Der christlichen Ehe wurde eine Wunde zugefügt


Papst Franziskus und die Ehenichtigkeit light
Papst Fran­zis­kus und die neu­en Regeln für die Ehenichtigkeit

von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Die bei­den Motu pro­prio von Papst Fran­zis­kus Mitis iudex Domi­nus Iesus für die latei­ni­sche Kir­che und Mitis et miser­i­cors Jesus für die ori­en­ta­li­schen Kir­chen, die am 8. Sep­tem­ber 2015 bekannt­ge­ge­ben wur­den, fügen der christ­li­chen Ehe eine schwe­re Wun­de zu.

Die Unauf­lös­lich­keit der Ehe ist gött­li­ches und unver­än­der­li­ches Gesetz von Jesus Chri­stus. Die Kir­che kann eine Ehe nicht „annul­lie­ren“ im Sin­ne von Auf­lö­sen. Sie kann, mit einer Nich­tig­keits­er­klä­rung, das Nicht­be­stehen prü­fen, wenn jene Vor­aus­set­zun­gen feh­len, die ihre Gül­tig­keit sicher­stel­len. Das bedeu­tet, daß in einem kir­chen­recht­li­chen Pro­zeß für die Kir­che nicht das Inter­es­se der Ehe­part­ner Prio­ri­tät hat, eine Nich­tig­keits­er­klä­rung zu erlan­gen, son­dern die Wahr­heit über die Gül­tig­keit des Ehebandes.

Pius XII. erin­nert uns dies­be­züg­lich, daß „im Ehe­pro­zeß das ein­zi­ge Ziel ein der Wahr­heit und dem Recht gemä­ßes Urteil ist, im Nich­tig­keits­pro­zeß das gesi­cher­te Nicht­be­stehen des Ehe­ban­des“ (Allo­ku­ti­on an die Rota Roma­na, 2. Okto­ber 1944). Der Gläu­bi­ge kann die Kir­che betrü­gen, um eine Nich­tig­keit zu erlan­gen, zum Bei­spiel durch den Ein­satz fal­scher Bewei­se, aber die Kir­che kann Gott nicht hin­ters Licht füh­ren und hat die Pflicht, die Wahr­heit auf kla­re und genaue Wei­se festzustellen.

Im kanonischen Prozeß steht das Interesse der Ehe als göttlicher Institution an erster Stelle

Im kano­ni­schen Pro­zeß hat an erster Stel­le das höch­ste Inter­es­se einer gött­li­chen Insti­tu­ti­on – und die Ehe ist eine sol­che – ver­tei­digt zu wer­den. Die Aner­ken­nung und der Schutz die­ser Rea­li­tät kom­men im recht­li­chen Bereich in der knap­pen For­mu­lie­rung favor matri­mo­nii zum Aus­druck, anders aus­ge­drückt, die Annah­me der Gül­tig­keit der Ehe bis zum Beweis des Gegen­teils. Johan­nes Paul II. erklär­te, daß vom Lehr­amt die Unauf­lös­lich­keit einer jeden voll­zo­ge­nen Ehe als ordent­li­ches Gesetz ver­tre­ten wird, gera­de weil die Gül­tig­keit ange­nom­men wird unab­hän­gig vom Erfolg des Ehe­le­bens und der Mög­lich­keit, in eini­gen Fäl­len, daß es zu einer Ehe­nich­tig­keits­er­klä­rung kom­men könn­te (Rede an die Rota Roma­na, 21. Janu­ar 2000).

Als die Auf­klä­rung ver­such­te, die christ­li­che Ehe töd­lich zu tref­fen, ord­ne­te Papst Bene­dikt XIV. mit dem Dekret Dei mise­ra­tio­ne vom 3. Novem­ber 1741 an, daß in jeder Diö­ze­se ein defen­sor vin­cu­li ein­ge­setzt zu wer­den hat­te, und er führ­te, zur Erlan­gung der Nich­tig­keits­er­klä­rung, den Grund­satz des dop­pel­ten über­ein­stim­men­den Urteils durch zwei unter­schied­li­che Gerichts­in­stan­zen ein. Der Grund­satz des dop­pel­ten, über­ein­stim­men­den Urteils wur­de durch den Kodex des kano­ni­schen Rech­tes von 1917 eben­so bekräf­tigt, wie durch den von Johan­nes Paul II. am 25. Janu­ar 1983 erlas­se­nen neu­en Codex Iuris Cano­ni­ci.

Durch Reform von Franziskus Optik auf den Kopf gestellt – Präzedenzfall USA 1971–1983

In den Motu pro­prio von Papst Fran­zis­kus ist die Optik auf den Kopf gestellt. Das Inter­es­se der Ehe­leu­te hat Vor­rang vor dem der Ehe. Im Doku­ment selbst wird dies behaup­tet. In weni­gen Punk­ten las­sen sich die grund­le­gen­den Kri­te­ri­en der Reform zusammenfassen:

  • die Abschaf­fung des dop­pel­ten, über­ein­stim­men­den Urteils, das durch ein ein­zi­ges Urteil zugun­sten der Nich­tig­keit ersetzt wird;
  • Zuer­ken­nung einer mono­kra­ti­schen Befug­nis an den Bischof, der als Ein­zel­rich­ter qua­li­fi­ziert wird;
  • Ein­füh­rung eines schnel­len und fak­tisch unkon­trol­lier­ba­ren Verfahrens;
  • ein­schließ­lich der weit­ge­hen­den Aus­schal­tung der Sacra Rota.

Wie anders soll­te, bei­spiels­wei­se, die Abschaf­fung des dop­pel­ten Urteils inter­pre­tiert wer­den? Was sind die so gra­vie­ren­den Grün­de, daß die­ser Grund­satz nach 270 Jah­ren abge­schafft wird? Kar­di­nal Bur­ke erin­ner­te dar­an, daß es dies­be­züg­lich eine kata­stro­pha­le Erfah­rung gibt. In den USA gal­ten von Juli 1971 bis Novem­ber 1983 die soge­nann­ten Pro­vi­sio­nal Norms, die fak­tisch die Pflicht des dop­pel­ten, über­ein­stim­men­den Urteils besei­tig­ten. Das Ergeb­nis war, daß die Bischofs­kon­fe­renz nicht einen ein­zi­gen von Hun­dert­tau­sen­den Anträ­gen auf Dis­pen­sie­rung ablehn­ten, und daß man in der all­ge­mei­nen Wahr­neh­mung begann, den Pro­zeß „die katho­li­sche Schei­dung“ zu nen­nen (s. In der Wahr­heit Chri­sti blei­ben. Ehe und Kom­mu­ni­on in der Katho­li­schen Kir­che, Ech­ter, Würz­burg 2014).

Neue Befugnis für Diözesanbischöfe ein Aspekt von explosiver Tragweite

Noch schwer­wie­gen­der ist die Zuer­ken­nung der Befug­nis an den Diö­ze­san­bi­schof, als Ein­zel­rich­ter nach sei­nem Ermes­sen einen schnel­len Pro­zeß ein­lei­ten zu kön­nen und zu einem Urteil zu kom­men. Der Bischof kann sei­ne rich­ter­li­che Befug­nis per­sön­lich aus­üben oder an eine Kom­mis­si­on dele­gie­ren, die nicht unbe­dingt aus Juri­sten bestehen muß. Eine Kom­mis­si­on nach sei­nem Abbild, die natür­lich sei­ne pasto­ra­len Anwei­sun­gen befol­gen wird, wie dies bereits durch die „diö­ze­sa­nen Zen­tren des Zuhö­rens“ in Ita­li­en geschieht, denen bis heu­te jeg­li­che recht­li­che Grund­la­ge fehlt. Die Kom­bi­na­ti­on von Canon 1683 und Arti­kel 14 zu den Ver­fah­rens­re­geln ist unter die­sem Aspekt von explo­si­ver Trag­wei­te. Auf den Ent­schei­dun­gen wer­den unwei­ger­lich Über­le­gun­gen sozio­lo­gi­scher Art lasten: die wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen wer­den, aus Grün­den der „Barm­her­zig­keit“, eine bevor­zug­te Behand­lung erhal­ten. „Die Kir­che der Barm­her­zig­keit hat sich in Bewe­gung gesetzt“, so Giu­la­no Fer­ra­ra in Il Foglio vom 9. Sep­tem­ber 2015. Sie bewegt sich nicht auf dem Ver­wal­tungs­weg, dafür aber auf dem „Gerichts­weg“, auf dem vom Recht wenig übrigbleibt.

In eini­gen Diö­ze­sen wer­den die Bischö­fe ver­su­chen, die Ernst­haf­tig­keit des Ver­fah­rens sicher­zu­stel­len. Man kann sich aber leicht vor­stel­len, daß in vie­len ande­ren Diö­ze­sen, zum Bei­spiel in Mit­tel­eu­ro­pa, die Nich­tig­keits­er­klä­run­gen zur rei­nen For­ma­li­tät wer­den. 1993 pro­du­zier­ten Oskar Sai­er, Erz­bi­schof von Frei­burg im Breis­gau, Karl Leh­mann, Bischof von Mainz, und Wal­ter Kas­per, Bischof von Rot­ten­burg-Stutt­gart, ein Doku­ment zugun­sten jener, die laut ihrem Gewis­sen von der Nich­tig­keit ihrer Ehe über­zeugt waren, aber nicht die Ele­men­te hat­ten, dies vor Gericht zu bewei­sen (Hir­ten­brief der Ober­rhei­ni­schen Bischö­fe zur seel­sorg­li­chen Beglei­tung von Men­schen aus zer­bro­che­nen Ehen, Geschie­de­nen und Wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen).

„Subjektive Gewissensüberzeugung“ genügt, um Ehe für nichtig zu halten?

Die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on ant­wor­te­te mit dem Schrei­ben Annus Inter­na­tio­na­lis Fami­liae vom 14. Sep­tem­ber 1994, mit dem sie klar­stell­te, daß die­ser Weg nicht mög­lich war, weil die Ehe eine öffent­li­che Rea­li­tät ist: „Die­sen wich­ti­gen Aspekt nicht zu beach­ten, wür­de bedeu­ten, die Ehe fak­tisch als Wirk­lich­keit der Kir­che, das heißt als Sakra­ment, zu leug­nen“ (Nr. 8). Den­noch wur­de jüngst vom Pasto­ral­amt des Erz­bis­tums Frei­burg der Vor­schlag wie­der auf­ge­grif­fen (Hand­rei­chung für die Seel­sor­ge zur Beglei­tung von Men­schen in Tren­nung, Schei­dung und nach zivi­ler Wie­der­ver­hei­ra­tung in der Erz­diö­ze­se Frei­burg), laut dem die wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen auf­grund einer „Gewis­sens­nich­tig­keit“ („sub­jek­ti­ve Gewis­sens­über­zeu­gung“) der vor­he­ri­gen Ehe die Sakra­men­te emp­fan­gen und Auf­ga­ben in den Pfarr­ge­mein­de­rä­ten über­neh­men könnten.

Der favor matri­mo­nii wird durch den favor nul­li­ta­tis ersetzt, der zum pri­mä­ren Rechts­ele­ment wird, wäh­rend die Unauf­lös­lich­keit zu einem „nicht prak­ti­ka­blen Ide­al“ redu­ziert wird. Die theo­re­ti­sche Bekräf­ti­gung der Unauf­lös­lich­keit der Ehe wird in der Pra­xis vom Anspruch auf ein Recht beglei­tet, jedes geschei­ter­te Ehe­band für nich­tig zu erklä­ren. Es genü­ge, nach eige­nem Gewis­sen, die eige­ne Ehe für ungül­tig zu hal­ten, um deren Nich­tig­keit durch die Kir­che aner­ken­nen zu las­sen. Es ist der­sel­be Grund­satz, laut dem eini­ge Theo­lo­gen eine Ehe für „tot“ hal­ten, in der laut Aus­sa­ge bei­der oder auch nur eines Ehe­part­ners, „die Lie­be tot ist“.

„Schlechtes Geld verdrängt das gute Geld“

Bene­dikt XVI. warn­te am 29. Janu­ar 2010 das Gericht der Sacra Rota Roma­na bei der Annul­lie­rung der Ehen vor einer nach­gie­bi­gen Hal­tung, „gegen­über den Wün­schen und Erwar­tun­gen der Par­tei­en oder den Ein­flüs­sen des sozia­len Umfel­des“. Doch in den mei­sten Diö­ze­sen Mit­tel­eu­ro­pas wird die Nich­tig­keits­er­klä­rung zu einer rei­nen For­ma­li­tät, wie es in den USA wäh­rend der Pro­vi­sio­nal Norms der Fall war. Auf­grund des bekann­ten Geset­zes, laut dem „schlech­tes Geld das gute Geld ver­drängt“, wird im Cha­os, das ver­ur­sacht wird, die „schnel­le Schei­dung“ gegen­über der unauf­lös­li­chen Ehe überwiegen.

Seit mehr als einem Jahr ist die Rede von einem laten­ten Schis­ma in der Kir­che, jetzt aber sagt es Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler, der Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, der in sei­ner Rede in Regens­burg die Gefahr einer Kir­chen­spal­tung beschwor und dazu auf­for­der­te, sehr wach­sam zu sein und nicht die Lek­ti­on des pro­te­stan­ti­schen Schis­mas zu ver­ges­sen, das Euro­pa vor fünf Jahr­hun­der­ten in Brand steckte.

Im Vor­feld der im Okto­ber statt­fin­den­den Syn­ode über die Fami­lie löscht die Reform von Papst Fran­zis­kus kei­nen Brand, son­dern ent­facht ihn und ebnet den Weg zu ande­ren kata­stro­pha­len Neue­run­gen. Schwei­gen ist nicht mehr möglich.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Schrift­lei­ter der Monats­zeit­schrift Radi­ci Cri­stia­ne und der Online-Nach­rich­ten­agen­tur Cor­ri­spon­den­za Roma­na, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt erschie­nen: Vica­rio di Cri­sto. Il pri­ma­to di Pie­tro tra nor­ma­li­tà  ed ecce­zio­ne (Stell­ver­tre­ter Chri­sti. Der Pri­mat des Petrus zwi­schen Nor­ma­li­tät und Aus­nah­me), Vero­na 2013; in deut­scher Über­set­zung zuletzt: Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil – eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, Rup­picht­eroth 2011. Die Zwi­schen­ti­tel stam­men von der Redaktion.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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