpf­ten Kon­tak­te zu links­ra­di­ka­len, poli­ti­schen Par­tei­en und Bewe­gun­gen. Die bei­den Anspra­chen, die Papst Fran­zis­kus am 28. Okto­ber 2014 und am 9. Juli 2015 vor den „Volks­be­we­gun­gen“ in Rom und in San­ta Cruz de la Sier­ra in Boli­vi­en hielt, gel­ten als poli­ti­sches Mani­fest des Pap­stes und sind als Ein­heit zu lesen.

Boli­vi­ens Staats­prä­si­dent Evo Mora­les hat­te mit sei­nem Sichel-und-Ham­mer-Gekreu­zig­ten dem Papst im ver­gan­ge­nen Jahr eine blas­phe­mi­sche Pro­vo­ka­ti­on zum Geschenk gemacht. Das „Kunst­werk“ stamm­te vom Jesui­ten und mar­xi­sti­schen Befrei­ungs­theo­lo­gen Luis Espi­nal. Papst Fran­zis­kus fühl­te sich jedoch weder pro­vo­ziert noch belei­digt, wie die guten Kon­tak­te mit Mora­les bele­gen. Er wirkt an der Aus­ar­bei­tung einer neu­en Sozi­al­enzy­kli­ka mit. Erst ver­gan­ge­ne Woche emp­fing ihn der Papst im Vatikan.

Grie­chen­lands Mini­ster­prä­si­dent Alexis Tsi­pras sag­te nach dem Emp­fang durch Papst Fran­zis­kus im Sep­tem­ber 2014: „Der Papst ist kein Lin­ker, aber er spricht wie ein Lin­ker“. War­um tut er das aber?

Die jüng­ste poli­ti­sche Sym­pa­thie­be­kun­dung von Fran­zis­kus erfolg­te durch eine Ein­la­dung für Ber­nie San­ders in den Vati­kan. Der Sena­tor ist der am wei­te­sten links ste­hen­de Bewer­ber um die US-Präsidentschaft.

Was meint Papst Fran­zis­kus aber genau? Wo zieht er die Gren­ze zwi­schen sozio­lo­gi­schem und theo­lo­gi­schem Ver­ständ­nis? Wenn es sich um ein „mysti­sches“ Ver­ständ­nis von einem „Volk der Armen“ han­delt, wie der Vati­ka­nist Magi­ster ver­mu­tet, wo liegt der Zusam­men­hang zu den poli­ti­schen Bestre­bun­gen des Pap­stes und sei­nen demon­stra­ti­ven Kon­tak­ten zur poli­ti­schen Linken?

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Aciprensa

 

 

 

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