von Wolfram Schrems*
Hier nahtlos an den ersten Unterabschnitt von Teil 3, der Auswertung der Situation von Papsttum und Jesuitenorden, vom 1. Juni, anschließend.
Im folgenden geht es um die Moraltheologie und die Spiritualität.
Gibt es eine „Jesuitenmoral“?
Oft hört man, daß der „Probabilismus“ das klassische moraltheologische System der Jesuiten darstellt. Ob das so ist oder nicht, kann hier aus Platzgründen nicht erörtert werden.
Aus heutiger Sicht ist das aber sowieso eine müßige Frage.
Denn die von Jesuiten gelehrte akademische Moraltheologie hat sich – zumindest im Westen – weit von jeder katholischen Moral entfernt. Am ehesten handelt es sich dabei – wenn man diese Etikettierungen schon verwenden will – um einen radikalen Laxismus. Dem ging (analog übrigens zu Islam und Protestantismus) im Zeichen des Nominalismus eine völlige Auflösung der Metaphysik und der Erkenntnislehre voraus.
Das führte zu schlimmen Folgen. Außenstehende machen sich keine Vorstellung davon, wie sehr Jesuiten die Moral zersetzt haben. Das hat erwartungsgemäß auch zu inneren Zersetzungsprozessen geführt, wofür die amerikanischen Jesuiten ein besonders tragisches Beispiel bieten. (1)
Man wagt kaum, es unverblümt auszusprechen, aber es ist so:
Jesuiten haben sich zu Handlangern der Verhütungs‑, Abtreibungs- und Homolobby gemacht.
Um das zu illustrieren, greife ich auf eigene Erfahrungen zurück:
Offene Bekämpfung der Gebote Gottes und ein „Goldjunge“
In Innsbruck wirkende Jesuiten haben Humanae vitae (1968) für ungültig erklärt (2) , Veritatis splendor (1993) in der Lehrveranstaltung mit Ingrimm bekämpft und das intrinsece malum (das innerlich Schlechte) geleugnet. Ich habe dort Jesuiten gekannt, die ausdrücklich die Fristenlösung verteidigten, einer hat sogar die Abtreibung als medizinische Maßnahme bei Hypertonie gerechtfertigt.
Papst Johannes Paul II., dem die Jesuiten durch ihr 4. Gelübde in hervorragender Weise loyal hätten sein sollen, war ein besonderes Haßobjekt dieser Theologen.
Zwei besonders einflußreiche Exponenten dieser Art von Moraltheologie an der Innsbrucker Jesuitenfakultät waren P. Hans Rotter und P. Edmund Karlinger.
Wenn man den Nachruf von Dekan Wolfgang Palaver (der kein Jesuit ist) auf erstgenannten, liest, kommt man ob der offenen Worte aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Der Herr Dekan heuchelte ja nicht einmal eine spezielle katholische Orientierung von P. Rotter (oder seiner eigenen Person):
„[Hans Rotter] entwickelte nämlich im Laufe der Jahre eine personalistische Moraltheologie, die die Sackgassen der kasuistisch – juridischen Morallehre der vorkonziliaren Zeit überwand und es möglich machte, auf die konkreten Nöte der Menschen von heute gute Antworten zu geben. Er betonte gegen eine Überbewertung der objektiven Erkenntnis die geschichtliche und soziale Bedingtheit allen Erkennens und ethischen Urteilens. Vor allem das dialogische Denken Martin Bubers wurde für Hans Rotter wichtig“ (meine Hervorhebung). (3)
Und weiters sagte Spektabilität – ob der neuen Verhältnisse in Rom in keiner Weise mehr auf Verschleierung bedacht:
„[Rotter] gehörte auch zu den Proponenten des von Tirol ausgehenden Kirchenvolksbegehrens. Wer heute seinen autobiografischen Zugang zur Moraltheologie nachliest und seine vielen Publikationen im Blick hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er in vielen Punkten Impulse des jetzigen Papstes Franziskus vorweg nahm. Ich bin heute froh, dass ich P. Rotter am 29. Dezember letzten Jahres in Zams noch besuchen und mich mit ihm austauschen konnte. Weil ich vermutete, dass er mit der Richtung von Papst Franziskus sehr einverstanden war, fragt ich ihn: ‚Hans, wie gefällt Dir der neue Papst?‘ Die kurze Antwort bestätigte meine Vermutung. Er antwortete: ‚Ein Goldjunge.‘“ (meine Hervorhebung)
Es paßt also alles gut zusammen: Abkehr von der traditionellen Moraltheologie, Hinwendung zu genuin antichristlichen Autoren wie Buber, Kirchenvolksbegehren, Feindschaft gegen die Morallehre und die Person von Johannes Paul II., Enthusiasmus für Papst Franziskus.
Noch prägnanter als Dekan Palaver kann es auch ein versierter „Traditionalist“ nicht sagen.
Bonae voluntatis?
Es ist durchaus denkbar, daß diese Patres ursprünglich von gutem Willen beseelt waren. Es ist denkbar, daß sie aus ehrlichem seelsorgerlichem Bestreben einen Weg gesucht haben, Menschen das christliche Sittengesetz nahezubringen.
Es ist gut und wichtig, die Liebe als den Grundimperativ allen sittlichen Handelns herauszustellen.
Andererseits kommt kein Theologe, kein Priester, kein Seelsorger, kein Christ und überhaupt kein Mensch guten Willens am intrinsece malum, am innerlich Schlechten, vorbei. Niemand darf die negativ formulierten Gebote „Du sollst nicht…“ leugnen oder uminterpretieren. Diese Gebote sind die Untergrenze moralischen Handelns, die nicht unterschritten werden darf.
Es ist eine schwere Gotteslästerung, das Böse gut zu nennen (vgl. Jes 5, 20). Es ist verrückt, die Liebe gegen die Gebote auszuspielen, denn: „Wer meine Gebote hat und sie hält, ist es, der mich liebt“ (Joh 14,21). Gebote und Liebe gehören zusammen und verschwinden daher auch zusammen: „Und weil die Mißachtung von Gottes Gesetz überhandnimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten“ (Mt 24,12).
Was also auch immer die besagten Jesuitentheologen motivierte, ist unerheblich. Die katholische Moral basiert auf der göttlichen Offenbarung und jeder muß sich daran halten.
Jede Bezweiflung stammt vom Teufel: „Hat Gott wirklich gesagt…?“
Wo bleibt die jesuitische Selbstkritik?
Es kommt noch etwas dazu: Jesuiten lernen, ihr Tun regelmäßig zu überdenken und „auszuwerten“. Es müßte den Jesuitentheologen also längst klar geworden sein, daß die Aufweichung der Moral überhaupt niemandem etwas nützt, vor allem nicht demjenigen, der der Umkehr bedarf. Es müßte ihnen auch aufgegangen sein, daß im sozialen Bereich jegliches Abgehen von einer eindeutigen und gut fundierten Moraltheologie zu geradezu katastrophischen Verfallserscheinungen geführt hat. Das epidemische Elend der temporären Lebensabschnittspartnerschaften beispielsweise widerlegt jeden pastoralen „Liberalismus“.
Gerade ein Jesuit mit seiner Bildung und seiner eingeübten Selbstkritik hat keine Entschuldigungsgründe für falsche Weichenstellungen.
Mit Abscheu blickt man auf Männer, die sich mit einem Gelübde dem Dienst an Gott und seiner Kirche geweiht hatten und dann aber aus Eitelkeit oder Opportunismus oder Feigheit oder falsch verstandenem Gehorsam oder allem zusammen unter Ausnutzung ihrer Autorität als Priester, Professor und Beichtvater unzählige Menschen in die Verwirrung und in das Böse geführt haben. Sie haben sich damit nolens volens zu Handlangern derjenigen Mächte gemacht, die aus dem Hintergrund Bevölkerungskontrolle und Mord im Mutterleib orchestrieren. Sie haben bei den Menschen guten Willens die Widerstandskraft gegen das Böse untergraben.
Meinem Kenntnisstand nach wird diese desaströse Politik derzeit in Innsbruck weitergeführt.
Damit im Zusammenhang steht der Abfall vom echten Ignatius von Loyola:
Mißbrauch der ignatianischen Spiritualität – nichts neues
Wie mir aus eigenem Erleben wohlbekannt ist, haben die Jesuiten die Exerzitien und den gesamten Formationsprozeß aus dem doktrinär klar abgesteckten Rahmen (vgl. besonders die „Regeln zum Fühlen mit der Kirche“, Exerzitienbuch 352 – 370) herausgelöst. Die inhaltlichen Vorgaben werden uminterpretiert und „der Zeit angepaßt“. Was Ignatius vorgesehen hatte, nämlich eine legitime Anpassung der Exerzitien an das Fassungsvermögen des jeweiligen Exerzitanten, impliziert selbstverständlich keine Abkehr vom katholischen Glauben!
Genau das aber ist passiert.
Das ist die Erfahrung vieler Gläubiger, die in gutem Glauben bei Jesuiten Exerzitien machten oder sich eben dem Orden angeschlossen haben.
Was für viele Leser unglaublich klingen wird, ist Realität: Aus den Exerzitien bzw. aus der Formation als ganzer ist eine Art von Umprogrammierung (im Sinne einer weltlichen mind control, um nicht zu sagen brainwashing) geworden.
Fundamentale Verwirrung und schwere Gewissenskonflikte sind die Folgen.
Das Herauslösen einzelner Übungen bzw. „Techniken“ aus dem Gesamtzusammenhang der jesuitischen Spiritualität (z. B. das examen, „Gewissenserforschung“, und die ratio conscientiae, die Offenlegung des eigenen Innenlebens gegenüber dem Oberen, u. a.) hat mindestens zwei historische Vorbilder: einerseits die „Illuminaten“ des Jesuitenschülers und Freimaurers Adam Weishaupt (1748 – 1830), andererseits die SS von Heinrich Himmler (1900 – 1945). Letzterer war zu Schulzeiten ebenfalls mit jesuitischer Pädagogik in Kontakt gekommen.
Beide übernahmen Elemente der Formation, der Seelenführung und der äußeren Organisation aus dem Jesuitenorden. Um sie für eigene, gnostische, okkulte und verbrecherische Zwecke dienstbar zu machen, mußten sie sie eben vom traditionellen Glauben, somit vom Geist des Exerzitienbuches und der gesamten ignatianischen Spiritualität, abschneiden.
Mittlerweile haben wir ein Stadium der Kirchengeschichte erreicht, in der der Jesuitenorden selbst das Exerzitienbuch ebenfalls vom alten Glauben abgeschnitten und „gnostisch-modernistisch“ umgedeutet hat. Das „Ignatianische“ ist mithin gewissermaßen zu einer esoterischen Geheimlehre mutiert.
„Man muß das Exerzitienbuch auf die heutige Zeit übertragen“, lautet dabei die oft gehörte Maxime.
Was aber bleibt dann übrig?
Was bleibt, ist ein Konglomerat aus „Psychotherapie“, Sozialarbeit und interreligiösem Dialog. Alles das ist „politisch korrekt“ ausgerichtet, vermeidet jede „Polarisierung“ und nützt daher den Machthabern dieser Welt.
Aus der verfehlten Umsetzung der ignatianischen Spiritualität und Einsatzbereitschaft im Sinne des katholischen Glaubens folgt ein falsches Handeln im Konkreten. Es folgt auch ein falsches Lehren im Bereich der akademischen Theologie. In der Moraltheologie ist das besonders folgenreich, weil jeder Mensch auf klare inhaltliche Weisung und – wie man umgangssprachlich sagt – „moralische“ Unterstützung angewiesen ist. Wenn ein Moraltheologe in wichtigen Themen herumschwadroniert, anstatt klare Grenzen abzustecken, wird das für das Handeln von Menschen in schwierigen Situationen schlimme Folgen haben.
Nachdem Papst Franziskus in schwierigen Zeiten ebenfalls unverantwortlich herumschwadroniert, erweist er sich eben als „Goldjunge“ des oben genannten Jesuitentheologen.
Es sind blinde Blindenführer.
Das hatte Ignatius nicht beabsichtigt.
*MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe und Philosoph, Katechist
.Bild: Diözese Innsbruck/Jesuiten.at (Screenshots)
(1) Ein besonders prominentes Beispiel unter: Die Universitäten Georgetown und Notre Dame sind offensichtlich Treibhäuser häretischer Lehren, die ihre Auswirkungen auf die Praxis haben. Siehe beispielsweise: Für einen Überblick über historische und aktuelle Vorgänge im Orden, positive und negative, siehe auch.
(2) Die Argumentation ist dabei meist, daß die Gedankenführung von Papst Paul VI. nicht „personalistisch“ sondern „naturalistisch“ war. Was immer das genau bedeuten soll.
(3) Man beachte die Hervorhebung der „geschichtlichen und sozialen Bedingtheit allen Erkennens und ethischen Urteilens“. Mit dieser Art von Bekämpfung des objektiv Erkennbaren und objektiv Gültigen öffnet man dem Totalitarismus Tür und Tor. Inkonsequenterweise wird die „soziale Bedingtheit allen ethischen Urteilens“ von modernen Jesuiten und anderen Theologen niemals als Rechtfertigungsgrund auf den Nationalsozialismus angewandt. Für „Nazis“ wird keine „geschichtliche und soziale Bedingtheit“ akzeptiert, für alle anderen schon. Diese Verblendung ist eine Tragödie. Wer so wie Rotter oder Palaver argumentiert, begibt sich jeder Waffe gegen den Totalitarismus. Dietrich von Hildebrand hatte in den 30er Jahren den Nationalsozialismus als Spielart des Relativismus demaskiert. Von dieser ideologiekritischen Analyse sind wir heute – auch dank des subversiven Wirkens der Jesuiten – um Lichtjahre entfernt. Wer das intrinsece malum leugnet, kann sich in letzter Analyse auch nicht über die Greuel des Nazitums beklagen.
Die vollständige Reihe:
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (1. Teil)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – 1. Exkurs: Zum 60. Todestag von Pierre Teilhard de Chardin SJ (1881–1955)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (2. Teil)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – 2. Exkurs: Karl Rahner und die Zerstörung der Theologie
- Der Jesuit auf dem Papstthron – 3. Exkurs: Töhötöm Nagy, „Jesuiten und Freimaurer“
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (3. Teil/1)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – von zwei Katastrophen in einer Person (3. Teil/2)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (3. Teil/3 – Schluß)