Lernresistente Schulpolitiker – Das Trugbild der Bildungsideologen


Die Trugbilder linker Bildungsideologen
Die Trugbilder linker Bildungsideologen

Die rot-grü­ne Lan­des­re­gie­rung von Baden–Württemberg deckt Schu­le, Schü­ler und Leh­rer mit ein­sei­tig-ideo­lo­gi­schen Direk­ti­ven ein. Das gilt für die Über­be­to­nung der Sexua­li­täts­the­men schon ab der Grund­schu­le wie auch für die neue Gemein­schafts­schu­le, die zur Trans­for­ma­ti­on des Schul­sy­stems füh­ren soll.

Anzei­ge

Ein Gast­bei­trag von Hubert Hecker.

Im Jah­re 2000 hat­te die inter­na­tio­na­le Schul­lei­stungs­mes­sung der OECD in Deutsch­land eini­gen Wir­bel aus­ge­löst. Denn die deut­schen Schü­ler lagen in den Kom­pe­ten­zen bei Lesen, Mathe­ma­tik und Natur­wis­sen­schaf­ten nur im Mit­tel­feld von 28 Län­dern. Der soge­nann­te PISA-Schock wur­de ins­be­son­de­re von lin­ken Schul­po­li­ti­kern und ideo­lo­gi­schen Visio­nä­ren für Struk­tur­än­de­run­gen am Schul­sy­stem instru­men­ta­li­siert und weni­ger als Anlass für eine Qua­li­täts­of­fen­si­ve zu bes­se­rem Unter­richt genutzt.

Fehlerhafte Interpretation der PISA-Ergebnisse

Finn­land, das in allen drei Dis­zi­pli­nen auf einem der vor­de­ren Plät­ze lag, ent­wickel­te sich zum Pil­ger­ort von Schul­ver­än­de­rer. Die Erfol­ge der fin­ni­schen Schü­ler führ­te man ein­sei­tig auf die Schul­struk­tur Finn­lands zurück: die nicht-dif­fe­ren­zier­te Gemein­schafts­schu­le bis zur 9. Klas­se sowie die weit­ge­hen­de Auto­no­mie der Schu­len. Auch die Metho­den des indi­vi­du­el­len Ler­nens und der Grup­pen­ar­beit sah man in fin­ni­schen Schu­len stär­ker betont.

Die Inter­pre­ta­ti­on der PISA-Ergeb­nis­se vor­wie­gend als Kor­re­la­ti­on zwi­schen Lei­stung einer­seits und Schul­struk­tur bzw. Lehr­me­tho­de ent­sprach einem lin­ken Wunsch­den­ken, aber nicht der Rea­li­tät. Der Blick auf das Lei­stungs­ni­veau in Mathe­ma­tik und Natur­wis­sen­schaf­ten hät­te die Finn­land-Pil­ger schon damals eines Bes­se­ren beleh­ren kön­nen: In bei­den Berei­chen lagen vor Finn­land die Län­der Korea und Japan, die bekannt sind für den tra­di­tio­nel­len leh­rer­ge­lenk­ten Fron­tal­un­ter­richt. Der Lern­erfolg in die­sen Län­dern kor­re­lier­te also mit einer Lehr­me­tho­de, die die Lin­ken als ver­al­tet und über­fäl­lig anse­hen. Auch in Punk­to Gemein­schafts­schu­le waren die Kor­re­la­tio­nen alles ande­re als ein­deu­tig: Von den drei skan­di­na­vi­schen Län­dern mit Ein­heits­schu­le lag Schwe­den nur weni­ge Plät­ze vor Deutsch­land, Nor­we­gen dage­gen stand hin­ter unse­rem Land. Die Nie­der­län­der mit ihrem drei­glied­ri­gen Schul­sy­stem bewe­gen sich in der Spit­zen­grup­pe der PISA-Län­der. In Deutsch­land selbst spra­chen die Kor­re­la­tio­nen ein­deu­tig gegen die Ein­heits­schu­le: Wäh­rend Bay­ern und Baden-Würt­tem­berg mit dem geglie­der­ten Schul­sy­stem Plät­ze im vor­de­ren Bereich beleg­ten, lag das Bun­des­land Bre­men, das seit den 70er Jah­ren alle Schu­le in Ein­heits­schu­len ver­wan­delt hat­te, auf einem der letz­ten Plät­ze – in Nach­bar­schaft zu Schwel­len­län­dern. Nord­rhein-West­fa­len, mit 217 Gesamt­schu­len das Kern­land der Ein­heits­schul­be­we­gung, belegt bei natio­na­len und inter­na­tio­na­len Lei­stungs­ver­glei­chen stets die hin­te­ren Plät­ze, im Bil­dungs­mo­ni­tor war das SPD-domi­nier­te Bun­des­land mehr­fach Schluss­licht der deut­schen Bundesländer.

Nach dem ersten PISA-Test im Jah­re 2000 mach­te sich eine Jugend­amts­de­le­ga­ti­on aus dem Lim­bur­ger Ordi­na­ri­at nach Schwe­den auf, um anschlie­ßend die dor­ti­gen Gemein­schafts­schu­len als lern­erfolg­reich hoch­zu­ju­beln. Sie hät­te sich vie­le Wege und Kosten spa­ren kön­nen, denn im nahen Bay­ern war das glei­che PISA-Ergeb­nis aus der drei­glied­ri­gen Schu­le abzu­lei­ten. Aber man woll­te gar nicht die vol­le Wahr­heit einer dif­fe­ren­zier­ten Wirk­lich­keit erken­nen, son­dern sich mit einer ideo­lo­gi­schen Bril­le Pro­pa­gan­da­ma­te­ri­al besorgen.

Die Entzauberung des finnischen „Bildungswunders“ durch PISA 2012

Das Märchen vom rot-grünen Bildungsaufbruch
Das Mär­chen vom rot-grü­nen Bildungsaufbruch

Die fünf­te PISA-Unter­su­chung vom Jah­re 2012 hät­te bei den Bewun­de­rern der Ein­heits­schu­le einen erneu­ten Schock aus­lö­sen sol­len. Denn bei die­sem Test sind die fin­ni­schen Schü­ler im Ver­gleich zu 2003 im Bereich Lesen und Mathe­ma­tik um 25 Punk­te zurück­ge­fal­len. Sie haben damit den Lern­erfolg eines gan­zen Schul­jah­res ein­ge­büßt. Die ersten Plät­ze bele­gen Chi­na, Korea, Japan; vor Finn­land ste­hen die Schweiz, Nie­der­lan­de, Est­land; vor Deutsch­land lie­gen Kana­da, Polen und Belgien.

Die Ent­zau­be­rung des fin­ni­schen Bil­dungs­wun­ders hät­te eigent­lich die rot-grü­nen Bil­dungs­ideo­lo­gen skep­tisch machen und ihre Schul­ex­pe­ri­men­te über­prü­fen müs­sen. Tat­säch­lich ver­schlie­ßen sie vor den aktu­el­len Ergeb­nis­sen die Augen und lau­fen trot­zig ihrem fin­ni­schen Trug­bild hin­ter­her. Grü­ne erklä­ren die Ergeb­nis­se der Bil­dungs­for­schung immer dann für wenig rele­vant, wenn sie ihnen nicht ins Kon­zept pas­sen. In SPD-Äuße­run­gen scheint gele­gent­lich die ideo­lo­gi­sche Kern­bot­schaft auf, dass das gemein­sa­me Ler­nen wich­ti­ger sei als der Lern­erfolg. Der ehe­ma­li­ge nie­der­säch­si­sche Wis­sen­schafts­mi­ni­ster Tho­mas Opper­mann, heu­te Vor­sit­zen­der der SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on, fass­te die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Gleich­heits­ideo­lo­gie für die Schu­le mit den Wor­ten zusam­men: Lie­ber alle gleich schlecht als unter­schied­lich gut (zitiert aus: Jan Fleisch­hau­er, Unter Lin­ken: Von einem, der aus Ver­se­hen kon­ser­va­tiv wur­de, Ham­burg 2009, S. 118).

Gleich­zei­tig wur­den die Lei­stungs­er­geb­nis­se bei den Gesamt­schu­len in NRW z. B. nach­weis­lich mani­pu­liert: Seit Mit­te der neun­zi­ger Jah­re hat­te man dort eine Lei­stungs­be­wer­tung pro­pa­giert, die Quo­ten für die Ver­ga­be von guten Noten und Abschlüs­sen unab­hän­gig von der tat­säch­li­chen Lei­stung fest­leg­te. Bei einer schul­auf­sicht­li­chen Nach­kor­rek­tur der Abi-Klau­su­ren von 1998 bis 2004 zeig­te sich, dass die Abitur­ar­bei­ten der Gesamt­schü­ler um drei Punk­te, also eine gan­ze Note, über dem Noten­durch­schnitt der letz­ten bei­den Jahr­gangs­stu­fen lagen. Inzwi­schen ist das Abitur-Niveau in NRW noch wei­ter gesenkt wor­den. Die Paro­le von den nord­rhein-west­fä­li­schen Dis­coun­ter-Abitur erscheint nicht unbe­rech­tigt, wenn man sich das Expe­ri­ment der Frank­fur­ter Bio­lo­gie­di­dak­tik-Pro­fes­sors Klein vor Augen führt: Eine Abitur-Bio­klau­sur von NRW konn­ten alle Schü­ler einer hes­si­schen 9. Gym­na­si­al­klas­se lösen, eini­ge sogar mit der Note eins. Nord­rhein-west­fä­li­sche Abitu­ri­en­ten stel­len die berech­tig­te Fra­ge: Wenn die immer leich­ter wer­den­den Abitur­auf­ga­ben etwa dem Lei­stungs­ni­veau der Klas­se 10 ent­spre­chen, wie­so müs­sen wir dann noch drei Jah­re die Ober­stu­fe besuchen?

Ein System von Fordern und Fördern

Finn­land hat­te in den 70er Jah­ren die Gesamt­schu­le in der drei­jäh­ri­gen Mit­tel­stu­fe ein­ge­führt. Die Grund­schu­le dau­ert sechs Jah­re, danach tre­ten die Schü­ler in die Mit­tel­schu­le ein mit drei Klassenstufen.

Für alle Gesamt­schul­stu­fen stellt sich das Pro­blem, wie man mit den gro­ßen Dif­fe­ren­zen von Bega­bun­gen, Fähig­kei­ten, Lern­tem­po etc. der Schü­ler einer Jahr­gangs­stu­fe umgeht. Das lin­ke Extrem heißt: Lei­stungs­ni­veau absen­ken (sie­he oben bei Opper­mann). Der Kom­pro­miss lau­tet auf Lei­stungs­ni­veau­kur­se A, B und C (also Dif­fe­ren­zie­run­gen nach dem Muster des drei­glied­ri­gen Schul­sy­stems) wie in deut­schen Gesamtschulen.

Die Fin­nen haben ein intel­li­gen­tes System von For­dern und För­dern ent­wickelt: Für jedes Schul­jahr wer­den Lern­stan­dards fest­ge­legt sowie ein­heit­li­che Test­an­for­de­run­gen zur Über­prü­fung. Wenn Schü­ler die Zwi­schen­tests nicht bestehen, wer­den sie in klei­nen Grup­pen gezielt geför­dert und für die wei­te­ren Tests vor­be­rei­tet. Auf die­se Wei­se gelingt es mei­stens, einen Höchst­pro­zent­satz von Schü­lern auf das gefor­der­te Jah­res­ab­schluss-Niveau zu brin­gen. Die För­der­grup­pen wer­den von Assi­stenz-Leh­rern betreut (Hilfs­leh­rer mit eige­nem Aus­bil­dungs­gang), die eng mit dem Klas­sen­leh­rer zusam­men­ar­bei­ten. Zusätz­lich gibt es noch bei den Grund­schu­len Son­der­päd­ago­gen, die Kin­der aus allen Klas­sen mit Sprech­stö­run­gen und ande­ren Defi­zi­ten betreu­en. Da die immer auf­tre­ten­den Lei­stungs­de­fi­zi­te der Schü­ler in den Schu­len selbst weit­ge­hend auf­ge­fan­gen wer­den, brau­chen die fin­ni­schen Schü­ler kei­ne oder kaum Nach­hil­fe. Eine Nach­hil­fe­indu­strie wie in Deutsch­land ist in Finn­land unbe­kannt. Auch die Zahl der Sit­zen­blei­ber wird auf ein Mini­mum gesenkt. Mit der Schul­as­si­stenz kann die Klas­sen­lei­tung auch Pro­ble­me der Inklu­si­on gut bewäl­ti­gen. Gleich­zei­tig scheu­en sich die fin­ni­schen Schul­be­hör­den inzwi­schen nicht mehr, schwer ver­hal­tens­ge­stör­te Kin­der in Son­der­klas­sen zu betreuen.

Finnische Erfolge durch traditionellen Unterricht, Rückfall durch Neuerungen

Kultusministerium Baden-Württemberg: lernresistente Bildungsverantwortliche
Kul­tus­mi­ni­ste­ri­um Baden-Würt­tem­berg: lern­re­si­sten­te Bildungsverantwortliche

Das Schul­sy­stem war bis in die 90er Jah­re staat­lich straff orga­ni­siert und zen­tra­li­siert. Die übli­che Lehr­me­tho­de bestand in leh­rer­zen­trier­tem und lei­stungs­ori­en­tier­tem Unter­richt. Eine Ver­gleichs­stu­die von 1991 zeig­te die Effek­ti­vi­tät die­ser Lehr­me­tho­de, da die fin­ni­schen Schü­ler bei der Lese­kom­pe­tenz die Schü­ler aller ande­ren euro­päi­schen Län­der über­tra­fen. Die­se Erfol­ge wie­der­hol­ten sie neun Jah­re spä­ter beim ersten PISA-Test 2000 – offen­bar als Nach­wir­kung des alten päd­ago­gi­schen Systems.

In den 90er Jah­ren aber wur­den Refor­men ein­ge­lei­tet wie die Ein­rich­tung der auto­no­men Schu­le mit gro­ßer Ent­schei­dungs­frei­heit bei der Leh­rer­ein­stel­lung. Außer­dem muss die selbst­ver­wal­te­te Schu­le mit ande­ren Schu­len um Schü­ler kon­kur­rie­ren. Dadurch ver­grö­ßert sich die Sprei­zung von guten und schlech­ten Schu­len – mit sozia­len Segre­ga­ti­ons­fol­gen. Es ent­steht eine Dyna­mik der Niveau-Sen­kung, da Schu­len mit der Ver­ga­be von durch­ge­hend guten Noten werben.

Hin­zu kam die Ein­lei­tung von neu­en Lehr- und Lern­me­tho­den – etwa die Beto­nung von selbst­kon­trol­lier­tem und grup­pen­be­zo­ge­nem Ler­nen. Die­se bei­den Schul­re­form­maß­nah­men wirk­ten sich auf den PISA-Test von 2000 noch nicht nega­tiv aus. Bil­dungs­for­scher set­zen für die Aus­wir­kun­gen von Schul­ver­än­de­run­gen bis zu 15 Jah­re an. Somit könn­te der Lei­stungs­ab­fall der fin­ni­schen Schü­ler 2012 auf das Durch­schla­gen der schu­lisch-päd­ago­gi­schen Reform-Neue­run­gen zurück­zu­füh­ren sein.

Das Trugbild der Bildungsideologen

Es war dem­nach ein Trug­bild, dem die rot-grü­nen Bil­dungs­po­li­ti­ker mit ihrer Inter­pre­ta­ti­on der fin­ni­schen PISA-Ergeb­nis­se auf­ge­ses­sen sind.

  • Mit­nich­ten war die Gesamt­schu­le ent­schei­dend für den fin­ni­schen Erfolg bei der ersten PISA-Stu­die 2000, denn die­se Schul­be­din­gung bestand auch bei den schlech­te­ren Ergeb­nis­sen von 2012. Zudem hat­te Finn­land ab 2007 das System des ‚lan­gen gemein­sa­men Ler­nens’ schon leicht kor­ri­giert, indem seit­her beson­ders schwa­che bzw. ver­hal­tens­ge­stör­te Schü­ler in Son­der­klas­sen aus­ge­la­gert werden.
  • Das Modell der selb­stän­di­gen und kon­kur­rie­ren­den Schu­len hat eher einen nega­ti­ven Ein­fluss auf das Gesamt­lei­stungs­ni­veau der Schü­ler. Das muss­te Schwe­den bit­ter erfah­ren: Seit es die auto­no­me Gesamt­schu­le nach fin­ni­schem Vor­bild über­nom­men hat, ist es auf einen Platz unter dem OECD-Durch­schnitt zurückgefallen.
  • Erst recht nicht führt das selb­stän­di­ge Indi­vi­du­al- und Grup­pen­ler­nen unter Degra­die­rung des Leh­rers zum „Lern­be­glei­ter“ zu guten Lern­ergeb­nis­sen. Erfah­run­gen und Stu­di­en zei­gen deut­lich auf, dass bei die­ser Lern- und Lehr­me­tho­de das Lei­stungs­ni­veau sinkt.

Evidenz-basierte Studien sprechen gegen die linken Schulveränderungen

Die bis­her auf­ge­führ­te Kri­tik an den schu­lisch-päd­ago­gi­schen Neue­run­gen links-grü­ner Bil­dungs­po­li­ti­ker bestä­tigt der Bil­dungs­for­scher John Hat­tie. Der neu­see­län­di­sche Päd­ago­gik-Pro­fes­sor hat in einer Meta-Stu­die die Ein­fluss­fak­to­ren für effek­ti­ven Unter­richt und gute Schü­ler­lei­stun­gen unter­sucht. Sein Ansatz der evi­denz-basier­ten Erkennt­nis­se rich­tet sich gegen die ideo­lo­gie-gestütz­te Mei­nungs­po­li­tik im Bil­dungs­sek­tor. Als Ergeb­nis­se sei­ner Stu­die lässt sich zusam­men­fas­sen: Struk­tu­ren von Schu­le, mate­ri­el­le Rah­men­be­din­gun­gen, finan­zi­el­le Aus­stat­tun­gen, Schul­for­men, Klas­sen­grö­ße etc. spie­len für den Lern­erfolg der Schü­ler nicht die behaup­te­te wesent­li­che Rol­le. Auch der vor­ran­gi­gen Bedeu­tung von Lehr- und Lern­me­tho­den, sie sie spe­zi­ell in Deutsch­land her­vor­ge­ho­ben wird, teilt er eine Absage.

Hat­ties posi­ti­ves Resü­mee aus sei­nen Stu­di­en besteht in der Aus­sa­ge: Was die Schü­ler ler­nen, hängt von dem ein­zel­nen Päd­ago­gen ab. Oder: Auf den (guten) Leh­rer kommt es an! Der Päd­ago­ge darf sich gera­de nicht als Lern­hel­fer zurück­neh­men, son­dern muss wie ein Regis­seur sei­ne Klas­se len­ken und inspi­rie­ren. Das beginnt mit einer strin­gen­ten Klas­sen­füh­rung, bei der Stö­run­gen kon­se­quent begeg­net wer­den soll­ten. Struk­tu­riert und dis­zi­pli­n­be­wusst, fach­be­zo­gen und stets im Mit­tel­punkt des Gesche­hens – so steu­ert ein guter Leh­rer nach Hat­tie den Unter­richt von der ersten bis zur letz­ten Minu­te. Unter die­ser Prä­mis­se bleibt dem Päd­ago­gen die Metho­den­aus­wahl über­las­sen. Aller­dings stellt Hat­tie in sei­ner Meta-Ana­ly­se die direk­te Instruk­ti­on, also den Leh­rer­un­ter­wei­sung im Fron­tal­un­ter­richt, als beson­ders effek­tiv heraus.

Auf den Lehrer kommt es an!

Bei die­sem durch­ge­hend leh­rer­zen­trier­ten Unter­richt soll ein guter Leh­rer – und das macht den Unter­schied zu man­chem tra­dier­ten Unter­rich­ten aus – immer wie­der die Per­spek­ti­ve sei­ner Schü­ler ein­neh­men. Vie­le Leh­rer – so Hat­tie – erklär­ten die feh­len­den Lern­fort­schrit­te mit den Schwä­chen ihrer Schü­ler. Statt­des­sen müs­se der Leh­rer sich fra­gen, was er falsch macht, wenn sei­ne Klas­se beim Ler­nen nicht vor­an­kommt. Wich­tig ist für Hat­tie die tea­cher cla­ri­ty, also dass die Schü­ler ganz genau wis­sen, was der Leh­rer als Lern­ziel vor­gibt. Er emp­fiehlt auch, regel­mä­ßig den Lern­stand der Schü­ler in klei­nen Tests abzu­fra­gen. Fal­sche Ant­wor­ten in Test und Unter­richt wer­tet Hat­tie als Trieb­kraft des unter­richt­li­chen Lern­pro­zes­ses. Gleich­zei­tig lässt Hat­tie regel­mä­ßig die Schü­ler über den Unter­richt urtei­len – mit erstaun­lich prä­zi­sen und viel­fach nütz­li­chen Hin­wei­sen für den Lehrer.

Für wesent­lich hält Hat­tie die emo­tio­na­len bzw. wert­ori­en­tier­ten Sei­ten des Unter­rich­tens und Ler­nens. Ohne Respekt und Wert­schät­zung, Für­sor­ge und Ver­trau­en kön­ne Unter­richt nicht gelin­gen. Selbst die Lie­be zum Fach lebt bei ihm wie­der auf. Die besten Leh­rer – das bestä­ti­gen schon immer die Schü­ler-Erfah­run­gen – sind die­je­ni­gen, die für ihren Lern­stoff bren­nen, ihn mit Lei­den­schaft ver­mit­teln und dadurch die Schü­ler dafür begei­stern. Wer die Lehr­per­so­nen zu Lern­be­glei­tern degra­diert, macht den Leh­rer­be­ruf zum Job, den Unter­richt zur lang­wei­li­gen Rou­ti­ne für bei­de Seiten.

Kritik an der Degradierung der Lehrer zu Lernbegleitern

John Hattie, neuseeländischer Bildungswissenschaftler
John Hat­tie, neu­see­län­di­scher Pädagogik-Professor

Die schärf­ste Kri­tik Hat­ties ergibt sich an der Rol­le des Leh­rers in den rot-grü­nen Schul­la­bo­ra­to­ri­en. In den baden-würt­tem­ber­gi­schen ‚Gemein­schafts­schu­len’ wer­den je zwei Lehr­per­so­nen in einer Klas­se als Gestal­ter der Lern­um­ge­bung zu Lern­hel­fern degra­diert. Die­se sol­len die hete­ro­ge­nen Lern­grup­pen dif­fe­ren­zie­rend bän­di­gen sowie Einzel‑, Part­ner- und Grup­pen­ar­bei­ten der Schü­ler coa­chend beglei­ten. Das Unter­rich­ten im klas­si­schen Sin­ne, also Instruk­ti­on sowie das vom Leh­rer gelenk­te Unter­richts­ge­spräch zu einem The­ma, wer­den marginalisiert.

Hat­ties For­schungs­er­geb­nis­se spre­chen auch gegen die Schul­form der Gemein­schafts­schu­le selbst. Da die­se Schul­art die Hete­ro­ge­ni­tät des Lei­stungs­ni­veaus als Struk­tur jeder Lern­grup­pe vor­aus­setzt, ist ein klas­si­scher – und damit effek­ti­ver – Unter­richt im Sin­ne Hat­ties nicht mehr möglich.

Die rot-grünen Bildungspolitiker zeigen sich lernresistent

Die Ergeb­nis­se der Hat­tie-Stu­die sind etwa zeit­gleich mit den PISA-Ergeb­nis­sen von 2012 bekannt und in den Fach­me­di­en debat­tier­te wor­den. Den rot-grü­nen Schul­po­li­ti­kern muss­te seit­her klar sein, dass ihre Schul­struk­tur­än­de­run­gen eher eine Ver­schlech­te­rung der Unter­richts­er­geb­nis­se her­bei­füh­ren wür­den. Ins­be­son­de­re die Ver­ab­so­lu­tie­rung der Metho­de des auto­no­men Indi­vi­du­al­ler­nens und die damit ein­her­ge­hen­de Degra­die­rung der Leh­rer führt trotz erhöh­tem Per­so­nal- und Mit­tel­ein­satz zu schlech­te­ren Lern­ergeb­nis­sen der Schü­ler als der leh­rer­zen­trier­te Unter­richt unter Ein­schluss der Schülerperspektive.

Ange­sichts die­ser evi­denz­ba­sier­ten Stu­di­en­ergeb­nis­se zei­gen sich die rot-grü­nen Bil­dungs­po­li­ti­ker lern­re­si­stent und ideo­lo­gie­ver­haf­tet. Just im Jah­re 2012 wur­den die ersten Schu­len in Baden-Würt­tem­berg vom SPD-regier­ten Kul­tus­mi­ni­ste­ri­um dazu gedrängt, sich in soge­nann­te ‚Gemein­schafts­schu­len’ zu ver­wan­deln. Obwohl der Ein­satz von Per­so­nal, Zeit­auf­wand und Sach­mit­tel ernorm gestei­gert wur­de, erweist sich die­ser Schul­typ als noch lei­stungs­schwä­cher und inef­fek­ti­ver als die seit den 70er Jah­ren ein­ge­führ­ten Gesamt­schu­len in SPD-regier­ten Län­dern. Denn in ihnen gibt es gar kei­ne Dif­fe­ren­zie­rung mehr nach Lei­stungs­ni­veau-Grup­pen, also die dem geglie­der­ten Schul­sy­stem nach­ge­ahm­ten A‑, B- und C‑Kurse der Gesamtschulen.

Die pädagogische Quadratur des Kreises kann nicht gelingen

Mit dem Namen des Schul­typs und in Hoch­glanz­bro­schü­ren ver­spricht die rot-grü­ne Lan­des­re­gie­rung den Eltern, dass in die­ser Schul­form die päd­ago­gi­sche Qua­dra­tur des Krei­ses end­lich gelän­ge: Einer­seits wür­den alle Kin­der eines Jahr­gangs trotz unter­schied­li­chen Lern­ni­veaus gemein­schaft­lich unter­rich­tet, ande­rer­seits soll jedes Kind in sei­nem indi­vi­du­el­len Lern­tem­po und sei­ner Bega­bung berück­sich­tigt und geför­dert werden.

Nach der päd­ago­gi­schen Kern­phi­lo­so­phie der Gemein­schafts­schu­le stellt das indi­vi­dua­li­sier­te Selbst­ler­nen die Basi­s­tä­tig­keit in den Lern­grup­pen dar. Klas­sen, Klas­sen­leh­rer und Klas­sen­un­ter­richt gibt es da nicht mehr, weil die eine gewis­se Homo­ge­ni­tät der Schü­ler vor­aus­set­zen. Um aber die lei­stungs­mä­ßi­ge Hete­ro­ge­ni­tät der Schü­ler­schaft zu bewäl­ti­gen, wer­den die Schü­ler der Lern­grup­pen nach Ein­gangs­tests in vier ver­schie­de­ne Niveau­stu­fen ein­ge­teilt: Gymnasial‑, Realschul‑, Haupt­schul- und För­der­schul­ni­veau. Die ehe­ma­li­gen Leh­rer und nun­meh­ri­gen Lern­mo­de­ra­to­ren müs­sen dann den Schü­lern des jewei­li­gen Lern­ni­veaus unter­schied­li­che Mate­ria­li­en, Lern­pa­ke­te oder Wochen­plan­auf­ga­ben zutei­len, die sie anschlie­ßend indi­vi­du­ell abar­bei­ten sol­len. Die Lern­be­glei­ter haben dann bei dem Selbst­lern­pro­zess der Schü­ler für Fra­gen etc. zur Ver­fü­gung ste­hen. Gele­gent­lich sol­len Schü­ler in indi­vi­du­el­len Lern­fort­schritts­ge­sprä­chen gecoacht werden.

Praktische Schwierigkeiten und strukturelle Widersprüche

Die zugrun­de­lie­gen­de Schul- und Lern­theo­rie geht von ide­al-lern­wil­li­gen Schü­lern aus. In der Pra­xis erweist sich das Kon­zept als schwer durch­führ­bar bis chao­tisch. Eine ehe­ma­li­ge Haupt­schul­leh­re­rin mein­te dazu: Die­se Her­ku­les­auf­ga­be ist aus mei­ner Sicht nicht zu bewerk­stel­li­gen. Ein erfah­re­ner Gym­na­si­al­leh­rer hat vor der Dis­zi­plin­lo­sig­keit sei­ner Schü­ler resi­gniert. Laut FAZ-Bericht vom 11. Febru­ar sag­te er: Im Grun­de sind wir Domp­teu­re in einem Zir­kus, der sich Gemein­schafts­schu­le nennt. Außer­dem bin ich kein Psy­cho­lo­ge, kein The­ra­peut, kein Logo­pä­de, kein För­der­schul­leh­rer, kein Hort­er­zie­her. Ich will ein­fach nur unter­rich­ten, alters­ge­recht leh­ren, Wis­sen ver­mit­teln. Natür­lich gibt es auch enga­gier­te Kol­le­gen für die­se Schul­form, die der gewal­ti­ge Zeit­auf­wand für Koor­di­na­ti­on und Bereit­stel­lung der dif­fe­ren­zier­ten Lern­ma­te­ria­li­en nicht abschreckt und die sich in ihrer Frei­zeit zu Team­be­spre­chun­gen treffen.

Neben den prak­ti­schen Durch­füh­rungs­pro­ble­men zei­gen sich auch struk­tu­rel­le Wider­sprü­che: Die Kon­zen­tra­ti­on auf das schrift­li­che Indi­vi­du­al­ler­nen lässt das ver­spro­che­ne gemein­schaft­li­che Ler­nen an den Rand tre­ten. Leh­rer-Instruk­tio­nen sind zwar vor­ge­se­hen, aber in der hete­ro­ge­nen Lern­grup­pe schwie­rig und wenig effek­tiv. Das zeigt sich vor allem im Fremd­spra­chen­un­ter­richt, wo die sel­te­nen Unter­richts­ge­sprä­che nur den Gym­na­si­al- oder Real­schü­lern etwas brin­gen. Die schwä­che­ren Schü­ler fal­len hier wie auch bei der selb­stän­di­gen Bewäl­ti­gung der schrift­li­chen Arbei­ten noch wei­ter zurück. Hin­zu kommt, dass die Lehr­per­so­nen viel­fach in bis zu fünf Fächern fach­fremd ein­ge­setzt wer­den, wie das bei der Haupt­schu­le üblich ist. Das Prin­zip der Fach­lich­keit des Unter­rich­tens ist aber eine tra­gen­de Säu­le für effek­ti­ven Unterricht.

Die Entzauberung der Gemeinschaftsschule beginnt

Bedenk­lich stimmt, so schreibt die FAZ, dass Kri­tik an der neu­en Schul­form vie­ler­orts nicht gedul­det wird. Die Zei­tung weiß von dis­zi­pli­nar­recht­li­chen Dro­hun­gen zu berich­ten. Auf die Dau­er wer­den die Schul­be­hör­den die Tat­sa­chen aber nicht unter­drücken kön­nen. Denn vie­le Indi­ka­to­ren spre­chen dafür, dass das Expe­ri­ment der Gemein­schafts­schu­le inef­fek­tiv ist gemes­sen am Ein­satz von Per­so­nal, Sach­mit­tel und Ner­ven­ver­schleiß. Gegen­über dem Hoch­glanz-Ver­spre­chen von bes­se­rer För­de­rung von Schü­lern – ins­be­son­de­re der schwä­che­ren – dürf­te eher das Gegen­teil rich­tig sein. Jeden­falls zeich­net sich eine Lei­stungs­ni­veau-Sen­kung ab. Auch das Eti­kett gemein­sa­mes Ler­nen in der Gemein­schafts­schu­le erweist sich als irre­füh­rend, wenn die Klas­sen­ge­mein­schaft zugun­sten des haupt­säch­lich ver­ein­zel­ten Indi­vi­du­al­ler­nens auf­ge­löst wird.

Mit­te letz­ten Jah­res wur­de eine Stu­die bekannt, die dem neu­en Schul­typ ein ver­nich­ten­des Urteil aus­stellt – so die FAZ vom 16. 8. 2015. Danach gelingt weder die neue Unter­richts­form des selb­stän­di­gen Ler­nens mit Leh­rern als Lern­be­glei­tern noch die Inklu­si­on oder die beson­de­re För­de­rung der Schwäch­sten und Stärk­sten. Auch die Lei­stungs­be­ur­tei­lung ist mehr als frag­wür­dig.. Das resü­miert die FAZ-Bil­dungs­kor­re­spon­den­tin Hei­ke Schmoll.

Nicht eklatant schlechter als die anderen Schulformen?

Die wis­sen­schaft­li­che Unter­su­chung war an der Tübin­ger Geschwi­ster-Scholl-Schu­le aus­ge­führt wor­den, die von Kul­tus­mi­ni­ster Stoch (SPD) viel­fach als bei­spiel­haft hin­ge­stellt wird. Doch wenn schon eine Anstalt mit län­ge­ren Erfah­run­gen an inte­gra­ti­vem Unter­richt mit den Metho­den der neu­en Gemein­schafts­schu­le offen­sicht­lich über­for­dert ist, wie soll das an den ande­ren Schu­len funk­tio­nie­ren? Es ist aber nicht zu erwar­ten, dass die rot-grü­nen Bil­dungs­po­li­ti­ker aus die­sen schlech­ten Erfah­run­gen ler­nen. Denn Ideo­lo­gie macht bekannt­lich blind gegen­über der Rea­li­tät bzw. den evi­denz­ba­sier­ten Studienergebnissen.

Inzwi­schen liegt ein Abschluss­be­richt zu einer Stich­pro­ben­stu­die an zehn Gemein­schafts­schu­len mit 20 Lern­grup­pen vor. Obwohl bei der Unter­su­chung kei­ne Lei­stungs­ver­glei­che mit ande­ren Schul­ar­ten erho­ben wur­den, mach­te der Stu­di­en­lei­ter die irre­füh­ren­de und doch zugleich erhel­len­de Aus­sa­ge, dass die Gemein­schafts­schu­le nicht ekla­tant schlech­ter wäre als irgend­ei­ne ande­re Schul­art. Laut Stu­die konn­ten die schwä­che­ren Schü­ler durch die gemein­schafts­schulen­ty­pi­sche Selbst­lern­me­tho­de gera­de nicht beson­ders geför­dert wer­den, wie die Pro­pa­gan­di­sten der Gemein­schafts­schu­le stets behaup­ten. Im Gegen­teil gab es deut­li­che Hin­wei­se auf die Über­for­de­rung schwa­cher Schü­ler, wie die FAZ vom 22. 1. 2016 berichtete.

Wei­ter­füh­ren­de Lite­ra­tur: Die Ent­zau­be­rung von Finn­lands Schu­len, in: Pro­fil 9/​2015, Maga­zin für Gym­na­si­um und Gesell­schaft; Schwä­bi­sches Him­mel­fahrts­kom­man­do, von Hei­ke Schmoll, FAZ vom 16. 8. 2015, wei­te­re FAZ-Arti­kel vom 22. 1. und 11. 2.; Hat­tie-Stu­die: Ich bin super­wich­tig, von Mar­tin Spiewak. 

Text: Hubert Hecker
Bild: BW-Kul­tus­mi­ni­ste­ri­um­/­Die Grünen/​Wikicommons (Screen­shots)

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