Katholisches.info bemüht sich um jene notwendige innerkirchliche Diskussion, die offiziell nicht stattfindet und zum Teil auch gar nicht erwünscht ist. Dazu gehören die Gastkommentare von Clemens Victor Oldendorf, die teilweise auf heftige Ablehnung stießen, während der Autor sich mißverstanden fühlte. Zuletzt machte er sich nach der außerordentlichen Bischofssynode im Aufsatz „Im Buchstaben abgeschlossen“ (Papst Franziskus) – Versuch zur Überwindung von Verständnisbarrieren auf die Suche nach Wegen, dem modernistischen Neuerungsdrang durch theologische Reflexion entgegenzutreten. Der heutige Aufsatz hat nicht die Modernisten im Blick, sondern die Priesterbruderschaft St. Pius X. Letztlich geht es Odendorf nach eigenem Bekunden in allen Beiträgen um die Tradition und deren Ausrichtung, Diskussions- und Argumentationsfähigkeit in der innerkirchlichen Debatte.
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Gastkommentar von Clemens Victor Oldendorf.
Der letzte Sonntag im Kirchenjahr richtet unseren Blick auf das Weltenende und die endzeitliche Wiederkunft Christi. Diese eschatologische Ausrichtung, die den Advent vorbereitet, in dem wir die Erwartung der ersten Ankunft des Messias nacherleben und sie zu Weihnachten feiern, wird im liturgischen Kalender des Novus Ordo durch die Verschiebung des Christkönigsfestes auf diesen Sonntag zusätzlich gekennzeichnet. Aber auch die Liturgie des 24. und letzten Sonntags nach Pfingsten im überlieferten Römischen Ritus zeigt – besonders in den Schriftlesungen – deutlich dieses Gepräge.
Da ist die Rede von falschen Christussen, denen man nicht in die Wüste und nicht in die Gemächer nachlaufen soll und von den Zeichen der Zeit, die es zu erkennen gilt. Damit wird der Antichrist zum Thema und auch die Frage, ob und in welchem Sinne er sich in einer Person verdichtet und ob er nicht bereits atmosphärisch präsent ist und – auch in ganzen Strömungen, Bewegungen – seine Vorläufer hat. Der große Exeget Erik Peterson (1890–1960) sprach deswegen vom „eschatologischen Vorbehalt“ unter dem die ganze Geschichte schon mit und seit dem ersten Erscheinen Christi steht.
Ich habe am vergangenen Sonntag die heilige Messe in einem Priorat der Priesterbruderschaft St. Pius X. besucht. Auch dort beschäftigte sich der Prediger unter anderem mit diesen Fragen.
Bei dem, was ich im folgenden berichte, geht es mir ausdrücklich nicht um Kritik an diesem Pater. Deswegen nenne ich auch bewußt nicht seine Identität und den Ort, wo ich die Predigt gehört habe. Auch die allgemeine Feststellung, daß nicht jeder Prediger ein guter Prediger, ja erst recht nicht jeder Prediger ein guter Theologe sein kann, beschränkt sich keineswegs auf die Piusbruderschaft, und umgekehrt trifft man auch dort, sogar oft, auf eine gleichermaßen rhetorisch und theologisch gelungene Verkündigung.
Petrusbruderschaft als eine Vorläuferin des Antichristen?
Nach einleitenden Ausführungen über den Antichristen und seine Vorläufer fiel plötzlich die unvermittelte Bemerkung, daß „die Petrusbruderschaft für den Katholiken unannehmbar“ sei, weil sie die „Irrtümer des Zweiten Vatikanischen Konzils“ angenommen habe oder zumindest dazu schweige. Die Konsequenz, daß nach den Worten des Priesters auch die heiligen Messen der Petrusbruderschaft oder solche, die andere Priester nach den Bestimmungen von Summorum Pontificum feiern, für „den Katholiken unannehmbar“ sind, blieb nach meiner Erinnerung unausgesprochen, war aber unmißverständlich.
Meine inhaltliche Anfrage richtet sich nicht einmal gegen diesen Standpunkt. Ich denke, man kann ihn argumentieren und begründet einnehmen. Nicht jedoch so, wie hier geschehen. Zwar stimmt es, daß ein theologisches Problembewußtsein in Bezug auf das Zweite Vaticanum sich in Kreisen um Summorum Pontificum häufig nur noch privat ausspricht oder bereits nicht mehr besteht und auch kein volles Verständnis mehr gegeben ist, warum man eigentlich in die „Alte Messe“ geht und die „Neue“ praktisch meiden sollte. Trotzdem hat die Piusbruderschaft nicht die lehramtliche Kompetenz, Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, die sie problematisch sieht, verbindlich als „Irrtümer“ zu qualifizieren, was dazu führt, die theologischen Positionen der Piusbruderschaft mit dem katholischen Glauben zu identifizieren, letztlich, ich formuliere absichtlich provokativ, eine alternativlose Gleichsetzung von „Lefebvre-Anhänger“ und „Katholik“ vorzunehmen. Das wurde in dieser Weise allerdings von Erzbischof Marcel Lefebvre nie getan oder unterstützt. Wenn man es tut, ist nicht nur die Teilnahme an der „Neuen Messe“ abzulehnen, sondern auch die an jeder heiligen Messe im überlieferten Römischen Ritus, die nicht von einem Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X. gefeiert wird.
Warum führe ich dies überhaupt lang und breit aus? Weil dahinter ein tatsächlicher Irrtum steht, den ich in Teilen der Piusbruderschaft bemerke. Nämlich den Unterschied zu übersehen, der zwischen der Treue zum offenbarten und überlieferten katholischen Glauben und der Beurteilung steht, mit der man anhand dieses Kriteriums zum Beispiel strittige Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils oder die neue Liturgie bewertet.
Trotz Meinungsdifferenzen gleichermaßen glaubenstreu
Was ich sagen will, läßt sich sicher sehr gut mit einer Rückblende ins Jahr 1988 veranschaulichen. Die damalige Situation war unzweifelhaft kompliziert und auch gewissermaßen unüberschaubar verworren. Da konnte man ohne Zweifel zu der Überzeugung kommen, berechtigt oder sogar verpflichtet zu sein, Bischöfe zu konsekrieren, aber genauso überzeugt, dies ohne Zustimmung Johannes Pauls II. nicht zu dürfen. Beide Überzeugungen schlossen nach meinem Dafürhalten nicht aus, daß sowohl Befürworter der Bischofsweihen, als auch solche, die glaubten, sich davon distanzieren zu müssen, trotz dieser Meinungsverschiedenheit gleichermaßen katholisch und glaubenstreu waren und blieben.
Ähnlich ist das meines Erachtens beispielsweise mit der Einschätzung der Religionsfreiheit durch die Piusbruderschaft und mit bestimmten, staatstheoretischen oder letztlich politischen, also gerade nicht theologischen Voraussetzungen, die diesem Standpunkt zugrundeliegen. Es ist meines Erachtens keineswegs mit dem katholischen Glauben unvereinbar, diese Position einzunehmen, aber die Piusbruderschaft kann auch nicht behaupten oder verlangen (vor allen Dingen nicht zwingend nachweisen), man müsse diese Sichtweise teilen, um als glaubens- und traditionstreuer Katholik gelten zu können. Es hat in der Kirche immer unterschiedliche Positionen in Detailfragen und insbesondere in konkreten Beurteilungen theologischer und pastoraler Probleme auf der Grundlage gemeinsamer Einigkeit in der Rechtgläubigkeit gegeben. Wer das nicht sieht oder aushalten kann, erliegt einer Illusion oder Fiktion.
„Nicht einmal der Sohn“, „aber in spätestens 80 Jahren“
Wenn ich auf die Predigt zurückkomme, die mich zu diesen Überlegungen angestoßen hat, ist es verglichen mit diesem Grundirrtum verhältnismäßig harmlos, daß der Prediger sich zwar auf Matt 25, 13 bezog, wo festgehalten wird, daß wir weder den Tag noch die Stunde der Wiederkunft Christi kennen, doch dreimal mit Nachdruck sagte, „in spätestens 80 Jahren ist es soweit“. Was man schmunzelnd zugeben muß, ist, daß es bei jemanden, der den Zeitpunkt des Weltgerichts ankündigt, für eine gewisse Schläue spricht, einen solchen Zeitraum zu wählen: Von Säuglingen abgesehen, die der Predigt noch nicht verständig gefolgt sind, kann praktisch keiner der Zuhörer die Richtigkeit dieser Aussage überprüfen, allerdings auch nicht widerlegen.
Der Ausblick des Predigers auf den Advent ließ ihn die richtige Mahnung einflechten, diese Zeit als eine Zeit der Sammlung und Zurückgezogenheit zu begehen. Er verknüpfte sie mit dem Rat, auf das Fernsehen zu verzichten, und empfahl offensichtlich ernsthaft, am besten „den Stecker abzuzwicken“. Wer keine Zange besitze, könne sich gern an ihn, den Prediger, wenden.
Nicht autonom, dennoch eigenverantwortlich
Die sehr ablehnende Haltung der Piusbruderschaft gegenüber dem Fernsehen scheint mir noch solch ein praktisches Beispiel zu sein, an dem sich das Katholischsein nicht entscheidet. Es geht auch nicht darum, daß der Gläubige sozusagen völlig selbstbestimmt, unterschiedslos alles konsumieren soll oder darf, ohne nach Wertmaßstäben zu fragen, doch im konkreten Fall muß jeder diese Wertmaßstäbe notwendigerweise eigenverantwortlich anwenden. Die zugespitze Position, als traditioneller Katholik ganz auf das Fernsehen verzichten zu müssen, folgt einer wenig überzeugenden Logik, aus der sich ergeben müßte, daß man gar nichts lesen darf, weil es auch schlechte Bücher gibt.
Text: Clemens Victor Oldendorf
Bild: laportelatin.org