Der Gehirntumor des Papstes, „manipulierte“ Fotos und viele Dementis – eine Chronik


Gehirntumor-Spezialist Fukushima mit Papst Franziskus (Oktober 2014)
Gehirn­tu­mor-Spe­zia­list Fuku­shi­ma mit Papst Fran­zis­kus (Okto­ber 2014)

(Rom) Die am Mitt­woch vom ita­lie­ni­schen Tages­zei­tungs­kon­sor­ti­um Quo­ti­dia­no Nazio­na­le (QN) ver­öf­fent­lich­te Nach­richt über eine mög­li­che Erkran­kung von Papst Fran­zis­kus sorg­te für inter­na­tio­na­le Auf­re­gung. Der Vati­kan demen­tier­te, die Zei­tung beharrt. Eine klei­ne Chro­nik der Ereignisse.

Der Vati­kan demen­tier­te kate­go­risch. Vati­kan­spre­cher Lom­bar­di bezeich­ne­te die Ver­öf­fent­li­chung der Behaup­tung durch drei ita­lie­ni­sche Tages­zei­tun­gen als „schwer­wie­gend verantwortungslos“.

Die argen­ti­ni­sche Tages­zei­tung La Naci­on befrag­te dazu den argen­ti­ni­schen Zere­mo­ni­är des Pap­stes, den im Staats­se­kre­ta­ri­at täti­gen Guil­ler­mo Kar­cher. Als Argen­ti­ni­er und als Zere­mo­ni­är gehört er zu jenen, die dem Papst beson­ders nahe kom­men. Auch Kar­cher demen­tier­te eine mög­li­che Erkran­kung des Pap­stes. „Ich demen­tie­re kate­go­risch“, sag­te er gestern. „Der Papst erfreut sich einer eiser­nen Gesund­heit, wie wir in Argen­ti­ni­en sagen.“

21. Oktober 2015

Das Zei­tungs­kon­sor­ti­um Quo­ti­dia­no Nazio­na­le (QN) ver­öf­fent­licht in drei Tages­zei­tun­gen (La Nazio­ne, Il Gior­no, Il Resto del Car­li­no) gleich­zei­tig die Nach­richt, der Papst lei­det an einem Gehirn­tu­mor, der aber pro­blem­los behan­delt wer­den kön­ne. Der Arti­kel mit der Nach­richt ist von Andrea Can­gi­ni, dem Chef­re­dak­teur des Kon­sor­ti­ums selbst unter­zeich­net. Im Janu­ar sei ein Tumor­spe­zia­list, der Japa­ner Tak­an­ori Fuku­shi­ma in den Vati­kan geholt wor­den, um den Papst zu unter­su­chen. Der inter­na­tio­nal renom­mier­te, japa­ni­sche Tumor­spe­zia­list Tak­an­ori Fuku­shi­ma sei ins­ge­samt zwei­mal mit dem Papst zusam­men­ge­trof­fen. Ein erstes Mal bereits im Okto­ber 2014 am Ende einer Gene­ral­au­di­enz auf dem Petersplatz.

Vati­kan­spre­cher Lom­bar­di demen­tiert kate­go­risch und bezeich­net das Vor­ge­hen der Zei­tun­gen als „ver­ant­wor­tungs­los“.

Chef­re­dak­teur Can­gi­mi von QN beharrt auf der Nach­richt. Man habe sich die Ver­öf­fent­li­chung „lan­ge und gründ­lich über­legt“. Man habe „eine Spur gefun­den, sei die­ser gefolgt und fand sie bestä­tigt. Wir haben meh­re­re Mona­te dar­an gearbeitet.“

Vati­kan­spre­cher Lom­bar­di demen­tier­te auf der täg­li­chen Syn­oden-Pres­se­kon­fe­renz erneut und eben­so kategorisch.
Die Welt­pres­se ver­öf­fent­licht die Nach­richt als Sen­sa­ti­ons­mel­dung, wenn auch mit Fra­ge­zei­chen. In Ita­li­en geschieht das glei­che, gleich­zei­tig wird QN vor­ge­wor­fen, dem Papst „scha­den“ zu wol­len. Von „Mani­pu­la­ti­on“ und einem „Kom­plott“ ist die Rede.

Erst am spä­ten Abend läßt auch Fuku­shi­ma über Drit­te demen­tie­ren, den Papst zu behandeln.

22. Oktober 2015

Der Osser­va­to­re Roma­no stützt die offi­zi­el­le The­se eines Kom­plotts und wirft QN eine „mani­pu­la­ti­ve Absicht“ vor. Die Vati­kan­zei­tung stellt die Ver­öf­fent­li­chung der Nach­richt in Zusam­men­hang mit dem „Zeit­punkt“ der tur­bu­len­ten Bischofs­syn­ode, bleibt aber im Vagen, ohne näher zu erklä­ren, wor­in genau wel­che Absicht des Kon­sor­ti­ums gele­gen hat, außer eine Sen­sa­ti­on mel­den zu können.

QN beharrt gleich­zei­tig mit einem neu­en Arti­kel „Der Papst hat einen Tumor: Hier die Bele­ge“. Der Chef­re­dak­teur von La Nazio­ne, einer der Tages­zei­tun­gen des QN-Kon­sor­ti­ums, beharrt in einem Kom­men­tar in sei­ner Zei­tung eben­falls. Pier­fran­ces­co De Rober­tis weist die Unter­stel­lung zurück, es hand­le sich um ein Kom­plott: „Kein Kom­plott“. Man respek­tie­re, daß der Vati­kan demen­tie­re, und ver­ste­he auch, daß für den Vati­kan der Zeit­punkt aus ande­ren Grün­den hei­kel sei, doch das ände­re für die Zei­tung nichts: „Wir machen unse­re Arbeit weiter“.

Prominentenarzt

Fukshima am 28. Januar 2015 auf dem Flug nach Rom
Fuku­shi­ma am 28. Janu­ar 2015 auf dem Flug nach Rom

Der Japa­ner Tak­an­ori Fuku­shi­ma ist eine aner­kann­te Kory­phäe auf sei­nem Gebiet. Seit eini­gen Jah­ren behan­delt er auch an der Pro­mi­nen­ten­kli­nik San Ros­s­o­re in Pisa (Tos­ka­na). Zudem betreibt er einen per­sön­li­chen Blog in japa­ni­scher Spra­che. Dort ver­öf­fent­lich­te er sowohl im Okto­ber 2014 als auch im Janu­ar 2015 einen Ein­trag über einen Besuch im Vati­kan. Bei­de Ein­trä­ge wur­den inzwi­schen gelöscht.

Belegt ist vor­erst nur soviel: Fuku­shi­ma nahm im Okto­ber 2014 tat­säch­lich an einer Gene­ral­au­di­enz auf dem Peters­platz teil und das an pro­mi­nen­ter Stel­le, dort, wo dem Papst die Anwe­sen­den per­sön­lich vor­ge­stellt wer­den. Fuku­shi­ma schüt­tel­te dem Papst die Hand und sprach kurz mit ihm. Der Foto­dienst des Osser­va­to­re Roma­no hat das Ereig­nis, wie gewohnt, mit meh­re­ren Fotos festgehalten.

Belegt ist auch, daß Fuku­shi­ma am 28. Janu­ar 2015 im Hub­schrau­ber nach Rom geflo­gen ist. Gegen­über QN bestä­tig­te der geschäfts­füh­ren­de Prä­si­dent der Pri­vat­kli­nik San Ros­s­o­re, der Rechts­an­walt Andrea Madon­na, daß Fuku­shi­ma am 28. Janu­ar drin­gend nach Rom muß­te. Da die Kli­nik Kund­schaft aus höch­sten Krei­sen habe, „ver­fü­gen wir über meh­re­re Hub­schrau­ber, so war es für uns kein Pro­blem die­sem Wunsch zu ent­spre­chen“. Erst spä­ter habe er erfah­ren, daß Fuku­shi­ma „beim Papst war“. Fuku­shi­ma bezeich­net er als „Genie“.

„Am nächsten Morgen wurde ich im Vatikan empfangen“

Fukushima vor dem Petersdom (28. Januar 2015)
Fuku­shi­ma vor dem Peters­dom (28. Janu­ar 2015)

Daß Fuku­shi­ma in Rom war, gilt als gesi­chert. Daß er im Vati­kan war, sagt(e) bis­her nur er selbst auf sei­nem Blog. „Am 28. Janu­ar bin ich nach einer Ope­ra­ti­on von Pisa nach Rom geflo­gen und habe den Vati­kan auf­ge­sucht. Nach­dem ich in einem nahen Klo­ster zu Gast war, wur­de ich am näch­sten Mor­gen im Vati­kan emp­fan­gen“. Dort habe er „Gesprä­che mit ver­schie­de­nen hohen Wür­den­trä­gern“ geführt, „dann auch mit eini­gen Kar­di­nä­len, dar­un­ter Ange­lo Comastri“.

Er habe beim Papst einen „Fleck“ fest­ge­stellt, „einen klei­nen Gehirn­tu­mor, der behan­delt wer­den kann, ohne den Pati­en­ten in einen Ope­ra­ti­ons­saal zu brin­gen“, so der Arzt. Am 30. Janu­ar habe er am öffent­li­chen Kran­ken­haus San Filip­po Neri von Rom eine Lehr­ope­ra­ti­on durch­ge­führt. Anschlie­ßend sei er mit dem Hoch­ge­schwin­dig­keits­zug nach Nea­pel gefah­ren und von dort wei­ter nach Saler­no, wo er eben­falls eine Lehr­ope­ra­ti­on durch­ge­führt habe.

„Manipulierte“ Fotos?

Fukshima mit Papst (retuschiertes Bild auf seinem Blog)
Fukshi­ma mit Papst (retu­schier­tes Bild auf sei­nem Blog)

Jene Jour­na­li­sten, die die „Komplott“-These gegen QN ver­tre­ten, woll­ten den Beweis der Mani­pu­la­ti­on und des Bluffs schnell gefun­den haben. Die Fotos, die Fuku­shi­ma vor dem Peters­dom zei­gen, sei­en echt, jene, die ihn mit dem Papst zei­gen, hin­ge­gen gefälscht, und das sogar plump. Dem ist aller­dings nicht so. Fuku­shi­ma selbst hat aus dem Foto (es gibt deren meh­re­re, wie immer, wenn der Foto­dienst des Osser­va­to­re Roma­no den Papst im Kon­takt mit den Men­schen beglei­tet) alle ande­ren Per­so­nen weg­re­tu­schiert, außer sei­nen Beglei­ter, der ihn dem Papst vorstellte.

Weni­ger erfreu­lich für Fuku­shi­ma ist, daß nach dem QN-Arti­kel das Medi­en­in­ter­es­se so groß war, daß nun auch alle Welt weiß, daß die Staats­an­walt­schaft von Saler­no gegen ihn und eini­ge sei­ner Mit­ar­bei­ter ermit­telt und zwar wegen getürk­ter Pati­en­ten­war­te­li­ste. Sol­che Prak­ti­ken (und Ermitt­lun­gen) sind in Ita­li­en, lei­der, nicht gera­de sel­ten. Wohl erst recht, wenn man mit Pro­mi­nen­ten und Betuch­ten zu tun hat, wo gele­gent­lich jemand, mit noch ein biß­chen mehr Geld, auf wun­der­sa­me Wei­se die War­te­li­ste nach oben purzelt.

Die Privatsphäre

Mit einer even­tu­el­len Dia­gno­se für Papst Fran­zis­kus hat das aller­dings nichts zu tun. Die Ermitt­lun­gen sind auch nicht neu. Die Hin­ter­grund­nach­richt scheint mehr dem Zweck zu die­nen, die Glaub­wür­dig­keit der eigent­li­chen Nach­richt, die angeb­li­che Tumor­er­kran­kung des Pap­stes, zu unter­gra­ben. Auch das gehört zur jour­na­li­sti­schen „Rou­ti­ne“.

Was weiß man letzt­lich? Herz­lich wenig. Der Papst wird in zwei Mona­ten 79. Ein gut­ar­ti­ger Gehirn­tu­mor, der nicht­ope­ra­tiv behan­delt wer­den kann, ist da sicher nicht das Schlimm­ste. Daß der Vati­kan demen­tiert, ist selbst­ver­ständ­lich. Die Pri­vat­sphä­re ist ein hohes Gut. Papst Pius XII. muß­te die schlech­te Erfah­rung machen, daß sein Leib­arzt weder die Pri­vat­sphä­re noch die Men­schen­wür­de des Pap­stes respek­tier­te. Der Grund? Um durch Zah­lun­gen von Jour­na­li­sten noch mehr zu verdienen.

Soll­te Fuku­shi­ma sich noch wich­ti­ger gemacht haben wol­len, als er es ohne­hin schon ist? Das ist nicht aus­ge­schlos­sen. Mehr geht immer noch…

Rücktrittsrisiken und Rücktrittsforderungen

Die Geschich­te hin­ter der Geschich­te, die Dis­kus­si­on über ob und war­um die­se Nach­richt über den Gesund­heits­zu­stand des Pap­stes ver­öf­fent­licht wur­de, hat sich unter­des­sen ver­selb­stän­digt und jemand scheint sie im Zusam­men­hang mit der Bischofs­syn­ode durch­aus gut ins Kon­zept zu passen.

Die Jour­na­li­sten von QN hat­ten, so oder anders, ihre inter­na­tio­na­le Schlag­zei­le. Für Regio­nal­zei­tun­gen ein sel­te­nes Ereig­nis. Gewiß. Doch Mel­dun­gen haben Aus­wir­kun­gen und in die­sem Fall vor allem für die Medi­en­zunft. Die Ver­öf­fent­li­chung der Nach­richt hat einen Preis: Der Kopf von Chef­re­dak­teur Andrea Can­gi­ni könn­te rol­len, falls sich die Mel­dung als „Zei­tungs­en­te“ ent­puppt. Daß QN die Mel­dung trotz­dem brach­te und dar­auf beharrt, läßt zumin­dest ver­mu­ten, daß man die jour­na­li­sti­schen Haus­auf­ga­ben gemacht hat.

Her­aus­ge­ber von QN ist mit Bru­no Ves­pa einer der bekann­te­sten (nicht-lin­ken) ita­lie­ni­schen Jour­na­li­sten, der seit Jah­ren auf RAI die Polit-Talk-Shows lei­tet. Die lin­ke Pres­se, allen vor­an deren Flagg­schiff La Repubbli­ca, die „ein­zi­ge Zei­tung“, die Papst Fran­zis­kus täg­lich liest, for­der­te bereits Ves­pas Rück­tritt als QN-Herausgeber.

Ves­pa, der auch gute Kon­tak­te zum Vati­kan unter­hält, sah sich offen­bar zwi­schen QN und Vati­kan in der Klem­me und erklär­te am Mitt­woch Abend in sei­ner Fern­seh­sen­dung „Por­ta a Por­ta“, er sei zwar seit ver­gan­ge­nem Dezem­ber Her­aus­ge­ber von QN, habe jedoch kei­nen Ein­fluß auf die Redak­ti­on, die völ­lig auto­nom hand­le. Ves­pa woll­te sich damit aus der Schuß­li­nie brin­gen, ohne etwas zum Inhalt der Mel­dung zu sagen. Von den QN-Jour­na­li­sten wur­de das nicht gut auf­ge­nom­men. In einer gemein­sa­men Erklä­rung for­der­ten auch sie am Don­ners­tag Ves­pas Rück­tritt als Her­aus­ge­ber. „In Zei­ten not­wen­di­ger Neu­or­ga­ni­sa­ti­on, des Per­so­nal­ab­baus und der Ent­las­sun­gen“ sei nicht ein­zu­se­hen, wozu es einen Her­aus­ge­ber brau­che, der laut eige­ner Anga­be ohne­hin mit der Arbeit der Zei­tung nichts zu tun habe.

Am spä­ten Don­ners­tag Abend been­de­te Andrea Rifes­ser-Mon­ti im Namen der QN-Eigen­tü­mer die zei­tungs­in­ter­ne Que­r­e­le, indem er Ves­pa schrift­lich das Ver­trau­en aussprach.

Der ehe­ma­li­ge Chef­re­dak­teur von Il Foglio, Giu­lia­no Fer­ra­ra, ver­öf­fent­lich­te heu­te einen Kom­men­tar, in dem er nicht auf den Gesund­heits­zu­stand des Pap­stes ein­geht, son­dern scharf mit den papst­na­hen „Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern“ ins Gericht geht: „Die geris­se­nen Ver­tre­ter der Berg­o­glia­ni­schen Revo­lu­ti­on wer­den durch den Blöd­sinn über ver­schwö­re­ri­sche Aas­gei­er entblößt“.

Die Mel­dung zei­tigt ihre Fol­gen. Der Rest, vor allem die Erkran­kung, so es denn eine gibt, wird sei­nen natür­li­chen Lauf nehmen.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: QN/​Osservatore Roma­no (Screen­shots)

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