2005–2015 – Zehn Jahre Inthronisation von Papst Benedikt XVI.


Benedikt XVI.
Bene­dikt XVI.

(Vati­kan) Es war der 24. April 2005, ein Sonn­tag, ein Tag mit Bil­der­buch­wet­ter, als am Peters­platz vor der Präch­ti­gen Fas­sa­de der Peters­kir­che die Inthro­ni­sa­ti­on von Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger als Papst Bene­dikt XVI. statt­fand. Der neue Papst hielt eine bestechen­de pro­gram­ma­ti­sche Pre­digt, die in einer Rei­he mit den bereits von ihm als Dekan des Kar­di­nals­kol­le­gi­ums gehal­te­nen Pre­dig­ten anläß­lich der Exe­qui­en und der Begräb­nis sei­nes Vor­gän­gers Papst Johan­nes Pauls II. am 8. April und anläß­lich der Mis­sa Pro Eli­gen­do Roma­no Pon­ti­fi­ce am 18. April steht. Für Auf­se­hen sorg­te am Tag sei­ner Amts­ein­füh­rung unter ande­rem ein Satz: „Betet für mich, daß ich nicht furcht­sam vor den Wöl­fen fliehe.“
Zehn Jah­re spä­ter emp­fiehlt es sich, erneut zu lesen, was der deut­sche Papst damals an den Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats stellte.
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Anzei­ge

 

Mei­ne Her­ren Kardinäle,
ver­ehr­te Brü­der im Bischofs- und Priesteramt,

sehr geehr­te Staats­ober­häup­ter, Mit­glie­der der offi­zi­el­len Dele­ga­tio­nen und des Diplo­ma­ti­schen Corps,

lie­be Brü­der und Schwestern!

Drei­mal hat uns in die­sen ereig­nis­rei­chen Tagen der Gesang der Aller­hei­li­gen­li­ta­nei beglei­tet: beim Begräb­nis unse­res heim­ge­gan­ge­nen Hei­li­gen Vaters Johan­nes Pauls II.; beim Ein­zug der Kar­di­nä­le ins Kon­kla­ve, und jetzt haben wir es soeben wie­der gesun­gen mit der Bit­te: Tu illum adi­uva – sosti­eni il nuo­vo suc­ces­so­re di S. Pie­tro. Jedes Mal habe ich auf eige­ne Wei­se die­ses gesun­ge­ne Gebet als gro­ßen Trost emp­fun­den. Wie ver­las­sen fühl­ten wir uns nach dem Heim­gang von Johan­nes Paul II., der gut 26 Jah­re unser Hirt und Füh­rer auf dem Weg durch die­se Zeit gewe­sen war. Nun hat­te er die Schwel­le ins ande­re Leben – ins Geheim­nis Got­tes hin­ein über­schrit­ten. Aber er ging nicht allein. Wer glaubt, ist nie allein – im Leben nicht und auch im Ster­ben nicht. Nun konn­ten wir die Hei­li­gen aller Jahr­hun­der­te her­bei­ru­fen – sei­ne Freun­de, sei­ne Geschwi­ster im Glau­ben. Und wir wuß­ten, daß sie gleich­sam das leben­di­ge Fahr­zeug sein wür­den, das ihn hin­über- und hin­auf­trägt zur Höhe Got­tes. Wir wuß­ten, wenn er ankommt, wird er erwar­tet. Er ist unter den Sei­nen, und er ist wahr­haft zu Hau­se. Wie­der­um war es so, als wir den schwe­ren Zug ins Kon­kla­ve gin­gen, um den zu fin­den, den der Herr erwählt hat. Wie soll­ten wir nur den Namen erken­nen? Wie soll­ten 115 Bischö­fe aus allen Kul­tu­ren und Län­dern den fin­den, dem der Herr den Auf­trag des Bin­dens und des Lösens geben möch­te? Aber wie­der wuß­ten wir: Wir sind nicht allein. Wir sind von den Freun­den Got­tes umge­ben, gelei­tet und geführt. Und nun, in die­ser Stun­de, muß ich schwa­cher Die­ner Got­tes die­sen uner­hör­ten Auf­trag über­neh­men, der doch alles mensch­li­che Ver­mö­gen über­schrei­tet. Wie soll­te ich das? Wie kann ich das? Aber Ihr alle, lie­be Freun­de, habt nun die gan­ze Schar der Hei­li­gen stell­ver­tre­tend durch eini­ge der gro­ßen Namen der Geschich­te Got­tes mit den Men­schen her­bei­ge­ru­fen, und so darf auch ich wis­sen: Ich bin nicht allein. Ich brau­che nicht allein zu tra­gen, was ich wahr­haf­tig allein nicht tra­gen könn­te. Die Schar der Hei­li­gen Got­tes schützt und stützt und trägt mich. Und Euer Gebet, lie­be Freun­de, Eure Nach­sicht, Eure Lie­be, Euer Glau­be und Euer Hof­fen beglei­tet mich. Denn zur Gemein­schaft der Hei­li­gen gehö­ren nicht nur die gro­ßen Gestal­ten, die uns vor­an­ge­gan­gen sind und deren Namen wir ken­nen. Die Gemein­schaft der Hei­li­gen sind wir alle, die wir auf den Namen von Vater, Sohn und Hei­li­gen Geist getauft sind und die wir von der Gabe des Flei­sches und Blu­tes Chri­sti leben, durch die er uns ver­wan­deln und sich gleich gestal­ten will. Ja, die Kir­che lebt – das ist die wun­der­ba­re Erfah­rung die­ser Tage. Durch alle Trau­rig­keit von Krank­heit und Tod des Pap­stes hin­durch ist uns dies auf wun­der­ba­re Wei­se sicht­bar gewor­den: Die Kir­che lebt. Und die Kir­che ist jung. Sie trägt die Zukunft der Welt in sich und zeigt daher auch jedem ein­zel­nen den Weg in die Zukunft. Die Kir­che lebt – wir sehen es, und wir spü­ren die Freu­de, die der Auf­er­stan­de­ne den Sei­nen ver­hei­ßen hat. Die Kir­che lebt – sie lebt, weil Chri­stus lebt, weil er wirk­lich auf­er­stan­den ist. Wir haben an dem Schmerz, der auf dem Gesicht des Hei­li­gen Vaters in den Oster­ta­gen lag, das Geheim­nis von Chri­sti Lei­den ange­schaut und gleich­sam sei­ne Wun­den berührt. Aber wir haben in all die­sen Tagen auch den Auf­er­stan­de­nen in einem tie­fen Sinn berüh­ren dür­fen. Wir dür­fen die Freu­de ver­spü­ren, die er nach der kur­zen Wei­le des Dun­kels als Frucht sei­ner Auf­er­ste­hung ver­hei­ßen hat.

Die Kir­che lebt – so begrü­ße ich in gro­ßer Freu­de und Dank­bar­keit Euch alle, die Ihr hier ver­sam­melt seid, ver­ehr­te Kar­di­nä­le und Mit­brü­der im Bischofs­amt, lie­be Prie­ster, Dia­ko­ne, pasto­ra­le Mit­ar­bei­ter und Kate­chi­sten. Ich grü­ße Euch, gott­ge­weih­te Män­ner und Frau­en, Zeu­gen der ver­wan­deln­den Gegen­wart Got­tes. Ich grü­ße Euch, gläu­bi­ge Lai­en, die Ihr ein­ge­taucht seid in den wei­ten Raum des Auf­baus von Got­tes Reich, das sich über die Welt in allen Berei­chen des Lebens aus­spannt. Vol­ler Zunei­gung rich­te ich mei­nen Gruß auch an alle, die, im Sakra­ment der Tau­fe wie­der­ge­bo­ren, noch nicht in vol­ler Gemein­schaft mit uns ste­hen; sowie an Euch, Brü­der aus dem jüdi­schen Volk, mit dem wir durch ein gro­ßes gemein­sa­mes geist­li­ches Erbe ver­bun­den sind, das in den unwi­der­ruf­li­chen Ver­hei­ßun­gen Got­tes sei­ne Wur­zeln schlägt. Schließ­lich gehen mei­ne Gedan­ken – gleich­sam wie eine Wel­le, die sich aus­brei­tet – zu allen Men­schen unse­rer Zeit, zu den Glau­ben­den und zu den Nichtglaubenden.

Lie­be Freun­de! Ich brau­che in die­ser Stun­de kei­ne Art von Regie­rungs­pro­gramm vor­zu­le­gen; eini­ge Grund­zü­ge des­sen, was ich als mei­ne Auf­ga­be anse­he, habe ich schon in mei­ner Bot­schaft vom Mitt­woch, dem 20. April, vor­tra­gen kön­nen; ande­re Gele­gen­hei­ten wer­den fol­gen. Das eigent­li­che Regie­rungs­pro­gramm aber ist, nicht mei­nen Wil­len zu tun, nicht mei­ne Ideen durch­zu­set­zen, son­dern gemein­sam mit der gan­zen Kir­che auf Wort und Wil­le des Herrn zu lau­schen und mich von ihm füh­ren zu las­sen, damit er selbst die Kir­che füh­re in die­ser Stun­de unse­rer Geschich­te. Statt eines Pro­gramms möch­te ich ein­fach die bei­den Zei­chen aus­zu­le­gen ver­su­chen, mit denen die In-Dienst-Nah­me für die Nach­fol­ge des hei­li­gen Petrus lit­ur­gisch dar­ge­stellt wird; bei­de Zei­chen spie­geln übri­gens auch genau das, was in den Lesun­gen die­ses Tages gesagt wird.

Das erste Zei­chen ist das Pal­li­um, ein Gewe­be aus rei­ner Wol­le, das mir um die Schul­tern gelegt wird. Die­ses uralte Zei­chen, das die Bischö­fe von Rom seit dem 4. Jahr­hun­dert tra­gen, mag zunächst ein­fach ein Bild sein für das Joch Chri­sti, das der Bischof die­ser Stadt, der Knecht der Knech­te Got­tes auf sei­ne Schul­tern nimmt. Das Joch Got­tes – das ist der Wil­le Got­tes, den wir anneh­men. Und die­ser Wil­le ist für uns nicht eine frem­de Last, die uns drückt und die uns unfrei macht. Zu wis­sen, was Gott will, zu wis­sen, was der Weg des Lebens ist – das war die Freu­de Isra­els, die es als eine gro­ße Aus­zeich­nung erkann­te. Das ist auch unse­re Freu­de: Der Wil­le Got­tes ent­frem­det uns nicht, er rei­nigt uns – und das kann weh tun – aber so bringt er uns zu uns sel­ber, und so die­nen wir nicht nur ihm, son­dern dem Heil der gan­zen Welt, der gan­zen Geschich­te. Aber die Sym­bo­lik des Pal­li­ums ist kon­kre­ter: Aus der Wol­le von Läm­mern gewo­ben will es das ver­irr­te Lamm oder auch das kran­ke und schwa­che Lamm dar­stel­len, das der Hirt auf sei­ne Schul­tern nimmt und zu den Was­sern des Lebens trägt. Das Gleich­nis vom ver­lo­re­nen Schaf, dem der Hir­te in die Wüste nach­geht, war für die Kir­chen­vä­ter ein Bild für das Geheim­nis Chri­sti und der Kir­che. Die Mensch­heit, wir alle, sind das ver­lo­re­ne Schaf, das in der Wüste kei­nen Weg mehr fin­det. Den Sohn Got­tes lei­det es nicht im Him­mel; er kann den Men­schen nicht in sol­cher Not ste­hen las­sen. Er steht sel­ber auf, ver­läßt des Him­mels Herr­lich­keit, um das Schaf zu fin­den und geht ihm nach bis zum Kreuz. Er lädt es auf die Schul­ter, er trägt unser Mensch­sein, er trägt uns – er ist der wah­re Hirt, der für das Schaf sein eige­nes Leben gibt. Das Pal­li­um sagt uns zual­ler­erst, daß wir alle von Chri­stus getra­gen wer­den. Aber er for­dert uns zugleich auf, ein­an­der zu tra­gen. So wird das Pal­li­um zum Sinn­bild für die Sen­dung des Hir­ten, von der die zwei­te Lesung und das Evan­ge­li­um spre­chen. Den Hir­ten muß die hei­li­ge Unru­he Chri­sti besee­len, dem es nicht gleich­gül­tig ist, daß so vie­le Men­schen in der Wüste leben. Und es gibt vie­ler­lei Arten von Wüsten. Es gibt die Wüste der Armut, die Wüste des Hun­gers und des Dur­stes. Es gibt die Wüste der Ver­las­sen­heit, der Ein­sam­keit, der zer­stör­ten Lie­be. Es gibt die Wüste des Got­tes­dun­kels, der Ent­lee­rung der See­len, die nicht mehr um die Wür­de und um den Weg des Men­schen wis­sen. Die äuße­ren Wüsten wach­sen in der Welt, weil die inne­ren Wüsten so groß gewor­den sind. Des­halb die­nen die Schät­ze der Erde nicht mehr dem Auf­bau von Got­tes Gar­ten, in dem alle leben kön­nen, son­dern dem Aus­bau von Mäch­ten der Zer­stö­rung. Die Kir­che als Gan­ze und die Hir­ten in ihr müs­sen wie Chri­stus sich auf den Weg machen, um die Men­schen aus der Wüste her­aus­zu­füh­ren zu den Orten des Lebens – zur Freund­schaft mit dem Sohn Got­tes, der uns Leben schenkt, Leben in Fül­le. Das Sym­bol des Lam­mes hat aber auch noch eine ande­re Sei­te. Im alten Ori­ent war es üblich, daß die Köni­ge sich als Hir­ten ihrer Völ­ker bezeich­ne­ten. Dies war ein Bild ihrer Macht, ein zyni­sches Bild: Die Völ­ker waren wie Scha­fe für sie, über die der Hir­te ver­fügt. Der wah­re Hir­te aller Men­schen, der leben­di­ge Gott, ist selbst zum Lamm gewor­den, er hat sich auf die Sei­te der Läm­mer, der Getre­te­nen und Geschlach­te­ten gestellt. Gera­de so zeigt er sich als der wirk­li­che Hirt. „Ich bin der wah­re Hir­te… Ich gebe mein Leben für die Scha­fe“, sagt Jesus von sich (Joh 10, 14f). Nicht die Gewalt erlöst, son­dern die Lie­be. Sie ist das Zei­chen Got­tes, der selbst die Lie­be ist. Wie oft wünsch­ten wir, daß Gott sich stär­ker zei­gen wür­de. Daß er drein­schla­gen wür­de, das Böse aus­rot­ten und die bes­se­re Welt schaf­fen. Alle Ideo­lo­gien der Gewalt recht­fer­ti­gen sich mit die­sen Moti­ven: Es müs­se auf sol­che Wei­se zer­stört wer­den, was dem Fort­schritt und der Befrei­ung der Mensch­heit ent­ge­gen­ste­he. Wir lei­den unter der Geduld Got­tes. Und doch brau­chen wir sie alle. Der Gott, der Lamm wur­de, sagt es uns: Die Welt wird durch den Gekreu­zig­ten und nicht durch die Kreu­zi­ger erlöst. Die Welt wird durch die Geduld Got­tes erlöst und durch die Unge­duld der Men­schen verwüstet.

So muß es eine Haupt­ei­gen­schaft des Hir­ten sein, daß er die Men­schen liebt, die ihm anver­traut sind, weil und wie er Chri­stus liebt, in des­sen Dien­sten er steht. „Wei­de mei­ne Scha­fe“, sagt Chri­stus zu Petrus, sagt er nun zu mir. Wei­den heißt lie­ben, und lie­ben heißt auch, bereit sein zu lei­den. Und lie­ben heißt: den Scha­fen das wahr­haft Gute zu geben, die Nah­rung von Got­tes Wahr­heit, von Got­tes Wort, die Nah­rung sei­ner Gegen­wart, die er uns in den hei­li­gen Sakra­men­ten schenkt. Lie­be Freun­de – in die­ser Stun­de kann ich nur sagen: Betet für mich, daß ich den Herrn immer mehr lie­ben ler­ne. Betet für mich, daß ich sei­ne Her­de – Euch, die hei­li­ge Kir­che, jeden ein­zel­nen und alle zusam­men immer mehr lie­ben ler­ne. Betet für mich, daß ich nicht furcht­sam vor den Wöl­fen flie­he. Beten wir für­ein­an­der, daß der Herr uns trägt und daß wir durch ihn ein­an­der zu tra­gen lernen.

Das zwei­te Zei­chen, mit dem in der Lit­ur­gie die­ses Tages die Ein­set­zung in das Petrus­amt dar­ge­stellt wird, ist die Über­ga­be des Fischer­rings. Die Beru­fung Petri zum Hir­ten, die wir im Evan­ge­li­um gehört haben, folgt auf die Geschich­te von einem rei­chen Fisch­fang: Nach einer Nacht, in der die Jün­ger erfolg­los die Net­ze aus­ge­wor­fen hat­ten, sahen sie den auf­er­stan­den Herrn am Ufer. Er befiehlt ihnen, noch ein­mal auf Fang zu gehen, und nun wird das Netz so voll, daß sie es nicht wie­der ein­ho­len kön­nen: 153 gro­ße Fische. „Und obwohl es so vie­le waren, zer­riß das Netz nicht“ (Joh 21, 11). Die­se Geschich­te am Ende der Wege Jesu mit sei­nen Jün­gern ant­wor­tet auf eine Geschich­te am Anfang: Auch da hat­ten die Jün­ger die gan­ze Nacht nichts gefischt; auch da for­dert Jesus den Simon auf, noch ein­mal auf den See hin­aus­zu­fah­ren. Und Simon, der noch nicht Petrus heißt, gibt die wun­der­ba­re Ant­wort: Mei­ster, auf dein Wort hin wer­fe ich die Net­ze aus. Und nun folgt der Auf­trag: „Fürch­te dich nicht! Von jetzt an wirst du Men­schen fischen“ (Lk 5, 1 – 11). Auch heu­te ist es der Kir­che und den Nach­fol­gern der Apo­stel auf­ge­tra­gen, ins hohe Meer der Geschich­te hin­aus­zu­fah­ren und die Net­ze aus­zu­wer­fen, um Men­schen für das Evan­ge­li­um – für Gott, für Chri­stus, für das wah­re Leben – zu gewin­nen. Die Väter haben auch die­sem Vor­gang eine ganz eige­ne Aus­le­gung geschenkt. Sie sagen: Für den Fisch, der für das Was­ser geschaf­fen ist, ist es töd­lich, aus dem Meer geholt zu wer­den. Er wird sei­nem Lebens­ele­ment ent­ris­sen, um dem Men­schen zur Nah­rung zu die­nen. Aber beim Auf­trag der Men­schen­fi­scher ist es umge­kehrt. Wir Men­schen leben ent­frem­det, in den sal­zi­gen Was­sern des Lei­dens und des Todes; in einem Meer des Dun­kels ohne Licht. Das Netz des Evan­ge­li­ums zieht uns aus den Was­sern des Todes her­aus und bringt uns ans hel­le Licht Got­tes, zum wirk­li­chen Leben. In der Tat – dar­um geht es beim Auf­trag des Men­schen­fi­schers in der Nach­fol­ge Chri­sti, die Men­schen aus dem Salz­meer all unse­rer Ent­frem­dun­gen ans Land des Lebens, zum Licht Got­tes zu brin­gen. In der Tat: Dazu sind wir da, den Men­schen Gott zu zei­gen. Und erst wo Gott gese­hen wird, beginnt das Leben rich­tig. Erst wo wir dem leben­di­gen Gott in Chri­stus begeg­nen, ler­nen wir, was Leben ist. Wir sind nicht das zufäl­li­ge und sinn­lo­se Pro­dukt der Evo­lu­ti­on. Jeder von uns ist Frucht eines Gedan­kens Got­tes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht. Es gibt nichts Schö­ne­res, als vom Evan­ge­li­um, von Chri­stus gefun­den zu wer­den. Es gibt nichts Schö­ne­res, als ihn zu ken­nen und ande­ren die Freund­schaft mit ihm zu schen­ken. Die Arbeit des Hir­ten, des Men­schen­fi­schers mag oft müh­sam erschei­nen. Aber sie ist schön und groß, weil sie letz­ten Endes Dienst an der Freu­de Got­tes ist, die in der Welt Ein­zug hal­ten möchte.

Noch eins möch­te ich hier anmer­ken: Sowohl beim Hir­ten­bild wie beim Bild vom Fischer taucht der Ruf zur Ein­heit ganz nach­drück­lich auf. „Ich habe noch ande­re Scha­fe, die nicht aus die­sem Stall sind; sie muß ich füh­ren, und sie wer­den auf mei­ne Stim­me hören; dann wird es nur eine Her­de geben und einen Hir­ten“ (Joh 10, 16), sagt Jesus am Ende der Hir­ten­re­de. Und das Wort von den 153 gro­ßen Fischen endet mit der freu­di­gen Fest­stel­lung: „Und obwohl es so vie­le waren, zer­riß das Netz nicht“ (Joh 21, 11). Ach, lie­ber Herr, nun ist es doch zer­ris­sen, möch­ten wir kla­gend sagen. Aber nein – kla­gen wir nicht! Freu­en wir uns über die Ver­hei­ßung, die nicht trügt und tun wir das Uns­ri­ge, auf der Spur der Ver­hei­ßung zu gehen, der Ein­heit ent­ge­gen. Erin­nern wir bit­tend und bet­telnd den Herrn dar­an: Ja, Herr, geden­ke dei­ner Zusa­ge. Laß einen Hir­ten und eine Her­de sein. Laß dein Netz nicht zer­rei­ßen, und hilf uns Die­ner der Ein­heit zu sein!

In die­ser Stun­de geht mei­ne Erin­ne­rung zurück zum 22. Okto­ber 1978, als Papst Johan­nes Paul II. hier auf dem Peters­platz sein Amt über­nahm. Immer noch und immer wie­der klin­gen mir sei­ne Wor­te von damals in den Ohren: Non ave­te pau­ra: Aprite, anzi spa­lan­ca­te le por­te per Cri­sto! Der Papst sprach zu den Star­ken, zu den Mäch­ti­gen der Welt, die Angst hat­ten, Chri­stus könn­te ihnen etwas von ihrer Macht weg­neh­men, wenn sie ihn ein­las­sen und die Frei­heit zum Glau­ben geben wür­den. Ja, er wür­de ihnen schon etwas weg­neh­men: die Herr­schaft der Kor­rup­ti­on, der Rechts­beu­gung, der Will­kür. Aber er wür­de nichts weg­neh­men von dem, was zur Frei­heit des Men­schen, zu sei­ner Wür­de, zum Auf­bau einer rech­ten Gesell­schaft gehört. Und der Papst sprach zu den Men­schen, beson­ders zu den jun­gen Men­schen. Haben wir nicht alle irgend­wie Angst, wenn wir Chri­stus ganz her­ein las­sen, uns ihm ganz öff­nen, könn­te uns etwas genom­men wer­den von unse­rem Leben? Müs­sen wir dann nicht auf so vie­les ver­zich­ten, was das Leben erst so rich­tig schön macht? Wür­den wir nicht ein­ge­engt und unfrei? Und wie­der­um woll­te der Papst sagen: Nein. Wer Chri­stus ein­läßt, dem geht nichts, nichts – gar nichts ver­lo­ren von dem, was das Leben frei, schön und groß macht. Nein, erst in die­ser Freund­schaft öff­nen sich die Türen des Lebens. Erst in die­ser Freund­schaft gehen über­haupt die gro­ßen Mög­lich­kei­ten des Mensch­seins auf. Erst in die­ser Freund­schaft erfah­ren wir, was schön und was befrei­end ist. So möch­te ich heu­te mit gro­ßem Nach­druck und gro­ßer Über­zeu­gung aus der Erfah­rung eines eige­nen lan­gen Lebens Euch, lie­be jun­ge Men­schen, sagen: Habt kei­ne Angst vor Chri­stus! Er nimmt nichts, und er gibt alles. Wer sich ihm gibt, der erhält alles hun­dert­fach zurück. Ja, aprite, spa­lan­ca­te le por­te per Cri­sto – dann fin­det Ihr das wirk­li­che Leben. Amen.

Bild: 30giorni

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