Zündet Saudi-Arabien die Lunte zu einem neuen Nahost-Krieg? Offener Brief eines libanesischen Christen an den saudischen König


Vorabend zu einem neuen Nahostkrieg?
Vorabend zu einem neuen Nahostkrieg?

(Beirut/​Riad) Sau­di-Ara­bi­en rüstet der­zeit nicht nur zum Krieg, son­dern scheint gera­de­zu erpicht dar­auf, Feu­er an die Lun­te zu legen. In den ver­gan­ge­nen Tagen wur­den sau­di­sche Kampf­flug­zeu­ge samt Besat­zun­gen und Boden­per­so­nal auf den tür­ki­schen Luft­waf­fen­stütz­punkt Incir­lik ver­legt. Die Ver­le­gung erfolg­te im Rah­men der von den USA geführ­ten Mili­tär­ko­ali­ti­on gegen den Isla­mi­schen Staat (IS), der neu­er­dings von west­li­chen Poli­ti­kern und Medi­en lie­ber Daesh genannt wird. Die tür­kisch-sau­di­sche Alli­anz gegen Syri­en und den Iran ist als anti-schii­ti­sche Alli­anz der Sun­ni­ten zu sehen. Der Liba­non ver­wei­gert sich jedoch der sau­di­schen For­de­rung, sei­ner Mili­tär­al­li­anz bei­zu­tre­ten. Ein füh­ren­der maro­ni­ti­scher Christ ver­faß­te heu­te einen offe­nen Brief an den sau­di­schen König Sal­man. Ein Brief für den Frie­den am Vor­abend eines Krieges?

Militärmanöver Northern Donner

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Seit einer Woche fin­den im ölrei­chen Wüsten­kö­nig­reich die größ­ten Mili­tär­ma­nö­ver sei­ner Geschich­te statt. Trup­pen aus 20 Staa­ten sind dar­an betei­ligt. Sau­di-Ara­bi­en kann nun ern­ten, was es durch groß­zü­gi­ge Geld­flüs­se in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten in ara­bi­sche und afri­ka­ni­sche Staa­ten inve­stier­te. Die Ope­ra­ti­on Nor­t­hern Don­ner, „Don­ner des Nor­dens“ wur­de vor zehn Tagen begon­nen und soll noch eine Woche dau­ern. Bekannt­ge­ge­ben wur­de sie erst am Tag des Manö­ver­be­ginns. Gleich­zei­tig droh­te Riad dem syri­schen Prä­si­den­ten Bas­har al-Assad wört­lich mit einem „gewalt­sa­men Sturz“. Genau so haben Krie­ge begonnen.

Hin­ter­grund ist unter ande­rem der aus­blei­ben­de Sieg des Isla­mi­schen Staa­tes (IS) gegen Assad. Dank der rus­si­schen Mili­tär­un­ter­stüt­zung konn­te die syri­sche Regie­rung zuletzt Gebie­te zurück­er­obern. Den Rus­sen gelang es inner­halb rela­tiv kur­zer Zeit, was der US-geführ­ten Anti-IS-Koali­ti­on ein gan­zes Jahr lang zuvor nicht gelin­gen woll­te: den IS-Vor­marsch zu stop­pen. Besiegt ist der Al-Qai­da-Nach­fol­ger aller­dings nicht.

Im Jemen führt Sau­di-Ara­bi­en bereits Krieg gegen die schii­ti­schen Hut­hi-Rebel­len. Die anti­schii­ti­sche Front wei­tet sich jedoch aus und droht einen Raum vom Mit­tel­meer bis zum Per­si­schen Golf, von der tür­ki­schen Gren­ze bis zur paki­sta­ni­schen und afgha­ni­schen Gren­ze zu erfas­sen. Durch die demon­stra­tiv gezeig­te Bereit­schaft, mili­tä­risch im eige­nen Sinn ord­nend in den Nah­ost-Kon­flikt ein­zu­grei­fen, ver­schlei­ert Riad, daß es selbst Teil die­ses Kon­flikts ist. Sau­di-Ara­bi­en fand mit den befreun­de­ten USA zu einer Inter­es­sens­al­li­anz gegen die in Syri­en regie­ren­den Ala­wi­ten, aus deren Rei­hen die Prä­si­den­ten­fa­mi­lie Assad stammt, und die den Schii­ten zuge­rech­net wer­den. Die Grün­de der Anti-Assad-Alli­anz sind nicht deckungs­gleich, doch auf der Grund­la­ge des Mot­tos „Der Feind mei­nes Fein­des ist mein Freund“, wur­de man sich einig, einen Auf­stand gegen die Regie­rung Assad vom Zaun zu brechen.

Dazu wur­den sun­ni­ti­sche syri­sche Clans umwor­ben und mit Geld und Waf­fen ver­sorgt und logi­stisch unter­stützt. Anfangs ver­lau­te­te Washing­ton, eine Freie Syri­sche Armee kämp­fe gegen den Dik­ta­tor Assad und für die Demo­kra­tie. Die Freie Syri­sche Armee ent­pupp­te sich bald in einem wesent­li­chen Teil als isla­mi­sti­sche Mili­zen wie die al-Nus­ra-Bri­ga­de und der Isla­mi­sche Staat (IS). Das wol­len weder Riad noch Washing­ton zuge­ben. Von der Frei­en Syri­schen Armee ist aller­dings kaum mehr die Rede, dafür umso mehr vom Mor­den der Isla­mi­sten, deren Opfer bevor­zugt Chri­sten sind. Bis heu­te ist unklar, wel­che Regie­run­gen und Insti­tu­tio­nen unter der Decke dem Isla­mi­schen Staat und sei­nen Able­gern hilf­reich zur Hand gehen.

Der Libanon als Gegenmodell

Der Liba­non ist der ein­zi­ge stark christ­lich gepräg­te Staat des Nahen Ostens. Er bil­de­te in sei­nem Ursprung eine Art auto­no­mes Schutz­ge­biet für Chri­sten im Osma­ni­schen Reich, die sich vor Unter­drückung und Repres­si­on in das gebir­gi­ge Küsten­land zurück­zo­gen. Sei­ne christ­li­che Mehr­heit hat das Land im blu­ti­gen Gewirr des Nah­ost­kon­flikts ein­ge­büßt. Wenn das Land jedoch noch exi­stiert und zusam­men­ge­hal­ten wird, dann ist es den Chri­sten und ihrem kul­tur­prä­gen­den Glau­ben zu ver­dan­ken. Der Liba­non ist das ein­zi­ge Land im Nahen Osten, in dem alle Grup­pen an der Staats­füh­rung betei­ligt sind und stellt damit eine ein­zig­ar­ti­ge Aus­nah­me dar.

Dabei hät­ten auch die Chri­sten aus­rei­chend Grund, nach­tra­gend zu sein. Sie könn­ten wie die ande­ren Reli­gi­ons­grup­pen zum Mit­tel der Gewalt grei­fen, tun es aber nicht, wenn sie nicht dazu gezwun­gen wer­den. Sie ken­nen die Geschich­te, rech­nen sie aber nicht auf.

Wenn die Chri­sten im Staat, der eigent­lich als Land der Chri­sten gedacht war, kei­ne Mehr­heit mehr haben, ist dafür die Grün­dung des Staa­tes Isra­el und die Ver­trei­bung der ein­hei­mi­schen Palä­sti­nen­ser, sun­ni­ti­sche Mos­lems und Chri­sten, ursäch­lich. Als deren Aus­sicht schwand, in abseh­ba­rer Zeit in ihre Hei­mat zurück­keh­ren zu kön­nen, ver­such­te die PLO sich den Liba­non als neu­es Staats­ge­biet zu erobern. Unter­stützt wur­de sie dabei von Tei­len der sun­ni­ti­schen Libanesen.

Die Fol­ge war ein blu­ti­ger Bür­ger­krieg. Der Ver­such konn­te abge­wehrt wer­den. Der Preis an Men­schen­le­ben und Zer­stö­rung war jedoch enorm. 27 Jah­re nach Kriegs­en­de ist der Liba­non noch weit von sei­nem Wohl­stand ent­fernt, den er davor genos­sen hat­te. Ein Wohl­stand, der den Chri­sten des Lan­des zu ver­dan­ken war. So wie die Liba­ne­sen es den Chri­sten zu ver­dan­ken haben, daß ihr Land kein zwei­ter Irak und kein zwei­tes Syri­en, kein zwei­ter Jemen und kein zwei­tes Liby­en gewor­den ist.

Ein nähe­res Ein­drin­gen in die liba­ne­si­schen Wirr­nis­se zwi­schen anti­sy­ri­schen und pro­sy­ri­schen, anti­west­li­chen und pro­west­li­chen, anti­is­rae­li­schen und pro­is­rae­li­schen Kräf­ten etc. wür­de jeden Rah­men spren­gen und wahr­schein­lich mehr Ver­wir­rung als Klar­heit schaffen.

Die saudische „Rache“

Zum Ver­ständ­nis der heu­ti­gen Lage sei nur gesagt, daß Syri­en in den 1970er den Chri­sten gegen den palä­sti­nen­si­schen Erobe­rungs­ver­such zu Hil­fe kam. Und daß die zah­len­mä­ßig beson­ders in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten stark ange­wach­se­ne Grup­pe der Schii­ten sich als natür­li­cher Ver­bün­de­ter der syri­schen Ala­wi­ten sieht.

Tat­sa­che ist, daß die Chri­sten des Liba­nons Syri­en für die Mili­tär­hil­fe in den 1970er Jah­ren dank­bar sind. Tat­sa­che ist jedoch auch, daß die Mehr­heit der liba­ne­si­schen Chri­sten kei­nen Liba­non als syri­sches Pro­tek­to­rat woll­te und daher für den 2005 abge­schlos­se­nen Rück­zug aus dem Liba­non ein­trat. Das ändert nichts dar­an, daß die liba­ne­si­schen Chri­sten genau wis­sen, daß es ihren christ­li­chen Glau­bens­brü­dern in Syri­en, mit denen sie viel­fach auch ver­wandt­schaft­lich ver­bun­den sind, unter dem Ala­wi­ten Assad wesent­lich bes­ser ergeht als unter einer sun­ni­ti­schen Herr­schaft. Wäh­rend die schii­ti­sche His­bol­lah aktiv in Syri­en an der Sei­te Assads kämpft, hegen die liba­ne­si­schen Chri­sten aus Soli­da­ri­tät mit den syri­schen Chri­sten zumin­dest Sympathien.

Das erklärt zum Teil, war­um der Liba­non sich nicht an der von Sau­di-Ara­bi­en mit Zustim­mung der USA geschmie­de­ten anti­schii­ti­schen Alli­anz betei­li­gen will. Haupt­grund dafür ist Selbst­schutz vor einem wei­te­ren tod­brin­gen­den und zer­stö­re­ri­schen Krieg, in den man nicht hin­ein­ge­zo­gen wer­den will. Eine Wei­ge­rung, die das klei­ne Land teu­er zu ste­hen kommt. Riad gab in die­sen Tagen einen gan­zen Straf­ka­ta­log gegen den Liba­non bekannt. König Sal­man for­dert eine Ende 2013 von sei­nem Vor­gän­ger König Abdal­lah gewähr­te Schen­kung von drei Mil­li­ar­den Dol­lar zur Auf­rü­stung der liba­ne­si­sche Armee zurück. Eine gewal­ti­ge Sum­me, die seit­her über Rüstungs­lie­fe­run­gen Frank­reichs zum Teil in die Armee des klei­nen Mit­tel­meer­lan­des geflos­sen ist. Die gemein­sa­me Armee stellt einen wich­ti­gen Sta­bi­li­täts­fak­tor in einem Staat dar, in dem sich noch vor kaum mehr als 25 Jah­ren zahl­rei­che bewaff­ne­te Mili­zen bekämpften.

Die Ver­stim­mung Riads kommt auch in der öffent­li­chen War­nung zum Aus­druck, daß Sau­dis aus „Sicher­heits­grün­den“ den Liba­non als Rei­se­ziel mei­den soll­ten. Heu­te ging Riad noch wei­ter und for­der­te alle Sau­dis auf, den Liba­non zu ver­las­sen. Eine Maß­nah­me, die von den eng­sten sau­di­schen Ver­bün­de­ten in der Golf­re­gi­on, von Bah­rein, den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten und Katar über­nom­men wur­de. Die Liba­ne­sen ver­ste­hen: Die Rei­se­war­nung soll in Wirk­lich­keit eine indi­rek­te Auf­for­de­rung sein, die Wirt­schafts­be­zie­hun­gen mit dem Liba­non zurück­zu­schrau­ben. Der heu­ti­ge Rück­ruf der sau­di­schen Staats­bür­ger kommt auf zivi­ler Ebe­ne fak­tisch einer Gene­ral­mo­bil­ma­chung auf mili­tä­ri­scher gleich.

Direk­te und mas­si­ve Aus­wir­kun­gen hat die drit­te Dro­hung, die nicht offi­zi­ell aus­ge­spro­chen wur­de, aber aus­rei­chend laut­stark infor­mell in Umlauf gesetzt wur­de: Sau­di-Ara­bi­en und die ande­ren Golf­emi­ra­te könn­ten die 400.000 in der Golf­re­gi­on beschäf­tig­ten Liba­ne­sen aus­wei­sen. Was das für den Liba­non, ein Land mit 4,4 Mil­lio­nen Ein­woh­nern (hin­zu kom­men 450.000 palä­sti­nen­si­sche Flücht­lin­ge und 1.250.000 syri­sche Flücht­lin­ge) bedeu­tet, läßt sich leicht aus­ma­len. Spä­te­stens seit Bekannt­ga­be die­ser Dro­hung weiß jeder Liba­ne­se, daß Sau­di-Ara­bi­en ernst meint und das klei­ne Land am Mit­tel­meer sich gefü­gig machen will. Eine gerüch­te­wei­se kur­sie­ren­de vier­te Dro­hung, die von sun­ni­ti­schen Fami­li­en beherrsch­ten Golf­staa­ten könn­ten ihr Geld von den liba­ne­si­schen Ban­ken abzie­hen und das Land in eine wirt­schaft­li­che und sozia­le Kri­se stür­zen, run­det die Droh­ku­lis­se ab.

Die libanesische Weigerung

Fady Noun: Offener Brief an saudischen König
Fady Noun: Offe­ner Brief an sau­di­schen König

Die „Rache“ des sau­di­schen Königs Sal­man erfolgt, nach­dem der liba­ne­si­sche Außen­mi­ni­ster, der maro­ni­ti­sche Christ Jebran Bas­sil von der Frei­en Patrio­ti­schen Bewe­gung, sich zwei­mal bei den jüng­sten Tref­fen der ara­bi­schen Außen­mi­ni­ster wei­ger­te, einer von Sau­di-Ara­bi­en vor­ge­leg­ten anti­ira­ni­schen Reso­lu­ti­on zuzu­stim­men und sich damit in die sau­di­sche Alli­anz ein­zu­rei­hen. Die Freie Patrio­ti­sche Bewe­gung bil­det innen­po­li­tisch die Min­der­heits­frak­ti­on der liba­ne­si­schen Chri­sten. In der außen­po­li­ti­schen Fra­ge, was das Pul­ver­faß des sun­ni­tisch-schii­ti­schen Kon­flikts anbe­langt, das den gan­zen Nahen Osten in die Luft zu jagen droht, sind sich christ­li­che Mehr­heit und Min­der­heit jedoch weit­ge­hend einig. Eine direk­te Invol­vie­rung des Liba­non in einen unkon­trol­lier­ba­ren Nah­ost­krieg wäre das Ende der letz­ten noch ver­blie­be­nen, nen­nens­wer­ten und vor allem prä­gen­den christ­li­chen Prä­senz im Nahen Osten.

Nicht nur in isla­mi­schen Krei­sen, auch unter liba­ne­si­schen Chri­sten wird gerüch­te­wei­se die Mut­ma­ßung her­um­ge­reicht, Isra­el käme ein zer­stör­tes Umland als einer Art gigan­ti­scher Gla­cis nicht unge­le­gen. Eben­so­we­nig jenen west­li­chen Kräf­ten, die unge­niert nach einem Krieg ihre Hand auf die Boden­schät­ze des Nahen Ostens legen könn­ten. Eine Ein­schät­zung, die die Gesamt­stim­mung nicht zu heben ver­mag. Ein füh­ren­der Christ des Liba­non will nicht über sol­che Hin­ter­grün­de hin­ter den Hin­ter­grün­den spe­ku­lie­ren. Ihm genü­gen die Fak­ten, die auf dem Tisch lie­gen, denn die sei­en schwer­wie­gend genug und ver­an­laß­ten ihn zum Handeln.

Der maro­ni­ti­sche Christ Fady Noun, stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur der ange­se­hen­sten liba­ne­si­schen Tages­zei­tung L‘Orient-Le Jour schrieb in die­ser sich dra­ma­tisch zuspit­zen­den Situa­ti­on, in der man die Lun­te bis Bei­rut rie­chen kann, einen offe­nen Brief an König Sal­man von Sau­di-Ara­bi­en. Dar­in for­dert er gegen­sei­ti­gen Respekt ein und zeigt auf, war­um der Liba­non nicht Teil einer Alli­anz wer­den kann, weil sonst das ein­zi­ge Modell einer trag­fä­hi­gen Lösung des Kon­flikts zer­stört wür­de. Viel­mehr hält Noun dem sau­di­schen König den Liba­non als Lösungs­mo­dell hin mit der Auf­for­de­rung, den Frie­den statt den Krieg zu wählen.

Offener Brief für den Frieden und gegen den Krieg

Eini­ge Aus­zü­ge aus dem Schrei­ben eines ein­sa­men christ­li­chen Rufers am Vor­abend eines Krie­ges, der noch ver­hin­dert wer­den kann.

Zur Fra­ge der Dro­hun­gen gegen den Liba­non schreibt Noun:

„Maje­stät, bei allem Respekt, aber sie bege­hen Feh­ler. Die­se drei Mil­li­ar­den Dol­lar gehö­ren ihnen nicht mehr. Sie haben Sie uns geschenkt, wie Staats­prä­si­dent Michel Slei­man erklär­te und bezeug­te. Wir mei­nen, daß ein Geschenk nicht zurück­ge­nom­men wer­den kann und wir wer­den nicht noch ein­mal dar­um bit­ten, was bereits unser ist. Ihnen schien es rich­tig, es zurück­zu­neh­men, wir aber den­ken, daß das nicht den Absich­ten des Spen­ders ent­spricht und der zwi­schen unse­ren Völ­kern geschlos­se­nen Freund­schaft. Sie wur­den belei­digt? Doch die Ehre einer Per­son liegt dar­in, über Belei­di­gun­gen hin­weg­zu­ge­hen. Das wäre ihre wah­re Kro­ne, ihre könig­li­che ‚Kef­fiah‘. Vor allem aber haben wir eine Waf­fe, die uns nie­mand rau­ben und auch nicht ver­kau­fen kann: unser Blut. Ohne die drei Mil­li­ar­den wird es eben um so mehr zur Ver­fü­gung gestellt, das ist alles. Und alle Stra­te­gien wer­den Euch sagen, daß ein Heer den Sieg vor allem durch sei­ne Moral erringt.“

Noun geht dann auf die der­zei­ti­gen Spal­tung in der isla­mi­schen Welt ein.

„Und ohne fal­sche Beschei­den­heit zögern wir nicht, zu sagen, daß die Ant­wort auf die­se Spal­tung sich (auch) im Liba­non fin­det. Die Maro­ni­ti­sche Kir­che schenk­te dem Liba­non eine Offen­heit gegen­über der wirk­li­chen Moder­ne. Das war ihr beson­de­rer Schatz, der ein Schatz aller wur­de. Die­se Öff­nung, die seit dem Beginn des­sen wirkt, was dann der liba­ne­si­sche Staat gewor­den ist, ermög­lich­te es allen Liba­ne­sen zu ernten.

Die Maro­ni­ten haben die­se eini­gen­de Rol­le auf kirch­li­cher Ebe­ne gespielt. Des­halb gibt es nicht mehr Katho­li­ken und Ortho­do­xe. Und sie haben das dann auf die staat­li­che Ebe­ne über­tra­gen und es dem Liba­non ermög­licht, zu einem unab­hän­gi­gen ara­bi­schen Staat zu wer­den. Die­se Part­ner­schaft ist das Kost­bar­ste, was unser Land hat. Vor weni­gen Tagen rief uns der Patri­arch auf, die­sen Auf­trag fort­zu­set­zen und Brücken und Ver­bin­dun­gen zwi­schen den Gemein­schaf­ten zu bauen.“

Die Kri­se sei daher, so Noun, die Gele­gen­heit für die Kir­che, im Liba­non und für den Liba­non in ihrem Geist zu wir­ken, nicht um das Grup­pen­den­ken zu för­dern, son­dern um „anzu­nä­hern und zu versöhnen“.

„Jen­seits aller Begleit­erschei­nun­gen ist es not­wen­dig über die Zeit nach­zu­den­ken, in denen die bei­den Theo­kra­tien, die der Iran und Sau­di-Ara­bi­en sind, ent­stan­den, ist es not­wen­dig über die ver­bor­ge­ne escha­to­lo­gi­sche Gno­sis nach­zu­den­ken, die die isla­mi­sche Repu­blik atmet, und über die Rück­kehr zu den Ursprün­gen der waha­bi­ti­schen Leh­re, die am Beginn des 20. Jahr­hun­derts ent­wickelt wur­de. Es gilt anzu­er­ken­nen, daß die eine wie die ande­re Form eine Gegen­be­we­gung zu einer ’spi­ri­tu­el­len Ver­drän­gung‘ ist, die sich in jenem Westen voll­zo­gen hat, die ihnen als Zukunft ange­prie­sen wur­de und auf die sie, mit guten Grund, ver­zich­tet haben und sie auch heu­te nicht wollen.

Es gilt anzu­er­ken­nen, daß man vor einem Zivi­li­sa­ti­ons­phä­no­men steht, das alle betrifft, ein­schließ­lich den Westen, den athe­isti­sche Westen des toten Got­tes, der kolo­nia­len Erobe­rung, der impe­ria­len Erobe­run­gen, des unglei­chen Aus­tau­sches, des erklär­ten oder höf­li­chen Ras­sis­mus und des ethi­schen Rela­ti­vis­mus. Ein Rela­ti­vis­mus, den der ame­ri­ka­ni­schen Phi­lo­soph Eric Voe­gel­in ‚eine Selbst-Ver­gött­li­chung der Gesell­schaft‘ nann­te.

Wie sehr fehlt uns in die­sen schwie­ri­gen Tagen die­ses ernst­haf­te Nach­den­ken über das Ver­hält­nis zwi­schen den Kul­tu­ren, das uns die Mög­lich­keit böte, unse­re Rol­le als Kul­tur­ver­mitt­ler, als Ver­mitt­ler des Frie­dens und der Wahr­heit zu spie­len. Wie sehr fehlt es uns heu­te, das 20. Jahr­hun­dert ohne Zögern den­ken zu kön­nen. Wie sehr fehlt uns das tie­fe Nach­den­ken über den Islam, um zu ver­ste­hen, was die­se kul­tu­rel­le und poli­ti­sche Abir­rung mög­lich mach­te, die ‚Isla­mi­scher Staat‘ genannt wird.

Wo sind die Den­ker einer grund­le­gen­den Erör­te­rung? Wo sind die Michel Hayeck (1928–2005) und die Youa­kim Mou­ba­rak (1924–1995) von heu­te? Wo sind die Moham­mad Hus­sein Fad­al­lah und die Moham­med Mah­di Cham­seddi­ne von heu­te? Über alles hat sich der Haß gelegt. Anstatt den Mini­ster­prä­si­den­ten nach Sau­di-Ara­bi­en zu schicken, schicken wir den Muf­ti und den Patri­ar­chen, schicken wir einen der Erben die­ser Grün­der­vä­ter der liba­ne­si­schen Ein­heit, die­ser tie­fen Ein­heit, die mehr oder weni­ger bewußt einen Damm bil­det gegen die Flut der Gewalt, die sich so oft hin­ter den poli­ti­schen Reden ver­birgt. Das ist der Dienst des Liba­non und beson­ders der Maro­ni­ti­schen Kir­che, die eine Schu­le der Aus­ge­wo­gen­heit ist, die nicht von ande­ren ver­langt, was sie nichts selbst bereits umge­setzt hat und auch ande­ren zu geben begon­nen hat.“

Text: Andre­as Becker
Bild: iXr (Screen­shot)

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