(Paris) Gedenktage können Ausdruck des Volksempfindens oder staatlich gelenkt sein. Die Hoheit über das kollektive Gedächtnis ist von Ideologen hart umkämpft. Gedacht wird in jedem Land prägender historischer Sternstunden oder schwerwiegender Verbrechen. Das sozialistisch regierte Frankreich ist drauf und dran einen Paradigmenwechsel auch in der Gedenkpolitik zu vollziehen. An Seine und Rhone empören sich Establishment und veröffentlichte Meinung nicht über ein gigantisches Verbrechen, sondern feiern es.
Um den 40. Jahrestag der Loi Veil zu feiern, mit der in Frankreich 1975 die Tötung ungeborener Kinder legalisiert wurde, verabschiedete die Nationalversammlung in Paris eine Resolution, um „die Bedeutung des Grundrechtes der freiwilligen Schwangerschaftsunterbrechung für alle Frauen in Frankreich, in Europa und auf der ganzen Welt zu bekräftigen“.
Bei der Abstimmung im französischen Unterhaus waren zwar nur 151 von 577 Abgeordneten anwesend, doch diese stimmten mit Ausnahme von sieben Abgeordneten alle für die Resolution. Die starke Abwesenheit ist ein schwaches Ablehnungsindiz, da den Anwesenden die Deutungshoheit überlassen wurde.
Das Grundrecht zu töten
Was vor 40 Jahren offiziell als ultima ratio in Ausnahmefällen eingeführt wurde, wird heute vom französischen Parlament als „Grundrecht“ behauptet. Ein Recht zu töten als Grund- und Menschenrecht pervertiert die Idee der Menschenrechte und entblößt den Rechtspositivismus als brandgefährliche Rechtstheorie.
Die Resolution hat nur symbolischen Charakter, aber keine rechtliche Relevanz. Eine so eindeutige Willensbekundung eines Parlaments läßt jedoch kaum meritorischen Interpretationsspielraum, schließlich zählen auch Symbole. In Frankreich können seit 40 Jahren ungeborene Kinder legal getötet werden. Bisher gab es jedoch kein offizielles Parlamentsdokument, in dem der Kindermord als „Frauenrecht“ und schon gar nicht als „Grundrecht“ bezeichnet wurde. Die Formulierung will sagen, daß das Recht das eigene Kind töten zu können oder töten zu lassen, konstitutiv zum Frausein gehöre.
Der rechtliche und moralische Paradigmenwechsel wird um so eklatanter, wenn die massenmörderische Praxis und die Parlamentsresolution mit dem Artikel 16 des französischen Droit civil verglichen wird. Dieser definiert als tatsächliches Grundrecht den Schutz des menschlichen Lebens von der Zeugung an. Er definiert, garantiert aber nicht mehr, seit die Abtreibung legalisiert wurde.
Die Abtreibung wurde 1975 nur als ausnahmsweise Abweichung von diesem Grundsatz legalisiert. Eine fatale Ausnahmebestimmung, deren Fatalität allerdings bereits damals absehbar war.
Abtreibung und Todesstrafe
40 Jahre später hat der legale Mord die Mentalität der Menschen verändert. Was das Gesetz erlaubt, gilt auch als ethisch erlaubt und brachte eine Abtreibungsmentalität hervor. Bezeichnendes Beispiel dafür ist Catherine Deneuve. Um die „Errungenschaft“ des massenhaften Kindermordes zu feiern, verfaßte die bekannte französische Schauspielerin den Artikel C’est bien d’àªtre une femme für die französische Ausgabe der Huffington Post, der auch von der italienischen Ausgabe der Huffington Post und der Tageszeitung La Repubblica übernommen wurde.
Catherine Deneuve engagierte sich in den 70er Jahren aktiv für die Abtreibungslegalisierung. Die Schauspielerin bezeichnet eine Infragestellung des „Rechts auf Abtreibung“ als eine „schwerwiegende Sache“. Für Deneuve sind Lebensrechtsorganisationen „une aberration“.
Die Schauspielerin erklärt, sich nicht „mit Stolz brüsten zu wollen“ für ihren „zivilen“ Einsatz für die Legalisierung des Kindermordes. Deneuve war eine von 343 Frauen, die 1971 ein Manifest unterzeichneten und sich selbst bezichtigten, illegal ein Kind getötet zu haben. Die Kampagne wurde zum Standardprogramm im Kampf für die Abtreibungslegalisierung in mehreren Ländern. In Deutschland wurde sie von Alice Schwarzer inszeniert, in Italien von Emma Bonino.
Dennoch ist unverkennbar, wie „stolz“ Deneuve auf ihre „Mords“-Leistung ist, wenn sie voll Bewunderung über Simone Veil schreibt, die französische Ministerin, die das Abtreibungsgesetz unterzeichnete. Deneuve vergleicht Veil dafür tatsächlich mit Robert Badinter, dem Mann, der in Frankreich „die Todesstrafe abschaffte“. Simone Veil war von 1974–1979 unter dem bürgerlichen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing Gesundheitsministerin der Regierungen von Jacques Chirac und Raymond Barre und ebenso wieder 1993–1995 unter dem sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand der Regierung von Edouard Balladur. Von 1979–1982 war die Liberale Präsidentin des Europäischen Parlaments. Seit 2012 gehört Veil der Union des démocrates et indépendants (UDI) an, die im Europäischen Parlament mit der liberalen ALDE-Fraktion und international mit der Demokratischen Partei in den USA verbunden ist.
Ihre politische Karriere zeigt die parteiübergreifende Zustimmung zum Kindermord. Der Sozialist Robert Badinter war von 1981–1986 unter Staatspräsident François Mitterrand Justizminister der Regierung Pierre Mauroy, von 1986–1995 Präsident des französischen Verfassungsgerichtshofs und anschließend bis 2011 Mitglied des französischen Senats. Badinter empörte sich 2009 über Papst Benedikt XVI. wegen der Rücknahme des Exkommunikationsdekrets gegen Bischof Richard Williamson. Die beiden Juden Simone Veil und Robert Badinter gelten als nicht praktizierend, sondern „laizistisch-republikanisch“ gesinnt.
Zum Tode verurteilte Kinder
Die Dreistigkeit erstaunt, mit der Deneuve die Einführung des „Rechts“ auf Hinrichtung ungeborener Kinder mit der Abschaffung der Todesstrafe auf eine Stufe stellt. Ein Freudscher Versprecher? Mitnichten. Den Abtreibungsbefürwortern ist es todernst. Der Widerspruch, gleichzeitig die Abschaffung der Todesstrafe für Straftäter und gleichzeitig die Todesstrafe für ungeborene Kinder zu fordern, fällt ihnen gar nicht auf. Die Auswirkungen stehen zudem zahlenmäßig in keinem Verhältnis. Wurden 1946 im Zuge der Abrechnung mit dem Nationalsozialismus und der „Kollaboration“ 732 Todesurteile vollstreckt, gab es in den 70er Jahren nur mehr vereinzelte Hinrichtungen.
Seit der Legalisierung der Abtreibung werden jährlich in Frankreich durchschnittlich mehr als 200.000 ungeborene Kinder getötet. 2013 waren es 217.000 Kinder, die nie das Licht der Welt erblickten. Insgesamt forderte der Kindermord in den vergangenen 40 Jahren mehr als acht Millionen unschuldige Opfer, die schutzlos hingerichtet wurden.
Sowohl die Parlamentsresolution als auch Catherine Deneuve sprechen viel von „Rechten“, erwähnen aber nie die Kinder. Die Opfer bleiben unerwähnt. Deneuve schreibt in ihrem Artikel, daß es „undenkbar“ sei, vor das Abtreibungsgesetz zurückzukehren, weil das „wie die Wiedereinführung der Todesstrafe“ wäre. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Es hieße endlich die Todesstrafe für alle abzuschaffen, auch für die gezeugten Kinder, die am meisten Schutz bedürfen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi