Neue Töne: „Zeit für ein Abkommen mit dem Iran, einem verläßlichen Partner beim Kampf gegen IS“


Die Außenminister der USA und des Iran
Die Außen­mi­ni­ster der USA und des Iran

(Washington/​Teheran) „Es ist Zeit, zu einem Abkom­men mit Tehe­ran zu kom­men, einem ver­trau­ens­wür­di­gen Part­ner beim Kampf gegen den Isla­mi­schen Staat“, die­se auf den ersten Blick ver­blüf­fen­de Aus­sa­ge, faßt eine Ana­ly­se der Lage im Nahen Osten zusam­men, die als offi­ziö­se Hal­tung des Hei­li­gen Stuhls bezeich­net wer­den kann.

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Noch im ver­gan­ge­nen Jahr schien sich der Kon­flikt Isra­els gegen den Iran zu einem Krieg aus­zu­wei­ten. Isra­els Mini­ster­prä­si­dent droh­te mit Luft­an­grif­fen gegen die Atom­an­la­gen des Iran. Die USA sekun­dier­ten und die EU droh­te Tehe­ran mit Sank­tio­nen. Doch in der Poli­tik kön­nen sich die Din­ge über Nacht ändern.

Die „Achse des Bösen“ war gestern – Schiiten als unerwartete Verbündete?

Der Vati­kan hielt sich vom israe­lisch-west­li­chen Säbel­ras­seln zwar immer fern. Je nach Gesamt­la­ge dosier­te der Hei­li­ge Stuhl jedoch sei­ne Äuße­run­gen, die nicht der Sprach­re­ge­lung der Ach­se Washing­ton-Tel Aviv ent­spra­chen. Der­zeit fal­len sie deut­li­cher aus, weil sich das Ver­hält­nis zwi­schen Washing­ton und Tehe­ran in jüng­ster Zeit rapi­de ver­bes­sert hat. Obwohl der Iran heu­te zum Atom­pro­gramm kei­ne ande­re Posi­ti­on ver­tritt, als vor einem oder drei Jah­ren, ist in Washing­ton nichts mehr von einer Ach­se des Bösen zu hören, dem der Iran noch als Haupt­schur­ke bis gestern zuge­rech­net wurde.

Grund dafür ist ein von Washing­ton gesuch­tes Bünd­nis mit den Schii­ten, um den sun­ni­ti­schen Ter­ro­ris­mus ein­zu­däm­men, des­sen Speer­spit­ze der Isla­mi­sche Staat (IS) ist, der in zahl­rei­chen Staa­ten unter ganz ver­schie­de­nen Namen aktiv ist. Die Schii­ten, der erklär­te inner­is­la­mi­sche Tod­feind der sun­ni­ti­schen Dschi­ha­di­sten, bil­den nicht nur im Iran, son­dern auch im Irak, in Bah­rein und Aser­bei­dschan die Bevöl­ke­rungs­mehr­heit. Sie haben die Mehr­heit unter den Mos­lems des Liba­non und star­ke Min­der­hei­ten im Jemen und in Kuwait, bil­den die herr­schen­de Min­der­heit in Syri­en. Nen­nens­wer­te Min­der­hei­ten gibt es zudem in Sau­di-Ara­bi­en, Indi­en, Paki­stan, der Tür­kei, Afgha­ni­stan, den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten, Katar, Oman und Tansania.

Die Analyse von Pater Bernardo Cervellera

In einem Leit­ar­ti­kel for­der­te Pater Ber­nar­do Cer­vel­lera (PIME), der Chef­re­dak­teur des Nach­rich­ten­dien­stes Asia­news die Unter­zeich­nung eines Abkom­mens zwi­schen den USA und dem Iran. Asia­news ist ein Dienst des Päpst­li­chen Insti­tuts für die Aus­lands­mis­sio­nen (PIME) und unter­steht der Kon­gre­ga­ti­on für die Evan­ge­li­sie­rung der Völ­ker des Hei­li­gen Stuhls. Pater Cer­vel­lera gehört zu den besten katho­li­schen Ken­nern Asi­ens und auch des Nahen Ostens.

Die­se Woche sei „ent­schei­dend“, um zu einem „Abkom­men über das ira­ni­sche Atom­pro­gramm“ zu gelan­gen, so der Chef­re­dak­teur von Asia­news. Die fünf UNO-Veto­mäch­te USA, Ruß­land, Groß­bri­tan­ni­en, Frank­reich und die Volks­re­pu­blik Chi­na plus Deutsch­land ver­han­deln mit den ira­ni­schen Ver­tre­tern mor­gen im Schwei­zer Lau­sanne, um bis zum 31. März zu einer Eini­gung zu kom­men. Dabei geht es um eine Über­ein­kunft, die die inter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft „beru­higt, über die fried­li­che Nut­zung des ira­ni­schen Atom­pro­gramms und die Auf­he­bung der Wirt­schafts- und Finanz­sank­tio­nen, denen der Iran seit mehr als 30 Jah­ren unter­wor­fen ist“.

Ab 26. März wer­den US-Außen­mi­ni­ster John Ker­ry und Irans Außen­mi­ni­ster Moha­med Javad Zarif in Lau­sanne anwe­send sein. Bei­de äußer­ten sich vor­sich­tig opti­mi­stisch zum mög­li­chen Zustan­de­kom­men eines Abkom­men, das bis zum 30. Juni end­gül­ti­ge Form anneh­men könnte.

Die Gegner eines Abkommens – Senator McCain, Israel und Saudi-Arabien

Pater Cer­vel­lera beklagt jedoch, daß es „Kräf­te gibt, die dage­gen rudern. Dazu gehört in erster Linie eine repu­bli­ka­ni­sche Fron­de, die von Sena­tor John McCain ange­führt wird, die geschwo­ren hat ‚alles in unse­rer Macht ste­hen­de zu tun‘, um das Abkom­men zu ver­hin­dern oder es dem Senat zur Abstim­mung vor­zu­le­gen. Dort haben die Repu­bli­ka­ner die Mehr­heit.“ Sena­tor McCain ste­he dabei für jene US-Krei­se, die einem ande­ren Geg­ner des Abkom­mens nahe­stün­den, nämlich:

„Ein ande­rer gro­ßer Feind des Abkom­mens ist Isra­el und sein Pre­mier­mi­ni­ster Ben­ja­min Net­an­y­a­hu, der sogar mit einem Luft­an­griff auf die Atom­an­la­gen Tehe­rans gedroht hat. Isra­el wird sogar beschul­digt, die Ver­hand­lun­gen aus­spio­niert zu haben, um Mög­lich­kei­ten aus­zu­kund­schaf­ten, um das Abkom­men zu blockie­ren oder zu schwä­chen. Die gesam­te Par­la­ments­wahl­kam­pa­gne Netan­ja­hus war auf die ‚ira­ni­sche Bedro­hung‘ und dem „nuklea­ren Alb­traum‘ auf­ge­baut und damit erfolg­reich, ohne dabei die näher­lie­gen­den The­men wie die Wirt­schaft zu behan­deln. Vor allem aber wur­de die Fra­ge nach dem Frie­den zwi­schen Isra­el und Palä­sti­na von ihm aus­ge­klam­mert“, so Pater Cervellera.

Einen drit­ten „Geg­ner“ des Abkom­mens macht der Chef­re­dak­teur in Sau­di-Ara­bi­en aus. Der Chef der sau­di­schen Diplo­ma­tie, Prinz Saud ibn Faisal erklär­te gestern, daß man dem Iran kein Abkom­men geben sol­le, „das es nicht ver­dient“. Der Prinz, seit 1975 Außen­mi­ni­ster des sau­di­schen König­reichs, begrün­de­te sei­ne For­de­rung damit, daß der Iran eine „aggres­si­ve Poli­tik in der Regi­on ver­brei­te, stän­dig sich in die Ange­le­gen­hei­ten der ara­bi­schen Staa­ten ein­mi­sche und ver­su­che, kon­fes­sio­nel­le Kon­flik­te zu schüren“.

Gegnerschaft hat nicht mit Atomprogramm des Iran zu tun

Spä­te­stens bei die­ser Begrün­dung, so Pater Cer­vel­lera, gewinnt man den Ein­druck, daß die „Geg­ner des Abkom­mens zusätz­li­che Grün­de haben, die über das Abkom­men hin­aus­ge­hen. Die Schwie­rig­kei­ten, die sie einer Eini­gung machen, sind nicht bloß auf das Atom­pro­gramm des Iran beschränkt.“

Was die tat­säch­li­che Bedro­hung durch den Iran anbe­langt, „haben die Mit­glie­der der UN-Atom­kon­troll­be­hör­de AIEA immer betont, daß sie bei ihren zahl­rei­chen Kon­troll­be­su­chen in den Anla­gen, die im Ver­dacht der Uran­an­rei­che­rung für mili­tä­ri­sche Zwecke ste­hen, nie gefähr­li­che Ele­men­te gefun­den haben. Netan­ja­hu selbst, der vor drei Jah­ren vor der UNO erklär­te, der Iran wer­de inner­halb weni­ger Mona­te eine Atom­bom­be besit­zen, wur­de durch den eige­nen israe­li­schen Geheim­dienst wider­legt.“ Im April 2014 erklär­te der Apo­sto­li­sche Nun­ti­us Leo Boc­car­do, der vie­le Jah­re vati­ka­ni­scher Beob­ach­ter bei der AIEA in Wien war, gegen­über Asia­news, daß „in der gesam­ten Doku­men­ta­ti­on der AIEA, bei den Hun­der­ten von ihr durch­ge­führ­ten Inspek­tio­nen, nie auch nur der gering­ste Beweis gefun­den wur­de, daß der Iran an einer Atom­bom­be arbei­ten würde.“

Wahr sei, daß der Iran vor allem wäh­rend der Prä­si­dent­schaft von Mah­mud Ahma­di­ne­jad, auch aus fal­schem Stolz, „nichts dafür getan hat, den Ver­dacht der Welt zu ent­kräf­ten, son­dern ein Recht ein­zu­for­dern, daß dem Iran eben­so eine Atom­bom­be zuste­he, wie Isra­el (das ein­zi­ge Land des Nahen Ostens, das über die Atom­bom­be ver­fügt). Dafür brem­ste er die Arbeit der AIEA, sprach Dro­hun­gen gegen Isra­el aus und leug­ne­te den Holo­caust. Inzwi­schen ist jedoch Hassan Rouha­ni Staats­prä­si­dent des Iran und die­ser scheint bestrebt, wie­der in die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft auf­ge­nom­men zu wer­den. Ent­spre­chen­de Signa­le der Ent­span­nung sen­de­te er in alle Rich­tun­gen aus, an Isra­el, die USA und sogar an Saudi-Arabien.“

Irans Vermittlerrolle im Nahen Osten und der aktive Kampf gegen den Islamischen Staat (IS)

Der Iran habe auf eige­ne Initia­ti­ve sogar „eine Ver­mitt­ler­tä­tig­keit im Nahen Osten auf­ge­nom­men. Ihr ist es zu ver­dan­ken, daß der Ala­wit Bas­har Assad, Prä­si­dent Syri­ens die Kon­ven­ti­on über che­mi­sche Waf­fen unter­zeich­net und sein ent­spre­chen­des Waf­fen­ar­se­nal abge­baut hat. Der Iran redu­zier­te die Macht der schii­ti­schen Mili­zen im Iran und wirk­te an der Bil­dung einer neu­en, sta­bi­le­ren Regie­rung in Bag­dad mit, in der auch die Sun­ni­ten ver­tre­ten sind.

„Vor allem ist der Iran bereits aktiv in die Bekämp­fung des Isla­mi­schen Staa­tes (IS) im Irak und in Syri­en ein­ge­tre­ten. Genau das ist der Punkt, wo der Iran plötz­lich zum will­kom­me­nen Ver­bün­de­ten des Westens wird, jeden­falls deut­lich mehr als Sau­di-Ara­bi­en.“ Ein Westen, der wenig Bereit­schaft zei­ge, selbst mili­tä­risch im Nahen Osten aktiv zu wer­den, „wäh­rend Sau­di-Ara­bi­en an einer zutiefst zwei­deu­ti­gen Posi­ti­on gegen­über dem Isla­mi­schen Staat festhält“.

„Und wenn wir die Din­ge auch unter dem Gesichts­punkt der Reli­gi­ons­frei­heit für die Chri­sten betrach­ten müß­ten, dann wür­de Tehe­ran den Ver­gleich alle­mal gewin­nen. In Sau­di-Ara­bi­en ist der Bau von Kir­chen ver­bo­ten. Um genau­er zu sein, gibt es kei­ne ein­zi­ge. Das tra­gen jeg­li­cher christ­li­cher Sym­bo­le ist ver­bo­ten. Es ist sogar ver­bo­ten, hei­li­ge Dar­stel­lun­gen und Sym­bo­le zu Hau­se zu haben. Im Iran haben die Kir­chen kei­ne Frei­heit zu mis­sio­nie­ren, aber sie dür­fen exi­stie­ren, es gibt Kir­chen, die Chri­sten dür­fen sich ver­sam­meln und beten und leben in Sicher­heit“, so der Chef­re­dak­teur von Asia­news in sei­ner Ana­ly­se, in der er auf eine Eini­gung zwi­schen dem Westen und dem Iran drängt.

Text: Asianews/​Andreas Becker
Bild: Asianews

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