Paris nach den Attentaten: „In den Banlieues ist es gefährlich, zu zeigen, daß man Christ ist“


Banlieue von Paris
Ban­lieue von Paris

(Paris) Spä­te­stens seit den Unru­hen von 2005 ist der fran­zö­si­sche Begriff Ban­lieue in allen euro­päi­schen Spra­chen zum Syn­onym für ein städ­ti­sches Pro­blem­vier­tel gewor­den. Unter Pro­blem­vier­tel wer­den Stadt­tei­le mit einem hohen Anteil an Ein­wan­de­rern, Arbeits­lo­sig­keit, Sozi­al­hil­fe­emp­fän­gern, Dro­gen­kon­sum, Kri­mi­na­li­tät und Mos­lems ver­stan­den. Die Ban­lieues haben seit 2005 nicht abge­nom­men, son­dern sich wei­ter ausgebreitet.

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Eine fran­zö­si­sche Armee­an­ge­hö­ri­ge hat Paris vor zwei Jah­ren ver­las­sen, um ihrem klei­nen Sohn eine bes­se­re und siche­re Umge­bung bie­ten zu kön­nen. Sie lebt heu­te in Nord­ita­li­en. Dort führ­te das Monats­ma­ga­zin Il Timo­ne ein Inter­view mit ihr. Teil des Phä­no­mens der Ban­lieue-Aus­brei­tung ist ein Gefühl der Ein­schüch­te­rung und eine auf viel­fäl­ti­ge Wei­se erfol­gen­de Ein­schrän­kung der Mei­nungs­frei­heit. Um anonym zu blei­ben, wur­de der ehe­ma­li­gen Armee­an­ge­hö­ri­gen der Name der per­so­ni­fi­zier­ten fran­zö­si­schen Natio­nal­al­le­go­rie „Mari­an­ne“ gegeben.

„In Paris kann jemand, der dort gebo­ren wur­de, wirk­lich nicht mehr leben. Der Pari­ser kennt gewis­se Dyna­mi­ken und weiß, daß es ein Kampf ohne Ende ist“.

War­um haben Sie Frank­reich verlassen?

Mari­an­ne: Ich wur­de in Paris gebo­ren. Ich habe dort stu­diert. Schon als ich klein war und die Schu­le besuch­te, bin ich inmit­ten von Gewalt auf­ge­wach­sen. Auf dem Nach­hau­se­weg mit der U‑Bahn erleb­te ich immer wie­der äußerst gewalt­tä­ti­ge Zusam­men­stö­ße. Oft waren die Betei­lig­ten bewaff­net. Es ist für den Staat sehr schwie­rig, all die Gewalt zu über­schau­en und noch schwie­ri­ger, sie unter Kon­trol­le zu hal­ten. Ich habe mich eigent­lich nie sicher gefühlt. Als ich wuß­te, Mut­ter zu wer­den, war ich noch Armee­an­ge­hö­ri­ge und dien­te bei einer Blau­helmein­heit mit UNO-Auf­trag. Ich kehr­te gera­de von einem anstren­gen­den Ein­satz an der Gren­ze zwi­schen dem Liba­non und Isra­el zurück. Der näch­ste Ein­satz soll­te mich an die Elfen­bein­kü­ste füh­ren. Da habe ich beschlos­sen, mei­nen Dienst zu wech­seln. So kam ich im Lan­des­in­ne­ren zum Ein­satz. Dar­aus erwuchs der Ent­schluß, mein Kind in einer bes­se­ren und ruhi­ge­ren Gegend auf­wach­sen zu las­sen, als ich sie kann­te. Mein Wunsch war es, mei­nem Kind ein Leben als Kind zu ermöglichen.

Was kön­nen Sie uns über die Ban­lieue erzählen?

Mari­an­ne: Ich wur­de in einer Son­der­ein­heit zum Bür­ger­schutz ein­ge­setzt. Dazu gehör­te die Bekämp­fung von Gewalt und Dro­gen. Ich habe ein inten­si­ves Jahr mit­ten in Paris durch­ge­macht. Die Bewoh­ner der Ban­lieues haben aus den Wohn­blocks auf uns geschos­sen, war­fen Fern­se­her, Mikro­wel­len­her­de und Wasch­becken aus den Fen­stern. Ich wur­de meh­re­re Male ver­letzt. Es ist für die Poli­zei und die Armee sehr schwie­rig, in die Pro­blem­vier­tel am Stadt­rand von Paris zu gehen, erst recht sie zu kontrollieren.

Haben Sie auch reli­gi­ös moti­vier­te Gewalt erlebt?

Mari­an­ne: Ja, wäh­rend des gan­zen Einsatzes.

Wel­che Art von Zusam­men­le­ben zwi­schen den Gläu­bi­gen der ver­schie­de­nen Reli­gio­nen haben Sie in Frank­reich erlebt?

Mari­an­ne: Da in Frank­reich die Lai­zi­tät gilt, herrscht Dis­kre­ti­on. Es ist nicht emp­feh­lens­wert, die eige­ne Reli­gi­on zu zei­gen. Wird das ein­ge­hal­ten, ver­läuft alles ver­hält­nis­mä­ßig ruhig. Dadurch wur­de der christ­li­che Glau­ben aus dem öffent­li­chen Raum ver­drängt. In den Ban­lieues hin­ge­gen ist es aus einem ganz ande­ren Grund bes­ser, nicht zu zei­gen, daß man Christ ist. Dort herrscht ein ganz ande­res Kli­ma. Dort hat der Islam das Sagen.

Wie haben Sie Ihren katho­li­schen Glau­ben in Frank­reich gelebt?

Mari­an­ne: Ich bin seit zwei­ein­halb Jah­ren prak­ti­zie­ren­de Katho­li­kin. Das hat für mei­ne Lebens­ent­schei­dun­gen eine ent­schei­den­de Rol­le gespielt. In Ita­li­en lebe ich mei­nen Glau­ben frei. Kein Ver­gleich zu Frank­reich. Ich gehö­re dem Drit­ten Orden der Fran­zis­ka­ner an. Den Glau­ben frei und in brü­der­li­cher Gemein­schaft leben zu kön­nen, ver­än­dert das Leben. Hier bin ich geschützt. Mein Sohn ist inzwi­schen fünf Jah­re alt. Ihn mit der Kir­che auf­wach­sen zu las­sen, ist das schön­ste, was ich ihm nach nach dem Leben geben konnte.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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