Der Rechtshistoriker Franz Norbert Otterbeck befaßt sich im nachfolgenden Aufsatz mit Aspekten von Kontinuität und Bruch zwischen Benedikt XVI. und Papst Franziskus, mit der Frage der Kollegialität unter dem amtierenden Kirchenoberhaupt und den Weichenstellungen von Paul VI. weit über seinen Tod hinaus. Die Zwischentitel wurden von der Redaktion eingefügt.
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Gastbeitrag von Franz Norbert Otterbeck*
Im September 2013 gab der Verfasser seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die beiden Päpste, die das 21. Jahrhundert bislang hervorgebracht hat, insgesamt ein gemeinsames Werk vollenden werden. (Veröffentlicht in THEOLOGISCHES, Jg. 2013, Sp. 547–558.) Papst Benedikt als Planverfasser sozusagen, Franziskus als sein Vollender. Das wird im weltweiten Maßstab vielleicht dereinst so gesehen werden. Aber auf dem Petersplatz hingegen erklingt „Papa Francesco“ nur selten zur Melodie von „Benedetto“, zum Beispiel wenn deutsche Ministrantinnen da sind (und einige Ministranten), so am 5. August 2014, zu „Maria Schnee“ sozusagen.
Im September 2013 war allerdings zunächst die massive Medienwelle abzuwehren, die besonders „im deutschsprachigen Raum“ den Argentinier gegen den Deutschen ausspielte. Schon 2014 kam bei BILD aber niemand mehr auf die Idee, eine Schlagzeile zu bringen wie: Ihr seid zwar Papst – wir aber Weltmeister. Stattdessen viel falscher Humor um „Götze“, den Torschützen, und „Erlösung“. Die „Erlösung“ fiel übrigens in der 113. Minute. Hat also doch der heilige Kaiser Heinrich den Ball über die Linie geschoben, „von oben“? Der 13. Juli ist seit 1970 sein Festtag.
Viel Götzendienerei bei medialer Aufwertung Unseres Heiligen Vaters gegenüber berühmtem Vorgänger
Sehr viel Götzendienerei spielt mit bei der immer noch betriebenen medialen Aufwertung Unseres Heiligen Vaters gegenüber seinem berühmten Vorgänger. Das hier angemessen gewürdigte Buch über Papst Franziskus (THEOLOGISCHES, Jg. 2013, Sp. 297–302.) von 2013 hat der Ex-BILD-Reporter Andreas Englisch jüngst in erweiterter Fassung neu herausgegeben. Im Untertitel wird die von ihm bereits am 20. März 2013 ausgerufene „Revolution“ jetzt zementiert. Die Chance einer erweiterten Fassung hingegen hat er verpasst, wie zu erwarten war. Von den ihm angekreideten sachlichen Fehlern wurden nur sechs berichtigt (auf den nunmehrigen Seiten: 12 f., 54, 64, 68, 136, 143, 173; die Erwähnung Pius XI. fehlt auf S. 184 immer noch). Auf Seite 366 macht er von seiner herausragenden Inkompetenz wieder peinlich Gebrauch: Er ernennt Jakobus den Älteren („Santiago“) zum Bruder Jesu und liest in den Text des NT eine Art jesuanische kollektive Führung der Gemeinde hinein, die angeblich jetzt Papst Franziskus für seine Kirche nach lutherischem Vorbild (S. 367 f.) aufgreifen wird. Pustekuchen.
„Pastorale Linke“ deutscher Nation rüstet auf
Vielleicht sollte der Verfasser das Ende der Außerordentlichen Bischofssynode 2014 noch abwarten, aber ich lege mich jetzt schon fest: Zölibat bleibt, Frauenordination ist kein Thema und in der angeblich so brennenden Frage, „hier“ mehr eine kirchensteuerpolitische Frage (i.e. Eliminierung von Austrittsgründen) der sogenannten „Wiederverheirateten“ wird es zwar theologische Signale geben, aber kein Zugang zu den Sakramenten beschlossen werden. Wenn es anders kommt, muss ich diesem Text noch eine Fußnote beifügen. (Dieser Text stammt im überarbeiteten Entwurf vom 16. Oktober 2014. Es bestand hier allerdings kein Anlass zur Korrektur.) Allerdings wird das Thema ja sowieso erst 2015 zu Ende erörtert. Die mitunter beunruhigenden Signale mitten aus der laufenden Synode lassen also noch kein Endurteil zu. Die „pastorale Linke“ deutscher Nation rüstet aber auf. Da sie aber kein wirkliches Echo mehr finden wird, generationsbedingt, wird sich dieser vom medialen „Franz-Image“ angefeuerte Kraftakt schon sehr bald abschwächen. Dann aber stehen wir vor einer beispiellosen katholischen Trümmerlandschaft in Deutschland; und der ähnlich gelagerten Umgebung, wie es sie mindestens seit 1945 nicht mehr gab. Denn dieselben Kräfte, die „Franz“, den demokratischen Kaiser sozusagen, auf ihre Alt-68er-Banner malen, haben bereits nichts unversucht gelassen, um die zarten, jungen Pflänzchen, die in der Ära Benedetto nunmal, gegen alle Hoffnung, sprossen, jäh auszureißen. Ludwig Ring-Eifel von der KNA, ein Kürzel für bezahlte „Arbeitslosigkeit“, beeilte sich 2013 mit seiner Schadenfreude auf katholisch.de (einem von vielen bischöflichen Millionen-Gräbern) zu bekunden, dass von der „Generation Benedikt“ nichts bleiben wird.
Man wird sehen, ob Kardinal Woelki, zweifellos momentan der beste Mann im Episkopat deutscher Zunge, in Köln noch etwas mutiger auftreten wird als in Groß-Berlin erlebt, der Metropole der Heidenangst. Es gibt ja auch am Rhein noch andere „Zeichen der Zeit“. Der mit sich selbst beschäftigte Beschäftigungssektor „antirömisch“ katholischer Provenienz hierzulande weiß diesen nur nichts mehr entgegenzustellen. Man denke nur an den traurigen Zustand der Bonner Fakultät, an der Joseph Ratzinger zum Konzilsberater aufblühte.
Kardinal Brandmüller: Kirchen müssten voll sein, falls Begeisterung für Papst mehr als nur oberflächlich
Unser Thema ist aber immer noch „Papst Franz“ und die Deutschen bzw. Joseph Ratzinger und die Deutschen. Kardinal Brandmüller hat jüngst zu Recht angemerkt, dass die Kirchen voll sein müssten, falls die Begeisterung für den Heiligen Vater mehr als nur oberflächlich wäre. (Kath.net am 26. August 2014.)
Die Anstrengungen, die der Papst unternimmt, verfolgen dasselbe Ziel, das Benedikt XVI. ins Auge gefasst hatte: Die Kirche „fit“ machen, wahrnehmbar im 21. Jahrhundert, damit dieses die Menschen zu Gott heimführt, anstatt in den Abgrund. Franziskus zieht, gut ignatianisch, die Konturen schärfer. Entweder-Oder. Jesus oder Satan. Das wird nördlich der Alpen sensationell einmütig ignoriert. Hier kommt nur an, dass der Papst angeblich in Kürze alles das abschaffen wird, was den postmodernen Menschen von heute ein Dorn im „Wasserbett“ ihres „Lebensstils“ zu sein scheint. Der Dorn sitzt aber woanders; und wer den herauszieht, der vernichtet dann die Behaglichkeit. Ausgerechnet den Islam im deutschen Religionsunterricht – eigentlich: Staatsbürgerkunde – schönzufärben, als sei Allah derselbe gute Vater im Himmel (keineswegs!), das hat doch keineswegs zu verhindern vermocht, dass auch deutsche „Konvertiten“ jetzt Krieg führen, für den islamischen Staat.
Kleinkariert gestrickte Muster von DBK und ZdK
Es ist richtig, dass Papst Franziskus die „Veränderung“ der Kirche nicht scheut. Aber sie soll sich Christus nähern, und nicht von ihm wegtreiben. Das wollte auch unser Papst Benedikt. Starke Kräfte hierzulande können „Veränderung“ nur als Anpassung des römischen „Monstrums“ an die doch recht kleinkariert gestrickten Muster von DBK und ZdK (also Cducsu mit einigen rotgrünen Einsprengseln) auffassen. Eine in diese Richtung zielende „Veränderung“ ist aber im Weltmaßstab nicht finanzierbar. Das „kirchliche Leben“ hier ist, ohne Totalsubvention, kaum mehr vital, wenngleich noch ca. 5‑fach vitaler als die EKD, die mithin noch etwa fünffach dreister überfinanziert ist. So „geht“ Kirche weltweit nicht. Weltweit „geht“ Kirche nur noch als: Geh-hin-Kirche, also der „Kirchgang“ der Kirche zu den Menschen. Das ist zwar „im Reich“ (Dtld./Österreich/Schweiz) auch ein populäres Programm, aber nur, um es immer wieder in den internen „Dienst“-Besprechungen zu thematisieren. Wie „weit weg“ Rom doch von „den Menschen“ ist! Meint man: „Pille“ ab 13 auch in der Ursulinenschule? Und Kondome, verteilt vom ständigen Diakon? Ständig? Aber man sagt: „weit weg“. Papst Franziskus meint mit einer Kirche, die hinausgeht, zu den Rändern, nun aber echte Menschen, die wirklich zu Menschen gehen, eine Kultur der Begegnung; und keine pastorale Dienstbesprechungen in noblen Herrenhäusern, mit ständig frischem Kaffee und einzeln verpackten Keksen dazu. Papst Franziskus wird niemals „die Pille“ empfehlen, rühmte er doch den Hl. Johannes Paul II. als den „Papst der Familie“. Papst Franziskus wird beim Weltfamilientreffen in Philadelphia im September 2015 auch keine Kondome aus dem Helikopter regnen lassen. Stat crux dum volvitur orbis.
Aus dem „Revolutionär“ Franziskus wird kein katholischer Luther. Gott sei Dank
Theologisch ist Bergoglio SJ nach wie vor ein „harter Brecher“. Er hat die Dogmatik entlang der traditionellen Literatur gelernt; und ihm wird gewiss kein Lobeswort über Teilhard de Chardin oder Karl Rahner über die Lippen kommen, wiewohl beide Jesuiten sind; und er selber längst sogar dem Ordensgeneral Pedro Arrupe aus dem Baskenland verziehen hat. Derselbe war anscheinend aus nachvollziehbaren Gründen überzeugt, den kastilischen Katholizismus à la Francisco Franco weltweit bekämpfen zu müssen, weil er mit „Glaube UND Gerechtigkeit“ durchaus ein franziskanisches Ideal mit in die ignatianische Vision hineingebracht hat. Mag Andreas Englisch schon zu Lebzeiten im Grabe rotieren: Aus dem „Revolutionär“ Franziskus wird kein katholischer Luther. Gott sei Dank.
Innerhalb des Protestantismus zielt Papst Franziskus übrigens auf die Evangelikalen und sogar auf die Pfingstler. „Wo der Geist sich regt …“ hieß es in einem NGL (Neuen Geistlichen Leid) der 70er Jahre. Man meinte damit sogar in Münster um 1970 eher Che Guevara als amerikanische Baptistenprediger. Aus „neuer“ römischer Warte ist der Heilige Geist aber anscheinend eher bei bibeltreuen Christen zu vermuten als am Konferenztisch der Bonner Theologenfakultäten, die ökumenisch vereint längst der Selbstvernichtung entgegeneilen. „Denn sie logen, dass sich die Balken bogen.“ (Man denke dabei nur an Helmut Merklein/Erich Gräßer und die versuchte Annullierung des Geburtsorts Jesu.)
Man wird mit der Warnung aber nicht gehört, dass Papst Franziskus „deutschnationale“ Wünsche nicht erfüllen wird. Wenn sich die „pastorale Linke“ (zu der auch bunte politische ‚Kolibri‘ gehören, von der konservativ-liberalen Richtung) in Kürze von ihrem „Scheinriesen“ abwenden wird, man wird sagen, dass er immer kleiner wurde, je näher man ihm kam, dann ist guter Rat teuer: Denn wo alle Zeichen des Papstes Franziskus immer „gegen Ratzinger“ gelesen wurden, da werden dann aus manchen Ratzingerfreunden auch dann keine „Franziskaner“ mehr, wenn die Nähe beider Päpste zueinander für die Allgemeinheit sichtbarer werden wird. Wird diese aber sichtbarer? Oder haben wir es in einigen wesentlichen Punkten doch mit dem „Anti-Ratzinger“ zu tun?
Notwendige „Außenansicht“ der Kirche
In der „Zeichensetzung“ ist der Jesuit nunmal parkettsicher. Denn tatsächlich betrachtet er die Kirche wie einer „von draußen“. Das ist aber nicht revolutionär, sondern missionarisch. Kein Hans Küng und keine Margot Käßmann vermochten sich je von der „Innenansicht“ zu lösen. Solche Theologen behaupten, was die Welt von der Kirche braucht. Aber sie wissen es nicht. Leider hat sich nicht erst in den Jahren unter Papst Benedikt gezeigt, dass die Curia romana, wenngleich weit besser als ihr Ruf, das Schifflein Petri leider nicht „zentral“ in die „römische“ Richtung zu steuern vermag. Hier kann der Blick von außen – wenn ihm Taten folgen – durchaus heilsam sein. Joseph Ratzinger wagte sich an eine Kurienreform nicht heran, wiewohl schon viele sie anmahnten. Die Kurie hätte dann wohl noch entschlossener gegen den (dort eben nicht so gut vernetzten) ehemaligen Gar-nicht-Panzer-Kardinal gearbeitet als sowieso schon. Ich denke, dass Unser Papst Benedikt mit den Aufräumarbeiten wie auch mit der Außenwirkung seines Nachfolgers herzlich einverstanden ist. Seine gelegentlichen Äußerungen aus letzter Zeit lassen keine andere Deutung zu. Ein Nadelstich könnte hingegen sein, dass anscheinend seit 29. VI. 2014 die von BXVI bevorzugten roten Kreuze auf dem Pallium wieder durch die traditionell schwarzen Kreuze ersetzt sind. Damit ist zwar eigentlich eine missglückte „Pallien-Reform“ von Piero Marini 2005 gescheitert, die schon 2008 korrigiert wurde. Mir aber hat es gefallen, dass die roten Kreuze den „deutschen“ Papst unverwechselbar machten, gegenüber dem schwarzen Kreuz des deutschen Ordens, das heute noch die Bundeswehr zeigt.
Vitalisierter und radikalisierter Montinianismo
Aber verlieren wir uns nicht in Details. Es geht ums Ganze. Und das ist nicht ungefährdet. In der Perspektive insgesamt sind sich alle Päpste seit Paul VI. nah; und sogar Johannes XXIII. war schon in gewissem Sinne „Montinianer“, da er „G.B.M.“ den Weg frei machte. Aber noch keiner zuvor hat den montinianismo derart vitalisiert und radikalisiert wie G.M.B. (Bergoglio) es tut. Der Konzilspapst hat die Dreifachkrone niedergelegt, sein Nachfolger schaffte die Krönung ab, Joseph Ratzinger entzog dem Papstwappen die monarchische Spitze; und mit seinem Rücktritt gewissermaßen der Kirche den monarchischen Kult. Bergoglio vernichtet jetzt nahezu alles, was noch an einen Cäsaropapismus unter päpstlicher „Ferula“ erinnern mochte. Dazu gehört allerdings die „alte Messe“ nicht. Nahm diese Bewegung ihren Anfang bereits in Brescia, beim „Cittadino“, der Zeitung von Papstvater Giorgio Montini, dem engagierten Christdemokraten? Mag sein. Angeblich hat schon Pius X. anlässlich einer Audienz für den Abgeordneten Montini und seine Familie dem kleinen Johann Bapist aus den galloromanischen Bergen den Pontifikat prophezeit (so meint Bischof John Magee). Ahnte der heilige Papst der Vorkriegszeit, dass der im Oktober 2014 Seliggesprochene jedem ‚Cattofascismo‘ alle Zukunftschancen abschneiden wird? Damals gab es den „Faschismus“ noch nicht, aber die Warnung des Heiligen Vaters vor dem „Sillon“ (einer Vermengung von Religion und Politik) war durchaus schon „antifaschistisch“, ebenso aber die Aktion Pius XI. gegen die Action française sowie auch die Annäherung des Nuntius Roncalli (politisch „rechts“ stehend!) an die IV. Republik in Paris.
Der Erfolg der Pontifikate Benedetto-Francesco wird sich wieder auf französischem, spanischem und italienischem Boden entscheiden, aber nicht in Altötting, Kevelaer, Werl oder dem inzwischen vergessenen Wittenberg, das kein Pilgerort ist. Vielleicht liegt der Schlüssel auch in USA, wo der Papst im nächsten Jahr ein Tor aufstoßen könnte, zugunsten der Armen weltweit und dort vor Ort.
Bergoglio war in seiner Jugend kein Christdemokrat, sondern eher Peronist
Bergoglio war in seiner Jugend kein Christdemokrat, sondern eher Peronist. In Argentinien ist die Nation aber jedenfalls nur als eine Republik denkbar, wenn auch das Ideal zu oft durch Diktaturen empfindlich lädiert wurde. Bergoglio fehlt der Kulturschock von „1968“. Daher ist es ihm leichter möglich, das Konzil unverfälscht zu lesen und zu fast 100% unter „Fortschritt“ zu buchen, geistlich verstanden. Theologisch sind ihm „Fortschritte“ fast egal. Da ist nur Fortschritt, was dazu dient, Jesus zu den Menschen zu bringen; und die Zivilisation zu ihm, dem Herrn aller Welt. Aus lauter Abneigung gegen Spitzfindigkeit und intellektuelle Spiegelfechtereien spricht Franziskus mitunter durchaus unscharf und zitiert fehlerhaft. [1]Von der Schönstatt-Bewegung wurde am 25.10.2014 wieder ‚Ecclesia semper reformanda‘ einem lateinischen Kirchenvater zugeordnet. Dieses ‚bonmot‘, das durchaus auf das uralte Ringen der Kirche um ihre … Continue reading Wo ein Kirchenvater einmal gesagt haben soll, der Heilige Geist sei selber Harmonie (ipse harmonia est) war bislang unauffindbar. In Evangelii gaudium musste dann eine Stelle bei Thomas von Aquin für dieses Zitat herhalten. (Evangelii gaudium, Nr. 117, Fn. 93.) Vielleicht hat das irgendein Grieche gesagt, aber für den Jesuiten galt bereits: Graeca non leguntur?
Paul VI. hat Weichen bis weit ins 21. und vielleicht noch 22. Jahrhundert gestellt
Abgeräumt wird aber nicht, was die Kirche auszeichnet, vor allem nicht ihre Hierarchie, wie die ersten Personalentscheidungen zeigen, abgeräumt wird das, was Auftrag und Sendung der Kirche „von außen betrachtet“ entgegenarbeitet. Das ist montinianismo pur. Etliche Leser werden sich genau darüber ärgern, verfolgen also unter dem Namen Franziskus immer noch den vermeintlichen „Hamlet“ der Kirche im 20. Jahrhundert, der aber in Wahrheit so zügig zu Entscheidungen kam wie keiner seit Pius X. Die „dissenters“ links wie rechts werden sich damit anfreunden müssen, dass Paolo VI bis weit hinein ins 21. und vielleicht noch 22. Jahrhundert die Weichen gestellt hat. Lefebvre nannte das Selbstzerstörung. Aber man wird sehen. Derzeit ist noch davon auszugehen, dass Christus selber im Heiligen Geist durch die berufenen Amtsträger seine Kirche anleitet und zu neuen Ufern führt. Das kann auch Überraschungen bereithalten.
Überraschungen? Marienverehrer fordern seit langem ein weiteres marianisches Dogma, etwas demonstrativ. Das kann durchaus kommen. Die Chancen dafür stehen unter Papst Franziskus deutlich günstiger als es unter Papst Benedikt möglich war, weil Bergoglio im Zweifel nicht zögert, von seinem Amt auch Gebrauch zu machen. Die Frage allerdings ist offen, ob er an Definitionen interessiert ist. In seiner petrinischen Amtspraxis wird sich Papst Franziskus aber mehr und mehr als der Papst der „Mediatrix“ erweisen, ganz ergeben der Mittlerin aller Gnaden. Kann eine Definition nützen, wenn die Welt in Flammen steht? Kann ein Dogma als „Feuerwehr“ dienen? Das ist 1950 fehlgeschlagen. Als Pius XII. für sich Unfehlbarkeit in Anspruch nahm, mit Recht, da bekam so manche hiesige Theologenfakultät das Unverständnis der Welt draußen zu spüren, im Heiligen Jahr. Nur 25 Jahre später, also nach kürzerer Zeit als allein Johannes Paul II. im Amt war, war die Kirche 1975 kaum noch als die zu erkennen, der – zu Lebzeiten ruhmreich – Pius XII. vorstand. Wie das? Die Frage ist noch unbeantwortet. Vom Dogma der Assumpta ist in der heutigen Pastoral, soweit mir bekannt, nicht einmal Feinstaub übriggeblieben. „Das ist nicht wichtig“, bekommt der vorwitzige Schüler zu hören, der fragt, was es für uns bedeutet, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen ist. Dabei hängt doch (auch) daran das ganze Gesetz samt den Propheten, also der Ernstfall der Liebe des himmlischen Vaters zu seiner Schöpfung.
In Jerusalem sagte der Papst sinngemäß (25. Mai 2014: „E quando la disunione ci fa pessimisti, poco coraggiosi, sfiduciati, andiamo tutti sotto il manto della Santa Madre di Dio. Quando nell’anima cristiana ci sono turbolenze spirituali, soltanto sotto il manto della Santa Madre di Dio troveremo pace. Che Lei ci aiuti in questo cammino.“) , dass wir alle, auch in der Ökumene, wenn wir im Zwielicht sind, unter dem Schutzmantel der Mutter Jesu unsere Zuflucht finden. Das ist sie schon fast, die vermisste Definition. „Unter dem Mantel der Heiligen Gottesmutter finden wir Frieden.“ Das kann der Verfasser aus eigenem Erleben zu Kevelaer am Niederrhein bestätigen. Der Christ der Zukunft ist also kein Mystiker, sondern einer, der vor allem das erfahren hat: Die ganze, sichtbare Kirche ist als Consolatrix afflictorum, als Zelt Gottes unter den Menschen heilswirksam.
Warnung vor einer Ekklesiologie der Parteilichkeit
Würde „Pope Francis“ zu einem Lehrurteil finden, in vorkonziliarer Form, so wäre das eine Überraschung. Aber solche schließt er ja nicht aus. Theologisch ist mithin gegen Papst Franziskus nichts vorzubringen. Er ist katholisch und hat das Talent, auch gegenüber „linken Vögeln“ die rechte Sprache wieder redselig zu machen. Warnsignale gibt es trotzdem und mindestens ein großes Risiko. Steuert unser Heiliger Vater etwa den Episkopat „kollegial“ in den Abgrund? Oft und oft hat der Verfasser dieser Zeilen vor einer Ekklesiologie der Parteilichkeit gewarnt. Papst Benedikt ging es im Petrusamt immer um die Einheit der Catholica. Was dann, wenn der Papst – nicht theologisch, aber kirchenpolitisch – zur „Partei“ wird? Stimmen aus dem Umfeld der Synode sind da gar nicht heiter zu deuten. Von Zensur ist die Rede und davon, dass der Papst indirekt „alles“ steuerte. Zum Schluss bekannte er offen, dass er selber der Garant der Kollegialität sei. (Unter Verwendung eines langen Zitats von Benedikt XVI. zur Autorität der Päpste.) So sollte das mit der „Synodalität“ und „Kollegialität“ aber nicht gemeint gewesen sein? Das ist ein schwieriger Begriff: Kollegialität. (Vom Verfasser hier mehrfach bearbeitet, z.B. THEOLOGISCHES, Jg. 2011, Sp. 401–408.) Mehr offene Aussprache, mehr gegenseitiges Hinhören. Das ist gut. Aber wer „Barmherzigkeit“ gegen das Dogma ausspielt, die doch unser Dogma ist und im Dogma immer anwesend, der tut keinen Samariterdienst an der Menschheit. Bereits im Vorjahr hat der Verfasser mit in Betracht gezogen, dass Benedetto und Francesco nicht nur in der Hermeneutik der Kontinuität zueinander zu erfassen sind. Beim Begriff der Kollegialität der Bischöfe droht aber noch kein wirklicher Bruch, den ersten Anzeichen nach, denn auch bei der aktuellen Synode zementierte der Papst dieselbe als „mit und unter Petrus“ zu exerzieren. Hier war schon Jeseph Ratzinger, ganz gegen seine Gewohnheit, überraschend unpräzise, als er die ‚Nota praevia‘ zu Lumen gentium für das LThK (in 2. Aufl.) kommentierte (Band 12, Ergänzungsband, Freiburg u.a. 1966, S. 348–359, insb. 355 ff.) , weil damals: Anhänger der „Kollegialität“, wiewohl das Wort (anders als: Kollegium) im Text des Konzils gar nicht vorkommt. „Kollegiale“ Experimente wie das Pastoralkonzil in Holland oder die Würzburger Synode 1972–1975 haben wenig gute Früchte gezeigt. Denn man hat die immer präsente Machtfrage „barmherzig“ ausgeblendet. Wer die heilige Hierarchie delegitimiert, der führt ja in Wahrheit nicht etwa Christenrechte in der Kirche ein, sondern rüttelt an Canossa, an der gregorianischen Reform. Sieger ist dann aber nicht das „fromme Volk“, sondern die Staatsgewalt (wie überall im Geltungsbereich der Reformation zu sehen: Kirchenrecht ist dort nurmehr Ausfluss des Verwaltungsrechts). Auf diesem Felde hat Papst Franziskus eine Gratwanderung zu meistern, die bislang noch am ehesten Paul VI. gelang (und den Nachfolgern weniger). Das kann gut und richtig verstanden werden: Dezentralisierung, Subsidiarität. Aber Sieger darf dabei nicht die Fratze staatlich angeleiteter Kirchenpolitik werden, und auch nicht mittelbar, etwa „gelenkt“ durch das hiesige Kirchensteuersystem, das manche Kommentatoren samt und sonders als „Simonie“ (Käuflichkeit des Sakralen) brandmarken. Deutsche Bischöfe lieben das Geld und verachten die Armut. Hier hoffe und bete ich, dass mehr franziskanischer Geist sich regt.
Auch gegen Ende des Jahres 2014 ist mithin die Frage noch nicht abschließend zu beantworten, wie viel „Bruch“ und wieviel „Kontinuität“ sich zwischen Benedetto-Francesco einspielen werden; und wieviel davon die Protagonisten selber verantworten, wieviel davon aber durch die Medien erzeugt wird. „Mediatrix“ statt mass-media, möchte man da ausrufen. Wer weiß? Vielleicht tritt Papst Franziskus doch noch, ganz kollegial, an das fehlende Mariendogma heran. Das wäre Revolution und Restauration zugleich. Zum Segen für Euch und für alle.
Dr. Franz Norbert Otterbeck ist Rechtshistoriker und Wirtschaftsjurist. Der Doktor beider Rechte ist freiberuflicher Rechtsanwalt in Köln und publiziert u.a. zu rechtswissenschaftlichen und historischen Themen, auch zur kirchlichen Zeitgeschichte.
Bild: AsiaNews
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↑1 | Von der Schönstatt-Bewegung wurde am 25.10.2014 wieder ‚Ecclesia semper reformanda‘ einem lateinischen Kirchenvater zugeordnet. Dieses ‚bonmot‘, das durchaus auf das uralte Ringen der Kirche um ihre christusgemäße Form bezogen werden kann, stammt aber m.E. aus dem niederländischen Calvinismus. |
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