Papst Franziskus ist bekannt dafür, dass er sich gelegentlich missverständlich ausdrückt. Er hat dafür einmal die Entschuldigung geäußert, dass seine Worte immer im Sinne der kirchlichen Lehre zu verstehen seien. Das ist auch die Pflicht aller kirchlich Verantwortlichen – erst recht des Papstes, Lehre und Dogmen der Kirche treu und wahr zu verkünden. Bei den Papstworten in letzter Zeit vermittelt jedoch Franziskus, als wenn er freihändig über Glaubenswahrheiten verfügen oder sie sogar verunklaren könne.
Ein Gastkommentar von Hubert Hecker.
Am 15. November besuchte der Papst die evangelisch-lutherische Gemeinde von Rom. Dort stellte ihm eine evangelische Gemeinderätin die Frage:
Ich lebe in einer Ehe mit einem römisch-katholischen Christen. Es schmerzt uns sehr, im Glauben getrennt zu sein und nicht zusammen zum Herrenmahl gehen zu können. Was können wir tun, um endlich die Gemeinschaft [ital.: comunione] in diesem Punkt zu erreichen.
Darauf Papst Franziskus:
Auf die Frage, gemeinsam das Herrenmahl zu teilen, ist es für mich nicht leicht, Ihnen zu antworten, vor allem nicht in Anwesenheit eines Theologen wie Kardinal Kasper! Ich habe Angst! (lacht; Gelächter der anderen; Applaus; Kardinal Kasper grinst breit, als ihn Franziskus als Theologen erwähnt, vor dem der Papst Angst habe)
Der Papst macht sich und seine Position lächerlich
Der Papst als Kirchenoberhaupt und Nachfolger des Apostels Petrus sollte seine Brüder im Glauben stärken. Als Bischof von Rom ist er der oberste Epi-skopos, d. h. Glaubens-Aufseher oder Wächter der Lehre. Er macht sich und das Amt lächerlich, wenn er sich als Angsthase vor einem Theologen wie Kardinal Kaspar hinstellt. Später kokettiert er sogar mit seinen wenigen theologischen Lumina, als wenn er theologisch unterbelichtet wäre.
Die obigen Worte waren als Einleitung zu seiner stotternden Antwortsuche gedacht:
Ich frage mich – und ich weiß nicht, wie ich antworten soll, aber ich mache mir Ihre Frage zu eigen – frage ich mich…
Wenn sich der Papst als so ein kleines theologisches Licht vorkommt, sollte er doch in Glaubensfragen den Katholischen Katechismus zu Rate ziehen. Dann hätte er sicherlich schnell eine Antwort parat gehabt:
Nur ein Katholik, der nicht in schwerer Sünde lebt, kann zur Kommunion gehen.
Aber diese Befragung des kirchlichen Glaubensbuches und die Antwort der Kirche will Franziskus offensichtlich nicht geben. Er will unbedingt sich selbst als theologisches Lichtlein befragen, um eine dünne Schein-Antwort zu geben. In einem zweiten Anlauf sagt er:
Es gibt Fragen, auf die man aber, wenn einer ehrlich mit sich selbst ist, dennoch antworten muss: Seht selbst!
Bei dieser Aussage vermittelt der Papst, dass er keine theologische Antwort auf die Frage der Protestantin hätte. Dennoch gibt er eine Antwort, die aber nicht von seinem theologischen Licht erleuchtet ist, sondern Ausfluss seiner inneren Ehrlichkeitsidentität sein soll.
Noch mehrmals setzt der Papst in verschiedenen Ansätzen zur Antwort an – jeweils immer mit dem Refrain wie oben:
Darauf muss jeder selbst eine Antwort finden.
Franziskus macht sich dann selbst den Einwand, ob es nicht notwendig sei, „dass wir dieselbe Doktrin haben“, um gemeinsam zum Herrenmahl gehen zu können. Doch diesen Zweifel wischte er resolut beiseite:
Das Leben ist größer als (doktrinäre) Erklärungen und Interpretationen.
Mit dieser Antwort wird endgültig klar, was der Papst von Katechismus und Glaubenserklärungen hält – nämlich nichts! Damit scheint er dann auch seine vorgebliche Angst vor Theologen kleingeredet und weggelacht zu haben, denn große Theologen wie Kardinal Kasper sind ja kleine Doktrinäre, die vom größeren Leben übertrumpft werden.
Aber was soll man sich denn unter dem allgemeinen Ausdruck des jeweils größeren Lebens im Einzelnen vorstellten? Ist damit der Einfall des Augenblicks gemeint? Oder die spontane Idee der Situationsethik? Ist es das Hineinhorchen in das innere Gefühl? Oder das ehrliche Ausdrücken einer identitären Einstellung? Ist darunter die Akzeptanz jeder Gewissensentscheidung zu verstehen oder gar die Anpassung der Lehre an den jeweiligen Dialog-Partner gemeint?
Will sich der Papst vom kirchlichen Lehramt verabschieden?
Schließlich kommt der Papst zu einer doppelten Ansage:
- Es stehe nicht in seiner Zuständigkeit, eine Erlaubnis zur Interkommunion zu geben – (oder ein Verbot auszusprechen).
- Er verweist auf das biblische Pauluswort: Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr – mit der Aufforderung an das fragende Ehepaar: Zieht selbst daraus die Konsequenzen!
Und: Sprecht mit dem Herrn darüber und geht weiter!
Ein Leserbriefschreiber der FAZ vom 7. Dezember 2015 machte zu (1) die Bemerkung:
Der Papst selbst hat sich vom Lehramt der katholischen Kirche verabschiedet. Er habe sich mit dieser Aussage voll und ganz den Standpunkt Luthers zu eigen gemacht.
Nach lutherischer Auffassung brauche ein Christ nicht die (sakramentale) Heilsmittlerschaft der Kirche. Mit der Idee des allgemeinen Priestertums habe jeder Getaufte unmittelbar Zugang zu Gott und zum Heil.
Auch mit der (2.) Aussage nähert sich der Papst dem lutherischen Glaubens- und Schriftverständnis: Danach kann jeder Christ beim Lesen der Schrift auf den vollen Beistand des Hl. Geistes vertrauen, so dass er allein in seinem Gewissen die heilsrichtigen Konsequenzen zieht. Auch mit diesem Ansatz hat der Papst die Kirche mit ihrem Lehramt – und damit auch Katechismen und Dogmen, jedenfalls teilweise – für nicht heilsnotwendig erklärt.
Schließlich bekräftigt der Papst, dass Katholiken und Lutheraner zwar nicht dieselbe Lehre (Doktrin) haben, aber dieselbe Taufe, als er das katholisch-protestantische Ehepaar anspricht:
Wenn Ihr zusammen betet, wächst diese Taufe, wird stark; wenn Ihr Eure Kinder lehrt, wer Jesus ist, warum Jesus gekommen ist, was uns Jesus getan hat, tut Ihr das gleiche ob in der lutherischen Sprache oder in der katholischen Sprache, aber es ist dasselbe.
Der Leserbrief endet mit der sarkastischen Bemerkung:
Den Katechismus der römisch-katholischen Kirche kann man in absehbarer Zeit im Bücherschrank zu den historischen Büchern stellen.
Die Eucharistie ist keine Nachahmung vom Letzten Abendmahl
Es gibt einen weiteren irritierenden Aspekt bei den päpstlichen Antworten. Franziskus spricht von Jesu
Mandat zum Gedächtnis, wenn wir das Mahl des Herrn teilen, daran denken und es nachahmen.…
Josef Ratzinger weist in seiner Aufsatzsammlung: Gott ist uns nahe. Eucharistie: Mitte des Lebens auf Folgendes hin:
Jesus hat den Jüngern nicht befohlen, das letzte Abendmahl als Solches und Ganzes zu wiederholen. Dies wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn es war das Jahresfest des Paschamahles.
Dazu kommt, dass Jesus im Abendmahlsaal die Worte von seinem Leib und Blut in Hinblick auf seinen bevorstehenden Opfer- oder Hingabetod sagte. Wenn die Priester der Kirche die Abendmahls-Worte sprechen, so bringen sie den hingegebenen Leib am Kreuz und das dort vergossene Blut dar. Der Priester am Altar wiederholt also weder die Abendmahlsfeier noch auch das einmalige Opfer Christi am Kreuz, sondern setzt Jesu Erlösungshandeln in Tod und Auferstehung als gegenwärtiges Heilhandeln Gottes. Der Tag des Herrn und der Eucharistiefeier waren daher vom Anfang der Christenheit her nicht der Abendmahlstag am Donnerstag, sondern der Auferstehungstag am ersten Tag der neuen Woche, zugleich der erste Tag der (neuen) Schöpfung.
Wenn Franziskus die Eucharistiefeier mit den Worten umschreibt, an das Herrnmahl denken und es nachahmen, so ist darin die katholische Lehre von der heiligen Messe kaum noch zu erkennen. [1]Die evangelische Gemeinderätin sprach von der Cena del Signore (Herrenmahl, Lord’s Supper) eine Formulierung, die Papst Franziskus aufnahm und wiederholte. In der deutschen Übersetzung der … Continue reading Mit seinen missverständlichen Worten trägt der Papst zur Verwirrung der Katholiken und zur Verdunstung des Glaubens bei. Oder wollte er mit dieser Abflachung der katholischen Eucharistielehre zu dem protestantischen Abendmahlsverständnis eine Brücke bauen, auf der sich Lutheraner und Katholiken im Jahr 2017 zur Interkommunion treffen könnten? Aktuell jedenfalls stellt er es den Protestanten frei, nach ihrer ungebundenen Gewissensentscheidung an der Kommunion der heiligen Messe teilzunehmen.
Ist Gottes Gerechtigkeit in seiner Barmherzigkeit aufgehoben?
Schließlich passt ein weiteres Papstwort in diese Tendenz, die katholische Lehre zu verunklaren und sich den Protestanten anzunähern – oder gar, wie es bei der Begegnung in Rom den Anschein hatte, anzubiedern?
In der Predigt von Papst Franziskus zur Eröffnung des Jubeljahres am 8. Dezember schlägt er einen großen Bogen vom Festtag der Immaculata zum Jüngsten Gericht. Er stellt dar, dass die Gottesmutter seit dem ersten Augenblick ihres Daseins befreit war von der Erbsünde, die jeder Mensch von Geburt an in sich trägt. In Maria kommt Gott der Erbsünde zuvor. Genauso würde die Liebe Gottes seinem Richterspruch zuvorkommen:
Wir müssen die Barmherzigkeit dem Gericht voranstellen.
Doch das ist nicht die Lehre der Kirche. Viele Darstellungen des Jüngsten Gerichts zeigen den erhöhten Herrn mit seinen Attributen links und rechts von seinem Haupt: Neben dem Schwert der Gerechtigkeit, das als alleinstehendes Symbol irdische Gerichte kennzeichnet, steht die Lilie der Barmherzigkeit, die unterscheidende göttliche Eigenschaft des Herrn. Aber beide sind Dimensionen des allgemeinen Gerichts. Gott richtet die Menschen nach ihren Taten, aber er ist barmherzig gegenüber dem reuigen und umkehrenden Sünder. Dieses Gottesbild entspricht auch der prophetischen Tradition des Alten Testaments.
Martin Luther glaubte in seiner suchenden Zeit nicht an den barmherzigen Gott der kirchlichen Glaubenslehre, sondern fürchtete seinen selbstgemachten Gott von gnadenlos strafender Gerechtigkeit. Nach seinem Turmerlebnis verdrehte er sein einseitiges Gottesbild ins Gegenteil: Allein aus Gnade decke Gott alle Sünden der gläubigen Christen barmherzig zu. Danach gibt’s nichts mehr zu richten in Gerechtigkeit. Nach Luther ist also die göttliche Gerechtigkeit in der gnädigen Barmherzigkeit Gottes aufgehoben.
So ähnlich sieht es Franziskus in seiner Jubeljahr-Eröffnungspredigt. Er schiebt dann der vorgängigen Barmherzigkeit Gottes ein angebliches Augustinus-Zitat nach: Wieviel Unrecht wird Gott und seiner Gnade getan, wenn man vor allem behauptet, dass die Sünden durch sein Gericht bestraft werden, anstatt allem voranzustellen, dass sie von seiner Barmherzigkeit vergeben werden (vgl. Augustinus, De praedestinatione sanctorum 12,24)! Ja, genauso ist es. Danach folgt der oben zitierte Satz des Papstes vom Vorrang der Barmherzigkeit vor dem Gericht Gottes. Lassen wir jede Form von Angst und Furcht (vor einem gerecht strafenden Gott) hinter uns.
In diesem Komplex kommt die freihändige Theologie des Papstes zum Ausdruck:
Zum Ersten liegt hier gar kein Zitat zu der Augustinus-Passage vor, sondern offensichtlich der Satz eines Kommentators zu der angegebenen Stelle.
Es ging – zum Zweiten – in dem betreffenden Kapitel um Gottes Barmherzigkeit gegenüber ungetauften Kindern. Der Kirchenlehrer wandte sich gegen häretische Positionen, die ein Gericht Gottes behaupteten über vorauszusehenden Taten der früh Gestorbenen, wenn sie weiter gelebt hätten. Nur für diesen Fall behauptet der Kirchenlehrer den Vorrang von Gottes Barmherzigkeit vor seiner Gerechtigkeit, die in diesem Zusammenhang gar nicht zum Tragen kommen kann.
Somit wäre – drittens – die Übertragung des augustinischen Diktums auf das allgemeine Gericht Gottes über die Lebenden und die Toten gar nicht zulässig.
Schließlich zeigt eine genauere Analyse des obenstehenden Augustinus-Kommentars gar nicht die behauptete Voranstellung der Barmherzigkeit vor das Gericht: Gerade die traditionelle kirchliche Lehre in Form der Bild- und Symbolsprache bringt in diese Frage Klarheit, dass beide göttlichen Eigenschaften im Gericht ihren Platz haben: Dem Weltenrichter Christus wird die Lilie seiner Rechten zugeordnet – und das heißt: An erster Stelle ist Gott im Gericht barmherzig gegenüber den Sündern und ihren Sünden, sofern sie die in Beichte, Reue und Umkehr bedauern. Aber er ist zugleich gerecht gegenüber den verstockten Sündern, deren Sünden er im Gericht bestraft.
Text: Hubert Hecker
Bild: MiL (Titelbild), die anderen vom Autor ausgewählt/Wikicommons
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↑1 | Die evangelische Gemeinderätin sprach von der Cena del Signore (Herrenmahl, Lord’s Supper) eine Formulierung, die Papst Franziskus aufnahm und wiederholte. In der deutschen Übersetzung der Papst-Antwort durch den Vatikan wird durchgehend der Begriff Abendmahl gebraucht, Anm. d. Red. |
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