(Rom) Am Montag, den 22. Dezember nützte Papst Franziskus die traditionelle Weihnachtsbotschaft an die Kurienkardinäle und leitenden Kurienmitarbeiter, um ihnen eine katastrophale Diagnose der Krankheiten ins Gesicht zu schleudern, an denen die Römische Kurie erkrankt sei. Eine kleine Vergeltung der solchermaßen Gescholtenen folgte stehenden Fußes. Die zuständigen Vatikanmitarbeiter können für einen vom Papst schon mehrfach zitierten und in der Weihnachtsansprache wiederholten Ausspruch, den er einem Kirchenlehrer zuschreibt, einfach keine Quelle finden.
Papst Franziskus listete alle Krankheiten minutiös auf, die er am Corpus der Kurie zu erkennen meint. Unzählige Krankheiten und mindestens 15 „Sünden“, hat das katholische Kirchenoberhaupt an dem direkt mit ihm zusammenarbeitenden Mitarbeiterstab ausfindig gemacht: Hochmut, Narzissmus, Ambitionen, Oberflächlichkeit, Insensibilität, Kalkuliertheit, Rache, Launen, Stolz, Geltungssucht, Schizophrenie, Sittenlosigkeit, Gerede, Verleumdung, Hofschranzentum, Karrierismus, Gleichgültigkeit, Geiz, Egoismus, Exhibitionismus, Machthunger. Sogar Alzheimer fehlte nicht im päpstlichen Befund, wenn auch im Sinne von „spirituellem Alzheimer“. Die Ansprache liegt noch nicht in offizieller deutscher Übersetzung vor.
Papst Franziskus „pendelt zwischen Kapitalismus und Revolution“
Unterdessen veröffentlichte der Vatikanist Sandro Magister eine Kritik an Papst Franziskus zu einem ganz spezifischen Punkt: seinem Wirtschaftsverständnis. Autor ist ein ungenannter englischsprachiger Theologe „progressiver Richtung“, so Magister, der „in anderen Bereichen ein Verehrer von Papst Franziskus ist“. Der heutige Theologe war zuvor vor allem Wirtschaftswissenschaftler und wurde als solcher bekannt.
Grund für die Wortmeldung ist mehr oder weniger verhalten vorgebrachte Kritik am Papst, dem ein mangelhaftes Wirtschaftsverständnis vorgeworfen wird. Folge seien widersprüchliche Aussagen zu Wirtschaftsfragen. Sein „Pendeln zwischen Kapitalismus und Revolution“, so Magister, erlauben es nicht, die wirkliche Meinung des Papstes in diesem Bereich herauszufiltern. Was der Papst tatsächlich über die Wirtschaft denke, bleibe ein „Geheimnis“, so Magister.
Wirtschaftswissenschaftler: „lateinamerikanischer Demagoge, der eine Show abzieht“
Der Name des heutigen Theologieprofessors und ehemaligen Wirtschaftsprofessors wird nicht genannt. Sandro Magister, dem die Identität des Autors bekannt ist, verfügt über ausreichend Vertrauensvorschuß, um diesen Text dennoch unkommentiert zu übernehmen und dem Urteil der Leserschaft zur Kenntnis zu bringen:
„Sehr geehrter Herr Magister,
meines Erachtens gibt es keineswegs ein “Geheimnis“ zur Haltung von Papst Franziskus in Wirtschaftsfragen. Ich denke vielmehr, daß er von diesen Dingen nicht die geringste Ahnung hat.
Seine mangelnde Kohärenz ist in seinem lateinamerikanischen Wesen verwurzelt. Er ist wie viele Demagogen Süd- und Zentralamerikas. Er besitzt einfach kein wirkliches Wirtschaftsverständnis.
Seine Persönlichkeitsstruktur drängt ihn, eine Show abzuziehen mit seinen lächerlichen Kleinwagen und die Leute fallen auf den Schwindel herein, weil die Masse sich von den Demagogen täuschen läßt.
Auf dem Rückflug aus Südkorea gab der Papst bekannt, in 25 Jahren nie Urlaub gemacht zu haben. Ich bin keineswegs von den USA begeistert und schon gar nicht von dem Wahnsinn ihrer extremen Rechten. Er aber hat einfach wenig praktische Erfahrung damit, wie die Wirtschaft außerhalb Lateinamerikas funktioniert oder nicht funktioniert. Ein „funktionierendes“ Modell gibt es in Lateinamerika jedenfalls nicht, wo sein Heimatland von einer Verwirrung in die nächste taumelt.
Wenn man verstehen will, wer Bergoglio in Fragen der Wirtschaft und der Gesellschaft ist, darf man nicht auf irgendeine Wirtschaftstheorie schauen, sondern auf seine Kultur und seine Persönlichkeit. Die psychologische Analyse von Bergoglio wird den Deckel seines Verhaltens lüften. Das ist meine Sichtweise als ehemaliger Wirtschaftsprofessor.
Ich bezweifle nicht, daß er eine theologische Methodik haben wird. Er hat aber keine wirtschaftliche. Auch seine Vorgänger Ratzinger und Wojtyla hatten zu diesem Bereich keine. Die päpstlichen Texte zu Wirtschaft und Sozialpolitik sind zum Großteil dilettantisch. Das habe ich in der Öffentlichkeit nie gesagt, aber ich denke, daß die ganze Soziallehre der Kirche dilettantisch, weil ideologisch, das heißt, nicht empirisch ist. Das sind Texte von Menschen geschrieben, die im praktischen Bereich nie erfolgreich wären und daher nicht imstande sind, strategisch diesen Bereich aus einer religiösen Perspektive zu beeinflussen. Sie sind deshalb nicht zielführen, weil sie sich für eine simplifizierende Auflistung von Aphorismen entscheiden, die vielleicht bei den Massen Eindruck machen, aber keine Anhaltspunkte bieten, die konkreten Lebensumstände zu ändern. Es mangelt ihnen letztlich an jeglicher Wirkung für die Armen.
Damit habe ich genug gesagt. Ich wünsche Ihnen eine segensreiche Weihnacht“
Der unauffindbare Kirchenvater
In seiner Weihnachtsbotschaft an die Römische Kurie zitierte Papst Franziskus erneut eine lateinische Maxime, die ihm besonders wichtig ist: Ipse harmonia est.
Das erste Mal gebrauchte er diesen Ausspruch zwei Tage nach seiner Wahl zum Papst in der Ansprache an die noch in Rom anwesenden Kardinäle: „Ich erinnere mich, daß ein Kirchenvater es so beschrieben hat: ‚Ipse harmonia est.“
Das vatikanische Amt, das für die schriftliche Endfassung der päpstlichen Ansprachen zuständig ist und zu den vom Papst gebrauchten Zitaten in Fußnoten die Quellenangaben beisteuert, machte sich bereits damals verzweifelt auf die Suche nach dem Kirchenvater, der diesen Ausspruch getätigt haben soll. Fündig wurde man nicht. Das Zitat fand ohne Quellenangabe Eingang in das päpstliche Lehramt, „ohne Vater, ohne Mutter, ohne jede Genealogie“, so Sandro Magister.
Bei der Pfingstansprache 2013 wiederholte der Papst das Zitat, erneut im vergangenen November.
20 Monate nach jenem 15. März 2013 zitierte Papst Franziskus nun wiederum diesen Ausspruch in einer wichtigen Ansprache. Diesmal nannte der Papst auch den Urheber: „‘Ipse harmonia est‘, sagt der Heilige Basilius“ der Große (330–379), so das Kirchenoberhaupt. Doch auch dieses Mal findet sich in der vom Vatikan veröffentlichten schriftlichen Fassung keine Fußnote mit einer Quellenangabe. Erneut konnte niemand einen Beleg dafür finden, daß der Kirchenlehrer Basilius diesen Ausspruch tatsächlich getätigt hat.
Kleine Genugtuung für die päpstliche Schelte
Einer anderen päpstlichen Zuschreibung wurde mehr Glück zu Teil. Sie erfolgte gleich im Anschluß an den dem Heiligen Basilius zugeschriebenen Ausspruch. Das andere Zitat betrifft den Kirchenvater Augustinus: „Denn was noch mit dem Leibe zusammenhängt, an dessen Heilung braucht man nicht zu verzweifeln; was aber abgeschnitten ist, kann nicht mehr gepflegt und geheilt werden“. Bei diesem Zitat wußten die zuständigen Vatikanmitarbeiter zielsicher, wo nachschlagen, um die Quellenangabe in die Papstansprache einzufügen: „Augst. Serm., CXXXVII 1; Migne P.L., XXXVIII, 754“.
In Rom heißt es schmunzelnd, der quellenlose Ausspruch sei die „kleine Vergeltung“ (Sandro Magister) der Vatikanmitarbeiter für das Weihnachtsgeschenk einer päpstlichen Ohrfeige, die das Kirchenoberhaupt seinen Kurienmitarbeitern zukommen ließ. Mehr als eine Vergeltung scheint es sich um eine kleine Genugtuung für die Schelte zu handeln.
Text: Settimo Cielo/Giuseppe Nardi
Bild: Settimo Cielo/Orthodoxia