Kardinal Schönborn macht Diskussion um Gültigkeit der Wahl von Papst Franziskus salonfähig und rückt Ehe-Verteidiger in die Nähe Putins


Kardinal Christoph Schönborn und das Gradualitätsprinzip
Kar­di­nal Chri­stoph Schön­born und das „Gra­dua­li­täts­prin­zip“

(Wien) Wiens Erz­bi­schof, Chri­stoph Kar­di­nal Schön­born, läßt in Sachen „neue Barm­her­zig­keit“ nicht locker. „Öff­nun­gen“ für wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­ne sei­en umzu­set­zen, andern­falls ver­hal­te sich die Kir­che wie der älte­re Bru­der des „ver­lo­re­nen Soh­nes“. Schön­borns Emp­feh­lung ist die Anwen­dung des „Gra­dua­li­täts­prin­zips“ auf die Patch­work-Fami­li­en. Gleich­zei­tig nimmt er als erster Papst­wäh­ler zu Zwei­feln Stel­lung, ob die Wahl von Papst Fran­zis­kus gül­tig ist und macht damit die Fra­ge zum offi­zi­ell dis­ku­tier­ba­ren Thema.

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Sei­ne Aus­füh­rung zum The­ma beginnt der Kar­di­nal mit einer Kri­tik an den gläu­bi­gen Katho­li­ken. Ein Ver­hal­ten, das durch ver­gleich­ba­re Äuße­run­gen von Papst Fran­zis­kus in Mode gekom­men scheint. Funk­tio­nal dient die Kri­tik, prä­ven­tiv die Gegen­sei­te mit der Moral­keu­le zu „beschen­ken“ und in die Defen­si­ve zu drän­gen. „Die guten Katho­li­ken erin­nern mich manch­mal an den älte­ren Bru­der“, des ver­lo­re­nen Soh­nes, der „ent­täuscht ist und sich nicht belohnt fühlt für sei­ne Loya­li­tät. Die Ant­wort des Vaters ist einer der schön­sten Sät­ze des neu­en Testa­ments: ‚Du bist immer bei mir und alles was mir gehört, gehört auch dir‘.“

Moralische Präventivanklage gegen Verteidiger des Ehesakraments

Die von Kar­di­nal Schön­born vor­ge­nom­me­ne Rol­len­ver­tei­lung ist damit klar abge­steckt. Die Fra­ge ist nur: Was hat das Gleich­nis vom ver­lo­re­nen Sohn mit der Kom­mu­ni­on für die wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­ne zu tun?

Jüngst ver­öf­fent­lich­te die Her­der Kor­re­spon­denz (68 (2014), Heft 12) ein Inter­view mit Wiens Erz­bi­schof. Mit dem Gleich­nis vom ver­lo­re­nen Sohn zieht der Kar­di­nal eine Par­al­le­le zur Bischofs­syn­ode über die Fami­lie und beson­ders zu den Beden­ken ande­rer Syn­oden­vä­ter, daß Katho­li­ken, die treu in „regu­lä­ren Ehe­si­tua­tio­nen“ leben, sich zurück­ge­setzt füh­len könn­ten gegen­über Katho­li­ken, die in „irre­gu­lä­ren Ehe­si­tua­tio­nen“ leben. Die Unter­schei­dung „regu­lä­rer“ und „irre­gu­lä­rer“ Ehe­si­tua­tio­nen und Fami­li­en wur­de von Kar­di­nal Schön­born gebraucht.

Auch in die­sem Fall stellt sich die Fra­ge: Ist das der ent­schei­den­de Gegen­satz oder wird der Blick auf einen rein mensch­li­chen Neben­schau­platz gelenkt?

Den „regu­lä­ren“ Fami­li­en möch­te der Kar­di­nal „sagen“, daß sie glück­lich und dank­bar sein soll­ten, Zeu­gen sein zu dür­fen, daß Ehen gelin­gen kön­nen, aber auch über jene jubeln und die­se zu Hau­se will­kom­men hei­ßen sol­len, die die­ses Ide­al nicht errei­chen. Erstaunt reibt sich der Katho­lik die Augen. Das spe­zi­fisch Katho­li­sche ist dem­nach nur ein Ide­al, auf einer Stu­fe mit jener ande­ren, nicht katho­li­schen Lebens­form, die eben­so beju­belt wer­den soll. Zumin­dest der „mün­di­ge Christ“ hat ver­stan­den. Alles ist erlaubt. Idea­le sind schön und gut, aber letzt­lich kaum erreich­bar, wie man ohne­hin längst wuß­te. Die Kir­che habe den Men­schen zwei­tau­send Jah­ren mit uner­füll­ba­ren For­de­run­gen ein uner­träg­li­ches „Joch“ auferlegt.

Das „Gradualitätsprinzip“

Kar­di­nal Schön­born geht in dem vor weni­gen Tagen erschie­ne­nen Inter­view noch wei­ter. Er „staunt“ über die Reak­ti­on eini­ger Mit­brü­der bei der Syn­ode und deren „Befürch­tun­gen“ als Reak­ti­on auf sei­nen Vor­schlag, die „posi­ti­ven Ele­men­te“ in irre­gu­lä­ren Bezie­hun­gen anzu­er­ken­nen. Als Grund­la­ge der Aner­ken­nung nennt der Kar­di­nal das „Gra­dua­li­täts­prin­zip“, das er auf der Bischofs­syn­ode im ver­gan­ge­nen Okto­ber unter­brei­te­te. Das „Gra­dua­li­täts­prin­zip“ dien­te der Unter­stüt­zung des Kas­per-Vor­schlags, geht aber weit dar­über hin­aus. Es ist von einer Radi­ka­li­tät, die das gesam­te Kir­chen­ver­ständ­nis, die Glau­bens­leh­re und die kirch­li­che Ord­nung spren­gen könn­te. Schön­born möch­te das von ihm vor­ge­schla­ge­ne Prin­zip auf alle Sakra­men­te ange­wandt sehen.

Denn, so die Begrün­dung des Erz­bi­schofs, auch irre­gu­lä­re Bezie­hun­gen kön­nen auf dem Weg der Ehe sein. Die­se Aner­ken­nung impli­zie­re zwar nicht ein theo­re­ti­sches Gut­hei­ßen die­ser Lebens­for­men, prak­tisch läuft es unwei­ger­lich dar­auf hin­aus, denn was ande­res soll­te es sein, wenn man sich darüber„freuen“ und vor­be­halt­los „will­kom­men­hei­ßen“ soll. Das „Gra­dua­li­täts­prin­zip“ hat nur mehr wenig mit dem soli­den katho­li­schen Grund­satz gemein­sam, mil­de gegen­über dem Sün­der, aber ent­schlos­sen gegen die Sün­de zu sein. Letz­te­rer Teil fie­le still­schwei­gend unter den Tisch. Ever­y­body’s Darling scheint die Mar­ke­ting­stra­te­gie der „neu­en Barm­her­zig­keit“ zu lau­ten und nach (kurz­le­bi­gem) Applaus zu gieren.

Gegenspieler in Nähe Putins gerückt

Kar­di­nal Schön­born holt dann zu einem per­fi­den Schlag aus. Er rückt die Ver­tei­di­ger der Glau­bens­wahr­heit in die Nähe von Ruß­lands Prä­si­den­ten Wla­di­mir Putin. Die­ser wird seit Mona­ten vom west­li­chen Estab­lish­ment in Pro­pa­gan­da­kam­pa­gnen belie­big als „ultrare­ak­tio­när“, „faschi­stisch“, „men­schen­ver­ach­tend“, „dik­ta­to­risch“ beschimpft. Für den Durch­schnitts­bür­ger ist es schwer, sich dem Pro­pa­gan­da­sog zu ent­zie­hen und sich zwi­schen Pro­pa­gan­da und Gegen­pro­pa­gan­da ein kri­ti­sches Urteils­ver­mö­gen zu bewahren.

Und was sag­te Schön­born? Eini­ge ande­re Kar­di­nä­le, so der Kar­di­nal, hät­ten sich posi­tiv über Putins Ver­tei­di­gung der Fami­lie geäu­ßert, das sei „sehr besorg­nis­er­re­gend“. Schön­borns (und Kas­pers) Kri­ti­ker, schlim­mer noch, die Ver­tei­di­ger der Recht­gläu­big­keit wer­den in ein von der vor­herr­schen­den Mei­nung als unver­tret­bar und inak­zep­ta­bel dar­ge­stell­tes Eck gedrängt. Ange­sichts sol­cher Grenz­wer­tig­keit, so die impli­zit sug­ge­rier­te Bot­schaft, müs­se man sich erst gar nicht mit deren Argu­men­ten, Ein­wän­den, Beden­ken auseinandersetzen.

Schönborn ortet „Versuchung einer mächtigen Kirche wie in den 30er Jahren“

Wiens Erz­bi­schof prä­sen­tiert sich selbst als cou­ra­gier­ten Kir­chen­mann, der der „Putin-Ver­su­chung“ wider­ste­he. Es gebe näm­lich, so Schön­born, der­zeit die „Ver­su­chung“. von einer „mäch­ti­gen Kir­che“ und einem „poli­ti­schen Katho­li­zis­mus zu träu­men“, der die Men­schen wie in den 30er Jah­ren beein­drucken kön­ne. Der Katho­lik reibt sich sprach­los die Augen und fragt sich, ob er und Kar­di­nal Schön­born schon die­sel­be Kir­che mei­nen und im glei­chen Jahr­hun­dert leben. Neben Putin kom­men auch noch die 30er Jah­re ins Spiel. Mehr „gefühl­ten“ Vor­wurf an Dik­ta­tur, Tota­li­ta­ris­mus, Vor­ur­tei­len, Ver­ur­tei­lens­wer­tem ist in der domi­nan­ten Sprach­re­ge­lung des Westens kaum mehr möglich.

Schönborn macht Diskussion über Gültigkeit der Wahl von Papst Franziskus diskutabel

Span­nen­der, ja fast dra­ma­tisch ist, daß Kar­di­nal Schön­born die Fra­ge der Gül­tig­keit der Wahl von Papst Fran­zis­kus auf­greift und damit als erster Kar­di­nal und Papst­wäh­ler offi­zi­ell the­ma­ti­siert. Bis­her wur­den Zwei­fel im katho­li­schen Sami­s­dat geäu­ßert. Mit Büchern von Anto­nio Soc­ci und Austen Ive­reigh wur­den sie offen aus­ge­spro­chen oder zumin­dest unab­sicht­lich geför­dert. Auf offi­zi­el­ler Kir­chen­ebe­ne wur­de die Fra­ge jedoch igno­riert. Bis jetzt.

Schön­born hält Zwei­fel an der Gül­tig­keit der Wahl zwar für bedau­er­lich, mach­te sie damit jedoch salon­fä­hig. Am Ende der Bischofs­syn­ode habe er Papst Fran­zis­kus gefragt, ob die Kon­tro­ver­sen nicht zu inten­siv gewor­den sei­en. Fran­zis­kus habe jedoch geant­wor­tet, auf Gott zu ver­trau­en: „Es ist der Herr, der die Kir­che führt und auch durch die­se Kon­tro­ver­sen füh­ren wird“.

Kirche müsse eigene Überzeugung verteidigen ohne sich zum Richter aufzuschwingen

In einem wei­te­ren Inter­view mit den Vor­arl­ber­ger Nach­rich­ten und der Tiro­ler Tages­zei­tung, das am 14. Dezem­ber ver­öf­fent­licht wur­de, erklär­te Kar­di­nal Schön­born, daß die Kir­che in der plu­ra­li­sti­schen Gesell­schaft „die eige­nen Über­zeu­gun­gen ver­tei­di­gen und leben“ müs­se, ohne sich zum Rich­ter auf­zu­schwin­gen. Das gel­te auch zur Abtrei­bungs­fra­ge mit ihrem lega­len Mas­sen­mord an unge­bo­re­nen Kindern.

Denn, so der Kar­di­nal als Emp­feh­lung an alle Syn­oden­vä­ter, die sich im Okto­ber 2015 zur ordent­li­chen Bischofs­syn­ode über die Fami­lie ver­sam­meln wer­den: Bevor man urtei­le, müs­se man die Lebens­rea­li­tät wahrnehmen.

Die Patch­work-Fami­li­en wür­den nicht „zum Spaß“ ent­ste­hen, son­dern weil es Schwie­rig­kei­ten wirt­schaft­li­cher oder geist­li­cher Art gebe oder in der Bezie­hung. Er selbst kom­me aus einer Patch­work-Fami­lie, weil sich sei­ne Eltern schei­den lie­ßen. Es gebe aber auch in die­sen „viel Glau­ben und Groß­zü­gig­keit“, aber natür­lich auch vie­le Wun­den. Aber für Gott sei kein Sturz ohne Hoff­nung. Die auf der Ehe gegrün­de­te Fami­lie blei­be wei­ter­hin die Grund­zel­le der Gesell­schaft und das beste und sicher­ste Netz in Krisenmomenten.

Bleibt abschlie­ßend noch die Fra­ge an den Kar­di­nal, wer die­se „Grund­zel­le der Gesell­schaft“ aber noch ver­tei­di­gen soll, wenn die Kir­che es nicht mehr tut, son­dern im „Gra­dua­li­täts­prin­zip“ Abschied davon nimmt.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: CR

 

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