(Rom) Das Verwirrspiel auf höchster Ebene geht weiter. Im wahrsten Sinn des Wortes, denn im Vatikan von Papst Bergoglio herrscht Verwirrung und jeden Tag kommt neue dazu. Nach der befremdlichen Einladung des Leoncavallo im Vatikan (Vertreter des linksextremen Zentrums „Leoncavallo“, das seit 39 Jahren sprichwörtliches „Zentrum“ linksextremer Gewalt in Italien ist, wurden am 28. Oktober von Papst Franziskus im Vatikan empfangen) veröffentlicht nun der Vatikanverlag Libreria Editrice Vaticana die „Interviews und Gespräche mit Journalisten“. In Buchform werden alle umstrittenen „anerkannten Interviews von Papst Franziskus, die vom Osservatore Romano, der Tageszeitung des Heiligen Stuhls und anderen Zeitungen veröffentlicht“ wurden, herausgegeben.
Franziskus beharrt auf Interviews als Teil seines Lehramtes
Mit der Veröffentlichung wird ihnen besondere Bedeutung zuerkannt. Die Betonung liegt dabei auf „anerkannte“ Interviews. Gerade die Frage der Authentizität war bisher höchst umstritten. Erst recht, seit Eugenio Scalfari, Doyen des linksliberalen Journalismus bekanntgab, die päpstlichen Antworten in den beiden Interviews, die er mit Papst Franziskus führte, selbst formuliert zu haben.
Die Drucklegung sei jedoch mit ausdrücklicher Druckerlaubnis des Papstes erfolgt, so Scalfari. Ein wirkliches Dementi wurde vom Vatikan nie ausgesprochen. Vatikansprecher Pater Federico Lombardi vollzog im Zusammenhang mit der Veröffentlichung beider Scalfari-Interviews seltsame Eiertänze, mit denen er einerseits den Inhalt der umstrittenen Papst-Aussagen bestätigte, aber gleichzeitig eine Art von Distanzierung versuchte.
Nicht wenige Katholiken bestritten bisher, daß die Interviews Teil des päpstlichen Lehramtes seien. Papst Franziskus scheint dies schon immer anders gesehen zu haben. Da der Osservatore Romano die Interviews nachdruckte und sie sogar auf der Internetseite des Heiligen Stuhls als Teile des päpstlichen Lehramtes veröffentlicht, sie wieder zurückgezogen und erneut veröffentlicht wurden, kann nach der gesammelten Ausgabe durch den Vatikanverlag kaum mehr ein Zweifel bestehen, daß Papst Franziskus die Form des schnellen und umstrittenen Interviews Lehrdokumenten vorzieht und ihnen durchaus eine authentische Aussage seines Lehramtes beimißt.
Das „schlimmste Übel“ der Welt: die „Jugendarbeitslosigkeit“
Das erste Scalfari-Interview mit dem Papst erschien am 1. Oktober 2013 in der Tageszeitung La Repubblica. Als die „schlimmsten Übel“, die „die Welt plagen“, bezeichnete der Papst nicht etwa den Glaubensverlust, die Leugnung Gottes oder die Angriffe auf die nicht verhandelbaren Werte und das Naturrecht. Nein, als „schlimmste Übel“, die die Welt bedrücken, nannte Papst Bergoglio „die Jugendarbeitslosigkeit“ und die „Einsamkeit der Alten“.
Das erstaunte selbst einen Atheisten und Kirchengegner alter freimaurerischer Tradition wie Eugenio Scalfari, der den Papst aufmerksam machte, daß die Jugendarbeitslosigkeit ein „politisches und wirtschaftliches Problem“ ist, das eher „die Staaten, die Regierungen, die Parteien und die Gewerkschaften betrifft“. Sollte sich der Papst nicht um Gott kümmern?
Doch Bergoglio bekräftigte seine Aussage und wiederholte, daß das auch für die Kirche „das dringendste und dramatischte Problem“ sei.
„Jeder hat seine Sicht von Gut und Böse“ – Diametraler Widerspruch zur Lehre der Kirche, dennoch Schweigen
Die brisanteste Aussage des Interviews ist aber weit schwerwiegender. Papst Franziskus sagte laut Scalfari: „Jeder von uns hat eine eigene Sicht des Guten und auch des Bösen. Wir müssen den anderen dazu anregen, sich auf das zuzubewegen, was er für das Gute hält.“
Erneut blieb Scalfari angesichts solcher Aussagen aus dem Mund eines Papstes fast sprachlos: „Das Gewissen ist autonom, haben Sie gesagt, jeder muß seinem eigenen Gewissen gehorchen. Ich glaube, das sind die mutigsten Aussprüche, die von einem Papst gemacht wurden.“
Obwohl ihn Scalfari ausdrücklich auf die Bedeutung dieser Aussage hinwies, beharrte Papst Bergoglio auch in diesem Fall: „Und hier wiederhole ich sie. Jeder hat eine eigene Vorstellung von Gut und Böse und muss wählen, dem Guten zu folgen und das Böse zu bekämpfen, so wie er sie wahrnimmt. Das würde schon genügen, um die Welt zu verbessern.“
Offiziell schwieg man sich in der Kirche über die Papst-Worte aus und tat und tut so, als habe man sie einfach nicht gehört. Hinter vorgehaltener Hand fehlte es nicht an negativen Bemerkungen, auch von höchsten Kirchenvertretern mit dem Hinweis, daß die päpstliche Behauptung in diametralem Widerspruch zur gesamten kirchlichen Lehre stehe und zudem geradezu gefährlich sei, denn mit einer solchen Aussage hätten sogar Stalin und Hitler ihre schlimmsten Verbrechen rechtfertigen können.
Kritik an Liberalismus, aber nicht an Marxismus
Damit nicht genug. Eine weitere Aussage sorgte für Unbehagen. Der Papst sprach eine harte Verurteilung des „ungezügelten Liberalismus“ aus, sagte aber kein Wort gegen die marxistische Linke oder die Befreiungstheologie. Ganz im Gegenteil. In beiden Fällen lobt er die Anhänger dieser Ideologien.
Schließlich verurteilte Papst Franziskus den katholischen „Proselytismus“ als „Riesendummheit“, denn „unser Ziel ist nicht der Proselytismus, sondern das Hören der Bedürfnisse, der Wünsche und der Enttäuschungen“. Dies, obwohl Jesus in der Heiligen Schrift den Auftrag erteilt: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,18–20).
„Es gibt keinen katholischen Gott“
In seinen erstaunlichen Ausführungen sagte Papst Franziskus sogar: „Ich glaube an Gott. Ich glaube nicht an einen katholischen Gott, es gibt keinen katholischen Gott, es gibt Gott.“ Zwischenzeitlich gibt es ja auch die Aussage des Papstes, daß es selbst Gott nicht gibt, sondern die drei göttlichen Personen, aber nicht Gott. Viele Worte, viel Verwirrung.
Nicht unerwähnt sollen die eschatologischen Anmerkungen Bergoglios bleiben, die er gegenüber Scalfari äußerte: „Ich erinnere mich daran, in meinem Brief an Sie erwähnt zu haben, daß auch unsere Spezies enden wird, doch das Licht Gottes wird niemals enden, das dann in alle Seelen dringen und alles in allem sein wird. Die Transzendenz bleibt bestehen, denn dieses Licht, das alles in allem ist, transzendiert das Universum und die in dieser Phase dort vorhandene Spezies“.
Kein Dementi
Das Interview wurde am nächsten Tag sofort vom Osservatore Romano nachgedruckt und auf der Internetseite des Heiligen Stuhls veröffentlicht. Nur wenige Mutige erhoben ihre Stimme und wagten es auszusprechen, daß Dergleichen noch nie von einem Papst gesagt wurde, widersprüchlich sei oder sogar offen der katholischen Lehre widerspreche.
Vatikansprecher Federico Lombardi kam regelrecht ins Stottern, so entsetzt war man im Vatikan über das Interview, von dem man nichts wußte, das offenbar alle überrascht hatte, von dem man sich aber nicht distanzieren konnte, weil Papst Franziskus sich keineswegs distanzieren wollte. Pater Lombardi versuchte die Quadratur des Kreises, indem er sich darauf hinauszureden versuchte, der Papst habe den Text vor Drucklegung nicht mehr persönlich gesehen. Lombardis Aussage konnte niemand wirklich überzeugen.
Scalfari gönnte sich den Genuß, detailliert vor der Auslandspresse die Drucklegung des Interviews zu schildern. Demnach mag es schon stimmen, daß sich Papst Franziskus das fertige Interview nicht mehr anschaute, daß es ihm von Scalfari jedoch vor Drucklegung übermittelt worden war und der Papst die Druckerlaubnis erteilte. Daraus könnte man den Schluß ziehen, daß Papst Franziskus soviel Vertrauen in Scalfari hatte, daß er alles akzeptierte, egal was auch immer der Journalist geschrieben hatte.
Ein Dementi ist, wie bereits erwähnt, nie erfolgt. Auch daraus müssen Schlüsse gezogen werden. Erst am 15. November, anderthalb Monate später, wurde das Interview von der Internetseite des Vatikans gelöscht. Erneut darauf angesprochen, mußte Vatikansprecher Lombardi weitere Verrenkungsübungen vollziehen. Das Interview sei in seiner „Gesamtheit glaubwürdig“, aber „nicht in den einzelnen Bewertungen“. Um schließlich hinzuzufügen, „das Staatssekretariat“ habe seine Löschung angeordnet.
Betroffenes Schweigen der Einen – Veröffentlichungsdrang der Anderen
Erst in diesem Moment wagten sich die Bergoglio-Fans unter den katholischen Medien, wie Vatican Insider, verhaltene Kritik am Interview zu üben und anzumerken, daß es „tatsächlich schwer Papst Franziskus zuzuschreibende Aussagen enthalten“ habe. Schuld war auch in diesem Moment wenn schon Scalfari. Dieser versicherte aber glaubwürdig, inhaltlich die vom Papst gemachten Aussagen wiedergegeben zu haben. Das ausgebliebene Dementi des Vatikans gab ihm recht.
Erst recht jetzt, da das Interview sogar vom Vatikanverlag in Buchform herausgegeben wird. Leider wird die Folge nicht eine ernsthafte und fällige Auseinandersetzung mit den zweifelhaften, umstrittenen bis untragbaren Aussagen des Interviews sein, sondern ein noch größeres Verstummen der Kirchenvertreter, die eigentlich zum Reden verpflichtet wären. Durch Schweigen scheint man das „Problem“ aussitzen zu wollen. Doch Papst Franziskus und seine engsten Vertrauten geben keine Ruhe. Sie scheinen die „revolutionären“ Aussagen des Papstes publik machen zu wollen, andernfalls lassen sich die Veröffentlichungen durch Osservatore Romano, vatican.va und nun des Vatikanverlags nicht erklären.
Zweites Scalfari-Interview
Der „Dialog“ zwischen dem Papst und dem Anti-Papst ging trotz dieser Stolperer weiter als sei nichts gewesen. Am vergangenen 13. Juli veröffentlichte Scalfari in La Repubblica ein zweites Papst-Interview, erneut gespickt mit erstaunlichen Aussagen. So sagte Bergoglio, „wenn [jemand] sich für das Böse entscheidet, weil er sicher ist, daß daraus aus den Höhen des Himmels etwas Gutes wird, dann werden diese Absichten und ihre Folgen berücksichtigt werden. Wir können nicht mehr sagen, weil wir nicht mehr wissen.“
Zum Dauerbrenner der Kirchengegner außerhalb der Kirche und progressiver Kreise innerhalb der Kirche, dem Zölibat sagte der Papst zum Staunen der Kirchenhistoriker: „Der Zölibat wurde im 10. Jahrhundert festgelegt“ und bezüglich der Möglichkeit für Priester heiraten zu können: „es braucht Zeit, aber die Lösungen gibt es und ich werde sie finden“.
Doch es geht noch explosiver: Als Papst Franziskus auf das Thema Pädophilie und Kirche zu sprechen kam, nannte er einen weit überhöhten Prozentsatz an betroffenen Klerikern und fügte noch hinzu, daß es unter den Pädophilen „Priester und sogar Bischöfe und Kardinäle“ gebe. Wenn dem so wäre, hätte er als Kirchenoberhaupt allerdings längst einzugreifen gehabt, anstatt abgeklärt in Interviews darüber zu berichten.
Atemberaubend-bizarre Nicht-Distanzierung
Noch am Vormittag des 13. Juli, obwohl Sonntag, scheinen einige einflußreiche Kardinäle zum Telefonhörer gegriffen und energische Worte gesprochen zu haben. So mußte einmal mehr Vatikansprecher Lombardi ausrücken und mit einer gewundenen Erklärung einen atemberaubend-bizarren Spagat versuchen, der nur mißlingen konnte. Von Papst Franziskus gab es auch in diesem Fall kein Wort der Distanzierung oder der Richtigstellung (siehe Auch Kardinäle unter Pädophilen? „Finde Lösung“ zur Zölibatsabschaffung? – Neues bizarres Papst-Interview mit Scalfari).
Pater Lombardi konnte den Inhalt nicht dementieren, weil der Papst nicht gewillt war, sich von seinen eigenen Worten zu distanzieren. Der Vatikansprecher leugnete daher, mangels anderer Möglichkeit die Form: Man könne „auf keinen Fall von einem Interview sprechen“, als wäre das letztlich relevant. Vor allem die Aussagen über „pädophile“ Kardinäle und den Zölibat könnten nicht „mit Sicherheit“ dem Papst zugeschrieben werden. Immerhin habe, so der Vatikansprecher, Scalfari die Anführungszeichen nicht korrekt gesetzt, weshalb eine „Manipulation“ des Lesers nicht ausgeschlossen sei.
Die Wortwahl mußte erstaunen. Der Vatikansprecher machte einem Journalisten einen so schwerwiegenden Vorwurf, wie „Manipulation“, der bei Papst Franziskus wie ein Freund des Hauses ein und aus geht. Wer immer sich beklagte und Pater Lombardi am Papst vorbei zum Eingreifen drängte, hatte zwei Anliegen, die ihm aufstießen. Allerdings hätte es in beiden Scalfari-Interviews durchaus gewichtigere Punkte gegeben, die eine Richtigstellung verlangt hätten.
Und nun folgt im Herbst 2014 die Neuauflage der Interviews einschließlich aller umstrittenen Aussagen durch den Vatikanverlag. Herausgeber des Buches ist der Verlagsdirektor Don Giuseppe Costa persönlich. Neben den beiden hier besprochenen Scalfari-Interviews sind in dem Sammelband noch weitere, nicht weniger umstrittene Interviews enthalten.
Welche Schlußfolgerungen sind daraus zu ziehen? Wann beginnt die innerkirchliche Auseinandersetzung mit dem päpstlichen Mitteilungsdrang? Der Rektor der Journalistenhochschule von Perugia, Antonio Socci stellt eine andere Frage: „Darf ein Papst diese Verwirrung unter den Gläubigen säen?“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana