Das Ausmaß von flächendeckender Zerstörung von Kirchen und Kultur während der Französischen Revolution wurde von der britischen Bomberflotte im 2. Weltkrieg noch übertroffen.
Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker.
Die Bischofsstadt Hildesheim – 40 km südlich von Hannover – hatte im Krieg das Unglück, eine wunderschöne historische Altstadt zu haben und einen hässlichen modernen Bahnhof mit angrenzenden Industriebetrieben.
Der Bahnhof wurde am 22. Februar 1945 von amerikanischen Bombern zerstört, dazu einige Industrieanlagen. Einen Monat später, am 22. März exekutierte eine britische Bomberflotte von 250 Maschinen mit 1.100 Tonnen Spreng- und Brandbomben in 15 Minuten die 1000jährige Kulturstadt.
Die Stadt der Rosen und der Kirchen wurde abgefackelt
Hildesheim nannte man vor dem Krieg das ‚Nürnberg des Nordens’ und ‚die Stadt der Rosen und der Kirchen’. Am Ende des Krieges war der historische Stadtkern zertrümmert und die Kirchen zerschmettert:
Der Dom des hl. Bernward brannte lichterloh, St. Michael war verwüstet, St. Andreas aufgerissen, St. Godehard lag danieder und St. Magdalena brannte aus.
Der Feuersturm hatte 85 Prozent der historischen Altstadt zerstört, darunter das Gildehaus der Fleischer, das Knochenhauerhaus und andere Fachwerk-Patrizierhäuser am „schönsten Marktplatz der Welt“.
Die Bomberbesatzung sah beim Abflug eine einzige Feuersäule, in der 1.600 Menschen, 6934 Häuser und 20.781 Wohnungen verglühten: ein Krematorium der Kulturstadt.
Die gnadenlose Hinrichtung von Zivilisten sowie die Vernichtung von Kirchen und Kultur war nicht von Anfang an die britische Kriegs-Strategie. Mit den ersten Luftangriffen seit dem 11. Mai 1940 waren die britischen Bomberflotten strikt dazu angehalten, nur eindeutig identifizierbare Objekte zu bombardieren – wie Verkehrswege, Industriebetriebe und Treibstofftanks.
Bis zum Herbst 1941 flogen die britischen Bomber zahlreiche Tageinsätze gegen deutsche Industrie- und Hafenstädte wie Duisburg, Hamburg oder Berlin. Aber die Attacken gegen Industrieanlagen und Infrastruktur blieben wegen Zielungenauigkeit vielfach wirkungslos. Außerdem war die eigene Verlustrate bei Tagangriffen relativ hoch.
Im Winter 1941/42 vollzog die britische Kriegsführung einen Strategiewechsel von den zielorientierten Tageinsätzen zu Nachtangriffen mit Flächenbombardements. Dabei hätte man bei sorgfältiger Planung auch große Industrieareale wie etwa die Essener Krupp-Werke – und damit die deutsche Kriegsrüstung treffen können. Doch man setzte bei den nächtlichen Attacken vorwiegend auf Stadtareale und Wohnbezirke, um damit die Zivilbevölkerung zu treffen.
Seit dem 14. Februar 1942 hatte der verantwortliche Luftkriegs-Marschall Artur Harris von Seiten der britischen Kriegsregierung freie Hand, „die Operationen der Luftstreitkräfte fortan in erster Linie gegen die Moral der feindlichen Zivilbevölkerung zu richten.“
Die geplante Auslöschung Kölns
Für den Sommer 1942 plante Harris, mit einer 1000-Bomber-Offensive die Wirksamkeit seiner Bombenflotte zu beweisen, indem er die Großstadt Köln zerstören wollte.
240 Hektar Stadtfläche wurde „dem Erdboden gleichgemacht“, triumphierte die britische Presse. 45.000 Menschen verloren ihr Obdach. Churchill protzte bei einem Besuch in Moskau: „Wenn es sein muss, hoffen wir, fast jedes deutsche Haus in jeder deutschen Stadt zerstören zu können.“
Nur die Zahl von 469 Todesopfern war für Harris viel zu gering. Die deutschen Luftschutzkeller und Bunker hatten sich als solide und sicher erwiesen. Statistisch gesehen kam auf die Bomben von zwei britischen Fliegern nur ein getöteter deutscher Zivilist.
Die Moral der Kölner war auch nicht gebrochen. Dafür überschlug sich die moralische Begeisterung in der englischen Presse.
Die Tötungseffizienz der Bomber steigern
In der Folge arbeitete des britische „bomber command“ daran, die Tötungseffizienz seiner Bomberflotte zu verbessern. Harris brütete die Feuersturmtechnik aus. Sie war schon in den alten Hansestädten Lübeck und Rostock ausprobiert worden. Doch erst mit dem Unternehmen Gomorrha in Hamburg sollte sie einen ersten infernalischen Höhepunkt erreichen.
Bei dieser höllischen Schlachtmethode wurde durch eine Kombination von Spreng- und Brandbomben die Stadt in einen riesigen Feuerofen verwandelt. Bei dem Brandkrieg gegen die Hamburger Bevölkerung am 27. Juli 1943 konnte Harris über 35.000 menschliche Brandopfer verbuchen.
Eine weitere Verbesserung der Tötungseffizienz bestand in der Fächertechnik beim Überflug des Bombenzielgebietes. Die Fächerform der Bomberrouten garantierte, dass eine Stadtfläche wirklich an jedem Punkt getroffen, verbrannt und zerstört wurde. In den letzten Kriegsmonaten hatten die Briten beide Methoden perfektioniert, so dass die Zertrümmerung insbesondere der alten Mittelstädte in Deutschland total war.
Die tödliche Ernte der britischen Bomber war monströs:
„¢ 16.000 Tote im Januar 1945 in Magdeburg
„¢ 25.000 tote Zivilisten in Dresden am 13./14. Februar
„¢ 20.000 Verbrannte in Pforzheim eine Woche später
„¢ 23.000 Leichen in der vorpommerschen Kleinstadt Swinemünde am 12. März
„¢ 8.000 Tote Anfang April in Nordhausen am Harz
„¢ Mit 5000 Brandopfern in Potsdam endete am 14. April das Bombenmassaker der Briten
Als Churchill am 27. Juni 1943 ein Film über die maßlose Zerstörung einer deutschen Großstadt gezeigt wurde, war er so erschrocken über das, was er selbst angeordnet hatte und meinte: „Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit?“
Die britischen Bomber zerstörten auch kulturelles Erbe in Deutschlands
Als unmittelbares Ziel wurde der britischen Bomberflotte vorgegeben, Boches, also deutsche Zivilisten unterschiedslos zu töten und zu verbrennen, wie sich der verantwortliche Luftmarshall Artur Harris einmal ausdrückte. Dafür bekam er den Schimpfnamen „Butcher Harris“. Dieses Ziel der Massentötung von Deutschen konnte aber nur erreicht werden, indem man die deutschen Wohnstädte in Schutt und Asche legte.
Bei der Strategie des Ausradierens löschte man zugleich ganze Kulturstädte aus. In Hildesheim – und ähnlich in den anderen zerbombten Städten – wurden neben den Kirchen auch Schulen, Bibliotheken und Archive vernichtet, ein Theater, Museen und Denkmäler, Kapellen und Konvikte, Ateliers, Kunstgalerien und Buchhandlungen, das ganze Spektrum des kulturellen Lebens im Strom einer 1000jährigen Geschichte.
„Rückblickend deutet alles darauf hin, dass der Luftkrieg gegen Deutschland das Ziel verfolgte, möglichst viel von dem Land, seinen Menschen und seinem kulturellen Erbe zu zerstören“, schreibt der britische Professor Anthony C. Grayling.
Wenn der mögliche Verlust des Archivs der Stadt Köln als „kulturelle Katastrophe“ bezeichnet wird, dann bedeutete der Bombenkrieg gegen die Städte Deutschlands eine nationale Kulturkatastrophe, ein Kulturozid.
Die größte Bücherverbrennung aller Zeiten
Schon im September 1942 verlor die Landesbibliothek Karlsruhe 350.000 Bände, im Staatsarchiv Hannover verbrannten die Kernbestände, darunter eine Papsturkunde von 1026 für das Hochstift Hildesheim.
Der Würzburgangriff im März 1945 löschte die im Schloss aufgewahrten Akten des Kurfürstentums Mainz und des Fürstbistums Würzburg aus.
Etwa die Hälfte der deutschen Archivalien war ausgelagert, die andere Hälfte wurde zu vier Fünftel durch den Brandkrieg vernichtet.
Der Feuersturm in Hamburg vernichtete auch 625.000 Bücher der Staats- und Universitätsbibliothek, die Bayrische Staatsbibliothek verlor eine halbe Million Bücher, mehr als zwei Drittel der Bestände verbrannten in den Universitätsbibliotheken von Münster und Gießen. Die alliierten Bomber fachten die größte Bücherverbrennung aller Zeiten an.
Gezielte Kulturzerstörung
War die Zerstörung des kulturellen Erbes an Kunstschätzen, Kulturdenkmälern und historischen Schriften der Deutschen nur ein unbeabsichtigter Kollateralschaden, fragte die britische Autorin Vera Brittain schon 1944.
Es spricht einiges dafür, dass die britische Kriegsführung neben der Durchhalte-Moral auch die Kultur der Deutschen brechen wollte, um sie nach dem Krieg mit der anglo-amerikanischen Zivilisation zu überwältigen.
Schon im April 1942 schrieb die englische Zeitung News Chronicle:
„Der Verlust ihrer Kulturdenkmäler ist nichts im Vergleich zu dem Beitrag zu unserem gemeinsamen Erbe, den die Bekehrung der Deutschen zu gesittetem Verhalten und rechtschaffenen Weltbürgern bedeuten wird.“
Der britische Premierminister Winston Churchill hatte im September 1944 seine Unterschrift unter den berüchtigten Morgenthau-Plan gegeben, nach dem Deutschland zu einem Agrarstaat ohne Industrie und Städte dekultiviert werden sollte.
Einen tiefen, lodernden Hass auf die Deutschen
Henry Morgenthau, von 1934 bis 1945 Finanzminister vom amerikanischen Präsident Roosevelts, begründete seine Pläne damit, dass die Deutschen seines Erachtens von Natur aus „militaristisch“ wären. Churchill ließ nur deshalb später von dem Plan ab, weil England dann wirtschaftlich „an einen Leichnam gekettet“ wäre.
Ein ganzer Chor von antideutschen bis hin zu rassistischen Stimmen untermalte den alliierten Krieg aus der Luft gegen Deutsche und die Kultur der Deutschen. Der amerikanische Professor Bernadotte Schmitt (+ 1969) forderte, die immer wieder kriegerische deutsche Bevölkerung von 80 Millionen auf 30 Millionen zu reduzieren. Zahlreiche Schriftsteller in den USA gaben sich dafür her, mit ihren Schriften einen „tiefen, lodernden Hass auf die Deutschen“ zu erzeugen.
Lord Robert Vansittart, im Krieg Staatssekretär im britischen Außenministerium, war mit seinen antideutschen Hasstiraden ein einflussreicher Politiker. Seiner Ansicht nach waren die Deutschen „unvorstellbar grausam und ein Volk, dass zu Lug und Trug geboren ist.“
Propagandisten der deutschen Kollektivschuld
Vansittart propagierte am Ende des Krieges die „Kollektivschuld der Deutschen“. Diese These wurde im April 1945 auch in die ‚Direktive für die amerikanische Militärregierung’ übernommen. Dort heißt es:
„Es muss den Deutschen klargemacht werden, dass Deutschlands rücksichtslose Kriegsführung (…) Chaos und Leiden unvermeidlich gemacht haben und dass sie – die Deutschen – nicht der Verantwortung für das entgehen können, was sie selbst auf sich geladen haben.“
Aus diesem kryptischen Schachtelsatz konnten die Überlebenden der zerbombten Städte herauslesen, dass ihr Leiden im Trümmer-Chaos unvermeidlich gewesen wäre, weil sie – die Frauen, Kinder und alte Leute – für Deutschlands rücksichtslose Kriegsführung mitverantwortlich gewesen wären.
Mitleidlose Kriegsführung der Städtebombardierung
Im Kommuniqué des Potsdamer Konferenz der Siegermächte vom 2. August 1945 heißt es ähnlich: „Das Deutsche Volk muss überzeugt werden, (…) dass seine eigne mitleidlose Kriegsführung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Elend unvermeidlich gemacht haben.“
Aus dieser Passage ist zu entnehmen, dass „das Deutsche Volk“ zum Subjekt der Kriegsführung und Kriegsverbrechen gemacht wurde, erst danach wird der „fanatische Widerstand der Nazis“ genannt. Auch die 600.000 zivilen deutschen Bombenopfer als Teil des „Deutschen Volkes“ wären damit irgendwie mitverantwortlich für die „mitleidlose Kriegsführung“ – eine Anklage, die eher auf die alliierten Städtebombardierung zutraf.
Quellen: Jörg Friedrich: Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945, München 2002; A.C. Grayling: Die toten Städte. Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen? deutsch 2007; Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Buchners Kolleg Weltgeschichte, Bamberg 1995
Text: Hubert Hecker
Bild: Hildesheimer Allgemeine Zeitung, Theo Wetterau (Screenshot)/Wikicommons