Eine Pfarrei „an den Rändern“, die liturgisch vom Saulus zum Paulus wurde


Zelebration im überlieferten Ritus in einer Pfarrei an den "Rändern", die als progressives Vorzeigemodell gegründet worden war
Zele­bra­ti­on im über­lie­fer­ten Ritus in einer Pfar­rei an den „Rän­dern“, die als pro­gres­si­ves Vor­zei­ge­mo­dell gegrün­det wor­den war

(Bar­ce­lo­na) Fran­cesc Maria Espi­nar i Comas, Pfar­rer von Fon­do de San­ta Colo­ma de Gra­men­et in Bar­ce­lo­na, ist im 27. Jahr Prie­ster. Sei­ne Pfar­rei Sant Joan Bap­ti­sta wur­de vor 50 Jah­ren kano­nisch errich­tet, also zeit­gleich mit dem Abschluß des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils. Die Errich­tung stand in direk­tem Zusam­men­hang mit dem „neu­en Geist des Kon­zils“. Sie galt als Pfar­rei der „Peri­phe­rie“, der Arbei­ter­prie­ster und der „Refor­mer“, die damals von sich reden mach­ten. Ihr Grün­der war der Prie­ster Jau­me Say­rach, der nach dem Kon­zil im Erz­bis­tum Bar­ce­lo­na zu den „enga­gier­te­sten“ Lit­ur­gie­re­for­mern gehör­te. Pfar­rer Espi­nar i Comas bezeich­net die dama­li­ge Hal­tung als „lit­ur­gi­schen Minimalismus“.

„Liturgischer Minimalismus“, leere Werkhallenkirche, Zelebrant in Alltagskleidung

Anzei­ge

Ein Mini­ma­lis­mus, der sowohl ästhe­tisch wie for­mal zu ver­ste­hen ist. Eine Chri­stus­dar­stel­lung von Josep Ricart May­mir, der dafür 1962 mit dem Natio­na­len Preis für reli­giö­se Kunst aus­ge­zeich­net wor­den war, und ein gro­ßer Eßtisch aus Edel­holz, der als Altar dien­te, waren die ein­zi­ge Gestal­tung der Kir­che, die absicht­lich wie eine Werk­hal­le errich­tet wur­de. Als Meß­ge­wand dien­te Say­rach eine schmuck­lo­se wei­ße Kasel, und das auch nur bei sei­ner ersten Mes­se in der neu­en Stadt­rand­kir­che. Ab der zwei­ten Mes­se zele­brier­te er nur mehr mit einer Woll­sto­la, die er sich über sei­ne All­tags­klei­dung legte.

„Die­ser Stil wur­de bei­be­hal­ten, bis 1992 mein Vor­gän­ger, Anto­nio Rubio, Pfar­rer wur­de“, so Espi­nar i Comas. Vom ersten Tag setz­te Rubio unter Wider­stän­den zwei Refor­men durch. Er zele­brier­te getreu dem Mis­sa­le von 1970 von Paul VI. Das war gegen­über der Zele­bra­ti­ons­art von Say­rach ein gera­de­zu revo­lu­tio­nä­rer Fort­schritt. Zwei­tens begann er die schmuck­lo­se Kir­che aus­zu­schmücken, mit Dar­stel­lun­gen, die ihm Freun­de schenk­ten oder befreun­de­te Ordens­frau­en zur Ver­fü­gung stellten.

2007 hielt der überlieferte Ritus Einzug in Sant Joan Baptista

Pfarrer Sayrach mit gleichgesinnetn Priestern in Santa Coloma um 1970
Pfar­rer Say­rach mit gleich­ge­sinn­ten Prie­stern in San­ta Colo­ma um 1970

„Ich kam 2002 in den Stadt­teil Fon­do de San­ta Colo­ma und war fest ent­schlos­sen, das Erbe und die pasto­ra­len Initia­ti­ven von Pfar­rer Rubio fort­zu­set­zen.“ Zu die­sen gehör­te die Abschaf­fung der Buß­got­tes­dien­ste mit kol­lek­ti­ver Los­spre­chung. Statt des­sen wur­de der erste Beicht­stuhl gekauft. Say­rach hat­te ihn nicht für nötig gehal­ten, wes­halb die Kir­che ohne errich­tet wor­den war. Eben­so wur­de die Fron­leich­nams­pro­zes­si­on ein­ge­führt. Etwas ganz Neu­es für das Viertel.

Am 14. Sep­tem­ber 2007 wur­de mit dem Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum die über­lie­fer­te Form des Römi­schen Ritus wie­der für die gan­ze Kir­che erlaubt. Pfar­rer Espi­nar i Comas begann jeden Mon­tag am frü­hen Mor­gen die Hei­li­ge Mes­se im „Alten Ritus“ zu zele­brie­ren. „Eine Form, die ich bis dahin weder zele­briert hat­te noch über­haupt kann­te und auch wäh­rend mei­ner Aus­bil­dung nur als etwas Ver­gan­ge­nes ken­nen­ge­lernt hat­te. Der Mon­tag war mein frei­er Tag. In der Pfar­rei wur­de an die­sem Tag kei­ne Hei­li­ge Mes­se zele­briert. Anfangs wohn­ten ihr, gele­gent­lich, ein­zel­ne Gläu­bi­ge bei, die zufäl­lig um die­se Zeit die Kir­che auf­such­ten. Dann mach­te ich die Zele­bra­ti­on im Aus­hang bekannt. Am Anfang kamen drei oder vier Gläu­bi­ge, die bereits ein bestimm­tes Alter hat­ten. Man­che brach­ten ihr Meß­buch mit, das sie sich aus ihrer Jugend auf­be­wahrt hat­ten. Dann waren es zehn, dann fünf­zehn, die kamen. Sie kamen wegen der ‚Schön­heit‘ der Lit­ur­gie, wie sie mir sag­ten, um sich gleich­zei­tig über den Zeit­punkt zu beklagen.“

Die Bildung einer ständigen Gruppe und die rasche Zunahme der Meßbesucher

Werkhallenkirche: vom Zentrum der "Liturgiereform" zur birituellen Pfarrei
Werk­hal­len­kir­che: vom Zen­trum der „Lit­ur­gie­re­form“ zur biri­tu­el­len Pfarrei

Der Pfar­rer sag­te, wenn die Gläu­bi­gen eine ande­re Zeit wünsch­ten, müß­ten sie eine stän­di­ge Grup­pe bil­den und mir schrift­lich den Wunsch vor­brin­gen. „Ich habe mei­nen Abschluß an der Late­ran­uni­ver­si­tät in Kir­chen­recht erwor­ben. Wenn es mir irgend etwas genützt hat, dann dazu, in recht­li­chen Kate­go­rien zu den­ken, mit und nicht neben dem Kir­chen­recht.“ So bil­de­te sich ein Coe­tus Fide­li­um und stell­te den Antrag. Die Hei­li­ge Mes­se in der außer­or­dent­li­chen Form wur­de nun in den ordent­li­chen Meß­ka­len­der inte­griert. „Ich hielt lit­ur­gi­sche Kate­che­sen, um in den Ritus in der außer­or­dent­li­chen Form ein­zu­füh­ren. Gleich­zei­tig nahm die Zahl der Meß­be­su­cher rapi­de zu. Es kamen bald auch Gläu­bi­ge aus ande­ren Pfar­rei­en, obwohl wir nichts bekannt­mach­ten. So wur­den wir eine Pfar­rei mit bei­der­lei For­men des Römi­schen Ritus. Der Altar wur­de so gestal­tet, daß er in zwei Minu­ten für die Zele­bra­ti­on coram popu­lo oder ad ori­en­tem umge­stellt wer­den kann.“

Die Zele­bra­ti­on im über­lie­fer­ten Ritus führ­te zu einer wei­te­ren Ver­schö­ne­rung und Aus­schmückung der Kir­che, „vor allem der Altar schien mir plötz­lich so nackt und arm“. Der Altar­raum wur­de schritt­wei­se neu­ge­stal­tet, vor allem auch der Altar. „Die Kir­che war ja kahl“. In der Pfar­rei gab es auch Wider­stän­de. Der über­lie­fer­te Ritus war nie ver­bo­ten wor­den, doch eini­ge Gläu­bi­ge hat­ten es so auf­ge­faßt. Die­se Wider­stän­de muß­ten lang­sam über­wun­den wer­den, um vor allem die Zele­bra­ti­ons­rich­tung gegen Osten wie­der in der Pfar­rei zu ver­an­kern. „Ein lan­ger Weg, der Jah­re in Anspruch nahm“, so der Pfar­rer heu­te. Ein Künst­ler aus Cor­do­ba, der in der Pfar­rei leb­te, schuf ein wür­di­ges Tauf­becken. Bei der Seg­nung sag­te er mit lau­ter Stim­me, so daß es alle hör­ten: „Don Fran­cis­co, wenn Sie bes­ser [wür­di­ger] zele­brie­ren, wer­den wir auch bes­se­re Menschen.“

„Vox popu­li, vox Dei“, erin­nert sich Pfar­rer Espi­nar i Comas an die­ses Ereig­nis. „Auch heu­te noch, wo ich das nie­der­schrei­be, kom­men mir die Trä­nen in die Augen, wenn ich an die­sen ein­fa­chen Glau­ben des christ­li­chen Vol­kes den­ke und sein Ver­trau­en in die Prie­ster, die sich bemü­hen, ihr Leben für ihre Her­de zu geben, mit all ihren Schwä­chen, aber ihrer Beru­fung treu.“

Überlieferte Messe zum Silbernen Priesterjubiläum in Montserrat

Heilige Messe im überlieferten Ritus zum Silbernen Priesterjubiläum in Montserrat
Hei­li­ge Mes­se im über­lie­fer­ten Ritus zum Sil­ber­nen Prie­ster­ju­bi­lä­um von Espi­nar i Comas in Montserrat

Es fan­den sich wei­te­re Prie­ster, die in Abwe­sen­heit des Pfar­rers die Zele­bra­ti­on fort­set­zen. „Die Mobi­li­tät des Alta­res, der an der Wand zum Hoch­al­tar wird, erleich­tert es auch bei der Fir­mung durch die Weih­bi­schö­fe, im Neu­en Ritus zu zele­brie­ren, ohne daß die­sen ein Unbe­ha­gen kommt, weil sie den Alten Ritus nicht kennen.“

„2014 wur­de mir zu mei­nem Sil­ber­nen Prie­ster­ju­bi­lä­um die gro­ße Freu­de und Ehre zuteil, in der Wall­fahrts­kir­che Unse­rer Lie­ben Frau von Monts­er­rat, dem kata­la­ni­schen Natio­nal­hei­lig­tum im gleich­na­mi­gen Gebir­ge, die Hei­li­ge Mes­se im über­lie­fer­ten Ritus zele­brie­ren zu kön­nen. Ich erin­ne­re nichts, was mich seit mei­ner Prie­ster­wei­he inner­lich mehr bewegt hat, als die Stil­le in der Basi­li­ka von Monts­er­rat, in die der Gre­go­ria­ni­sche Cho­ral ein­drang, der die Kir­che erfüllte.“

Von ande­ren Prie­stern wer­de er immer wie­der gefragt, war­um er denn im über­lie­fer­ten Ritus zele­brie­re. „Ich ant­wor­te dann immer: Seit der ersten Hei­li­ge Mes­se, die ich in der außer­or­dent­li­chen Form zele­brier­te, wur­de mir schlag­ar­tig bewußt, daß bei­de For­men des Römi­schen Ritus sich gegen­sei­tig berei­chern und mein Prie­ster­tum berei­chern. Und ich konn­te in direk­ter Beob­ach­tung sehen, wel­chen geist­li­chen Nut­zen die Gläu­bi­gen dar­aus zie­hen. Papst Bene­dikt XVI. hat uns in väter­li­cher Lie­be die­ses gro­ße Geschenk gemacht und Papst Fran­zis­kus hat es, trotz insi­sten­tem Druck, nicht zurück­ge­nom­men. Ich kann nur alle, die unduld­sam sind, auf­for­dern, gedul­dig zu sein.“

Seit ver­gan­ge­nem Jahr wird am Sonn­tag die Hei­li­ge Mes­se im über­lie­fer­ten Ritus zu bester Stun­de um 10 Uhr zele­briert. Eine Scho­la Can­torum aus sie­ben Cho­ral­sän­gern singt Ordi­na­ri­um und Pro­prien. Das Volk ant­wor­tet kräf­tig beim Ordi­na­ri­um. „Fünf Mes­sen des römi­schen Kyria­le wer­den im Lau­fe des Kir­chen­jah­res gesun­gen, die wir mit den Gläu­bi­gen ein­ge­übt haben.“

„Die Geschich­te mei­ner Pfar­rei zeigt, wel­cher Wan­del mög­lich ist und soll eine Ermu­ti­gung sein, daß das gleich­be­rech­tig­te Neben­ein­an­der der bei­den For­men des Römi­schen Ritus in den Pfar­rei­en mög­lich ist“, so Pfar­rer Fran­cesc Maria Espi­nar i Comas.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: InfoVaticana

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!

 




 

2 Kommentare

  1. „Aber in die­ser von jeder Schön­heit weit ent­fern­ten Umge­bung lern­te ich, dass die Lit­ur­gie sich ihre Kathe­dra­le baut.“ (Mar­tin Mose­bach, SZ-Maga­zin, Heft 19/​2010)

  2. Vom Sau­lus zum Pau­lus ist es ein wei­ter Schritt. Wie sol­len jun­ge Prie­ster jemals auf die Hl.Messe
    aller Zei­ten, die Mes­se Pius V. sto­ßen und ken­nen ler­nen ? In der Prie­ster­aus­bil­dung wird nicht
    dar­über gespro­chen und wenn, dann nega­tiv als etwas ver­bo­te­nes. Der Bei­trag streift die dama-
    lige Situa­ti­on eines ver­ord­ne­ten Auf­bruchs. Über­schwäng­lich wur­de der Volks­al­tar ein­ge­führt und
    die Kir­chen des Schmuckes beraubt. Über­spann­te Prie­ster zele­brier­ten mit einer ein­fa­chen Stola
    auf dem Anzug mit Kra­wat­te, an einem ein­fa­chen Holz­tisch. Des­halb ist jeder Schritt, der zur Sa-
    kra­li­tät führt zu stär­ken und zu begrü­ßen. Es sind auch jene Prie­ster nicht zu ver­ges­sen, die prak-
    tisch von einem Tag zum ande­ren, die Mes­se Paul VI. lesen muss­ten, oft gegen ihre inne­re Ein-
    stel­lung, aber im Gehor­sam gegen­über dem Bischof.

Kommentare sind deaktiviert.