von Roberto de Mattei*
Die Heilige Weihnacht ist nicht nur eine kulturelle Tradition des Westens oder ein bloßes, den Christen teures Gedenken an ein historisches Ereignis, das vor rund 2015 Jahren in Palästina stattgefunden hat. Weihnachten ist der Moment, in dem der Erlöser der Menschheit sich uns in einer Wiege zeigt und uns um die Anbetung als König und Herr des Universums ersucht. Die Geburt ist unter diesem Aspekt eines der zentralen Geheimnisse unseres Glaubens, die Tür, die uns den Zugang zu allen Geheimnissen Christi gewährt.
Der heilige Papst Leo der Große (440–461) schreibt: „Der, der in Seiner Natur unsichtbar ist, hat sich in unserer sichtbar gemacht. Das Unverständliche wollte verstanden werden. Er, der vor der Zeit war, hat begonnen, in der Zeit zu sein. Der Herr des Universums verhüllte Seine Majestät und nahm die Form eines Knechtes an“ (Sermo in Nativitate Domini, II, §2).
Das Offenbarwerden des fleischgewordenen Wortes in der Geschichte war auch die Stunde des größten Jubels der Engel. Seit dem Augenblick ihrer Erschaffung am Beginn des Universums wußten sie, daß Gott sich Mensch machen würde und hatten Ihn angebetet in der blendenden Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Diese Offenbarung trennte auf unüberbrückbare Weise die treuen Engel von den rebellischen, den Himmel von der Erde, die Söhne des Lichts von jenen der Finsternis. In Bethlehem kommt endlich für die Engel der Augenblick, in dem sie vor dem göttlichen Kind, Grund und Mittel ihrer Beharrlichkeit, wie Pater Faber schreibt, niederfallen können.
Die Harmonien des Gloria in excelsis erfüllten den Himmel und die Erde, konnten aber in jener Nacht nur von jenen Seelen gehört werden, die losgelöst von der Welt und in der Liebe Gottes lebten. Zu ihnen gehörten die Hirten von Bethlehem. Sie gehörten nicht zum Kreis der Reichen und der Mächtigen, sondern bewahrten in der Einsamkeit und den Nachtwachen bei ihren Herden den Glauben Israels. Sie waren einfache Menschen, die für das Wunderbare offen waren und sich deshalb beim Erscheinen des Engels nicht wunderten. Dieser ließ einen himmlischen Glanz um sie erstrahlen und sagte:
„Ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt“ (Lk 2,10–12).
Die Hirten folgten bereitwillig den Anweisungen des Engels und wurden bis zur Grotte geleitet, wo sie das Kind in der Krippe und Maria und den heiligen Joseph fanden: „Invenerunt Mariam et Joseph et Infantem positum in Praesepio“ (LK 2,16). Sie hatten die Gnade, als Erste, nach Maria und Joseph, auf Erden einen Akt der äußeren Anbetung des Kindes von Bethlehem setzen. Anbetend verstanden sie, daß Es in Seiner scheinbaren Zerbrechlichkeit der verheißene Messias, der König des Universums war. Weihnachten ist die erste Bestätigung des Königtums Christi und die Krippe ist Sein Thron. Die Krippe war auch der Schrein der christlichen Zivilisation, die mit diesem Augenblick entstand, und die Hirten waren ihre ersten Propheten. Das Programm dieser neuen Zivilisation war in den Worten enthalten, die Heerscharen von Engeln in jener Nacht verkündeten:
„Alle Ehre Gott im Himmel und Frieden den Menschen auf Erden seiner Gnade“ (LK 2,14).
Mit größter Freude eilten die Hirten und verkündeten allen auf den Feldern und auf den Bergen die frohe Kunde. „Omnes qui audierunt mirati sunt“ (Lk 2, 18). Alle, die es hörten, waren voll Staunen, aber nicht alle machten sich auf den Weg zum Stall von Bethlehem. Viele waren in ihre Tätigkeiten versunken und wollten sich keine zusätzliche Anstrengung antun, die ihr Leben in Zeit und Ewigkeit verändert hätte. Viele andere kamen an jenen Tagen an der Grotte vorbei. Sie schauten vielleicht neugierig hinein, verstanden aber das Wunderbare des Ereignisses nicht oder wollten es nicht verstehen.
Das Königtum des Jesuskindes wurde jedoch von einigen unter den weisesten Menschen jener Zeit erkannt. Die Weisen, Könige aus dem Morgenland, waren Männer, deren Blicke auf die himmlischen Dinge gerichtet waren, als ihnen am Himmel ein Stern erschien. Der Stern war für die Weisen, was der Engel für die Hirten war, die Stimme Gottes, der von sich sagt: „Ego sum stella splendida et matutina“ (Offb 22,16). Auch die Weisen, wie die Hirten, erwiderten den göttlichen Impuls. Sie waren nicht die einzigen, die den Stern sahen, und vielleicht waren sie nicht die einzigen, die auch seine Bedeutung verstanden. Sie waren aber die einzigen, die sich auf den Weg nach Westen machten. Andere haben vielleicht verstanden, wollten aber ihr Land, ihr Zuhause, ihre Angelegenheiten nicht verlassen.
Die Hirten waren in der Nähe, die Weisen fern von Bethlehem, aber für beide gilt der Grundsatz: Wer Gott mit offenem und reinem Herzen sucht, ist nie verlassen. Hirten und Könige brachten Gaben von ganz unterschiedlichem Wert, aber sowohl die einen wie die anderen brachten die größte Gabe, die sie hatten. Sie schenkten dem heiligen Kind die Augen, die Ohren, den Mund, das Herz, ihr ganzes Leben. Mit einem Wort, sie weihten ihren Körper und ihre Seele der fleischgewordenen Weisheit und taten dies durch die Hände Mariens und Josephs und in Anwesenheit der gesamten himmlischen Scharen.
Sie ahmten darin die völlige Unterwerfung des Jesuskindes unter den Willen Gottes nach, das sich, obwohl Logos, sich selbst ganz veräußerte und die Form eines Knechtes des göttlichen Willens annahm und das gesamte Menschsein durchlebte bis zum Tod am Kreuz und der Herrlichkeit der Auferstehung. Es hat sich den Status des irdischen Lebens nicht ausgewählt, sondern sich Moment für Moment von der Eingebung der Gnade leiten lassen, wie ein Mystiker des 17. Jahrhunderts, Gaston de Renty schrieb. Die Verehrung des heiligen Kindes ist eine Verehrung, in der man eine radikale Selbsthingabe an die Göttliche Vorsehung kennenlernt, weil jenes in Windeln gewickelte Kind ein menschgewordener Gott ist, der Seinen Willen veräußert hat, um den Willen Seines Vaters zu tun, der im Himmel ist, und Er tut es, indem er sich zwei erhabenen Geschöpfen unterwirft: der Allerseligsten Jungfrau Maria und dem heiligen Joseph.
Die heilige Weihnacht ist der Tag der äußersten Hingabe an die Göttliche Vorsehung, aber auch des grenzenlosen Vertrauens in die geheimnisvollen Pläne Gottes. Es ist der Tag, schreibt der heilige Leo der Große, an dem „sich der Gottessohn offenbart hat, um die Werke des Teufels zu zerstören (1 Joh 3,8), der Tag, an dem Er sich mit uns vereint hat und uns mit Ihm vereint hat, damit das Herabsinken Gottes zur Menschheit die Menschen bis zu Gott erhebt“ (Sermo in Nativitate Domini, VII, §2). In derselben Predigt beklagt der heilige Leo den Skandal jener, die zu seiner Zeit die Stufen zum Petersdom hinaufstiegen, aber die Gebete der Kirche mit Anrufungen der Himmelsgestirne und der Natur vermischten. „Die Gläubigen sollen diese verurteilungswürdige und perverse Gewohnheit zurückweisen, damit die allein Gott geschuldete Ehre sich nicht mehr mit den Riten jener vermischt, die Geschöpfe anbeten. Die Heilige Schrift lehrt: ‚Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen‘ (LK 4,8; Dt 6,13f)“.
Kann man die Aktualität dieser Worte überhören, da auf die Fassade des Petersdomes neuheidnische Spektakel projiziert und der pantheistische Naturkult zelebriert werden? Doch auch in diesen dunklen Stunden haben die katholischen Gläubigen dasselbe Vertrauen, das die Hirten und die Weisen hatten, die zur Krippe hintraten, um Jesus zu betrachten. Weihnachten naht, die Finsternis – in die unsere Welt getaucht ist – löst sich auf, und die Feinde Gottes zittern, weil sie wissen, daß die Stunde ihrer Vernichtung nahe ist. Deshalb hassen sie Weihnachten, und deshalb schauen wir mit vertrauensvollem Blick auf das heilige Kind, das geboren wird, und bitten es, unseren Geist in der Dunkelheit zu erleuchten, unser Herz in der Kälte zu erwärmen und unser in der Nacht unserer Zeit verwirrtes Gewissen zu stärken.
O Jesukind, Dein Reich komme!
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011.
Bilder: Isenheimer Altar von Matthias Grünewald/Geburt Christi von Fra Tiburzio Baldini/Geburt Christi von Giotto (Cappella degli Scrovegni, Padua)