
(Rom) Heute wurde das mit Spannung erwartete nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia von Papst Franziskus zur doppelten Bischofssynode über die Ehe und Familie veröffentlicht. Radio Vatikan publizierte eine erste knappe Zusammenfassung des umfangreichen Dokuments.
Ich „empfehle nicht, es hastig ganz durchzulesen“: Papst Franziskus legt dem schnellen Interesse Zügel an, gleich zu Beginn des Dokumentes Amoris Laetitia (7) erklärt er, warum der Text so umfangreich geworden ist, und warnt vor einem zu schnellen Suchen und Lesen. Um sich aber in diesem, wie der Papst sagt, umfangreichen Text orientieren zu können, geben wir hier einen Überblick über die wichtigsten Punkte der Apostolischen Exhortation.
1. Nicht immer nur Rom
„Nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen (müssen) durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden“ (AL 3). Gleich zu Beginn gibt der Papst einen der Schlüssel für den Umgang mit der Wirklichkeit an: Lösungen kommen nicht ausschließlich ‚von oben’. Dahinter steht die Idee der Inkulturation, das heißt, vor Ort können Lösungen anders aussehen als im Nachbarland oder in einem anderen Kulturkreis, weil die Umstände andere sind.
2. Realismus
Es sind „Urteile zu vermeiden, welche die Komplexität der verschiedenen Situationen nicht berücksichtigen“. Dem Papst geht es um den Blick auf die Wirklichkeit, nicht auf das Ideal. Ohne Aufmerksamkeit für die Realität kann man weder die Bedürfnisse der Gegenwart noch den Ruf des Heiligen Geistes verstehen, heißt es im Text. Realismus helfe dabei, „ein allzu abstraktes theologisches Ideal der Ehe (…), das fast künstlich konstruiert und weit von der konkreten Situation und den tatsächlichen Möglichkeiten der realen Familien entfernt ist“, zu vermeiden (AL 36). Idealismus führt dazu, dass die Ehe nicht als das gesehen wird, was sie ist, nämlich ein „dynamischer Weg der Entwicklung und Verwirklichung“ (AL 37).
3. Es geht um Liebe
Das zentrale Kapitel – wie der Papst es bezeichnet – ist das Kapitel über die Liebe, wobei der Papst das Wort „amor“ benutzt, nicht das der Nächstenliebe nähere Wort „caritas“. Es geht um alle Aspekte der Liebe, von Verlässlichkeit und Hingabe über Leidenschaft und Erotik bis zum Wandel im Alter und zum Tod. Sexualität zum Beispiel wird „als eine Teilhabe an der Fülle des Lebens in seiner (Christi) Auferstehung erlebt“, es herrscht ein positiver Grundton vor. Der Papst betont, dass „im Wesen der ehelichen Liebe selbst die Öffnung auf die Endgültigkeit hin vorhanden ist“ (AL 123), und zwar in der ganzen Weite der Ehe, im „Miteinander von Wonnen und Mühen, von Spannungen und Erholung, von Leiden und Befreiung, von Befriedigung und Streben, von Missbehagen und Vergnügen“ (AL 126).
4. Eingliederung aller
„Es geht darum, alle einzugliedern; man muss jedem Einzelnen helfen, seinen eigenen Weg zu finden, an der kirchlichen Gemeinschaft teilzuhaben, damit er sich als Empfänger einer unverdienten, bedingungslosen und gegenleistungsfreien Barmherzigkeit empfindet“ (AL 297). Pastoral ist nicht einfach die Umsetzung von Regeln in die Praxis, sie muss vom Einzelnen in seiner jeweiligen Situation ausgehen. Die Perspektive dazu ist die, alle – dieses Wort betont der Papst – zu integrieren.
5. Das Gewissen
„Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen“ (AL 37). Zu einer Erwägung im Gewissen gehören der Blick auf die Lehren Christi und auf die Tradition der Kirche, zu leichte und zu harte Lösungen gleichermaßen sind Verrat an der konkreten Lebenssituation. Außerdem ist aber der Einzelne zu respektieren, im Gewissen ist er allein mit Gott. Das erklärt auch, weshalb das Dokument keine neuen Regeln vorgibt: „Wenn man die zahllosen Unterschiede der konkreten Situationen (…) berücksichtigt, kann man verstehen, dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte. Es ist nur möglich, eine neue Ermutigung auszudrücken zu einer verantwortungsvollen persönlichen und pastoralen Unterscheidung der je spezifischen Fälle“ (AL 300).
6. Wider das öffentliche Gezerre
„Die Debatten, wie sie in den Medien oder in Veröffentlichungen und auch unter kirchlichen Amtsträgern geführt werden, reichen von einem ungezügelten Verlangen, ohne ausreichende Reflexion oder Begründung alles zu verändern, bis zu der Einstellung, alles durch die Anwendung genereller Regelungen oder durch die Herleitung übertriebener Schlussfolgerungen aus einigen theologischen Überlegungen lösen zu wollen“ (AL 2). Dem Papst ist bewusst, was für einen Begleitlärm die Synode hatte, innerkirchlich und auch medial. Bereits in seinen beiden Abschlussreden hatte er das kritisiert, in Amoris Laetitia benennt er diesen Umstand noch einmal deutlich. Hinter der Kritik steckt auch eine Aufforderung: nicht hektisch zu lesen, nicht die Debatte zu überspitzen, sondern ruhig und betrachtend die einzelnen Themen und Teile des Textes durchzugehen.
Ohne das ganze Dokument lesen zu müssen, genügt für ein Urteil die Aussage, dass „jeder Priester selber entscheiden darf“, ob er wiederverheiratet Geschiedene (die also offen im Ehebruch leben) zur heiligen Kommunion zulassen soll. Was ausgesagt wird im Dokument ist, dass es Fälle geben kann, wo „Ehebruch keine schwere Sünde ist“ (dies ist die Essenz der Aussage von Bergoglio).
Das ist ein Spalt, der geöffnet wird: Hiermit kann also der Rauch der Vernebelung eindringen (und er wird praktisch automatisch eindringen! Man muss nur lange genug warten!).
Ein Vergleich mit einem Arzt: Wenn es für eine bestimmte Krankheit nur eine bittere Medizin gibt, kann der Arzt nicht aus falschem Mitleid eine süße Medizin verabreichen, die aber nutzlos ist gegen die Krankheit. So einfach.
Ein Dokument des Realativismus in welchem sich jeder und jede beliebig nach den jeweils eigenen Vorstellungen sein Leben zurechtbasteln kann und soll. Je nach Standort eine eigene Moral: alles ist richtig und alles ist gut. Wenn etwa Homosexualität im „Westen“ akzeptiert wird, ist es so gut und wenn in Afrika bspw. nicht, ist es auch gut.
Papst Franziskus hat eindeutig den Boden des kirchlichen Lehramtes verlassen, nicht formal, aber in der Praxis und setzt auf die „Autonomie“ jedes „Subjects“. Das Lehramt und die Gebote sind ein Ideal, etwas irgendwie Abstraktes, und wenns im Leben gelingt ists okay ist und wenn nicht ists auch in Ordnung. „Wer bin ich um zu urteilen im Feldlazarett Kirche?“ Wo aber keine Diagnose, da auch keine Heilung, Umkehr.
Natürlich bekommen die Verteidiger der Lehre von ihm auch wieder gesalzene Worte zu hören.
Schon beim Überfliegen des Textes wird doch recht deutlich, dass der Text keine wirklichen Antworten gibt, sondern nur in der Schwebe belässt, was eigentlich nach klaren Antworten verlangte. Fast bekommt man den Eindruck als wäre es mittlerweile katholische Glaubenslehre, dass Gott nicht die Ordnung sondern das Chaos geschaffen habe, unter dem die Menschen dann leiden. Die Versuche der positiven Darstellung der Schöpfung und ihres Sinnes – der caritas – verliert sich im Dickicht pastoraler Allgemeinplätze, die an das Konkrete menschlicher Entscheidung nicht heranreichen. Man spürt die Angst des Papstes, die katholische Lehre offen beiseite zu schieben. Die Ursachen für den vom Papst konstatierten Glaubensverfall bleiben leider sehr nebulös.
Es ist eben nicht das Zurückgestoßenwerden, dass viele Menschen in ein sinnloses Leben treibt, sondern die Hybris der Moderne, in der der Mensch sich zum letzten Maßstab der Moral ja auch der Glaubenswahrheit erhebt. Angesichts der Tatsache, dass der Papst öffentlich einräumte, dass eine Homo-Lobby im Vatikan wirke, lässt sich fragen, wie denn nun von Rom sichergestellt wird, dass die pastoralen Spielräume, die der Papst sieht, nicht genau von dieser Lobby missbraucht werden. Die katholische Glaubenslehre ist ja nicht ein Instrument der Folter armer Sünder, sondern die ins Wort gefasste Glaubenswahrheit. Sie ist immer mehr als bloßes Gesetz, was heute leider allgemein nicht mehr verstanden wird, auch weil besagte Lobby eine Vernebelung der Lehre sich zum Ziel gesetzt hat.
In einer Silversterpredigt aus dem Jahr 1979 sagte der damalige Kardinal Joseph Ratzinger: „Die Vorstellung, dass es letztlich gleichgültig sei, ob ich diese oder jene Formel anwende, dieser oder jener Überlieferung folge, Ist heute tief in den Geist der westlichen Welt eingedrungen. Die Wahrheit erscheint ohnedies unerreichlich, und sich vorzustellen, dass der christliche Glaube eben doch in seinem Kern wahr sei – die Wahrheit sei – widerstrebt uns, sie erscheint uns geradezu als abendländischer Hochmut. Aber wenn dem so wäre, dann wäre altes, was wir treiben, nur Schein. Dann wäre auch unsere Anbetung unwahr; dann wären wir wahrheitslose Wesen. Wo es aber keine Wahrheit mehr gibt, kann man jeden Maßstab ändern, überall im Grund auch das Gegenteil tun: Der Verzicht auf die Wahrheit ist der eigentliche Kern unserer Krise. Und wo die Wahrheit nicht mehr trägt, da hält auch die noch so hübsche gemeindliche Solidarität nicht mehr zusammen, weil sie letztlich grundlos ist. Wie weithin leben wir aus dem scheinbar so demütigen, in Wahrheit so hochmütigen Spruch des Pilatus: Was ist denn Wahrheit? Aber gerade damit stehen wir Christus entgegen. Gewiss entsteht eine große Gefahr, wo Menschen allzu griffig und allzu sicher über die Wahrheit zu verfügen meinen. Aber eine noch größere Gefahr entsteht, wo die gemeinschaftliche endgültige und verbindlich-verbindende Aussage der Wahrheit als nicht mehr möglich angesehen wird.“