Jüdisches Nein zu theologischer Diskussion mit der katholischen Kirche


Papst Franzikus in der römischen Hautpsynagoge (17. Januar 2016): Verzicht auf Judenmission oder auch auf theologische Diskussion zwischen Christentum und Judentum?
Papst Franzikus in der römischen Hautpsynagoge (17. Januar 2016): Verzicht auf Judenmission oder auch auf theologische Diskussion zwischen Christentum und Judentum?

(Rom) Als Papst Fran­zis­kus am ver­gan­ge­nen 17. Janu­ar die jüdi­sche Haupt­syn­ago­ge von Rom besuch­te, sag­te ihm Ober­rab­bi­ner Ric­car­do Di Seg­ni ein höf­li­ches, aber kla­res „Nein“. Gemeint war damit eine Absa­ge an das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt, über theo­lo­gi­sche Fra­gen zu spre­chen. „Wegen der Sor­ge der Juden, daß ver­schwimmt, was sie von den Chri­sten unter­schei­det?“, fragt sich der Vati­ka­nist San­dro Magister.
Auf katho­li­scher Sei­te hat vor Magi­ster bis­her nie­mand auf einen Satz in Di Seg­nis Begrü­ßungs­re­de an den Papst hingewiesen:

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„Wir emp­fan­gen den Papst nicht, um über Theo­lo­gie zu dis­ku­tie­ren. Jedes System ist auto­nom, der Glau­ben ist nicht Gegen­stand des Aus­tau­sches und poli­ti­scher Verhandlungen.“

Eine kla­re Absa­ge des Ober­rab­bi­ners, der für sei­ne deut­li­chen Wor­te bekannt ist, und das gleich am Beginn des päpst­li­chen Syn­ago­gen­be­su­ches. Das sei ein „prä­ven­ti­ves ’Nein‘“ gewe­sen, so Magi­ster, denn gleich danach erging das Wort an Papst Fran­zis­kus für des­sen Ansprache.

Verzicht auf Judenmission, aber „theologische Reflexion“?

Tat­säch­lich beton­te Fran­zis­kus dann in sei­ner Rede eine gemein­sa­me „theo­lo­gi­sche“ Ver­tie­fung der Bezie­hun­gen zwi­schen Juden­tum und Kir­che. Genau das, was der Ober­rab­bi­ner zurück­ge­wie­sen hatte.

Fran­zis­kus begrün­de­te sein theo­lo­gi­sches Dia­log­an­ge­bot mit dem Hin­weis auf zwei kirch­li­che Doku­men­te. Zunächst zitier­te er die Kon­zils­er­klä­rung Nost­ra aet­a­te: „Nost­ra aet­a­te hat die Bezie­hun­gen der katho­li­schen Kir­che zum Juden­tum zum ersten Mal expli­zit theo­lo­gisch defi­niert. Sie hat natür­lich nicht alle uns betref­fen­den theo­lo­gi­schen Fra­gen gelöst, aber sie hat in ermu­ti­gen­der Wei­se auf sie Bezug genom­men und einen sehr wich­ti­gen Impuls zu not­wen­di­ger, wei­te­rer Refle­xi­on gegeben.“

Das zwei­te vom Papst erwähn­te Doku­ment wur­de am 15. Dezem­ber 2015 von der Kom­mis­si­on für die reli­giö­sen Bezie­hun­gen zum Juden­tum ver­öf­fent­licht, „das die theo­lo­gi­schen Fra­gen behan­delt, die in den seit der Pro­mul­gie­rung von Nost­ra aet­a­te ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten zuta­ge getre­ten sind.“

Dar­aus zog Fran­zis­kus fol­gen­de Schlußfolgerung:

„In der Tat ver­dient die theo­lo­gi­sche Dimen­si­on des jüdisch-katho­li­schen Dia­logs stets wei­ter­ge­hen­de Ver­tie­fung, und ich möch­te all jene, die an die­sem Dia­log betei­ligt sind, ermu­ti­gen, mit Unter­schei­dungs­ga­be und Aus­dau­er in die­ser Rich­tung fort­zu­fah­ren. Gera­de unter theo­lo­gi­schem Gesichts­punkt zeigt sich ganz klar das unauf­lös­li­che Band, das Chri­sten und Juden ver­eint. Um sich selbst zu ver­ste­hen, kön­nen die Chri­sten nicht von den jüdi­schen Wur­zeln abse­hen, und auch wenn die Kir­che das Heil durch den Glau­ben an Chri­stus ver­kün­det, so erkennt sie doch die Unwi­der­ruf­lich­keit des Alten Bun­des und die bestän­di­ge und treue Lie­be Got­tes zu Isra­el an.“

Damit setz­te Papst Fran­zis­kus akzen­tu­ier­ter fort, was bereits abge­schwächt die Vor­gän­ger-Päp­ste seit Paul VI. begon­nen hat­ten. Das gilt auch für Bene­dikt XVI., der zwar den Dia­log mit ande­ren Reli­gio­nen ablehn­te, weil er ihn für unmög­lich hält, aber beton­te, daß das Ver­hält­nis zwi­schen Chri­sten­heit und Juden­tum ein beson­de­res sei. Eine Bezie­hung, die gera­de theo­lo­gisch zu betrach­ten und daher ein theo­lo­gi­scher Dia­log zu füh­ren sei.

Das Doku­ment vom 15. Dezem­ber 2015 geht noch dar­über hin­aus und spricht von der Not­wen­dig­keit, „die theo­lo­gi­sche Dimen­si­on des jüdisch-christ­li­chen Dia­logs zu intensivieren“.

Was von jüdischer Seite begrüßt, auf katholischer Seite aber nicht unumstritten ist

Papst Franziskus und Oberrabbiner Riccardo Di Segni (rechts)
Papst Fran­zis­kus und Ober­rab­bi­ner Ric­car­do Di Seg­ni (rechts)

Vor allem zwei Punk­te des Doku­ments wur­den von jüdi­scher Sei­te begrüßt.

Erstens die Aus­sa­ge: „Es wird einer Sub­sti­tu­ti­ons­theo­lo­gie der Boden ent­zo­gen, die zwei von­ein­an­der getrenn­te Grö­ßen, eine Kir­che der Hei­den und eine ver­wor­fe­ne Syn­ago­ge, deren Platz jene ein­nimmt, entgegengestellt“.

Zwei­tens, daß es durch die katho­li­sche Kir­che „kei­ne spe­zi­fi­sche insti­tu­tio­nel­le Mis­si­ons­ar­beit, die auf Juden gerich­tet ist“, geben soll.

Das Doku­ment hat kei­nen lehr­amt­li­chen Cha­rak­ter, ist daher nicht ver­bind­lich, und fin­det in der Kir­che nicht unge­teil­te Zustim­mung Kri­ti­siert wird dar­an, daß die Sub­sti­tu­ti­ons­theo­lo­gie ver­wor­fen wird, indem der ihr zugrun­de­lie­gen­de Ant­ago­nis­mus ver­zerrt dar­ge­stellt wer­de, wor­aus fal­sche Schluß­fol­ge­run­gen abge­lei­tet wür­den. Ein Ver­zicht auf eine Mis­si­on unter Juden sei zudem ein Bruch mit der bibli­schen und kirch­li­chen Über­lie­fe­rung. Sie wider­spre­che dem Mis­si­ons­auf­trag Jesu, der sei­ne Jün­ger nie mit dem Auf­trag aus­ge­sandt habe, nicht unter Juden zu mis­sio­nie­ren. Viel­mehr habe die Mis­si­ons­tä­tig­keit der Apo­stel und Jün­ger, wie das Neue Testa­ment über­lie­fert, gera­de unter Juden und in den Syn­ago­gen ange­setzt, weil alle Apo­stel und ersten Jün­ger Juden waren.

Im Doku­ment vom 15. Dezem­ber heißt es an der Stel­le, wo der Ver­zicht auf eine „insti­tu­tio­nel­le ‚Juden­mis­si­on‘“ behaup­tet wird:

„Es ist leicht zu ver­ste­hen, dass die so genann­te ‚Juden­mis­si­on‘ für Juden eine sehr heik­le und sen­si­ble Fra­ge dar­stellt, weil sie in ihren Augen die Exi­stenz des jüdi­schen Vol­kes selbst betrifft. […] Obwohl es eine prin­zi­pi­el­le Ableh­nung einer insti­tu­tio­nel­len Juden­mis­si­on gibt, sind Chri­sten den­noch auf­ge­ru­fen, auch Juden gegen­über Zeug­nis von ihrem Glau­ben an Jesus Chri­stus abzu­le­gen. Das aber soll­ten sie in einer demü­ti­gen und sen­si­blen Wei­se tun, und zwar in Aner­ken­nung des­sen, dass die Juden Trä­ger des Wor­tes Got­tes sind, und beson­ders in Anbe­tracht der gro­ssen Tra­gik der Schoa.“

Der Ver­weis auf die Schoa, die von der Kom­mis­si­on zur Begrün­dung des Mis­si­ons­ver­zichts her­an­ge­zo­gen wird, sei ein von Men­schen ver­ant­wor­te­tes, poli­ti­sches Ereig­nis zu einem bestimm­ten histo­risch begrenz­ten Moment ver­ur­sacht durch eine kon­kret benenn­ba­re, nicht-christ­li­chen Ideo­lo­gie. Sie sei Anlaß, das christ­li­che Ver­hal­tens­wei­sen in der Ver­gan­gen­heit kri­tisch zu beleuch­ten, und Auf­for­de­rung zu respekt­vol­lem Umgang. Sie kön­ne aber nicht, den auf einer ganz ande­ren Ebe­ne ange­sie­del­ten Mis­si­ons­auf­trag Jesu in Fra­ge stel­len oder außer Kraft set­zen, der sich an Juden und Hei­den, kurz­um, aus­nahms­los und unter­schieds­los jeden Men­schen richte.

Soweit zwei kon­trä­re Posi­tio­nen in der katho­li­schen Kir­che, deren Gegen­sätz­lich­keit auf theo­lo­gi­schem Boden aus­ge­foch­ten wird. Gera­de einer theo­lo­gi­schen Dis­kus­si­on aber erteil­te Ober­rab­bi­ner Di Seg­ni eine Absa­ge. Der Grund dafür?

Jüdische „Befürchtungen“

Magi­ster ver­weist auf einen Auf­satz der jüdi­schen Histo­ri­ke­rin Anna Foa, die an der römi­schen Uni­ver­si­tät La Sapi­en­za Neue­re Geschich­te lehrt. Sie schrieb in der Zei­tung des ita­lie­ni­schen Juden­tums Pagi­ne Ebraiche einen Kom­men­tar zum Papst-Besuch in der Syn­ago­ge. Der Osser­va­to­re Roma­no über­nahm den Text voll­in­halt­lich in sei­ner Aus­ga­be vom 18./19. Januar.

Foa erkennt die „star­ke Bot­schaft“ an, die vom Papst-Besuch aus­ge­he. „Das sich gemein­sam Tref­fen von Juden und Chri­sten im Moment, in dem die Chri­sten Ziel­schei­be blu­tig­ster Ver­fol­gun­gen sind und der Anti­se­mi­tis­mus wie­der immer sicht­ba­rer auf­tritt, sei es in den Kund­ma­chung des Daesh [Isla­mi­schen Staa­tes], sei es im all­täg­li­chen Leben der Juden, in der Dia­spo­ra wie in Isra­el.“ Der Besuch gemah­ne an „die Tat­sa­che, daß die Reli­gio­nen Motor des Frie­dens und nicht des Krie­ges sein kön­nen und sollen“.

Dann schrieb sie:

Der "Tempio Maggiores", die jüdische Hauptsynagoge Roms
Der „Tem­pio Mag­gio­re“, die jüdi­sche Haupt­syn­ago­ge Roms

„Ein ande­res, lei­se­res, aber eben­so wich­ti­ges The­ma im Ver­gleich zu die­sen gro­ßen The­men, die das Schick­sal der Welt berüh­ren, betrifft die Bezie­hun­gen zwi­schen Juden und Chri­sten.“ Zum 17. Janu­ar, dem Tag des päpst­li­chen Besu­ches, sei man durch „gro­ße Fort­schrit­te im Dia­log“ gelangt. Aus­drück­lich erwähnt Foa die bei­den Tex­te, die Erklä­rung Nost­ra aet­a­te und das Doku­ment vom 15. Dezem­ber 2015, die auch von Papst Fran­zis­kus erwähnt wur­den. Vor allem das Doku­ment der Kom­mis­si­on für die reli­giö­sen Bezie­hun­gen zum Juden­tum ent­hal­te „so inno­va­ti­ve Erklärungen“.

Foa ver­weist auf Ober­rab­bi­ner Di Seg­ni und einen „von der jüdi­schen Welt aus­drück­lich ver­scho­be­nen theo­lo­gi­schen Dis­kurs“. „Gemein­sa­me Aktio­nen und Pro­jekt“ Ja, theo­lo­gi­sche Dis­kus­si­on Nein. „Auf­ge­scho­ben, viel­leicht, aber nicht auf­ge­ho­ben“, meint dazu Foa.

„Ich glau­be, daß es eine nicht unbe­deu­ten­de Umwand­lung ist, daß die Kir­che ganz auf die jahr­hun­der­te­lan­ge Tra­di­ti­on einer Juden­mis­si­on, als nicht not­wen­dig im Heils­kon­text, ver­zich­tet hat und kla­re und unbe­streit­ba­re Wor­te zur ‚vexa­ta quae­stio‘ der Sub­sti­tu­ti­ons­theo­lo­gie gespro­chen hat, laut der die gött­li­che Erwäh­lung der Juden durch jene der Chri­sten ersetzt wor­den sei.“

Die jüdi­sche Histo­ri­ke­rin bie­tet damit eine etwas ande­re Dar­stel­lung der Sub­sti­tu­ti­ons­theo­lo­gie als jene der katho­li­schen Kom­mis­si­on für die reli­giö­sen Bezie­hun­gen zum Juden­tum im Doku­ment vom 15. Dezember.

Und wei­ter: „Der heu­ti­ge Besuch bedeu­tet, wie Ober­rab­bi­ner Di Seg­ni sag­te, daß die Kir­che auf dem Weg der Ver­söh­nung nicht mehr zurück gehen will.“

Foa spricht dann von „jüdi­schen Vor­be­hal­ten“ und fragt sich, ob die­se nur daher rüh­ren, daß der „theo­lo­gi­sche Dis­kurs den mei­sten unver­ständ­lich“ ist? Oder gehe es dabei auch um „Äng­ste“ und „Befürch­tun­gen“, daß der Ver­zicht der Kir­che auf eine Juden­mis­si­on zu einer Annä­he­rung und zu „einer Ver­wäs­se­rung der dok­tri­nel­len Unter­schie­de“ zwi­schen Chri­sten und Juden füh­re? Je kla­rer getrennt, desto besser?

Die­se „Befürch­tun­gen“, so Foa, habe 1986 bereits Ober­rab­bi­ner Elio Toaff ange­spro­chen, als Papst Johan­nes Paul II. als erster Papst eine Syn­ago­ge besuch­te. Toaff wür­dig­te den „histo­ri­schen Schritt“ und „den Ver­zicht auf die Ver­su­chung, das jüdi­sche Volk aus­zu­gren­zen“. Toaff habe sich jedoch opti­mi­stisch gezeigt, daß even­tu­el­le mis­sio­na­ri­sche Bestre­bun­gen der Chri­sten abge­wen­det wer­den könnten.

Foa äußer­te sich nicht näher, son­dern begnügt sich, auf die­se Fra­ge auf­merk­sam zu machen, die nicht in der katho­li­schen, dafür aber in der jüdi­schen Welt existiert.

Nach der Papst-Rede sag­te Ober­rab­bi­ner Di Seg­ni gegen­über der Pres­se­agen­tur ACI Pren­sa: „Ich habe immer die Not­wen­dig­keit einer jüdi­schen Refle­xi­on über unse­re Bezie­hun­gen zum Chri­sten­tum auch aus theo­lo­gi­scher Sicht ver­tre­ten. Die Art, wie sich die­ses Nach­den­ken im Juden­tum ent­wickelt, ist aller­dings ver­schie­den von der, wie sie sich in einem Orga­nis­mus wie der Kir­che ent­wickelt, die über einen gro­ßen dok­tri­nel­len Appa­rat, eine Hier­ar­chie und ein Ober­haupt ver­fügt, das die­se Din­ge orga­ni­sie­ren kann. Bei uns sind Art und Zei­ten ver­schie­den. Sicher, es ist wich­tig, dar­auf zu ach­ten, was die ande­ren sagen, aber die Theo­lo­gie ist für jede Reli­gi­on ein inter­nes Feld.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Vati​can​.va/​W​i​k​i​s​o​m​m​ons (Screen­shots)

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