Italien rätselt: 2015 68.000 Todesfälle mehr als im Vorjahr – Der „versteckte Dritte Weltkrieg“ von dem Papst Franziskus spricht?


Der Dritter Weltkrieg: versteckte Euthanasie?
Der Dritter Weltkrieg: versteckte Euthanasie?

(Rom) Ita­li­en ver­zeich­net eine uner­klär­li­che Zunah­me von Todes­fäl­len. In Ita­li­en wird davon aus­ge­gan­gen, daß 2015 um 70.000 mehr Todes­fäl­le zu regi­strie­ren sind als 2014. In den ver­gan­ge­nen Tagen frag­ten sich ver­schie­de­ne Sozio­lo­gen in den größ­ten ita­lie­ni­schen Tages­zei­tun­gen nach dem War­um die­ser uner­klär­li­chen Zunahme.

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Den Anfang mach­te der Bevöl­ke­rungs­wis­sen­schaft­ler Gian Car­lo Blang­i­ar­do in der Tages­zei­tung Avve­ni­re. Er the­ma­ti­sier­te die vom staat­li­chen Sta­ti­stik­amt ver­öf­fent­lich­ten Zah­len: Zwi­schen Janu­ar und August 2015 star­ben 45.000 Men­schen mehr als im Ver­gleichs­zeit­raum des Vor­jah­res. Nimmt man die­sel­be Ster­be­ra­te bis Jah­res­en­de an, wird es 2015 68.000 Todes­fäl­le mehr gege­ben haben, so Blang­i­ar­do. Das ent­spre­che einer Zunah­me um mehr als 11 Pro­zent. Viel zuviel, um als natür­li­che Schwan­kung erklärt wer­den zu können.

„Das sind keine normalen Zahlen: Nur 1943 und 1915–1918 gab es im Krieg solche Zunahmen“

„Das sind kei­ne nor­ma­len Zah­len“, so Blang­i­ar­do. „Um eine ver­gleich­ba­re Zunah­me der Ster­be­ra­te zu fin­den, muß man bis ins Kriegs­jahr 1943 zurück­ge­hen, und davor bis in die Kriegs­jah­re 1915–1918. Zwei Peri­oden unse­rer Geschich­te, die durch Krie­ge gezeich­net waren, was eine sol­che Zunah­me erklärt.“

„Doch 2015 herrscht kein Krieg“, schreibt der Sozio­lo­ge Mas­si­mo Intro­vi­gne. „Eini­ge mei­ner Kol­le­gen ver­such­ten sich die­ses Phä­no­men mit dem Alte­rungs­pro­zeß der Bevöl­ke­rung zu erklä­ren. Es gibt mehr alte Men­schen und daher ster­ben mehr alte Men­schen. Sie haben aber die Stu­die von Blang­i­ar­do nicht genau gele­sen. Dar­in wird die Alte­rung der Bevöl­ke­rung in Rech­nung gestellt, da sie bereits seit vie­len Jah­ren wirkt, aber nicht die dra­ma­ti­sche Zunah­me der Todes­fäl­le im Jahr 2015 erklä­ren kann.“

Nach­dem Blang­i­ar­do Alarm geschla­gen hat­te, mel­de­ten sich wei­te­re Exper­ten zu Wort und ver­such­ten den sprung­haf­ten Anstieg damit zu begrün­den, daß vie­le Men­schen kei­ne Grip­pe­imp­fung vor­ge­nom­men hät­ten, was zu einer hohen Sterb­lich­keit alter Men­schen geführt hät­te. Die Zahl der Grip­pe­to­ten wird für den genann­ten Zeit­raum auf 8.000 Men­schen geschätzt. „Eine inter­es­san­te Zahl“, so Intro­vi­gne. „Doch selbst wenn man die­se 8.000 zusätz­li­chen Toten annimmt und von den 68.000 abzieht, bleibt eine Zunah­me um 60.000 Tote.“

Introvigne: „Ist das der Dritte Weltkrieg, von dem Papst Franziskus spricht?“

Wir sind nicht im Ersten Welt­krieg und auch nicht im Zwei­ten, „aber viel­leicht im Drit­ten Welt­krieg“, so Intro­vi­gne unter Ver­weis auf Papst Fran­zis­kus. Das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt sprach seit sei­nem Amts­an­tritt 2013 mehr­fach von einem „Drit­ten Welt­krieg“, der bereits im Gan­ge sei. Es sei ein „Krieg gegen die alten Men­schen“, so der Papst.

Erst­mals sprach Papst Fran­zis­kus am 25. Juli 2013 beim Welt­ju­gend­tag in Rio de Janei­ro davon: „Man könn­te den Ein­druck gewin­nen, daß eine Art von ver­steck­ter Eutha­na­sie im Gan­ge ist, daß man sich nicht um die alten Men­schen küm­mert“, und sie ster­ben las­se, wie Intro­vi­gne ergänzt.

Am 22. Sep­tem­ber 2013 wie­der­hol­te der Papst sei­ne Aus­sa­ge bei einem Besuch auf der Mit­tel­meer­in­sel Sar­di­ni­en. In Caglia­ri sag­te er, daß „die Alten fal­len, weil in die­ser Welt kein Platz für sie ist! Eini­ge spre­chen von einer ‚ver­steck­ten Eutha­na­sie‘, sie nicht zu pfle­gen, ihnen nicht Rech­nung zu tra­gen. Sie fal­len zu lassen.“

Am 28. Febru­ar 2014 sag­te Fran­zis­kus zu den Mit­glie­dern der Päpst­li­chen Kom­mis­si­on für Latein­ame­ri­ka: „Die Alten wer­den aus­ge­son­dert, man neigt dazu, sie weg­zu­wer­fen. Es gibt eine ver­steck­te Eutha­na­sie. Es gibt eine ver­steck­te Eutha­na­sie! Die Sozi­al­lei­stun­gen wer­den bis zu einem bestimm­ten Punkt gezahlt, dann müs­sen die armen Alten selbst schau­en, wie sie zurecht­kom­men. […] Die Alten sind Mate­ri­al zum Wegwerfen.“

Am 31. März 2014 wie­der­hol­te der Papst erneut sei­ne Aus­sa­ge gegen­über bel­gi­schen Jugend­li­chen: „Die Alten wer­den ver­jagt. Vie­le alte Men­schen ster­ben durch eine ver­steck­te Eutha­na­sie, weil man sich nicht um sie küm­mert und sie sterben.“

Am 26. Mai 2014 sag­te er bei der Pres­se­kon­fe­renz auf dem Rück­flug aus dem Hei­li­gen Land: „Die alten Men­schen wer­den in vie­len Län­dern aus­ge­son­dert, auch durch Situa­tio­nen einer ver­steck­ten Euthanasie.“

Am 15. Juni 2014 sprach Papst Fran­zis­kus zu Ange­hö­ri­gen der Gemein­schaft Sant’Egidio über Bevöl­ke­rungs­sta­ti­sti­ken: „Die alten Men­schen wer­den aus­ge­son­dert durch eine Hal­tung hin­ter der eine ver­steck­te Eutha­na­sie steckt, eine Form von Eutha­na­sie. Sie nüt­zen nicht mehr, und was nichts bringt, wird weg­ge­wor­fen. Was nichts pro­du­ziert, wird weggeworfen.“

Am 4. Sep­tem­ber 2014 emp­fing der Papst Direk­to­ren von Schu­len, die sich in der von ihm gegrün­de­ten Stif­tung Scho­las Occur­ren­tes zusam­men­ge­schlos­sen haben: „Es wur­de die­ses System der ver­steck­ten Eutha­na­sie auf­ge­zwun­gen. Die Sozi­al­lei­stun­gen decken sich bis zu die­sem Punkt und danach kannst du ruhig sterben.“

Am 28. Sep­tem­ber 2014 sprach er auf dem Peters­platz zu alten Men­schen und daher direkt Betrof­fe­nen: „Die ver­gif­te­te Weg­werf­kul­tur“, mit der trau­ri­gen Rea­li­tät, daß alte Men­schen im Stich gelas­sen wür­den: „Wie vie­le Male wer­den alte Men­schen im Stich gelas­sen und weg­ge­wor­fen, das ist eine regel­rech­te ver­steck­te Eutha­na­sie! Die Fol­gen die­ser Weg­werf­kul­tur scha­den unse­rer Welt sehr.“

Am 15. Novem­ber 2014 wie­der­hol­te der Papst vor der Ver­ei­ni­gung katho­li­scher Ärz­te Ita­li­ens: „Wir alle wis­sen, daß man mit vie­len alten Men­schen in die­ser Weg­werf­kul­tur die­se ver­steck­te Eutha­na­sie betreibt.“

Die­se Auf­li­stung soll genü­gen. Sie zeigt bereits aus­rei­chend, daß die „ver­steck­te Eutha­na­sie“ ein zen­tra­ler Punkt im Lehr­amt die­ses Pap­stes ist, wenn­gleich es nicht durch Klar­heit glänzt und auch der genaue Kon­text der Eutha­na­sie-Aus­sa­ge vage zu blei­ben scheint. Ist die Bezeich­nung als „Drit­ter Welt­krieg“ ange­mes­sen? Meint der Papst damit tat­säch­lich eine sich aus­brei­ten­de Eutha­na­sie­rungs­men­ta­li­tät oder doch mehr? Meint der Papst mit „ver­steck­ter Eutha­na­sie“ die Gleich­gül­tig­keit gegen­über alten Men­schen? Ein Ver­sa­gen der Gene­ra­tio­nen unter­ein­an­der und der Gesell­schaft, indem man sich zu wenig um die alten Men­schen küm­mert. Oder meint der Papst eine akti­ve, syste­ma­ti­sche und daher (ver­steck­te) insti­tu­tio­na­li­sier­te Eutha­na­sie, um Kosten im Gesund­heits­we­sen und den Pen­si­ons­kas­sen ein­zu­spa­ren? Der Sozio­lo­ge Mas­si­mo Intro­vi­gne ver­sucht eine Deutung.

„Sterbehilfe“ ist eine „Sünde gegen den Schöpfergott“

In sei­ner Rede an die katho­li­schen Ärz­te nahm Fran­zis­kus auch zur „ande­ren Eutha­na­sie“ Stel­lung, der akti­ven Eutha­na­sie, die als „Akt der Wür­de“, „Ster­be­hil­fe“, „süßer Tod“ behaup­tet wird und in man­chen Staa­ten bereits lega­li­siert wur­de. Die „Ster­be­hil­fe“ sei, als wür­de man „zu Gott sagen: Nein, das Lebens­en­de mache ich mir, wie ich will. Das ist eine Sün­de gegen den Schöp­fer­gott. Denkt gut dar­über nach.“

In Bel­gi­en, so Intro­vi­gne, ließ die Lega­li­sie­rung der Eutha­na­sie die Ster­be­ra­te sofort in die Höhe schnel­len. In ande­ren Län­dern, wo die Eutha­na­sie nicht erlaubt ist, „gibt es eine ver­steck­te Eutha­na­sie. Aber wo ver­steckt? Die Ant­wort fällt nicht schwer“; so Intro­vi­gne. „Sie ver­steckt sich in den stän­di­gen Kür­zun­gen im Gesund­heits­be­reich: Weil Euro­pa, sprich Brüs­sel, es so will. Und um Brüs­sel wenn nicht die gewünsch­ten, so zumin­dest bes­se­re Haus­halts­zah­len vor­le­gen zu kön­nen, wird der Staats­haus­halt auf dem Rücken der Alten und Kran­ken ‚ver­bes­sert‘. Die Zah­len spre­chen eine kla­re Spra­che. Neh­men wir ein Bei­spiel: Wenn ein Arzt einen Ver­dacht auf Gehirn­tu­mor fest­stellt und eine Com­pu­ter­to­mo­gra­phie des Kop­fes ver­schreibt, dann hät­te der Pati­ent 2015 in Lati­na bei Rom 315 Tage, in Viter­bo 329 war­ten müs­sen. Wer wirk­lich einen Gehirn­tu­mor hat, könn­te, wenn er end­lich für die Unter­su­chung an der Rei­he ist, bereits tot sein.“

Aus den „Ländern der Alten“ wurden „Länder gegen die Alten“

Laut Intro­vi­gne sehe Papst Fran­zis­kus vor allem ein „kul­tu­rel­les Pro­blem“. Im Zuge der Spar­zwän­ge gebe es eine Ten­denz, die ver­blei­ben­den Sum­men im öffent­li­chen Gesund­heits­we­sen auf die „Jun­gen“ zu kon­zen­trie­ren und nicht auf die „Alten“. Die Jun­gen wür­den arbei­ten und eine Lei­stung erbrin­gen, die Alten sei­en nur mehr eine Bela­stung für die Kas­sen. Meh­re­re euro­päi­sche Län­der sei­en „alte Län­der“, man könn­te auch sagen „Län­der von Alten“. Die Gebur­ten­ra­ten sind im Kel­ler. Seit Jahr­zehn­ten wer­den zu weni­ge Kin­der gebo­ren. Damit wächst die Zahl der Alten, für die die immer weni­ger wer­den­den Jun­gen auf­kom­men müs­sen. Das Miß­ver­hält­nis wer­de in sei­ner Dra­ma­tik erst rich­tig deut­lich, wenn man die Ein­wan­de­rer und Ein­ge­bür­ger­ten abzieht, was in den staat­li­chen Sta­ti­sti­ken sel­ten getan wer­de, um die Zah­len zu schönen.

Der näch­ste Schritt, nach der Ent­wick­lung zum „Land der Alten“, sei die Ent­wick­lung zum „Land gegen die Alten“, so Intro­vi­gne. „In Erwar­tung der offe­nen Eutha­na­sie hat die ver­steck­te Eutha­na­sie Ein­zug gehal­ten. Die ‚Sün­de gegen den Schöp­fer­gott‘ ist bereits jeden Tag an der Arbeit: in unse­ren Kran­ken­häu­sern, unse­ren Alten­hei­men und in unse­ren Städten.“

Text: Andre­as Becker
Bild: Skulp­tu­ren von Stein­unn Thórar­insdót­tir/​Nuova Bus­so­la Quotidiana

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