(Rom) Der Vatikanist Sandro Magister berichtet über die jüngsten Ereignisse um Papst Franziskus. Er erhebt die schwerwiegende Anschuldigung, daß noch nie soviele Homosexuelle auf führende Posten im Vatikan befördert wurden wie unter dem argentinischen Papst.
Zudem habe Kardinal Müller mit seiner Ankündigung, das Pontifikat von Papst Franziskus „theologisch strukturieren“ zu wollen, „nervöse Reaktionen“ im direkten Umfeld des Papstes provoziert. Der Vorstoß wird als Einschränkung des Handlungsspielraums des Papstes gesehen, und ist vom Glaubenspräfekten was den Inhalt von Aussagen und Dokumenten anbelangt, offensichtlich auch so gemeint.
Aus dem Kreis der „Ultrabergoglianer“ hat man aufgeschreckt begonnen, sich auf den deutschen Kardinalpräfekten einzuschießen. Dieser scheint klare Vorstellungen, Entschlossenheit und den Mut zu haben, sich bei allem Respekt wenn notwendig in der Sache auch gegen den Papst zu stellen.
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Mißfallensindex: Der Botschafter und der Kardinal
von Sandro Magister
Der Botschafter, von Frankreich designiert, wurde vom Vatikan abgelehnt, weil homosexuell. Der Kardinal, Präfekt der Glaubenskongregation, wird von den Fans von Papst Franziskus bekämpft, der wiederum sich nicht immer verständlich ausdrückt.
„Die Besteigung der Kathedra Petri durch einen Theologen wie Benedikt XVI. ist wahrscheinlich eine Ausnahme. Auch Johannes XXIII. war kein Berufstheologe. Papst Franziskus ist auch mehr pastoral und die Glaubenskongregation hat eine Aufgabe ein Pontifikat theologisch zu strukturieren.“ Diese Worte sagte Kardinal Gerhard Müller, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre in einem Interview der französischen Tageszeitung La Croix am vergangenen 29. März. Sie lösten nervöse Reaktionen im Lager der Ultrabergoglianer aus.
Der Historiker Alberto Melloni, Leiter der Schule von Bologna, kanzelte die Absicht des Kardinalpräfekten, das Pontifikat von Franziskus „theologisch zu strukturieren“, als „komischen Elan eines zersetzenden Paternalismus“ ab.
Der Haus- und Hofvatikanist des Papstes, Andrea Tornielli, sprach von einem Mißbrauch seiner Rolle und einer Kompetenzüberschreitung der Glaubenskongregation. Abgesehen davon sei die Aussage des Kardinals eine Beleidigung des derzeitigen Papstes, dem faktisch eine ausreichende theologische Statur abgesprochen worden sei.
Daß einige Aussagen von Papst Franziskus, darunter gerade die bekanntesten, unter einem Mangel an inhaltlicher Klarheit leiden, liegt allerdings vor aller Augen.
Zwei dieser Aussagen sind jüngst wieder in den Mittelpunkt der Polemik gerückt.
Mißfallensindex 1: „Wer bin ich, um zu urteilen?“
Die erste Aussage ist die berühmte Frage, die mehr einer Feststellung entsprach: „Wer bin ich, um zu urteilen?“, die Papst Franziskus ursprünglich auf den Homosexuellen „guten Willens auf der Suche nach dem Herrn“ bezog.
Franziskus tätigte diese Aussage am 28. Juli 2013 auf der improvisierten Pressekonferenz auf dem Rückflug von Rio de Janeiro nach Rom.
Er wiederholte sie jedoch wenige Wochen später in einem umfangreichen Interview der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica mit dem Zusatz: „Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben.“
Der Papst erklärte nie, in welchem Sinn der Satz im Zusammenhang einerseits mit dem Herrenwort „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ und andererseits mit der durch Jesus an Petrus übertragenen Binde- und Lösegewalt zu verstehen sei. Er korrigierte auch nicht, als die Medien berichteten, wie sein Satz von Politikern in verschiedenen Teilen der Erde zur Rechtfertigung der Homo-Ehe herangezogen wurde. Oder derzeit damit eine Kampagne gegen den Erzbischof von San Francisco, Msgr. Salvatore Cordileone geführt wird, weil dieser die katholische Ehe- und Morallehre verteidigte.
Tatsache ist, daß die Zweideutigkeit des Satzes enorm zur Medienfortüne von Papst Franziskus beigetragen hat.
Allerdings sich auch gegen ihn wandte, wie es in diesen Tagen der Fall ist, wegen der Ablehnung des neuen, von der französischen Regierung designierten Botschafters beim Heiligen Stuhl.
Bereits 2007 hatte der Heilige Stuhl einem anderen, von Paris vorgeschlagenen Botschafter, Jean-Loup Kuhn-Delforge, die Akkreditierung verweigert, weil bekennender Homosexueller, der zivilrechtlich anerkannt mit einem anderen Mann zusammenlebte. Kuhn-Delforge ist seit 2011 Botschafter Frankreichs in Athen.
Der Heilige Stuhl lehnt das diplomatische Empfehlungsschreiben aller ab, die sich in einer irregulären Standessituation befinden, die mit der katholischen Lehre nicht vereinbar ist. Die Staatsregierungen wissen das. Die zweifache Nominierung bekennender homosexueller Diplomaten durch Paris muß daher als Provokation gesehen werden.
Laurent Stefanini, der derzeit designierte, aber abgelehnte Botschafter Frankreichs, fällt im Gegensatz zu Kuhn-Delforge nicht auf den ersten Blick unter eine irreguläre Standessituation. Er ist praktizierender Katholik, wurde erst im Erwachsenenalter gefirmt und ist ledig. Allerdings ist er homosexuell, wenn auch nicht militant.
Von 2001 bis 2005 war er als Botschaftsrat bereits an der französischen Botschaft beim Heiligen Stuhl tätig. Eine Tätigkeit, für die er im Vatikan durchaus geschätzt und am Ende, was allerdings gängiger diplomatischer Gepflogenheit entspricht, mit dem Gregoriusorden ausgezeichnet wurde. Seine Ernennung auf den genannten Botschafterposten wurde vom Pariser Erzbischof André Kardinal Vingt-Trois unterstützt. Und selbst Ludovine de la Rochà¨re, die Vorsitzende der Bürgerrechtsbewegung zugunsten der Familie Manif pour tous verteidigte ihn.
Am 5. Januar von der französischen Regierung designiert, forderte ihn der Apostolische Nuntius für Frankreich, Msgr. Luigi Ventura, einen Monat später auf, wegen seiner homosexuellen Neigung auf die Ernennung zu verzichten.
Doch weder die Regierung noch Stefanini nahmen von der Ernennung Abstand. Anfang April gelangte der Fall, absehbar, in die Medien und wurde publik.
Der Vatikan gab bisher keinen öffentlichen Kommentar zur Sache ab.
Diese Ablehnung scheint im offenen Widerspruch zu jener Aussage „Wer bin ich, um zu urteilen?“ zu stehen, die zum Markenzeichen des Pontifikats von Jorge Mario Bergoglio geworden ist. Vor allem steht sie auch in offenem Widerspruch mit einer anderen Entwicklung: Noch nie wurden an der Römischen Kurie so viele homosexuelle Kleriker auf Führungspositionen befördert und Posten mit direktem Kontakt zum Papst, wie in den vergangenen zwei Jahren.
Wenn es um die Beförderung dieser Kleriker ging, einschließlich jener von Msgr. Battista Rica, mit einer von Skandalen getränkten Vergangenheit, als Direktor der päpstlichen Residenz Santa Marta und als Hausprälat der Vatikanbank IOR, gab es nie ein Veto. Ganz im Gegenteil.
Mißfallensindex 2: Der Kardinal – Bischofskonferenzen und Kollegialität
Die zweite Aussage von Papst Franziskus, die erneut zum Diskussionsthema geworden ist, hat noch größeres Gewicht. Sie war nicht Teil einer improvisierten Pressekonferenz oder eines Interviews, sondern steht im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium, dem programmatischen Papier dieses Pontifikats.
„Das Zweite Vatikanische Konzil sagte, dass in ähnlicher Weise wie die alten Patriarchatskirchen ‚die Bischofskonferenzen vielfältige und fruchtbare Hilfe leisten [können], um die kollegiale Gesinnung zu konkreter Verwirklichung zu führen‘. Aber dieser Wunsch hat sich nicht völlig erfüllt, denn es ist noch nicht deutlich genug eine Satzung der Bischofskonferenzen formuliert worden, die sie als Subjekte mit konkreten Kompetenzbereichen versteht, auch einschließlich einer gewissen authentischen Lehrautorität.“
Der kritische Punkt dieser Aussage steckt in den letzten Worten. Daß den Bischofskonferenzen eine „gewisse authentische Lehrautorität“ zuerkannt werden könnte, ist eine Aussage, die durch Mangel an Klarheit glänzt.
Die Bestätigung lieferte Kardinal Müller auf einer Tagung im ungarischen Esztergom am 13. Januar 2015. Sein Vortrag vor Vertretern der europäischen Episkopate wurde in die offizielle Dokumentensammlung der Glaubenskongregation aufgenommen und auf der Internetseite der Kongregation veröffentlicht: „Die theologische Natur der Lehrkommissionen und die Aufgabe der Bischöfe als Lehrmeister des Glaubens“.
Im dritten und letzten Teil seines Vortrag, spricht Kardinal Müller davon, die genannte Passage in Evangelii gaudium „thematisieren“, „vertiefen“, „päzisieren“, „erläutern“ zu wollen, damit sie „richtig verstanden“ werde.
Eine statutarisch vorgesehene Aufgabe der Glaubenskongregation besteht gerade darin, alle vatikanischen Dokumente, die die Glaubenslehre betreffen, vor ihrer Veröffentlichung zu prüfen. Auch die Dokumente des Papstes müssen durch diese präventive Prüfung. Unter Johannes Paul II. war die Verständigung zwischen ihm und seinem Lehrmeister, Kardinal Joseph Ratzinger, perfekt. Jedes päpstliche Dokument wurde auf makellose Weise „theologisch strukturiert“ veröffentlicht.
Papst Franziskus handelt hingegen eigenmächtiger. Evangelii gaudium passierte zwar auch im voraus die von Kardinal Müller geleitete Glaubenskongregation, die sie mit einer Fülle von Anmerkungen versah. Doch Papst Franziskus ließ sie veröffentlichen, ohne etwas zu korrigieren.
Eine Folge der obskuren, oben zitierten Aussage, ist, daß die anti-römischen Verselbständigungsbestrebungen einiger Bischofskonferenzen ermutigt wurden, wie die Aussagen des deutschen Kardinals, Reinhard Marx, Ende Februar gezeigt haben und die großen Medienecho fanden.
„Wir sind keine Filiale Roms“, so Marx. Jede Bischofskonferenz sei für die Seelsorge in ihrem Einzugsbereich verantwortlich. Man könne ja nicht warten, bis eine Synode sage, wie man sich in Deutschland zu Ehe und Familienpastoral zu verhalten habe.
Eine weitere, allgemeinere Folge ist, daß Kardinal Müller sich gezwungen sieht, nach ihrer Veröffentlichung korrigierend mit öffentlichen Kommentaren zu Dokumenten von Papst Franziskus einzugreifen, mit dem Zweck, zu unklaren, zweideutigen Punkten Klarheit zu schaffen und ihnen eben eine „theologische Strukturierung“ zu geben.
Papst Karol Wojtyla hatte seinen Ratzinger für die Abfassung und Prüfung seiner Texte.
Papst Bergoglio aber zieht Victor Manuel Fernández vor, den Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien, seinen Vertrauten und Ghostwriter sowohl für Evangelii gaudium als auch für die demnächst erscheinende Öko-Enzyklika.
Fernandez Ernennung zum Rektor war seinerzeit hartnäckig vom damaligen Sekretär der Kongregation für das katholische Bildungswesen, Kurienerzbischof Jean-Louis Bruguà¨s abgelehnt worden. Auch wegen der unklaren theologischen Produktion des Kandidaten, zu der auch eine 1995 in Buenos Aires herausgegebene Schrift mit dem Titel „Sáname con tu boca. El arte de besar“ gehört.
Fernández setzte sich schließlich, dank der Unterstützung seines Mentors Jorge Mario Bergoglio, dennoch durch. Als Bergoglio Papst wurde, machte er seinen Ghostwriter sofort zum Titularerzbischof. Erzbischof Bruguà¨s hingegen, seit 2012 Archivar und Bibliothekar der Heiligen Römischen Kirche, verweigert Bergoglio als Papst die Kardinalswürde, die traditionell mit diesem Amt verbunden ist.
Post Scriptum 1
Kardinal Müller kam am 17. April erneut auf die Notwendigkeit einer „theologischen Strukturierung“ des päpstlichen Lehramtes zurück, denn „ohne die Theologie des Lehramtes kann er nicht seine Verantwortung erfüllen“. Anlaß war eine Tagung am Pontificio Collegio Teutonico di Santa Maria in Campo Santo, dem deutschen Priesterkolleg des Vatikans. Der Osservatore Romano berichtete am 19. April darüber.
Auf der Tagung zeigte Kardinal Müller das Spezifische von Benedikt XVI. auf, als „einen der großen Theologen auf dem Stuhl Petri“ mit nur wenigen vergleichbaren Vorgängern in der Geschichte wie Benedikt XIV. im 18. Jahrhundert und Leo dem Großen im 5. Jahrhundert.
Am 21. April nahm der Dominikanertheologe Pater Benoà®t‑Dominique de La Soujeole, Professor an der Theologischen Fakultät der Schweizer Universität Freiburg im Üechtland in einem Interview zum Thema Stellung. Veröffentlicht wurde es von Vatican Insider unter dem Titel „Braucht der Nachfolger des Petrus ‚theologische Strukturierungen‘?“
Post Scriptum 2
Wie die Nachrichtenagentur I‑Media enthüllte, empfing Papst Franziskus am 17. April den designierten Botschafter Laurent Stefanini im Gästehaus Santa Marta in Privataudienz. Das Gespräch dauerte 40 Minuten. Die Begegnung mit UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon am 29. April dauerte 30 Minuten. Der Vorsitzenden Ludovine de la Rochà¨re, der Vorsitzenden von Manif pour tous, der Bürgerrechtsbewegung, die Millionen Menschen guten Willens gegen eine zersetzende linksliberale Gesellschaftspolitik mobilisierte, widmete Papst Franziskus am 12. Juni 2014 keine fünf Minuten.
Die Begegnung mit Stefanini habe „in einem herzlichen Klima, vielmehr in ganz besonderer Herzlichkeit stattgefunden und war von Spiritualität geprägt. Die beiden Männer hätten auf Initiative des Papstes auch Zeit dafür genützt, um zusammen zu beten.“
Der Papst habe beim Gespräch „keine Antwort auf den von Paris gestellten Akkreditierungsantrag gegeben“.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Settimo Cielo/MiL