Der Widerstand des Heiligen Bruno von Segni gegen Papst Paschalis II.


Gregor VII. (1073-1085)
Gregor VII. (1073-1085)

von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Unter den füh­ren­den Ver­tre­tern der kirch­li­chen Erneue­rung des 11./12. Jahr­hun­derts ragt die Gestalt des Hei­li­gen Bru­no, Bischof von Seg­ni und Abt von Mon­te­cas­si­no hervor.

Bru­no wur­de um 1045 in Sole­ro bei Asti in Pie­mont gebo­ren. Nach sei­nem Stu­di­um in Bolo­gna wur­de er zum Prie­ster geweiht und in den Kle­rus von Asti inkar­di­niert. Begei­stert schloß er sich den Gre­go­ria­ni­schen Refor­men an, wünsch­te aber ein Mönchs­le­ben in Mon­te­cas­si­no zu füh­ren. Papst Gre­gor VII. (1073–1085) aus dem lan­go­bar­di­schen Geschlecht der Ald­obran­de­schi, ernann­te ihn jedoch wegen sei­ner stand­haf­ten und vor­treff­li­chen Ver­tei­di­gung des Glau­bens gegen Häre­ti­ker zum Bischof von Seg­ni und zähl­te ihn zu sei­nen treue­sten Mit­ar­bei­tern. Auch sei­ne Nach­fol­ger Vik­tor III. (1086–1087) und Urban II. (1088–1099) nah­men die Hil­fe des Bischofs von Seg­ni in Anspruch, der sein Wir­ken als Gelehr­ter mit einem uner­schrocke­nen Apo­sto­lat für den römi­schen Pri­mat verband.

Bruno war eine der bedeutendsten kirchlichen Persönlichkeiten seiner Zeit

Bru­no nahm an den Kon­zi­len von Pia­cen­za und Cler­mont teil, auf denen Urban II. den Ersten Kreuz­zug aus­rief. In den fol­gen­den Jah­ren war er Legat des Hei­li­gen Stuhls in Frank­reich und in Sizi­li­en. 1107 wur­de er unter dem neu­en Papst Pascha­lis II. (1099–1118) Abt von Mon­te­cas­si­no. Eine Auf­ga­be, die ihn zu einer der bedeu­tend­sten kirch­li­chen Per­sön­lich­kei­ten sei­ner Zeit mach­te. Der gro­ße Theo­lo­ge und Exeget, der für sei­ne her­aus­ra­gen­de Kennt­nis der Leh­re strahl­te, wie Kar­di­nal Cesa­re Baro­nio in sei­nen Anna­les schreibt (Tomus XI, annus 1079), galt im Mit­tel­al­ter als einer der besten Kom­men­ta­to­ren der Hei­li­gen Schrift (Regi­nald Gré­go­i­re: Bru­no de Seg­ni, exégà¨te médié­val et théo­lo­gien monastique, Spo­le­to 1965).

Wir sind in einer Zeit poli­ti­scher Kon­flik­te und einer gro­ßen geist­li­chen und mora­li­schen Kri­se. In sei­nem Werk De Simo­nia­cis bie­tet uns Bru­no ein dra­ma­ti­sches Bild von der ent­stell­ten Kir­che sei­ner Zeit. Schon seit der Zeit des hei­li­gen Pap­stes Leo IX. (1049–1054) „Mun­dus totus in mali­g­no posi­tus erat: es gab kei­ne Hei­lig­keit mehr; die Gerech­tig­keit war abge­kom­men und die Wahr­heit begra­ben wor­den. Es regier­te die Unge­rech­tig­keit, es herrsch­te der Geiz; Simon Magus hat­te die Kir­che im Besitz, die Bischö­fe und die Prie­ster gaben sich der Wol­lust und der Unzucht hin. Die Prie­ster schäm­ten sich nicht, sich eine Frau zu neh­men, offen die Hoch­zeit zu fei­ern und ruch­lo­se Ehen ein­zu­ge­hen. (…) Sol­cher­art war die Kir­che, sol­cher­art waren die Bischö­fe und die Prie­ster, sol­cher­art waren auch eini­ge der römi­schen Päp­ste“ (S. Leo­nis papae Vita in Pat­ro­lo­gia Lati­na, Bd. 165, col. 110).

Kampf gegen Simonie, Konkubinat der Priester und der Investiturstreit

Heiliger Bruno von Segni
Hei­li­ger Bru­no von Segni

Im Mit­tel­punkt der Kri­se stand neben dem Pro­blem der Simo­nie und des Kon­ku­bi­nats der Prie­ster die Fra­ge der Inve­sti­tur der Bischö­fe. Der Dic­ta­tus Papae, mit dem der hei­li­ge Papst Gre­gor VII. 1075 die Rech­te der Kir­che gegen die kai­ser­li­chen For­de­run­gen bekräf­tigt hat­te, stell­te die Magna Char­ta dar, auf die sich Vik­tor III. und Urban II. berie­fen. Pascha­lis II. aber gab die ent­schlos­se­ne Hal­tung sei­ner Vor­gän­ger auf und such­te mit allen Mit­teln eine Über­ein­kunft mit dem künf­ti­gen Kai­ser Hein­rich V. Anfang Febru­ar 1111 ersuch­te er den deut­schen Kai­ser in Sutri, auf das Inve­sti­tur­recht zu ver­zich­ten und bot ihm dafür den Ver­zicht der Kir­che auf alle Rega­li­en an, die zum Teil schon aus der Karo­lin­ger­zeit her­rühr­ten. Die Ver­hand­lun­gen waren erfolg­reich. Zum Zei­chen der Unter­wer­fung des Soh­nes unter den geist­li­chen Vater, knie­te Hein­rich vor dem Peters­dom nie­der und küß­te dem Papst vor aller Augen die Füße. Doch wäh­rend der fol­gen­den Kai­ser­krö­nung kam es zum Auf­ruhr, als die Bischö­fe von der Eini­gung erfuh­ren. Die Krö­nungs­ze­re­mo­nie muß­te abge­bro­chen werden.

Der gede­mü­tig­te Hein­rich for­der­te dar­auf Krö­nung und Inve­sti­tur­recht. Als Pascha­lis II. dies ver­wei­ger­te, nahm er ihn gefan­gen. Der Papst akzep­tier­te in der Gefan­gen­schaft einen demü­ti­gen­den Kom­pro­miß, der am 12. April 1111 in Pon­te Mammo­lo unter­zeich­net wur­de. Er gewähr­te Hein­rich V. das Pri­vi­leg der Inve­sti­tur der Bischö­fe mit Ring und Stab, die sowohl die welt­li­che als auch die geist­li­che Macht sym­bo­li­sier­ten und muß­te dem Sali­er die Kai­ser­krö­nung und unter Eid ver­spre­chen, ihn nie zu exkom­mu­ni­zie­ren. Letz­te­res hing mit der Exkom­mu­ni­ka­ti­on von Hein­richs Vater Kai­ser Hein­rich IV. zusam­men, der 1106 in der Exkom­mu­ni­ka­ti­on gestor­ben war. Teil des Kom­pro­mis­ses von Pon­te Mommo­lo war das See­len­heil des Vaters durch die Lösung des Banns und ihn dadurch neben sei­nen Vor­fah­ren kirch­lich begra­ben zu kön­nen. Am 13. April krön­te Pascha­lis II. im Peters­dom Hein­rich V. zum Kaiser.

Pravilegium nicht Privilegium

Gregor VII. (1073-1085)
Gre­gor VII. (1073–1085)

Die­se Zuge­ständ­nis­se und vor allem die Gefan­gen­set­zung des Pap­stes lösten eine Viel­zahl von Pro­te­sten in der gan­zen Chri­sten­heit aus, weil sie die Posi­ti­on Gre­gors VII. umstürz­te. Der Abt von Mon­te­cas­si­no pro­te­stier­te, laut dem Chro­ni­con Cas­si­nen­se (Pat­ro­lo­gia Lati­na, Bd. 173, vol. 868 C‑D), mit Vehe­menz gegen das, was er nicht ein Pri­vi­le­gi­um, son­dern ein Pra­vi­le­gi­um nann­te, und initi­ier­te eine Bewe­gung des Wider­stan­des gegen die päpst­li­che Nach­gie­big­keit. In einem Brief an Bischof Petrus von Por­to bezeich­ne­te er das Abkom­men von Pon­te Mammo­lo als „Häre­sie“ und berief sich auf die Abgren­zun­gen vie­ler Kon­zi­le: „Wer die Häre­sie ver­tei­digt, ist ein Häre­ti­ker. Nie­mand kann behaup­ten, daß das kei­ne Häre­sie sei“ (Epi­sto­la Audi­v­i­mus quod in Pat­ro­lo­gia Lati­na, Bd. 165, col. 1139 B). Direkt an den Papst schrieb Bru­no: „Mei­ne Fein­de sagen Dir, daß ich Dich nicht lie­be und daß ich schlecht über Dich rede, aber sie lügen. Ich, näm­lich, lie­be Dich, so wie ich einen Vater und einen Herrn zu lie­ben habe. Dir, und ich will kei­nen ande­ren Papst haben, habe ich zusam­men mit vie­len ande­ren Gehor­sam ver­spro­chen. Ich höre jedoch auf unse­ren Erlö­ser, der mir sagt: ‚Wer den Vater oder die Mut­ter mehr liebt als mich, ist mei­ner nicht wür­dig‘. (…) Ich muß daher Dich lie­ben, aber noch mehr muß ich den lie­ben, der Dich und mich geschaf­fen hat“ (Mt 10,37). Mit der­sel­ben respekt­vol­len Auf­rich­tig­keit for­der­te Bru­no den Papst auf, die Häre­sie zu ver­ur­tei­len, weil „jeder, der die Häre­sie ver­tei­digt, ein Häre­ti­ker ist“ (Epi­sto­la Ini­mici mei in Pat­ro­lo­gia Lati­na, Bd. 163, col. 463 A‑D).

Paschalis II. setzt Bruno ab, revidiert aber seinen Irrtum

Pascha­lis II. war empört und dul­de­te sol­che Stim­men des Wider­spruchs nicht. Er setz­te Bru­no als Abt von Mon­te­cas­si­no ab. Das Vor­bild Bru­nos führ­te jedoch dazu, daß auch vie­le ande­re Prä­la­ten mit Nach­druck vom Papst die Zurück­nah­me des Pra­vi­le­gi­ums for­der­ten. Eini­ge Jah­re spä­ter wider­rief Pascha­lis II. auf einem Kon­zil, das sich 1116 im Late­ran ver­sam­mel­te, sei­ne Zustim­mung zum Abkom­men von Pon­te Mammo­lo. Die Late­ra­nen­fi­sche Syn­ode ver­ur­teil­te das pau­pe­ri­sti­sche Ver­ständ­nis der Kir­che, wie es im Abkom­men von Sutri kon­zi­piert wor­den war. Das 1122 zwi­schen Kai­ser Hein­rich V. und Papst Calixt II. (1119–1124) geschlos­se­ne Kon­kor­dat von Worms been­de­te, zumin­dest vor­läu­fig, den Inve­sti­tur­streit. Bru­no starb am 18. Juli 1123. Sein Leich­nam wur­de in der Kathe­dra­le von Seg­ni begra­ben. Auf sei­ne Für­spra­che hin ereig­ne­ten sich sofort zahl­rei­che Wun­der. 1181 oder wahr­schein­li­cher 1183 erkann­te ihn Papst Luci­us III. als Hei­li­gen an.

Widerstand gegen doktrinelle Irrtümer des Papstes zulässig und geboten

Papst Paschalis II. (1099-1118)
Papst Pascha­lis II. (1099–1118)

Jemand könn­te ein­wen­den, daß Pascha­lis II. (wie spä­ter auch Johan­nes XXII. zur Fra­ge der selig­ma­chen­den Schau) nie in eine for­ma­le Häre­sie fiel. Das ist aber nicht der Kern des Pro­blems. Im Mit­tel­al­ter wur­de der Begriff Häre­sie im wei­ten Sinn gebraucht, wäh­rend sich beson­ders nach dem Kon­zil von Tri­ent die theo­lo­gi­sche Spra­che ver­fei­ner­te und genaue theo­lo­gi­sche Unter­schei­dun­gen vor­nahm zwi­schen Pro­po­si­tio­nes (Sät­zen), die häre­tisch, der Häre­sie nahe, den Geschmack einer Häre­sie habend, irrig, anstö­ßig, läster­lich, usw. sind. Es geht nicht dar­um, die Natur der theo­lo­gi­schen Bewer­tung zu bestim­men, die auf die Irr­tü­mer von Pascha­lis II. und Johan­nes XXII. anzu­wen­den sind, son­dern fest­zu­stel­len, ob es zuläs­sig war, ihnen Wider­stand zu lei­sten. Die­se Irr­tü­mer wur­den mit Sicher­heit nicht ex cathe­dra ver­kün­det, aber die Theo­lo­gie und die Geschich­te leh­ren uns: Wenn eine Erklä­rung des Pap­stes auf dok­tri­nel­ler Ebe­ne tadelns­wer­te Ele­men­te ent­hal­ten, ist es zuläs­sig und kann es sogar gebo­ten sein, sie zu kri­ti­sie­ren, auch wenn es sich nicht um eine for­ma­le Häre­sie han­delt, die fei­er­lich aus­ge­spro­chen wur­de. Das taten der Hei­li­ge Bru­no von Seg­ni gegen Pascha­lis II. und die Domi­ni­ka­ner des 14. Jahr­hun­derts gegen Johan­nes XXII. Nicht sie irr­ten sich, son­dern die Päp­ste jener Zeit, die dann ja auch jeweils vor ihrem Tod ihre Posi­tio­nen revidierten.

Christus baut seine Kirche nicht auf Petrus, sondern den Glauben des Petrus

Zudem gilt es zu unter­strei­chen, daß genau jene, die mit der größ­ten Stand­haf­tig­keit dem Papst wider­stan­den, der vom Glau­ben abwich, die eif­rig­sten Ver­tei­di­ger der Supre­ma­tie des Papst­tums waren. Die oppor­tu­ni­sti­schen und lieb­die­ne­ri­schen Prä­la­ten jener Zeit paß­ten sich den Schwan­kun­gen der Men­schen und der Ereig­nis­se an und stell­ten die Per­son des amtie­ren­den Pap­stes über das Lehr­amt der Kir­che. Bru­no von Seg­ni hin­ge­gen stell­te, wie ande­re Herol­de der katho­li­schen Recht­gläu­big­keit, den Glau­ben des Petrus über die Per­son des Petrus und tadel­te Pascha­lis II. mit der­sel­ben respekt­vol­len Stand­haf­tig­keit, mit der Pau­lus sich an Petrus gewandt hat­te (Gala­ter 2,11–14). In sei­nem exege­ti­schen Kom­men­tar zu Mat­thä­us 16,18 erklärt Bru­no, daß das Fun­da­ment, auf dem die Kir­che steht, nicht Petrus ist, son­dern der von Petrus bekann­te Glau­ben. Chri­stus sag­te ja, daß er sei­ne Kir­che nicht auf die Per­son des Petrus bau­en wer­de, son­dern auf den Glau­ben den Petrus bekann­te, indem er sag­te: „Du bist Chri­stus, der Sohn des leben­di­gen Got­tes!“ Auf die­ses Glau­bens­be­kennt­nis ant­wor­tet Jesus: „und auf die­sen Fel­sen und auf die­sen Glau­ben wer­de ich mei­ne Kir­che bau­en“ (Com­men­ta­ria In Mat­thae­um, Pars III, cap. XVI in Pat­ro­lo­gia Lati­na, Bd. 165, col. 213).

Indem die Kir­che Bru­no von Seg­ni zu den Altä­ren erhob, bekräf­tig­te und besie­gel­te sie sei­ne Leh­re und sein Verhalten.

Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Schrift­lei­ter der Monats­zeit­schrift Radi­ci Cri­stia­ne und der Online-Nach­rich­ten­agen­tur Cor­ri­spon­den­za Roma­na, von 2003 bis 2011 stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der des Natio­na­len For­schungs­rats von Ita­li­en, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt erschie­nen: Vica­rio di Cri­sto. Il pri­ma­to di Pie­tro tra nor­ma­li­tà  ed ecce­zio­ne (Stell­ver­tre­ter Chri­sti. Der Pri­mat des Petrus zwi­schen Nor­ma­li­tät und Aus­nah­me), Vero­na 2013; in deut­scher Über­set­zung zuletzt: Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil – eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, Rup­picht­eroth 2011.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons/​Ars Christiana

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!