Kustos des Heiligen Landes: Christen „lassen sich Köpfe abschneiden, aber verleugnen nichts“


Der Kustos des Heiligen Landes über die Tragödie der Christen im Nahen Osten und die Unmöglichkeit eines Dialogs zwischen Religionen

(Rom) „Den Nahen Osten, wie wir ihn im 20. Jahr­hun­dert gekannt haben, gibt es nicht mehr. Er wur­de in die Luft gesprengt.“ Er ist seit 2004 Kustos des Hei­li­gen Lan­des und weiß wovon er spricht. Die Rede ist von Pater Pier­bat­ti­sta Piz­za­bal­la, einem ita­lie­ni­schen Fran­zis­ka­ner, der die 1217 vom hei­li­gen Franz von Assi­si gegrün­de­te Ordens­pro­vinz des Hei­li­gen Lan­des lei­tet. Zur Kusto­die gehö­ren Isra­el, Palä­sti­na, Jor­da­ni­en, Syri­en, der Liba­non, der Sinai, Zypern und Rho­dos. Von den Fran­zis­ka­nern wer­den unter ande­rem die Ver­kün­di­gungs­kir­che von Naza­reth, die Geburts­kir­che von Beth­le­hem und die Gra­bes­kir­che von Jeru­sa­lem betreut.

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Die zitier­ten Wor­te waren Teil der Aus­füh­run­gen von Pater Piz­za­bal­la, die er auf Ein­la­dung der Inter­na­tio­na­len Stif­tung Oasis bei der Tagung „Chri­sten im Nahen Osten und Ver­trei­bung“ äußer­te. Die Tagung fand am Diens­tag­nach­mit­tag an der römi­schen Uni­ver­si­tät La Sapi­en­za statt. Vor­sit­zen­der der Stif­tung ist Mai­lands Erz­bi­schof, Ange­lo Kar­di­nal Scola.

„Nichts wird mehr wie vorher sein“

„Die­ser Krieg, der neue Ver­hält­nis­se schaf­fen wird, hat nicht nur die Infra­struk­tu­ren und die Staa­ten zer­stört, son­dern auch das Ver­trau­en zwi­schen den ver­schie­de­nen Gemein­schaf­ten, vor allem zwi­schen den Chri­sten und der mos­le­mi­schen Mehr­heit. Nichts wird mehr wie vor­her sein“, so der Kustos.

Neben ihm am Podi­um saßen Miche­le Valen­sise, der Gene­ral­se­kre­tär des Ita­lie­ni­schen Außen­mi­ni­ste­ri­ums, und Adna­ne Mokra­ni, Dozent an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na und am Päpst­li­che Insti­tut für Ara­bi­sche und Isla­mi­sche Stu­di­en.

„Es ist nie die Rede von den obdach­los Gewor­de­nen, den Leu­ten, die ihr Haus ver­lo­ren haben und kein Geld mehr haben für einen Neu­be­ginn. Mehr als zwei Drit­tel aller Syrer leben nicht mehr dort, wo sie vor dem Kon­flikt gelebt haben. Die Situa­ti­on ist so dra­ma­tisch, daß wir  nicht ein­mal mehr mit­tei­len, wenn unse­re Ordens­an­ge­hö­ri­gen ent­führt wer­den. Wir geben es nur dann bekannt, wenn sie auch nach einer Woche noch nicht zurück sind.“

„Geblieben sind die Armen, doch fast niemand hat seinen Glauben verleugnet“

Zur Ver­ant­wor­tung der isla­mi­schen Reli­gi­ons­füh­rer sag­te der Kustos: „Die isla­mi­schen Füh­rer waren sehr schüch­tern, wenn es dar­um ging, das Abscheu­li­che zu ver­ur­tei­len, das im Gan­ge ist.“ Unter den Chri­sten „gibt es mit­ten in die­ser Kata­stro­phe auch Epi­so­den gro­ßer Ent­schlos­sen­heit. Geblie­ben sind vor allem die Armen, die nicht die Mit­tel haben, um irgend­wo­hin zu kön­nen. Sie wis­sen nicht, wohin sie gehen sol­len. Doch fast nie­mand von ihnen hat sei­nen Glau­ben ver­leug­net. Sie las­sen sich Köp­fe abschnei­den, aber ver­leug­nen nichts.“

Der Kustos berich­te­te eini­ge Zeug­nis­se, die er selbst im Nor­den Syri­ens erlebt hat, in Gebie­ten, „die unter der Kon­trol­le von Al-Qai­da-Able­gern sind“. Die­se sei­en im Ver­gleich zu den Dschi­ha­di­sten des Isla­mi­schen Staa­tes (IS) „mode­ra­ter“. Erst gestern hat­te Asso­cia­ted Press Satel­li­ten­bil­der vom Klo­ster des Hei­li­gen Eli­as bei Mos­sul ver­brei­tet, das vom Isla­mi­schen Staat offen­bar schon 2014 dem Erd­bo­den gleich gemacht wor­den ist. Das Klo­ster wur­de im 6. Jahr­hun­dert vom ara­mäi­schen Mönch Eli­as gegrün­det. 1743 wur­de es auf Befehl des per­si­schen Schahs zer­stört, doch Anfang des 20. Jahr­hun­derts war nach der osma­ni­schen Chri­sten­ver­fol­gung eine Wie­der­be­le­bung durch christ­li­che Flücht­lin­ge erfolgt.

Der Aus­druck „gemä­ßigt“ sei natür­lich rela­tiv zu sehen, so der Kustos und bezie­he sich aus­schließ­lich auf den direk­ten Ver­gleich mit dem Isla­mi­schen Staat. Auch unter der Herr­schaft der „Gemä­ßig­ten“, sei es Nicht-Mos­lems ver­bo­ten, Besitz zu haben oder reli­giö­se Sym­bo­le zu zei­gen. „Weder Kreu­ze noch Sta­tu­en sind erlaubt, vom Wein für die Meß­fei­er ganz zu schwei­gen.“ Doch dort, wo er hin­ge­kom­men sei, „haben die Chri­sten nicht nach­ge­ge­ben. Kei­ner hat es zuge­las­sen, daß ihre reli­giö­sen Sym­bo­le ange­rührt wer­den, und den Meß­wein haben sie in ihren Häu­sern versteckt.“

Der islamische Fundamentalismus „komme nicht aus dem nichts. Darüber muß nachgedacht werden“

Das Pro­blem, so der Kustos, sei, daß „der heu­ti­ge Fun­da­men­ta­lis­mus ja nicht aus dem nichts kom­men kann. Es gibt immer einen Hin­ter­grund, eine Ent­wick­lung: dar­über muß man sich Gedan­ken machen.“

Er sei „über­zeugt, daß man mit­ein­an­der reden soll, denn ohne Dia­log sind wir erle­digt, ein­mal weil der Dia­log Begeg­nung mit dem ande­ren ist, zum ande­ren weil der inte­gra­ler Bestand­teil mei­nes Glau­bens­le­bens ist. Der Dia­log kann aber nur in der Wahr­heit statt­fin­den. Ich weiß nicht, ob es zwi­schen Reli­gio­nen einen Dia­log geben kann. Ich den­ke nicht. Es kann aber zwi­schen Glau­ben­den einen Dia­log geben und die Glau­bens­er­fah­rung geteilt wer­den. Das ist zu tun. Ich kann nicht glau­ben, daß ich mit andert­halb Mil­li­ar­den Men­schen nicht in Bezie­hung tre­ten soll kön­nen. Es ist eine gei­sti­ge Fehl­lei­stung, das zu den­ken. Wir müs­sen es tun, aber unter Bedin­gun­gen: dem gegen­sei­ti­gen Respekt und der Wahr­heit. Das ist kein Nach­ge­ben möglich.“

Pater Piz­za­bal­la frag­te zudem: „Was ist die inter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft eigent­lich und wo ist sie “, ange­sichts der „völ­li­gen Gleich­gül­tig­keit“ gegen­über dem Schick­sal der Men­schen im Nahen Osten.

Am Ran­de der Tagung bestä­tig­te der Kustos gegen­über Matteo Mat­zuzzi von der Tages­zei­tung Il Foglio, daß die isla­mi­schen Füh­rer „äußerst zurück­hal­tend sind, wenn es um die Ver­bre­chen geht“, die von den isla­mi­schen Mili­zen ver­übt wer­den. Es habe „eini­ge lobens­wer­te Aus­nah­men gege­ben, die hof­fen las­sen“, doch in der gro­ßen Mehr­zahl herr­sche Schwei­gen. Es wer­de eine har­te und schwie­ri­ge Auf­ga­be sein, den Bruch zwi­schen den Chri­sten und den Mos­lems wie­der zu kit­ten: „Das wird viel Zeit und meh­re­re Gene­ra­tio­nen in Anspruch neh­men, um zumin­dest die Koexi­stenz zu errei­chen, die es vor dem Krieg gab.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Il Foglio (Screen­shot)

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