Päpstliche Soziologie, die sich auf Ideologie reimt – und Kardinal Burke


Card. Burke sinodo(Rom) Die Vati­ka­ni­sten der gro­ßen Medi­en (etwa die Nach­rich­ten des tra­di­tio­nell als beson­ders vati­k­an­na­he gel­ten­den staat­li­chen ita­lie­ni­schen Fern­seh­sen­ders Rai 1) sprü­hen aus allen Poren ihre Freu­de über die Ent­schei­dung, Kar­di­nal Bur­ke abzu­ser­vie­ren. Ein Papst, der sei­ne Kri­ti­ker absetzt? Rich­tig? Falsch? Jeder möge sich selbst die Ant­wort dar­auf geben.

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Kom­men­tar von Giu­sep­pe Nardi

Welt­lich betrach­tet, besei­tigt ein regie­ren­der Poli­ti­ker oder Par­tei­chef sei­ne inter­ne Oppo­si­ti­on, bevor die­se ihn besei­tigt. In der Kir­che gilt die­se „Ent­schul­di­gung“ aber nicht, da eben die­se Gefahr gar nicht besteht, da ein Papst weder abge­wählt wer­den kann, noch sich durch wei­te­re Wah­len bestä­ti­gen las­sen muß. Sei­ne Wahl gilt auf Lebens­zeit, wenn Bene­dikt XVI. die­ses Detail auch lei­der über­se­hen hat. In der Kir­che muß es daher um Inhal­te gehen.

Warum wird bestraft, wer sich nichts zuschulden kommen läßt?

Nun kann selbst der ver­we­gen­ste Rabu­list Kar­di­nal Bur­ke nicht unter­stel­len, durch sei­ne Ver­tei­di­gung der über­lie­fer­ten Ehe- und Moral­leh­re in irgend­ei­ner Wei­se gegen die katho­li­sche Glau­bens­leh­re oder gegen die Katho­li­sche Kir­che gehan­delt zu haben.

Gegen die­sen Ver­dacht hat sich hin­ge­gen die Kar­di­nal Kas­per­sche The­se der „neu­en Barm­her­zig­keit“ zu recht­fer­ti­gen. Immer­hin steht der Vor­wurf im Raum, mit ihr die Gerech­tig­keit aus­trick­sen und letzt­lich aus­zu­schal­ten zu wollen.

War­um aber wird dann der recht­gläu­big spre­chen­de Kar­di­nal Bur­ke bestraft, der sich nichts zuschul­den kom­men hat las­sen, wäh­rend der zwei­deu­tig argu­men­tie­ren­de Kar­di­nal Kas­per mit päpst­li­chen Lor­bee­ren über­häuft wird? Wider­spruch wird nicht gedul­det, selbst wenn er recht­gläu­big ist? Oder hat mit dem sozio­lo­gi­schen Den­ken (sie­he die­Vor­be­rei­tung der Bischofs­syn­ode und deren Berich­te) auch ein ent­spre­chen­des „poli­ti­sches“ Han­deln in die Kir­che Ein­zug gehal­ten? Kar­di­nal Bur­ke erkann­te früh­zei­tig, daß die „neue Barm­her­zig­keit“ außer der „Evergreen“-Selbstbezeichnung „neu“ nichts taugt.

Der Makel

Seit den Zwangs­maß­nah­men gegen den Orden der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta ist das Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus mit einem Makel behaf­tet. Mit der unbarm­her­zi­gen Abset­zung im Namen einer „neu­en Barm­her­zig­keit“ ist ein wei­te­rer hin­zu­ge­kom­men, der sein Pon­ti­fi­kat über­schat­tet. Sowohl der Orden als auch der Kar­di­nal haben kei­ne Schuld auf sich gela­den. Im Umkehr­schluß bedeu­tet das, daß um so mehr Schuld auf sich lädt, wer gegen sie vor­geht. So fällt nach allem was erkenn­bar ist, auch der Vor­wurf der „Ideo­lo­gie“ viel­mehr auf den zurück, der ihn aus­ge­spro­chen und her­ab­las­send mit dem Fin­ger auf die tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Katho­li­ken gezeigt hat.

Selbst wenn man es ganz unna­tür­lich –  heu­te aber so beliebt – „neu­tral“ betrach­tet, wird hin­ter den Straf­maß­nah­men eine Unduld­sam­keit gegen Anders­den­ken­de sicht­bar, die den Inha­ber des Stuh­les Petri nicht ehrt. Für die Kir­che ist die Fra­ge nach der Recht­gläu­big­keit kein „neu­tra­les“ Spiel auf dem Schach­brett gleich­be­rech­tig­ter Gegen­sät­ze. Wel­che Sanft­mut und Geduld Bene­dikt XVI. gegen häre­ti­sie­ren­de Ten­den­zen in der Kir­che geübt hat, in der Hoff­nung, sie zur Ein­sicht brin­gen zu kön­nen, wird im direk­ten Ver­gleich sicht­bar. Damit wird auch deut­lich, auf wel­cher Sei­te die Unduld­sam­keit ange­sie­delt ist. Das gilt jeweils auch für die, die sich mit einer Sei­te identifizieren.

Das umgekehrte Beispiel

Jeder kann sich aber die Fra­ge stel­len, was gesche­hen wäre, wenn Bene­dikt XVI. gegen sei­ne inter­nen Kri­ti­ker und Boy­kot­teu­re vor­ge­gan­gen wäre. Oder sind die bis­sig-bösen Kom­men­ta­re deut­scher Kle­ri­ker, Lai­en­funk­tio­nä­re und Theo­lo­gen­pro­fes­so­ren im Kir­chen­steu­er­sold als anti­rö­mi­sche Dau­er­be­rie­se­lung in den gro­ßen Medi­en, nicht zuletzt den öffent­lich-recht­li­chen bereits ver­ges­sen? Er hät­te es in vie­len Fäl­len mit gutem Grund tun kön­nen und wahr­schein­lich sol­len, in man­chen Fäl­len viel­mehr müs­sen, da es kei­nes­wegs um per­sön­li­che Ani­mo­si­tä­ten ging, die auch ein Kir­chen­ober­haupt, solan­ge der gebo­te­ne Respekt bezeugt und die Men­schen­wür­de geach­tet wird, zu ertra­gen hat, son­dern um den eben­so illu­sio­nä­ren, wie explo­si­ven „Traum“ von einer „ande­ren Kirche“.

Was wäre also gesche­hen, wenn Bene­dikt XVI. ähn­lich gehan­delt hät­te? Den Auf­schrei der Empö­rung, durch die Medi­en künst­lich ver­stärkt , kann jeder im Ohr hören. Ganz kon­kret: Wel­cher Lärm wäre erzeugt wor­den, wenn Bene­dikt XVI. gegen Kar­di­nä­le oder Bischö­fe vor­ge­gan­gen wäre, die sei­ne Auf­he­bung des Exkom­mu­ni­ka­ti­ons­de­krets gegen die Bischö­fe der Pius­bru­der­schaft kritisierten?

Und wie vie­le hät­ten ganz alt­te­sta­ment­lich ihre Klei­der zer­ris­sen, wenn Bene­dikt XVI. jenen hohen Prä­la­ten „neue Auf­ga­ben“ zuge­wie­sen hät­te, die sei­ne histo­ri­sche, ja pro­phe­ti­sche Regens­bur­ger Rede kri­ti­sier­ten, deren Bedeu­tung und Trag­wei­te selbst acht Jah­re danach kaum in Ansät­zen ver­stan­den wird.

Was hät­te die wech­sel­sei­ti­ge Alli­anz aus Jour­na­li­sten und bestimm­ten Kir­chen­funk­tio­nä­ren gesagt, wenn Johan­nes Paul II. oder Bene­dikt XVI. das Epi­sko­pat des laut eige­ner Defi­ni­ti­on „ Ante-Pap­stes“ Car­lo Maria Kar­di­nal Mar­ti­ni ver­kürzt hätten?

Es wird Kirchengeschichte geschrieben

Heu­te applau­die­ren die einen der Abset­zung von Kar­di­nal Bur­ke, wäh­rend ande­re dazu schwei­gen. Wir neh­men sowohl das Eine als auch das Ande­re zur Kennt­nis. Man wird es sich mer­ken müs­sen, um die­se Zeit der Kir­chen- und Mensch­heits­ge­schich­te ein­mal rich­tig ver­ste­hen und deu­ten zu können.

Die­se anschau­li­chen Ereig­nis­se, mit denen Kir­chen­ge­schich­te geschrie­ben wird und deren Zeu­gen wir heu­te sind, erleich­tern es viel­leicht man­chem, sich in etwa vor­stel­len zu kön­nen, wie es in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten zuging und war­um damals bestimm­te Ent­wick­lun­gen in die eine und nicht in die ande­re Rich­tung erfolg­ten. Man den­ke aus aktu­el­lem Anlaß, ein Luther­jahr naht, an die Refor­ma­ti­on und an das so durch­trie­ben eigen­nüt­zi­ge Schis­ma Hein­richs VIII. von Eng­land. Auch ein Ver­gleich Hein­richs mit Rai­mund IV. von Tou­lou­se (1041–1105) scha­det in die­sem Zusam­men­hang keineswegs.

Nach dem Kon­kla­ve vom März 2013 und den Äuße­run­gen und Gesten des neu­en Pon­ti­fex stand die Fra­ge im Raum, was Papst Fran­zis­kus mit sei­nem Pon­ti­fi­kat errei­chen will. Die Bischofs­syn­ode hat die Schlei­er etwas gelüf­tet. Der Ziel­punkt ist zwar noch nicht sicht­bar, kann besten­falls mehr oder wenig tref­fend erahnt wer­den, doch erin­nert eini­ges an das wenig rühm­li­che Kapi­tel der Kasu­istik, das mit dem Jesui­ten­or­den zusam­men­hängt. Eben die­sem Orden gehört Papst Fran­zis­kus an. Nie­mand hat die­ses Kapi­tel bis­si­ger zer­pflückt als Blai­se Pascal.

Kardinal Burke ist Amerikaner, kein Europäer

Kar­di­nal Bur­ke steht als Kar­di­nal­pa­tron ein inter­na­tio­nal agie­ren­der Orden mit staat­li­cher Sou­ve­rä­ni­tät zur Ver­fü­gung, der mit 109 Staa­ten diplo­ma­ti­sche oder stän­di­ge Bezie­hun­gen unter­hält.  Die Ordens­lei­tung wird um gute Bezie­hun­gen zum Vati­kan bemüht sein, den­noch wird es unter den Rit­tern und Damen nicht an Unter­stüt­zung feh­len. Vor allem aber ist der Kar­di­nal Ame­ri­ka­ner. Im Gegen­satz zu deutsch­spra­chi­gen Wür­den­trä­gern, die sich in der kir­chen­steu­er­li­chen Rund­um­ver­sor­gung wie­gen, ist ein Ame­ri­ka­ner gewohnt, sich selbst orga­ni­sie­ren zu müs­sen. Die Hilfs­lo­sig­keit, der manch Euro­pä­er nach Ent­zug von Pfrün­den ver­fällt, ken­nen Ame­ri­ka­ner kaum.

Kar­di­nal Bur­ke ist noch ver­hält­nis­mä­ßig jung. Er dürf­te, so Gott will, noch an zumin­dest einem Kon­kla­ve teil­neh­men. Die Wahl des Hei­li­gen Gei­stes oder das Los der Kar­di­nä­le könn­te noch auf ihn fal­len. Vor­erst aber zeich­net sich ab, daß der viel­fach applau­dier­te argen­ti­ni­sche Papst als Fran­zis­kus der Unbarm­her­zi­ge in die Geschich­te ein­ge­hen könn­te. Jede Fehl­ent­schei­dung kann ein­ge­se­hen und jede Hal­tung geän­dert wer­den. Wird dies geschehen?

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: CR

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

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