Kardinal Braz de Aviz: Viele Orden in Europa sterben – Lösung durch gemischte Orden?


Kardinal Braz de Aviz
Kar­di­nal Braz de Aviz: Dem Ordens­ster­ben durch gemisch­te Gemein­schaf­ten begegnen

(New York) Die katho­li­sche Kir­che nimmt welt­weit jedes Jahr um 2.000 Ordens­leu­te ab. Der Ver­lust hat sei­nen ein­deu­ti­gen Schwer­punkt in Euro­pa. Kar­di­nal Joà£o Braz de Aviz, Prä­fekt der römi­schen Ordens­kon­gre­ga­ti­on zeich­ne­te ein düste­res Bild für die Zukunft der Orden in Euro­pa. „Das Durch­schnitts­al­ter der Ordens­frau­en liegt in Euro­pa bei 85 Jah­ren, was bedeu­tet, daß sie bald ster­ben wer­den, ohne ersetzt zu wer­den“. Mit ande­ren Wor­ten, sie ster­ben aus.

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Dies sag­te der Kar­di­nal aus der Foko­lar­be­we­gung am ver­gan­ge­nen 19. August bei einer Begeg­nung mit Ordens­leu­ten in der Kathe­dra­le von Sao Pau­lo in Bra­si­li­en. Der­zeit gibt es welt­weit etwa 1,5 Mil­lio­nen Ordens­leu­te und 3 Mil­lio­nen Ange­hö­ri­ge von Kon­gre­ga­tio­nen und Gemein­schaf­ten des geweih­ten Lebens. Der ehe­ma­li­ge Erz­bi­schof von Bra­si­lia wur­de 2011 von Papst Bene­dikt XVI. zum Prä­fek­ten der Ordens­kon­gre­ga­ti­on ernannt und 2013 von Papst Fran­zis­kus in die­sem Amt bestä­tigt. Zuwachs gebe es in grö­ße­rem Aus­maß in Afri­ka und in Asi­en. In Euro­pa sei die Situa­ti­on hin­ge­gen dramatisch.

Kein vergleichbarer Zusammenbruch in europäischer Kirchengeschichte

Der von Kar­di­nal Braz de Aviz genann­te Zusam­men­bruch kennt nichts Ver­gleich­ba­res in der Kir­chen­ge­schich­te, jeden­falls nicht in die­ser Grö­ßen­ord­nung, die fast den gan­zen euro­päi­schen Kon­ti­nent betrifft. Einen ähn­lich dra­ma­ti­schen Auf­lö­sungs­pro­zeß erleb­te das katho­li­sche Ordens­we­sen nur in den Län­dern der Refor­ma­ti­on. Die Umstän­de sind den­noch kaum ver­gleich­bar. Anfang des 16. Jahr­hun­derts han­del­te es sich um ein explo­si­ons­ar­ti­ges Auf­tre­ten, wäh­rend nun ein lan­ges Siech­tum zu beob­ach­ten ist, um nur einen Aspekt zu nen­nen. In wei­ten Tei­len Euro­pas blieb das Ordens­we­sen damals kraft­voll und lebendig.

Kar­di­nal Braz de Aviz steht zudem per­sön­lich für die fak­ti­sche Zer­trüm­me­rung des Ordens der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta. Deren Baum brach­te im Gegen­satz zu vie­len ande­ren Orden Frucht und den­noch – oder gera­de des­halb, wie man­che mei­nen – wur­de er gefällt.

„Knoten“, die für Wiederaufschwung zu lösen sind

Franziskanerinnen der Immakulata
Brü­der und Schwe­stern der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta: Ordens­grün­der Pater Manel­li zele­briert im über­lie­fer­ten Ritus. „An ihren Früchten…“

Das Regie­rungs­por­tal des bra­si­lia­ni­schen Bun­des­staa­tes Minas Gerais ver­öf­fent­lich­te eini­ge „Kno­ten“, die laut Kar­di­nal Braz de Aviz zu lösen sei­en, um das katho­li­sche Ordens­we­sen wie­der aufzurichten.

Zunächst sprach der Kar­di­nal das Armuts­ge­lüb­de an: Vie­le Orden besä­ßen Mil­lio­nen­ver­mö­gen, wie die Ein­la­gen bei der Vatik­an­bank IOR beleg­ten, die zur Hälf­te von den Orden kämen. Er sprach von einem Orden mit Armuts­ge­lüb­de, ohne zu sagen, um wel­chen Orden es sich han­delt, der 30 Mil­lio­nen auf der Bank lie­gen habe.

Der Kar­di­nal beklag­te zudem eine „oft bedrücken­de“ Art, den Gehor­sam inner­halb der Gemein­schaft zu leben. Gehor­sam sei not­wen­dig, müs­se aber als ein Gehor­sam zwi­schen Brü­dern aus­ge­übt wer­den. In die­sem Zusam­men­hang beklag­te der Orden­s­prä­fekt man­geln­des „turn over“ der Obe­ren. Er erwähn­te das Bei­spiel einer Ordens­obe­ren, die ihr Amt 35 Jah­re beklei­det habe, zum „Scha­den für ihre Unter­ge­be­nen“. Es gebe auch Ordens­obe­re, so der Kar­di­nal, die die Ordens­re­geln ändern, um auf Lebens­zeit im Amt blei­ben zu können.

„Familiäres Klima“ und „gemischte Gemeinschaften“

Braz de Aviz berich­te­te zudem den Fall einer ehe­ma­li­gen Pro­vinz­obe­ren einer Schwe­stern­kon­gre­ga­ti­on, die im Alter von 80 Jah­ren um Dis­pens für den Ordens­aus­tritt ansuch­te, um ihren „Wunsch nach Mut­ter­schaft“ erfül­len zu kön­nen. Sie ver­ließ den Orden und habe eine drei Mona­te altes Kind adoptiert.

Der Kar­di­nal mein­te dazu, es sei not­wen­dig, ein fami­liä­res Kli­ma in den Gemein­schaf­ten zu schaf­fen. Als mög­li­chen Weg zu einem fami­liä­ren Ordens­kli­ma nann­te der Kar­di­nal die Grün­dung von gemisch­ten Gemein­schaf­ten. Dies­be­züg­lich sei­en über­hol­te Vor­stel­lun­gen zu über­win­den, so der Prä­fekt der Ordens­kon­gre­ga­ti­on: „In der Ver­gan­gen­heit hat­ten wir Schwie­rig­kei­ten, was das Zusam­men­le­ben betrifft, weil es hieß, man müs­se vor­sich­tig sein, weil die Frau eine Gefahr ist, weil der Mann eine Gefahr ist …“.

Der Kar­di­nal ergänz­te ein­schrän­kend, daß er zumin­dest, „die Bil­dung gemisch­ter Gemein­schaf­ten im glei­chen Haus nicht emp­feh­len wür­de“, denn das drit­te Gelüb­de, das der Keusch­heit, sei nicht abge­schafft worden.

Die Rede, so der Bericht, sei von den anwe­sen­den Ordens­ver­tre­tern mit lan­gem Applaus quit­tiert wor­den. Die Vor­sit­zen­de der Kon­fe­renz der Ordens­leu­te Bra­si­li­ens im Staat Sao Pau­lo, Sr. Ivo­ne Lour­des Frit­zen, dank­te Kar­di­nal Braz de Aviz für sei­ne „Offen­heit und Trans­pa­renz“, was die Her­aus­for­de­run­gen des Ordens­le­bens anbelange.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Estado de Minas (Screenshot)/MiL

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