Priester der Tradition ist tot – „Richtig verstanden kann alter Ritus gar nicht Grund für Spaltungen sein“


Don Pierangelo Rigon (1957-2016)
Don Pierangelo Rigon (1957-2016)

(Vicen­za) Am süd­li­chen Fuß der Alpen ist mit Don Pier­an­ge­lo Rigon ein Prie­ster der Tra­di­ti­on gestor­ben. Ein Ereig­nis, von dem die Welt kaum Notiz neh­men wird, wes­halb zumin­dest an die­ser Stel­le die­ses Die­ners des Herrn gedacht wer­den soll, der an dem ihm zuge­wie­se­nen Platz mit gro­ßer Demut und uner­müd­li­chem Ein­satz sei­ner Ver­pflich­tung als Prie­ster und Hir­te nach­ge­kom­men ist und nun, zu früh, im Alter von 58 Jah­ren aus die­ser Welt abbe­ru­fen wur­de. Er gehör­te zu jener klei­nen Schar von Ein­zel­kämp­fern, die ver­streut über den gan­zen Kon­ti­nent leben und auf die man häu­fig ganz uner­war­tet stößt.

Anzei­ge

So erging es auch mir bei Don Rigon. Es war eine klei­ne Zei­tungs­no­tiz über eine Hei­li­ge Mes­se im über­lie­fer­ten Ritus, die mei­ne Auf­merk­sam­keit geweckt hat­te. Ein Blick auf die Land­kar­te zeig­te, daß sich die ange­ge­be­ne Kir­che an den Aus­läu­fern der immensen Po-Ebe­ne befin­det. Kurz­ent­schlos­sen und trotz Som­mer­hit­ze mach­te ich mich auf den Weg in die Diö­ze­se Vicen­za. Wer den nor­ma­len Dunst über der Po-Ebe­ne kennt, weiß, wie ein­tö­nig die Fahrt war und wie sehr es an Anhalts­punk­ten fehl­te, an denen man sich ori­en­tie­ren hät­te können.

Mustergültig renovierte Pfarrkirche ohne Volksaltar

Nach eini­ger Suche stand ich vor der klei­nen, dem hei­li­gen Pan­kra­ti­us geweih­ten Kir­che von Ancigna­no. Dar­um her­um befan­den sich eini­ge Häu­ser, besten­falls ein Wei­ler. Am Ende stell­te sich zudem her­aus, daß die abge­druck­te Zeit­an­ga­be falsch war. Die lie­be­voll gepfleg­te und muster­gül­tig reno­vier­te Kir­che atme­te dafür schon am Schrif­ten­stand jenen gläu­bi­gen Geist, den man nicht sel­ten am Kir­chen­ein­gang ver­mißt. Hier lagen Schrif­ten über Eucha­ri­sti­sche Anbe­tung, die Letz­ten Din­ge und sogar über die Armen See­len, die vie­len längst aus jedem Bewußt­sein ent­fal­len schei­nen. Im Altar­raum fiel sofort der freie Blick zum Hoch­al­tar auf. Kein Volks­al­tar, kei­ne unnö­ti­ge Altardop­pe­lung im Pres­by­te­ri­um ver­stell­te den Blick.

Kirche zum heiligen Pankratius in Ancignano
Kir­che zum hei­li­gen Pan­kra­ti­us in Ancignano

Die Pfar­rei umfaßt ein grö­ße­res Gebiet und zählt mehr als tau­send Gläu­bi­ge. Ancigna­no ist ein Orts­teil von Sand­ri­go mit sei­ner mäch­ti­gen Pfarr­kir­che, die wegen ihrer Grö­ße im Volks­mund „Dom“ genannt wird. Sand­ri­go bil­det einen ein­zi­gen Pfarr­ver­band. Trotz ver­geb­li­cher Fahrt, was die Hei­li­ge Mes­se betraf, war die länd­li­che Ruhe ein Genuß und die Begeg­nung mit einem Prie­ster, hier, für mich gewis­ser­ma­ßen „am Ende der Welt“, der ein­sam die Tra­di­ti­on hoch­hält, etwas aus­ge­spro­chen Erfreu­li­ches. Doch von „Ein­sam­keit“ hät­te man an ihm nichts fest­stel­len kön­nen. Die gött­li­chen Tugen­den Glau­ben, Hoff­nung und Lie­be waren in ihm leben­dig und für sein Gegen­über spürbar.

Die Liebe zur Liturgie und eine „Ahnung“

Hier in Sand­ri­go wur­de Don Rigon 1957 gebo­ren, das war sei­ne Hei­mat. Er besuch­te das bischöf­li­che Gym­na­si­um in Vicen­za und trat nach der Matu­ra in das diö­ze­sa­ne Prie­ster­se­mi­nar ein. Sein beson­de­res Inter­es­se galt früh der Lit­ur­gie, wes­halb er sein Stu­di­um am Päpst­li­chen Lit­ur­gi­schen Insti­tut der Päpst­li­chen Bene­dik­ti­ner­hoch­schu­le Sant’Anselmo in Rom fort­set­zen durfte.

Am 9. April 1983 wur­de er vom dama­li­gen Bischof von Vicen­za, Msgr. Arnol­do Oni­sto in sei­ner Hei­mat­pfarr­kir­che von Sand­ri­go zum Prie­ster geweiht. 1986 schloß er sein Lit­ur­gie­stu­di­um mit dem Lizen­ti­at ab und kehr­te in sei­ne Hei­mat­diö­ze­se zurück, wo er Sekre­tär des Lit­ur­gi­schen Amtes der Diö­ze­se und Hilfs­prie­ster in ver­schie­de­nen Pfar­rei­en wur­de. Meh­re­re Jah­re erteil­te er zudem Reli­gi­ons­un­ter­richt an mitt­le­ren und höhe­ren Schu­len von Marostica.

Schon damals ver­tei­dig­te er die Leh­re der Kir­che, wo ande­re schwie­gen, oder sich der Welt andie­nen woll­ten. Die Lit­ur­gie aber ließ ihn nicht los. Er spür­te Defi­zi­te in der neu­en Form des Römi­schen Ritus, obwohl er nur als Kind Erin­ne­rung an die alte hat­te. Sei­ne inne­re Unru­he beschrieb er selbst mit den Worten:

„Eine fer­ne Erin­ne­rung an mei­ne Kind­heit kop­pel­te sich mit einer Ahnung.“

Doktorat in Rom und Entdeckung der Tradition

2002 ging er wie­der nach Rom und war Gast bei den Bene­dik­ti­nern an der Patri­ar­chal­ba­si­li­ka von St. Paul vor den Mau­ern. Im Wech­sel zwi­schen der Teil­nah­me am Stun­den­ge­bet der Mön­che und dem Auf­ent­halt in der Biblio­thek ver­faß­te er sei­ne Dok­tor­ar­beit „Per ritus et pre­ces … con­sum­men­tur in unitatem cum Deo“ über das lit­ur­gi­sche Werk von Kar­di­nal Ilde­fons Schu­ster. Am 11. Mai 2005 ver­tei­dig­te er sei­ne Arbeit in Sant’Anselmo.

Nach Vicen­za zurück­ge­kehrt, wur­de er zum Pfarr­ad­mi­ni­stra­tor von Ancigna­no ernannt. Das war eine Degra­die­rung, nach­dem er nun mit sei­nem Dok­to­rat zum klei­nen Krei­se jener Prie­ster gehör­te, die for­mal sogar die Kri­te­ri­en für die Ernen­nung zum Bischof erfüll­ten. Wäh­rend sei­ner Abwe­sen­heit hat­te ein Bischofs­wech­sel statt­ge­fun­den und sich eini­ges geän­dert. Man­chem war er schon vor­her lästig geworden.

Ihn küm­mer­te das nicht. In Rom hat­te er sich das Tra­gen der Sou­ta­ne ange­wöhnt und als ange­mes­se­nes und vor­ge­schrie­be­nes Kleid des Prie­sters erkannt. Allein schon damit hob sich der jun­ge, hoch­ge­wach­se­ne Prie­ster von den mei­sten sei­ner Mit­brü­der ab. Ihm ging es aber nicht dar­um, sich abzu­he­ben oder gar zu distan­zie­ren. Er hat­te für sich eine Ent­deckung gemacht: die Tra­di­ti­on. Damit tat sich für ihn eine ganz neue Welt auf, von der er bis­her nur geahnt hatte.

Die Suche nach den alten Paramenten

Die mustergültig renovierte Pfarrkirche von Ancignano mit ihren drei Marienaltären
Die muster­gül­tig reno­vier­te Pfarr­kir­che von Ancigna­no mit ihren drei Marienaltären

Er mach­te sich in sei­ner Pfar­rei auf die Suche nach den alten Para­men­ten und lit­ur­gi­schen Gerä­ten und sam­mel­te Gegen­stän­de der Volks­fröm­mig­keit. Ein Teil davon kann in einer klei­nen Aus­stel­lung im Pfarr­haus besich­tigt wer­den. Mit Eifer erlern­te er die über­lie­fer­te Form des Römi­schen Ritus, in der er jene Fül­le der Lit­ur­gie fand, die ihm gefehlt hatte.

Tat­kräf­tig schritt er zu einer umfas­sen­den Reno­vie­rung der Pan­kra­ti­us­kir­che, die zum „Juwel im Grü­nen“ wur­de. Mit Inkraft­tre­ten des Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum von Papst Bene­dikt XVI. im Sep­tem­ber 2007 schritt er zur Umset­zung und zele­brier­te erst­mals öffent­lich die Hei­li­ge Mes­se im über­lie­fer­ten Ritus.

„Die Men­schen brau­chen Zeit, die latei­ni­sche Mes­se wie­der­zu­ent­decken, so wie ich sie auch gebraucht habe.“

Seit dem Beginn des neu­en Kir­chen­jah­res im Advent 2011 zele­brier­te Don Rigon in der Pan­kra­ti­us­kir­che von Ancigna­no an jedem Sonn- und Fei­er­tag  die Hei­li­ge Mes­se im über­lie­fer­ten Ritus. Am Vor­mit­tag fei­er­te er wei­ter­hin im Neu­en Ritus, am Nach­mit­tag um 17 Uhr im Alten Ritus. Auch in der ordent­li­chen Form des Römi­schen Ritus zele­brier­te er ver­sus Deum.

Besuch des Bischofs und Seelsorge für die Gläubigen im überlieferten Ritus

Don Rigon bei der Zelebration zu seinem 30. Priesterjubiläum am Hochaltar des "Doms" von Sandrigo (2013)
Don Rigon bei der Zele­bra­ti­on zu sei­nem 30. Prie­ster­ju­bi­lä­um am Hoch­al­tar des „Doms“ von Sand­ri­go (2013)

Schnell sam­mel­te sich eine treue Schar von Gläu­bi­gen aus dem Ort und der nähe­ren und wei­te­ren Umge­bung, die regel­mä­ßig in die Pan­kra­ti­us­kir­che kam. Am 1. Dezem­ber 2013 war es sogar der neue Bischof, Benia­mi­no Piz­zi­ol, der in Ancigna­no der Hei­li­gen Mes­se im über­lie­fer­ten Ritus bei­wohn­te. Don Rigon hat­te den ein­zi­gen Meß­ort der Diö­ze­se Vicen­za geschaf­fen, an dem regel­mä­ßig die alte Mes­se zele­briert wur­de. Dafür ernann­te ihn Bischof Piz­zi­ol offi­zi­ell zum Seel­sor­ger für die Gläu­bi­gen des alten Ritus.

2013 fei­er­te Don Rigon sein 30. Prie­ster­ju­bi­lä­um. Zu die­sem Anlaß erbat er die Erlaub­nis, in der Pfarr­kir­che von Sand­ri­go, in der er zum Prie­ster geweiht wor­den war, eine Dank­mes­se im über­lie­fer­ten Ritus zele­brie­ren zu dür­fen. Die Bit­te wur­de ihm vom Erz­prie­ster gewährt und sein Prie­ster­ju­bi­lä­um ein gro­ßes Ereig­nis, zu dem Gläu­bi­ge aus der gan­zen Diö­ze­se zusammenkamen.

Auch zu die­sem Anlaß wur­de der Volks­al­tar für die Zele­bra­ti­on ent­fernt. Don Rigon begrün­de­te in sei­ner Pre­digt, war­um er Wert dar­auf legte.

„In die­ser präch­ti­gen Kir­che wur­de ich getauft und gefirmt. In die­ser Kir­che ist mei­ne Beru­fung gereift, wo ich als Kind den Prie­ster die Stu­fen zum Altar hin­auf­stei­gen sah. Die­sel­ben Stu­fen, die mir heu­te zur Brücke wer­den zwi­schen Him­mel und Erde, um einen anbe­ten­den Ritus zu voll­zie­hen durch den sich bestän­dig das Opfer Jesu am Kreuz erneu­ert und ver­ge­gen­wär­tigt, ohne das wir der Maje­stät Got­tes nichts wirk­lich Annehm­ba­res anzu­bie­ten hätten.“

Und wei­ter:

„Der Prie­ster ist weder ein Psy­cho­lo­ge noch ein Sozio­lo­ge, weder ein Phil­an­throp noch ein Frei­zeitani­ma­teur. Er ist ein Für­spre­cher, der sich innig mit Chri­stus, dem ein­zi­gen Mitt­ler zwi­schen Gott und den Men­schen ver­eint, des­sen Die­ner er ist.“

„Richtig verstanden, kann der tridentinische Ritus gar nicht Grund für Diskussionen und Spaltungen sein“

In einem Inter­view sag­te er:

„Wenn der soge­nann­te triden­ti­ni­sche Ritus rich­tig ver­stan­den wird, kann er gar nicht Grund für Dis­kus­sio­nen oder Spal­tun­gen in der Kir­che sein.“

Don Rigon dräng­te sich nicht vor, doch zöger­te er nicht, wo es dar­um ging, Chri­stus und die Kir­che zu ver­kün­den oder zu ver­tei­di­gen. Für Auf­se­hen sorg­te 2009 sein Streit­ge­spräch in der größ­ten Tages­zei­tung von Vicen­za mit dem Lei­ter des diö­ze­sa­nen Ehe- und Fami­lienam­tes zu Fra­gen von Ehe und Familie.

Er ent­fal­te­te ein rei­ches publi­zi­sti­sches Schaf­fen. Seit 2008 war er ein­ge­tra­ge­nes Mit­glied der Jour­na­li­sten­kam­mer. Auf der von ihm geschaf­fe­nen Inter­net­sei­te der Pfar­rei ver­öf­fent­lich­te er eige­ne Arti­kel und über­nahm Arti­kel von ande­ren Sei­ten, die ihm inter­es­sant und wich­tig schie­nen. Am Mon­tag ver­öf­fent­lich­te er als letz­ten Ein­trag den Arti­kel „Die lin­ke Uto­pie einer mul­ti­eth­ni­schen und mul­ti­kul­tu­rel­len Gesell­schaft und die Ver­ant­wort­lich­kei­ten des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils“, der auf der tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Sei­te Chie­sa e post­con­ci­lio erschie­nen war.

Am ver­gan­ge­nen 6. Febru­ar zele­brier­te Don Rigon in der Kryp­ta der Kathe­dra­le von Vicen­za eine Gedenk­mes­se im Alten Ritus für Msgr. Fer­di­nan­do Rodol­fi, der von 1911–1943 Bischof von Vicen­za war. Am 14. Febru­ar zele­brier­te er wie gewohnt die Sonn­tags­mes­se unter gro­ßer Betei­li­gung des Vol­kes in sei­ner Pfarr­kir­che in Ancignano.

Heu­te ist Don Pier­an­ge­lo Rigon an einem plötz­li­chen Herz­in­farkt gestorben.

Auf der Inter­net­sei­te der Pfar­rei heißt es zusam­men mit einem Wort des Apo­stels Pau­lus: „In gro­ßer Trau­er und mit immensem Schmerz geben wir bekannt, daß unser gelieb­ter Hir­te, wah­rer Prie­ster Chri­sti, in das Haus des Vaters zurück­ge­kehrt ist.“

Mihi vive­re Chri­stus est et mori lucrum.

Requiescat in pace

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: par​roc​chi​as​an​pan​cra​zio​.org

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