Woher kommen die „älteren Brüder“? – Papst Franziskus besucht die Hauptsynagoge von Rom


Kardinal Bergoglio mit den Rabbinen Bergman und Avruj in der Synagoge von Buenos Aires
Kardinal Bergoglio mit den Rabbinen Bergman und Avruj in der Synagoge von Buenos Aires

(Rom) Papst Fran­zis­kus wird am Sonn­tag, den 17. Janu­ar die jüdi­sche Haupt­syn­ago­ge von Rom besu­chen. Die Juden wer­den von Kir­chen­ver­tre­tern ger­ne als „älte­re Brü­der“ bezeich­net. Woher aber kommt die­se Bezeichnung?

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Nach Papst Johan­nes Paul II. im Jahr 1986 und Papst Bene­dikt XVI. im Jahr 2010 wird Fran­zis­kus erst der drit­te Papst in den 2000jährigen Bezie­hun­gen zwi­schen Chri­sten und Juden sein, jeden­falls seit der jüdi­schen Syn­ode von Jam­nia um 95 n. Chr., der die israe­li­ti­sche Kul­tus­ge­mein­de von Rom besucht.

Heu­te gehört es zum Stan­dard­sprach­ge­brauch von kirch­li­chen Wür­den­trä­gern, aber auch von vie­len Gläu­bi­gen, von den Juden als den „älte­ren Brü­dern“ der Chri­sten zu reden und sie auch so anzu­spre­chen. Das war nicht immer so in dem viel­schich­ti­gen und durch­aus span­nungs­ge­la­de­nen Ver­hält­nis. Die For­mu­lie­rung fin­det sich nicht in der Hei­li­gen Schrift. Sie ist viel­mehr erst jüng­sten Datums.

Konzilserklärung Nostra Aetate

Auch in der für das heu­ti­ge Ver­hält­nis zum Juden­tum als ent­schei­dend gel­ten­den Erklä­rung Nost­ra Aet­a­te des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils fin­den sich noch kei­ne „älte­ren Brü­der“. In der am 28. Okto­ber 1965 pro­mul­gier­ten Kon­zils­er­klä­rung ist nur all­ge­mein von einem „brü­der­li­chen Gespräch“ und einer „brü­der­li­chen Hal­tung“ die Rede und von einer „uni­ver­sa­len Brü­der­lich­keit“, die sich nicht spe­zi­fisch auf Chri­sten und Juden beschränkt.

Wenn nicht in der Bibel und auch nicht in Nost­ra Aet­a­te, wo dann fin­det sich erst­mals die Bezeich­nung von den „älte­ren Brüdern“?

Johannes Paul II.

Mehr als 20 Jah­re nach der Ver­ab­schie­dung von Nost­ra Aet­a­te durch das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil setz­te Papst Johan­nes Paul II. einen auf bei­den Sei­ten als „histo­risch“ gedeu­te­ten Schritt. Am 13. April 1986 besuch­te er als erstes katho­li­sches Kir­chen­ober­haupt den jüdi­schen Haupt­tem­pel von Rom. In sei­ner Anspra­che an den Ober­rab­bi­ner und die israe­li­ti­sche Kul­tus­ge­mein­de sag­te er:

„Ihr seid unse­re bevor­zug­ten Brü­der und, so könn­te man gewis­ser­ma­ßen sagen, unse­re älte­ren Brüder.“

Zudem sprach er von einer „wie­der­ge­fun­de­nen Brü­der­lich­keit“ zwi­schen „uns hier in Rom und zwi­schen der Kir­che und dem Juden­tum“. Das „gewis­ser­ma­ßen“ ver­dich­te­te sich in der Fol­ge schnell zu einem unge­schrie­be­nen Kanon. Dabei zieht die Annah­me von „älte­ren Brü­dern“, soll sie nicht nur eine Höf­lich­keit sein, eine Rei­he von Kon­se­quen­zen nach sich.

Gegenbewegung unter Benedikt XVI.

Papst Bene­dikt XVI. hin­ge­gen ver­mied es, die von sei­nem Vor­gän­ger gepräg­te For­mu­lie­rung auf­zu­grei­fen, die nicht der kirch­li­chen Tra­di­ti­on ent­stammt, son­dern eine sprach­li­che Neu­schöp­fung Johan­nes Pauls II. ist. Bei sei­nem Besuch der römi­schen Haupt­syn­ago­ge am 17. Janu­ar 2010 sprach Bene­dikt XVI., wie Nost­ra Aet­a­te, mehr­fach von „Brü­der­lich­keit“ im all­ge­mei­nen Sinn, aber nicht von „älte­ren Brüdern“.
Die­se Bezeich­nung bezog er statt­des­sen mehr­fach auf die Hei­li­gen, die den Leben­den ein Vor­bild und eine Hil­fe sei­en auf dem Weg zur Hei­lig­keit. Die „älte­ren Brü­der“, nach Bene­dikt XVI., sind nicht die Juden, son­dern die Hei­li­gen, die den Getauf­ten vor­an­ge­gan­gen sind und bereits das Ant­litz Got­tes schau­en kön­nen. Dahin­ter ist ein bewuß­ter Ver­such zu sehen, die Bedeu­tungs­ho­heit über die For­mu­lie­rung nicht an die Neu­prä­gung sei­nes Vor­gän­gers abge­ben zu wollen.
Kri­ti­ker warn­ten die Her­me­neu­ti­ker des Bruchs, auch das Ver­hält­nis zum Juden­tum für ihre Beto­nung eines star­ken Gegen­sat­zes zwi­schen der vor­kon­zi­lia­ren und der nach­kon­zi­lia­ren Kir­che zu gebrauchen.

Papst Franziskus

Der Ver­such von Bene­dikt XVI. scheint vor­erst geschei­tert. Bereits als Erz­bi­schof von Bue­nos Aires unter­hielt Jor­ge Mario Berg­o­glio enge Kon­tak­te nicht nur zu pro­te­stan­ti­schen Pasto­ren, son­dern auch zur israe­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de. Das Wort von den Juden als den „älte­ren Brü­dern“ wur­de von ihm früh­zei­tig auf­ge­grif­fen und viel­fach wie­der­holt. Von 2010 bis Janu­ar 2013 gab es im Fern­seh­sen­der Canal 21 des Erz­bis­tums Bue­nos Aires die Sen­de­rei­he „Biblia Dia­lo­go Vigen­te“. Kar­di­nal Berg­o­glio, Rab­bi Abra­ham Skorka und der pres­by­te­ria­ni­sche Pastor Mar­ce­lo Figue­roa dis­ku­tier­ten in 31 Fol­gen über unter­schied­li­che The­men. Dar­aus ent­stand nach dem Kon­kla­ve, im Okto­ber 2013, ein gleich­na­mi­ges Buch mit Aus­zü­gen. Auch in der Sen­de­rei­he sprach Berg­o­glio die Juden als „unse­re älte­ren Brü­der an“, weil „wir unser  Christ­sein nicht ver­ste­hen, wenn wir nicht unse­re jüdi­sche Her­kunft ver­ste­hen“. Erz­bi­schof Berg­o­glio nahm regel­mä­ßig in der Syn­ago­ge von Bue­nos Aires am jüdi­schen Neu­jahrs­fest teil und sprach die israe­li­ti­sche Kul­tus­ge­mein­de dabei als „mei­ne älte­ren Brü­der“ an.
Eine Pra­xis, die er auch als Papst fort­setz­te. Am 24. Juni 2013 begrüß­te er die Dele­ga­ti­on des Inter­na­tio­na­len Jüdi­schen Komi­tees bei der Audi­enz mit den Wor­ten: „Lie­be älte­re Brü­der und Schwe­stern, Shalom!“

Es gilt den­noch als denk­bar, daß Papst Fran­zis­kus bei sei­nem ersten Besuch in der römi­schen Haupt­syn­ago­ge auf die Bezeich­nung der Juden als „älte­re Brü­der“ ver­zich­tet. Wäh­rend Ober­rab­bi­ner Elio Toaff, der 1986 Johan­nes Paul II. emp­fing, über die­se Anre­de erfreut war, kann ihr sein Nach­fol­ger Ric­car­do Di Seg­ni nicht beson­ders viel abge­win­nen. Der amtie­ren­de Ober­rab­bi­ner, für kri­ti­sche Wort­mel­dun­gen zu kirch­li­chen Ange­le­gen­hei­ten bekannt, wit­tert dahin­ter eine ver­bor­ge­ne Her­ab­set­zung, da der älte­re Bru­der im Alten Testa­ment häu­fig nega­tiv dar­ge­stellt sei.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Pagi­na Cato­li­ca (Screen­shot)

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