(Rom) Irgendwann geht manchen das Licht auf. Daß es nicht zu viele sind, jedenfalls nicht zu viele gleichzeitig, dafür sorgt ein menschenfeindliches, vergötztes Wirtschaftssystem, das sich alles kauft, auch die öffentliche Meinung. Doch der Reihe nach und zuerst, die Aussage einer Frau, der ein Licht aufgegangen ist. „Es ist schon seltsam, daß es niemand interessiert für eine ‚mummy friendly‘ Arbeitswelt zu kämpfen.“
Die Aussage stammt von Marina Terragni. Sie ist nicht Vertreterin einer katholischen Organisation, sondern Mitglied des Parteivorstandes des regierenden sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) in Italien. Terragni ist führende Vertreterin der PD-Frauenorganisation Demokratische Frauen und Leitartiklerin der wöchentlichen Frauenbeilage Io Donna (Ich Frau) des Corriere della Sera. Der PD stellt derzeit mit Matteo Renzi den italienischen Ministerpräsidenten.
Die Einsichten einer Andersdenkenden über zunehmende Kinderlosigkeit und Unfruchtbarkeit, über den „Traum“ des vorherrschenden männlichen Denkens einer technisierten Mutterschaft und den Götzen Gewinn. „Sinn“ hat nur, was Gewinn abwirft und die Gewinnmaximierung nicht stört. Die Mutterschaft nach der biologischen Uhr mit 25 Jahren aber störe. Die Erzwingung der antibiologischen Mutterschaft mit 50 Jahren aber sei ein „Recht“, weil sie Geld bringt:
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs wird viel über heterologe Befruchtung [1]künstliche Befruchtung der weiblichen Eizelle mit Samenzellen eines fremden Mannes; Methode zur Befruchtung weiblicher Singles und von Lesben. Der italienische Verfassungsgerichtshof kippte das … Continue reading gesprochen. Läuft die Diskussion in die richtige Richtung?
Marina Terragni: Über heterologe Insemination spricht man, weil sie Eingang in ein post-ideologisches Szenario gefunden hat, in dem Definitionen nur im Kontext von gewährten oder verweigerten Rechten erfolgt. Das Thema betrifft nur eine Minderheit der Bevölkerung. Bist du Progressist, mußt du dieses Recht verteidigen, bist du konservativ, dann nicht. Mir scheint vielmehr, daß die wenigsten begreifen, worum es überhaupt geht, und noch weniger haben Erfahrung damit.
Gibt es ein Recht auf Kinder?
Mary Warnock, Mutter und Pionierin der englischen Bioethik schreibt in einem Buch ohne Wenn und Aber, daß ein Recht auf Kinder völlig haltlos ist. Es gibt kein Recht einer Person, ein Kind zu haben, wenn schon gibt es das Recht eines Kindes, Eltern zu haben. Es handelt sich nicht um symmetrische Rechte.
Woher konmt dann diese Forderung?
Diese Einstellung verrät eine Art von „Infantilisierung“ der Welt der Erwachsenen. Das Konsumdenken zwingt dich in eine Art von permanenter Kindheit, in der du alles haben kannst, was du haben willst. Hauptsache man zahlt. Gerade unter diesem Blickwinkel hat mich das Verfassungsgerichtsurteil erstaunt, mit dem der heterologen Insemination die Türen geöffnet werden. Die Verfassungsrichter haben dem wirtschaftlichen Aspekt überproportionale Bedeutung beigemessen, indem sie sagen, daß ein Verbot der heterologen Befruchtung zu einer Diskriminierung zwischen jenen führe, die es sich leisten können, und jenen, die es sich nicht leisten können. Die Elternschaft aber ist nicht eine Angelegenheit, die man nach den Gesetzen des freien Markts diskutieren kann! Wir sehen also auf der einen Seite eine Infantilisierung der Bevölkerung, auf der anderen ein Eindringen marktwirtschaftlicher Spielregeln in die Institutionen und deren Vorrang. Die Elternschaft ist mit Sicherheit die risikoreichste unter allen Beziehungen. Es handelt sich um eine Beziehung, die deine innere und äußere Ordnung völlig verändert, weil sie dich aus dir selbst hinausführt, über dich hinaus durch Verantwortung.
Sie sagen, daß der Kampf um Legalisierung der heterologen Befruchtung mit den Frauenrechten nichts zu tun hat?
An dieser Front hat ein erstaunlicher Richtungswechsel im Feminismus stattgefunden. Bis vor zehn, fünfzehn Jahren war der Feminismus extrem kritisch und zurückhaltend gegenüber den künstlichen Zeugungstechniken. Eine radikalfeministische Theologin, Mary Daly, sprach sogar von einem „Technoraub der Eier“. Um Frauen zu bezeichnen, die durch künstliche Befruchtung schwanger wurden, prägte Mary Daly den Begriff „männliche Mütter“. Sie war der Ansicht, daß diese Frauen in gewisser Weise auf ihre mütterliche Kraft verzichten würden, um sich einer männlichen Wissenschaft, des Kontrollierens, Dominierens, der Herrschaft, des wirtschaftlichen Nutzbarmachens, der Gewinnsucht zu unterwerfen. Für diese männliche Wissenschaft aber ist der Traum einer künstlichen Gebärmutter wie ein heiliger Gral, dem sich hinterherrennt. Ich verstehe nicht, warum diese Zurückhaltung aufgegeben wurde. Ich sehe diese Neuausrichtung wie eine Kapitulation des feministischen Denkens, das die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Mann und Frau betonte und die weiblichen Eigenschaften und Fähigkeiten zur Geltung bringen wollte, vor dem neuen emanzipatorischen Mainstream-Denken. Zudem erstaunt mich, daß sowohl der Feminismus als auch die Linke insgesamt das Thema der Prävention gegen Unfruchtbarkeit völlig ignorieren. Wenn man darüber spricht, den Frauen Bedingungen zu sichern, daß sie ihre Kinder unter 40 Jahren bekommen können, oder über die Risiken für die männliche Fruchtbarkeit, die im Großteil aller Seifen und zahlreichen anderen Alltagsprodukten enthalten sind, wird man nur komisch angeschaut. Die Frage der Infertilitätsprävention wird immer drängender und dennoch wird man jedesmal, wenn man das Thema anspricht, mit völligem Unverständnis angeschaut oder so als wollte man die Frauen zur Mutterschaft zwingen. Es ist paradox: es interessiert die Allerwenigsten dafür zu kämpfen, daß eine 25jährige Frau, die in jeder Hinsicht im idealen Alter ist, Kinder zu bekommen, diese Kinder auch bekommen kann, indem man eine mummy friendly Umwelt schafft und materielle Bedingungen, die sie nicht zwingen, den Kinderwunsch auf irgendwann in der Zukunft zu verschieben. Gleichzeitig sind wir aber bereit, für das „Recht“ mobil zu machen, daß eine 50jährige Frau, die ihren Zug längst verpaßt hat, ein Kind bekommen kann.
Wird hier die Frage der Elternschaft mit den Rechten Homosexueller gekoppelt und von diesen überlagert?
Natürlich spielen hier Marktinteressen eine Rolle. Künstliche Befruchtung bringt Geld. Geld schafft Interessen und Lobbyismus. Der künstliche Befruchtungsmarkt ist interessiert an diesen Arten von Neofamilien. Mich interessiert aber nicht, wer mit wem ins Bett geht. Wenn ein Schwuler mit einer Frau (die, Hand aufs Herz, zur Kinderzeugung immer noch notwendig ist) ein Kind zeugt, habe ich keine Einwände. Ich habe aber Einwände dagegen, daß die Frau, besser gesagt die Frauen ausgelöscht werden. Genau das geschieht mit der Leihmutterschaft und dem Handel mit Ovozyten, den befruchtungsfähigen Eizellen. Da geht es um einen Markt und damit ums Geschäft. Der beste Beweis dafür ist Italien. Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es bei uns keine Eispenderinnen, weil wir sie nicht bezahlen. Eine andere Frage sind die sogennannten „Solidarspenden“, aber die Frage ist kompliziert. Themen, die den Lebensanfang und das Lebensende betreffen, sind immer kompliziert. Das zu akzeptieren, wie mir scheint, fällt uns heute aber sehr schwer.
Sie haben geschrieben, berührt gewesen zu sein über die Adoptivmutter eines Mitspielers der Castingshow The X Factor, die im Fernsehen sagte: „Ich danke Gott, daß er mich keine Kinder haben hat lassen, sonst hätte ich ihn nie kennengelernt“. Was hat sie daran berührt?
Berührt hat mich die Geschichte dieser Frau, die ein Unglück akzeptiert hat und der daraus eine Gnade wurde. Dieser Fall machte mir bewußt, wie wenig wir nur mehr über die Adoption sprechen und darüber, welche teils unglaublichen Hürden Paare meistern müssen, um ein Kind adoptieren zu können, was in vielen Fällen an bürokratischen Vorschriften scheitert. Ich wollte vor allem einen Widerspruch aufzeigen. Man sagt: ich will den Samen oder das Ei, aber dann will ich, daß der Spender verschwindet, weil das was zählt, ist nicht die Biologie, sondern die Liebe. Gleichzeitig wird die künstliche Befruchtung in den Vordergrund gestellt und die Adoption zurückgedrängt. Warum? Weil selbst bei der heterologen Insemination zumindest ein Elternteil biologisch ist. Also noch einmal die Frage: Spielt die Biologie eine Rolle oder nicht? Natürlich spielt sie eine Rolle und ist sogar der eigentliche Aufhänger beim ganzen Business der künstlichen Befruchtung. Machen wir uns zudem überhaupt eine Vorstellung von den Komplikationen, die zwischen einem Paar entstehen, das auf diese Methode zurückgreift? Keineswegs alle sind imstande, die Härte solcher Erfahrungen zu verarbeiten.
Vor wenigen Tagen sorgte die Titelgeschichte des Wochenmagazins Internazionale für internationale Politik für Aufsehen. Die feministische Schriftstellerin Katha Pollitt sagt darin, man solle die In-vitro-Fertilisation nicht als etwas Traumatisches betrachten. Welchen Eindruck hat diese Aussage auf Sie gemacht?
Dazu ist eine Überlegung zum Abtreibungsgesetz 194/1978 anzustellen, das über weite Strecken nicht angewandt wird. Das Recht auf Gewissensverweigerung darf nicht in Frage gestellt werden. Es wird vom Gesetz geschützt und so hat es zu bleiben. Rundherum sind jedoch eine Reihe von Fragen zu klären. Viele Mädchen werden in Krankenhäuser eingeliefert, weil sie irgendwelche Pharmaka gegen Magengeschwüre geschluckt haben, um so eine Abtreibung einzuleiten. Hoffen wir, daß es immer weniger Abtreibungen geben wird, aber die Abtreibung gibt es. So ist es wichtig, daß alle, einschließlich der Katholiken, sagen, was ihrer Meinung nach zu tun wäre. Das gilt besonders auch für Ministerpräsident Renzi, der nicht länger zur Frage schweigen kann.
Apple und Facebook übernehmen die Kosten für die Einfrierung der Eizellen ihrer Mitarbeiterinnen. Ist das ein Fortschritt?
Irgendwer mag sogar denken, daß diese „erleuchteten“ Gesellschaften der Silicon Valley eine extrem moderne Dienstleistung angeboten haben. Ich aber denke, daß so etwas nur eines sagt und das auf unmißverständliche Weise: daß die Mutterschaft stört. Das Ideal, das hier dahintersteckt, ist die totale Vermännlichung der Mutterschaft. Die reine Vertechnisierung, die aus der Mutterschaft nur einen rein technischen Vorgang macht. Die künstliche Gebärmutter, wie schon gesagt, als heiliger Gral dieses männlichen Denkens.
Sind aus den Frauen, die einmal riefen „Mein Bauch gehört mir“, Komplizen jener geworden, die ihn ihnen „rauben“ wollten?
Zu sagen, „Der Bauch gehört mir“ war ein zentraler Schritt gegen das Patriarchat, das über die Frauen wie über eine Sache verfügte. Tatsache ist aber, daß die Gebärmutter auch heute nicht der Frau gehört. Mary Daly sagte, daß heute die reproduktive Kraft der Frauen überall unterdrückt wird. Wenn ich mit einem Wort sagen müßte, was eine Frau ist, würde ich sagen, daß sie jemand ist, die Mutter sein „kann“. Die sein kann, aber nicht sein muß. Es gibt Frauen, die sind nicht dazu berufen. Wir aber leben in einer Welt, die Frauen dazu zwingt, keine Kinder zu haben.
Interview: Tempi
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi
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↑1 | künstliche Befruchtung der weiblichen Eizelle mit Samenzellen eines fremden Mannes; Methode zur Befruchtung weiblicher Singles und von Lesben. Der italienische Verfassungsgerichtshof kippte das Gesetz, das die heterologe Insemination untersagte. |
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