(Freiburg im Breisgau) Walter Kardinal Kasper, Wortführer der „neuen Barmherzigkeit“ bemüht sich, seine Anhänger auf Kurs zu halten, da es beachtlichen innerkirchlichen Widerstand gegen seinen „Öffnungskurs“ gibt. Einmal mehr erweisen sich Jesuiten als seine Helfershelfer. Sein neues „Plädoyer für Einzellösungen“ kann der Kardinal über die Jesuitenzeitschrift „Stimmen der Zeit“ der Welt verkünden. Der Titel seines Aufsatzes lautet: „Nochmals: Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten? Ein dorniges und komplexes Problem“.
Den neuen Text habe er geschrieben, so Kasper, um „zahlreiche Mißverständnisse“ klarzustellen, die nach seinem Vortrag vor dem Kardinalskonsistorium im Februar 2014 entstanden seien. Damals hatte Papst Franziskus ihm eine Monopolstellung eingeräumt, um die Zulassung „wiederverheirateter Geschiedener“, nach kirchlichem Verständnis im Dauerzustand des Ehebruchs Lebende, zur Kommunion zu fordern.
Wenn der Brandstifter „Feuer“ ruft
Seither ist die ganze Kirche von diesem Brand gebannt, den Kasper mit Zustimmung des Papstes legte. Während die einen ihn zu löschen versuchen, blasen andere, wie Kasper, hinein, um ihn noch mehr zu entfachen. Kasper schreibt dazu in Selbstbescheidung: „Es war darum zu erwarten, dass die Frage im Vorfeld und während der Außerordentlichen Bischofssynode 2014 neu aufgeflammt ist“. Eine ziemlich verwegene, wenn nicht zynische Bemerkung aus dem Mund des Brandstifters.
Der deutsche Kardinal betont in seinem Plädoyer in den „Stimmen der Zeit“ die „Einzelfallösung“. Gleichzeitig nimmt er für sich in Anspruch, eine „realistische Theologie der Ehe“ zu vertreten, die er der ganzen Kirche empfiehlt. Eine solche müsse das Scheitern berücksichtigen und ebenso auch die Vergebung.
Nach einer Bußzeit solle den Betroffenen unter klaren Voraussetzungen die Zulassung zum Kommunionempfang gewährt werden. Als Bedingungen nennt Kasper „ein ehrliches Urteil des Betroffenen über seine persönliche Situation“ und ein positives Gutachten des Beichtvaters. Der jeweilige Ortsbischof solle die Oberaufsicht über diese Bußphase haben.
Kaspers Lösung als „höhere Gerechtigkeit“?
Kasper betont, daß er keine Ausnahmen vom geltenden Kirchenrecht forderte, sondern „eine angemessene und barmherzige Anwendung des Rechts“. Der Kardinal spricht in diesem Zusammenhang für seinen Vorschlag sogar von einer „höheren Gerechtigkeit“, die zur Anwendung gelange. Mit anderen Worten attestiert er, daß die geltende Praxis weder „angemessen“ noch „barmherzig“ ist, obwohl das Recht solches zuließe. Schuld an der Nichtzulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion sei also die Hartherzigkeit der Kirche, laut dem ehemaligen Vorsitzenden des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen.
Dreistigkeit kann man dem deutschen Kardinal jedenfalls nicht absprechen, wenn er trotz dieses „Plädoyers“ im selben Atemzug schreibt: „Grundlegend ist das Wort Jesu, dass der Mensch nicht trennen darf, was Gott verbunden hat. Es findet sich in allen drei synoptischen Evangelien (Mt 5,32; 19,9; Mk 10,9; Lk 16,18). Es wird auch vom Apostel Paulus bezeugt (1 Kor 7,10 f.) […] So wenig wie damals dürfen wir heute das Wort Jesu durch Anpassung an die Situation entschärfen.“
Meister der Dialektik
Doch als Meister der Dialektik weiß Kasper einen Ausweg, denn das Wort Jesu dürfe man „nicht fundamentalistisch auslegen“. In einem Satz zerlegt der Kardinal den soeben als authentisch anerkannten Auftrag Jesu und bezichtigt seine Gegner, die Verteidiger des Ehesakraments, des Fundamentalismus, eine der schlimmsten Vokabeln, die von der politischen Korrektheit als Totschlaginstrument eingesetzt wird.
Dasselbe Gedankenspiel wiederholt der Kardinal, wenn er das katholische Bundesverständnis lobt: „Wie der Bund Gottes in Jesus Christus mit der Kirche endgültig und unauflöslich ist, so auch der Ehebund als Realsymbol dieses Bundes“. Allerdings nur, um im nächsten Satz das soeben Gesagte bis zur Unkenntlichkeit mit den Worten zu relativieren: „Das ist eine großartige und überzeugende Konzeption. Sie darf jedoch nicht zu einer lebensfremden Idealisierung fuhren.“
„Flexible pastorale Praxis mancher Ortsgemeinden der frühen Kirche“
Jeder Fall müsse „verständnisvoll, diskret und taktvoll“ geprüft werden. Eine „allgemeine Lösung des Problems“ könne es nicht geben, sondern nur „Einzellösungen“. Kasper begründet dies mit der Behauptung, die Kirche könne bei wiederverheiratet Geschiedenen gar „nicht von einer objektiven Situation der Sünde sprechen, ohne die Situation des Sünders in seiner je einmaligen personalen Würde zu bedenken“. Dem Kardinal schwebt dabei die von ihm behauptete „flexible pastorale Praxis mancher Ortsgemeinden der frühen Kirche“ vor. Auch in diesem Punkt ist er im Vergleich zu anfänglichen Behauptungen bescheidener geworden, ohne jedoch seine Prämisse zu korrigieren.
Damit versucht der Kardinal verbreitete Befürchtungen eines grundsätzlichen Praxiswechsels zu zerstreuen, die zwangsläufig eine Änderung der Glaubenslehre nach sich ziehen würde. Doch hinter Kaspers neuer Bescheidenheit mit seiner Betonung von „Einzellösungen“ verbirgt sich in letzter Konsequenz und trotz der vielen Worte über „Voraussetzungen“, „eng gefaßte Bedingungen“, „Votum des Beichtvaters“ und „Oberaufsicht des Ortsbischofs“ nichts anderes. Denn wer die Praxis in den Pfarreien kennt, weiß, wie unrealistisch Kaspers „realistische Theologie der Ehe“ ist. So unrealistisch, daß sich innerhalb kurzer Zeit, jedenfalls in unseren Breiten, durch eine Mehrheit des Klerus eine allgemeine Laissez-faire-Praxis durchsetzen würde, die ihrerseits zwangsläufig negativen Einfluß auf die Glaubenslehre hätte.
Kaspers unrealistische „realistische Theologie der Ehe“
Wie viele Priester möchten dann gegenüber wiederverheiratet Geschiedenen und anderweitig irregulär Zusammenlebenden, um es salopp zu sagen, zum „Spielverderber“ werden und sich vorprogrammierte Konflikte in der Pfarrei aufhalsen. Von der „Überforderung“ der Ortsbischöfe erst gar nicht zu sprechen. Sie würden ihre „Oberaufsicht“ im Handumdrehen durch Zuteilung an irgendein Amt ihres Ordinariats verbürokratisieren, was das Gegenteil von Seelsorge ist.
Vielleicht sollte man Kardinal Kasper statt einer „realistischen Theologie der Ehe“ eine „realistische Theologie der Sünde“ empfehlen, an der es in unseren Diözesen und Pfarreien tatsächlich mangelt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Stimmen der Zeit (Screenshot)