Nigeria nach den Wahlen – Islamistenterror in einem religiös geteilten Land


Nigerias neues Staatsoberhaupt
Nige­ri­as neu­es Staatsoberhaupt

(Abu­ja) Nige­ria hat einen neu­en Staats­prä­si­den­ten. Das west­afri­ka­ni­sche Land ist der bevöl­ke­rungs­reich­ste Staat Afri­kas. Das Land ist inner­lich zwi­schen isla­mi­schem Nor­den und christ­li­chem Süden zer­ris­sen, wegen sei­ner Erd­öl­vor­kom­men begehr­li­chen Blicken des Aus­lan­des aus­ge­setzt und gezeich­net durch den isla­mi­sti­schen Ter­ror von Boko Haram.

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Man kann von Moham­ma­du Buha­ri (72) viel sagen, aber sicher nicht, daß er jemand ist, der schnell auf­gibt. Buha­ri kan­di­dier­te als Ver­tre­ter des All Pro­gres­si­ves Con­gress (APC). Es war bereits das vier­te Mal, daß sich der Mos­lem um das höch­ste Amt im Staat bewor­ben hat. Drei­mal ist er unter­le­gen. Im vier­ten Anlauf am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de hat er gesiegt. Sein Kon­kur­rent, der schei­den­de Staats­prä­si­dent, der Christ Good­luck Jona­than erkann­te sei­ne Nie­der­la­ge mit einer demon­stra­ti­ve Geste an, um gewalt­tä­ti­ge Zusam­men­stö­ße, wie es sie nach frü­he­ren Wah­len gege­ben hat, zu vermeiden.

Der Sieg Buharis

Mit einem Vor­sprung von 2,57 Mil­lio­nen Stim­men konn­te sich Buha­ri den Wahl­sieg im bevöl­ke­rungs­reich­sten und wirt­schaft­lich star­ken Nige­ria sichern. Obwohl die Nige­ria­ner allen Grund gehabt hät­ten, ihn nicht zu wäh­len, kommt sein Sieg den­noch nicht überraschend.

Die Nige­ria­ner ken­nen Muham­ma­du Buha­ri. Der mos­le­mi­sche Ex-Gene­ral, der sei­ne Mili­tär­aus­bil­dung im isla­mi­schen Staat Kaduna begann, dann in Groß­bri­tan­ni­en, in den USA und Indi­en fort­setz­te, stand bereits ein­mal, von Janu­ar 1984 bis August 1985 an der Spit­ze Nige­ri­as. Damals hat­te sich Buha­ri mit einem Staats­streich an die Macht geputscht. Er stürz­te Staats­prä­si­dent She­hu Shaga­ri, einen mos­le­mi­schen Füh­rer des 1903 von den Bri­ten besei­tig­ten Soko­to Kali­fats im Nor­den Nige­ri­as, als die Bevöl­ke­rung die hohe Arbeits­lo­sig­keit, eine ende­mi­sche Kor­rup­ti­on und stän­di­ge Preis­er­hö­hun­gen wegen einer galop­pie­ren­den Infla­ti­on nicht mehr ertra­gen konn­te. Shaga­ri ist ein Ful­be wie Buhari.

„Anti-Korruptions-Apostel“ mit öffentlichen Demütigungen

Sei­ne kur­ze Amts­zeit als Mili­tär­dik­ta­tor brach­te Buha­ri den Über­na­men „Anti-Kor­rup­ti­ons-Apo­stel“ ein. Mehr als 500 Poli­ti­ker ließ er wegen Kor­rup­ti­ons­vor­wurfs ein­sper­ren, obwohl Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen mehr­fach erklär­ten, der Kampf gegen die Kor­rup­ti­on sei blo­ßer Vor­wand, um poli­ti­sche Geg­ner und Kon­kur­ren­ten aus­zu­schal­ten und die­ne der Macht­er­hal­tung des auto­ri­tä­ren Regimes. Aller­dings haben auch sei­ne Geg­ner Buha­ri als „unbe­stech­lich“ in Erinnerung.

Die Nige­ria­ner haben auch nicht sei­nen „Krieg gegen Dis­zi­plin­lo­sig­keit“ in Erin­ne­rung. Um die Gewohn­hei­ten und den Schlen­dri­an der Nige­ria­ner zu ändern, schick­te Buha­ri mit Stöcken und Peit­schen bewaff­ne­te Sol­da­ten zu den Bus­hal­te­stel­len, um den Bür­gern bei­zu­brin­gen, wie man sich geord­net anstellt. Öffent­li­che Bedien­ste­te, die zu spät zur Arbeit kamen, wur­den öffent­lich gede­mü­tigt. Sie muß­ten vor den Augen aller wie Frö­sche hüpfen.

Die Pres­se­frei­heit wur­de erheb­lich ein­ge­schränkt und Jour­na­li­sten ver­haf­tet. Gewerk­schaf­ten und Par­tei­en wur­den geschwächt. Buha­ri gelang es, die Infla­ti­on zu brem­sen und ein Pro­gramm für einen aus­ge­gli­che­nen Staats­haus­halt anlau­fen zu las­sen. Dafür muß­te er die Steu­ern wei­ter erhö­hen. Eben­so blieb die Arbeits­lo­sig­keit ein chro­ni­sches Problem.

Von der Armee abgesetzt

Als sich die Armee­füh­rung bewußt wur­de, daß die Unzu­frie­den­heit der Nige­ria­ner gegen die dik­ta­to­ri­sche Macht­aus­übung Buha­ris wuchs, beschloß sie, sich selbst ihres star­ken Man­nes zu ent­le­di­gen. Am 27. August 1985 wur­de Buha­ri von Gene­ral Ibra­him Bab­ang­ida mit einem neu­en Staats­streich abge­setzt und ver­haf­tet. Nach 40 Mona­ten wur­de der Ex-Gene­ral 1988 freigelassen.

Unter dem christ­li­chen Staats­prä­si­den­ten Olu­se­gun Oba­san­jo (1999–2007), einem Yoru­ba, wur­de der Ex-Dik­ta­tor Buha­ri Erd­öl­mi­ni­ster und erhielt damit ein Schlüs­sel­mi­ni­ste­ri­um Nige­ri­as. Der Christ Oba­san­jo und der Mos­lem Buha­ri hat­ten nicht nur eine Mili­tär­kar­rie­re gemein­sam. Wie Buha­ri war auch Oba­san­jo von 1976–1979 Mili­tär­dik­ta­tor des Lan­des, bevor er 1999 zum demo­kra­ti­schen Staats­ober­haupt gewählt wurde.

Wäh­rend Buha­ris Mini­ster­tä­tig­keit im mil­li­ar­den­schwe­ren Erd­öl­ge­schäft wur­de er beschul­digt, 2,8 Mil­li­ar­den Nai­ra „abge­zweigt“ zu haben (nach heu­ti­gem Wech­sel­kurs rund 13 Mil­lio­nen Euro). Buha­ri sprach immer von „erfun­de­nen“ Behaup­tun­gen, die „völ­lig halt­los und lächer­lich“ seien.

Für die Scharia

Religionskarte und Schariakarte Nigerias
Christ­li­cher Süden, mos­le­mi­scher Nor­den, Gren­ze der Scha­ria­staa­ten (rote Linie). Die ani­mi­sti­schen Gebie­te (vio­lett) sind zu groß­zü­gig angegeben.

Trotz sei­ner wenig demo­kra­ti­schen Hal­tung, die er immer wie­der erken­nen ließ, sag­te er 2012 in einem Inter­view anläß­lich sei­nes 70. Geburts­ta­ges: „1991 habe ich ver­stan­den, daß das demo­kra­ti­sche Mehr­par­tei­en­sy­stem der Des­po­tie über­le­gen ist“. Die­se Ein­sicht führ­te aber nicht dazu, sich von sei­nem eige­nen Ver­hal­ten zu distan­zie­ren: „Es ist das Volk, das über die Füh­rung ent­schei­den muß. Die Armee muß ein­grei­fen, wenn es abso­lut not­wen­dig ist, wenn das Volk das Land enttäuscht.“

Eben­so­we­nig hat Buha­ri sei­ne Mei­nung über die Geset­ze zur Ein­schrän­kung der Pres­se­frei­heit geän­dert: „Sie haben beschä­men­de Din­ge über Staats­funk­tio­nä­re geschrie­ben. Wenn du Bewei­se hast, daß jemand kor­rupt ist, bring sie zum Rich­ter. Du kannst nicht ein­fach beschä­men­de Din­ge schrei­ben. Die Jour­na­li­sten wur­den auf der Grund­la­ge von Geset­zen ver­haf­tet, die ich geneh­migt hatte.“

Der Ex-Gene­ral hat­te sich immer für die Ein­füh­rung der Scha­ria, des isla­mi­schen Geset­zes, in den mehr­heit­lich isla­mi­schen Staa­ten Nige­ri­as aus­ge­spro­chen. Nige­ria hat nicht nur 36 Bun­des­staa­ten, zahl­rei­che Eth­ni­en und noch mehr Spra­chen, son­dern auch zwei Rechts­sy­ste­me. In den Nord­staa­ten gilt die Scha­ria. Auch in jenen Gebie­ten ein­zel­ner Staa­ten, die mehr­heit­lich von Chri­sten bewohnt werden.

Das Scheitern Goodluck Jonathans

Der Lebens­lauf Buha­ris ist kei­nes­wegs blü­ten­rein. War­um ihn die Nige­ria­ner den­noch an die Spit­ze ihres Staa­tes gewählt haben, nach­dem sie ihn drei­mal abge­lehnt hat­ten, hat mit der schwie­ri­gen Situa­ti­on zu tun, in der sich das afri­ka­ni­sche Land befin­det. Eine Situa­ti­on, für die teils zu recht, teils zu unrecht, der schei­den­de Staats­prä­si­dent Good­luck Jona­than ver­ant­wort­lich gemacht wird. Jona­than gehört dem Volk der Ijaw an, einer klei­nen Eth­nie im Niger­del­ta, die knapp drei Pro­zent der Staats­be­völ­ke­rung stellt.

Seit 2009 zer­rüt­tet die Isla­mi­sten­mi­liz Boko Haram die nord­öst­li­chen Staa­ten Nige­ri­as. Sie haben eine blu­ti­ge Bahn durch das Land gezo­gen mit Tau­sen­den von Toten. Good­luck Jona­than, der 2010 die Prä­si­dent­schafts­wah­len gewann, wird vor­ge­wor­fen, es habe ihm an Fähig­keit und Ent­schlos­sen­heit gefehlt, den Isla­mi­sten wirk­sam ent­ge­gen­zu­tre­ten. Der isla­mi­sche Nor­den warf dem aus dem äußer­sten Süden stam­men­den Chri­sten vor, sich um die Belan­ge der Nord­staa­ten kaum geküm­mert zu haben.

Buhari soll Boko Haram besiegen

Buha­ri hin­ge­gen stammt aus dem Nor­den, ist ein Ful­be und ist selbst Mos­lem. Die Ful­be sind mit 12 Pro­zent das viert­größ­te Volk Nige­ri­as. Wei­ter Ful­be-Min­der­hei­ten gibt es in allen west­afri­ka­ni­schen Nach­bar­staa­ten. In Gui­nea bil­den sie mit 40 Pro­zent die stär­ke Ethnie.

Dem ehe­ma­li­gen Gene­ral­ma­jor haf­tet der Nim­bus des star­ken Man­nes an, einer, der ent­schlos­sen ist, ein­zu­grei­fen, und weiß, wie das geht. Ihm wird zuge­traut, die mit dem Isla­mi­schen Staat (IS) ver­bün­de­ten Boko Haram zu besie­gen und zwar mili­tä­risch. Dafür haben ihm die Nige­ria­ner sogar sei­ne Ver­gan­gen­heit ver­zie­hen. Dazu bei­getra­gen hat Buha­ris Fähig­keit, mit den Mas­sen zu kommunizieren.

Wird Buha­ri den Kampf gegen Boko Haram auf­neh­men? Wird er die Isla­mi­sten besie­gen kön­nen? Wel­che Aus­wir­kun­gen wird die neue Macht­ver­tei­lung für die Chri­sten des Lan­des haben, vor allem in den isla­misch-christ­lich gemisch­ten Staa­ten Mit­tel­ni­ge­ri­as? Wel­che Umver­tei­lung wird Buha­ri aus dem erd­öl­rei­chen Süden in den armen Nor­den vornehmen?

Religiös geteiltes Land

Bleibt zuletzt noch die Fra­ge, ob es nicht sinn­voll wäre, das bri­ti­sche Kolo­ni­al­kon­strukt Nige­ria, ein Bun­des­staat aus 36 Ein­zel­staa­ten, nicht nach reli­giö­sen Kri­te­ri­en zu tei­len, wie dies 2011 zum Schutz der Chri­sten im Sudan gesche­hen ist.

Die Anga­ben über die Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit vari­ie­ren. Als beson­ders zuver­läs­sig gel­ten die Anga­ben des Pew Rese­arch Cen­ter von 2010, laut denen 49,3 Pro­zent der Nige­ria­ner Chri­sten sind, 48,8 Pro­zent Mos­lem und 1,9 Pro­zent ande­ren Reli­gio­nen ange­hö­ren oder reli­gi­ons­los sind. Von den Chri­sten gehö­ren 25 Pro­zent der römisch-katho­li­schen Kir­che an (rund 21 Mil­lio­nen), etwa 30 Pro­zent den histo­ri­schen Kon­fes­sio­nen der Refor­ma­ti­on, haupt­säch­lich den Angli­ka­nern, und mehr als 40 Pro­zent einer Viel­zahl evan­ge­li­ka­ler und pfingst­le­ri­scher Gemeinschaften.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Tempi/​Wikicommons/​PEW

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