Kardinal Burke – Hoffnungsträger Sisyphos?


Sysiphos, Skulptur von Andreas KuhnleinGast­kom­men­tar von Cle­mens Vic­tor Oldendorf.

Anzei­ge

Nach­dem die Außer­or­dent­li­che Bischofs­syn­ode zu Ehe und Fami­lie in Rom zu Ende gegan­gen ist, habe ich mir eini­ge Tage Zeit gelas­sen, mei­ne Ein­drücke und Über­le­gun­gen dazu zu for­mu­lie­ren. Ich habe mit ver­schie­de­nen Per­so­nen gespro­chen, die die Syn­ode eben­falls mit Inter­es­se ver­folgt hat­ten, vor allem aber das Echo in den Medi­en und in katho­li­schen Blogs zu ana­ly­sie­ren ver­sucht. Auch, was bei­spiels­wei­se auf Katho​li​sches​.info und kath​.net publi­ziert wur­de, habe ich ein­be­zo­gen und eben­so ein­schlä­gi­ge Face­book-Kom­men­ta­re, viel­leicht die am wenig­sten gefil­ter­te vox popu­li zum The­ma, nicht unbe­ach­tet gelas­sen. Durch­ge­setzt haben sich dabei eigent­lich nur recht weni­ge Beob­ach­tun­gen, doch betref­fen sie Grund­sätz­li­ches und erschei­nen mir wegen ihrer Signi­fi­kanz gera­de beson­ders beden­kens- und beachtenswert.

Was ist der wirkliche Glaubenskern?

Nach Erschei­nen des Zwi­schen­be­rich­tes ist mir auf­ge­fal­len, wie ner­vös und beun­ru­higt Kon­ser­va­ti­ve und bestimm­te Tra­di­tio­na­li­sten reagiert haben, also Ver­tre­ter der Lager, denen ich wahr­schein­lich selbst viel­fach zuge­ord­net wer­de. In einem bestimm­ten Sin­ne muß ich die­ser Zuwei­sung offen­bar wider­spre­chen, denn ehr­lich gesagt kann ich die gan­ze Auf­re­gung nicht nach­voll­zie­hen. Da wur­den Stim­men laut, die sag­ten, wenn im Bereich der Sexu­al­mo­ral Ände­run­gen ein­trä­ten oder zivil wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne zur hei­li­gen Kom­mu­ni­on hin­zu­tre­ten dürf­ten, so gin­ge der Kern des katho­li­schen Glau­bens ver­lo­ren. Wenn man sie stim­mig argu­men­tie­ren wür­de, näm­lich mit dem Ver­lust der prak­ti­schen Wirk­sam­keit des Natur­rechts, wür­den sol­che Ände­run­gen in der Dis­zi­plin und Pra­xis den katho­li­schen Glau­ben nach mei­ner Über­zeu­gung tat­säch­lich nicht tan­gie­ren, geschwei­ge denn sei­nen Kern in Mit­lei­den­schaft zie­hen. Mei­ne erste Beob­ach­tung ist also die, daß ich es sogar sehr bedenk­lich fin­de, wenn heu­ti­ge, kon­ser­va­ti­ve Katho­li­ken in Berei­chen wie die­sen den Kern des katho­li­schen Glau­bens sehen, denn die gesam­te Fun­die­rung die­ses Fel­des lei­stet aus­schließ­lich das klas­si­sche Natur­rechts­den­ken, erst bestimm­te Kon­se­quen­zen dar­aus, bei­spiels­wei­se die Zulas­sung zu den Sakra­men­ten, ste­hen gege­be­nen­falls über­haupt mit dem Offen­ba­rungs­glau­ben in Verbindung.

Naturrecht und Moral als Ersatzinhalt des Katholischen?

Hier glau­be ich, Hum­a­nae Vitae traden­dae und den jetzt eben­falls selig­ge­spro­che­nen Papst Paul VI. ins Spiel brin­gen zu müs­sen. Seit ihm und dann unter Johan­nes Paul II., der eine gan­ze Gene­ra­ti­on von Katho­li­ken geprägt hat und der auch ich chro­no­lo­gisch selbst ange­hö­re, waren es doch eigent­lich qua­si exklu­siv ethi­sche und mora­li­sche Fra­gen­krei­se, zu denen das aktu­el­le Lehr­amt noch wert­kon­ser­va­ti­ve und für unver­än­der­bar gehal­te­ne, kla­re Ant­wor­ten gege­ben hat. Die­se Klar­heit wur­de offen­sicht­lich für die heu­ti­gen Kon­ser­va­ti­ven psy­cho­lo­gisch zu dem ent­schei­den­den Inhalt und Halt im katho­li­schen Glau­ben. Wenn jetzt auch noch in die­sem Bereich die Sicher­hei­ten sich ver­flüch­ti­gen und Wan­del­bar­keit ein­tritt, wor­auf könn­ten sol­che Katho­li­ken sich dann noch ver­las­sen? Wohl nur noch leer posi­ti­vi­stisch auf den qua­si apo­theo­tisch über­höh­ten Hei­li­gen Vater und auf das, was die­ser jeweils sagt. Wie anders erklärt es sich, daß durch­aus intel­li­gen­te Per­so­nen die Kon­se­quenz in den Raum gestellt haben, im Fal­le einer ver­än­der­ten Pra­xis infol­ge der Syn­ode (eigent­lich müß­te man ja sagen: der Syn­oden, wenn man jene in 2015 hin­zu­nimmt), müß­te man Sedis­va­kan­tist wer­den. Ich für mei­nen Teil fin­de, daß es kein schlech­te­res Argu­ment geben könn­te, sich die­ser Theo­rie anzuschließen.

Prioritätensetzung der konservativen Synodalen

Mei­ne zwei­te Beob­ach­tung betrifft die Hef­tig­keit des Wider­stan­des, auf den mög­li­che Ände­run­gen der gegen­wär­ti­gen, offi­zi­el­len Pra­xis in der Syn­ode gesto­ßen sind. So sehr ich die­sen Wider­stand in sei­nem momen­ta­nen Effekt begrü­ße, so sehr deu­tet er für mich in die­sel­be Rich­tung wie mei­ne zuerst gemach­te Bemer­kung. Auch die kon­ser­va­ti­ven Bischö­fe sehen das Wesent­li­che des katho­li­schen Glau­bens anschei­nend in mora­li­schen Fra­gen. Sagen wir es deut­lich: Gera­de dadurch wird der Kern des Glau­bens ver­fehlt, bezie­hungs­wei­se zeigt sich, daß das rech­te Ver­ständ­nis des Eigent­lich-Katho­li­schen weit­hin schon län­ger ver­lo­ren­ge­gan­gen sein muß. Viel­mehr wur­de es für mich ange­sichts die­ses Wider­stan­des noch rät­sel­haf­ter als bis jetzt, wie­so die Kon­ser­va­ti­ven vor 50 Jah­ren in Rom und danach welt­weit nicht zu wir­kungs­vol­le­rem Wider­stand fähig und wil­lens waren, bezie­hungs­wei­se, war­um sie nicht in der Lage waren, die Ergeb­nis­se und Refor­men des II. Vati­can­ums im Sin­ne des über­lie­fer­ten Glau­bens bes­ser unter Kon­trol­le zu halten.

Warum erleichtert, weshalb enttäuscht?

Die abschlie­ßen­de Bot­schaft der Syn­ode und die Erleich­te­rung, die die Kon­ser­va­ti­ven dar­über emp­fun­den haben, lei­ten über zu mei­ner drit­ten Beob­ach­tung. Ich bin nüch­tern genug, um mich nicht von unsin­ni­gen „War­nun­gen“ ins Bocks­horn jagen zu las­sen, kann aber auch nicht ver­ste­hen, wie­so die Kon­ser­va­ti­ven jetzt „Ent­war­nung“ geben oder umge­kehrt, war­um die Par­tei­gän­ger Kas­pers sich „ent­täuscht“ zei­gen. Letz­te­res ver­ste­he ich schon irgend­wie, es ist Tak­tik im Umgang mit den säku­la­ren und den kirch­lich libe­ra­len Medi­en. Die Kon­ser­va­ti­ven sol­len wie­der den Schwar­zen Peter bekom­men, der böse Hemm­schuh sein, der sich dem reform­freu­di­gen Fran­zis­kus und dem Fort­schritt von Syn­ode und Kir­che ent­ge­gen­ge­stemmt hat.

Doch da die Abstim­mungs­er­geb­nis­se ver­öf­fent­licht sind, wis­sen wir, wie knapp in den mei­sten Fra­gen die qua­li­fi­zier­te Zwei­drit­tel­mehr­heit ver­fehlt wor­den ist. Der Umkehr­schluß dar­aus ist, daß nur noch eine Min­der­heit von nicht ein­mal einem Drit­tel der Väter, die jetzt an der Syn­ode teil­ge­nom­men haben, in allen Punk­ten ohne Wenn und Aber die bis­he­ri­ge, offi­zi­el­le, über­lie­fer­te Leh­re und Pra­xis der Kir­che bejaht. Da an der Ordent­li­chen Bischofs­syn­ode 2015 ein weit grö­ße­rer Kreis von Syn­oda­len betei­ligt sein wird, kön­nen die Abstim­mungs­er­geb­nis­se ohne­hin voll­kom­men anders ausfallen.

Die Abschlußansprache Papst Franziskus‘

Der Hei­li­ge Vater hat in sei­ner Anspra­che zum Abschluß der Außer­or­dent­li­chen Syn­ode sozio­lo­gisch-psy­cho­lo­gisch sehr zutref­fen­de Fest­stel­lun­gen über Tra­di­tio­na­li­sten getrof­fen, die „sich im Buch­sta­ben abschlie­ßen“ und die­se zumin­dest teil­wei­se mit Intel­lek­tua­li­sten gleich­ge­setzt. Gera­de letz­te­res fin­de ich sehr bedenk­lich, nach­dem er erst kürz­lich gesagt hat­te, ger­ne mit den intel­lek­tu­ell gut aus­ge­bil­de­ten, kon­ser­va­ti­ven Bischö­fen zu dis­ku­tie­ren. Es stimmt natür­lich, daß vie­len die Bereit­schaft und auch die gei­sti­ge Reg­sam­keit fehlt, sich intel­lek­tu­ell krea­tiv mit dem Fak­tum aus­ein­an­der­zu­set­zen, daß man heu­te prak­tisch nur noch in inne­ren Zir­keln, mit denen man sowie­so über­ein­stimmt, mit dem Natur­recht argu­men­tie­ren kann. Doch in bei­de Rich­tun­gen, sowohl in die des Pap­stes, der ger­ne mit Kon­ser­va­ti­ven spricht, sie dann aber Intel­lek­tua­li­sten nennt, als auch in die tat­säch­lich ste­ri­ler Tra­di­tio­na­li­sten, die nur in vor­ge­faß­ten Gelei­sen argu­men­tie­ren wol­len, die heu­te fak­tisch ins Lee­re gehen, rich­tet sich die Fra­ge, was dann eine inhalt­li­che Argu­men­ta­ti­on über­haupt noch soll.

Zwar hat der Hei­li­ge Vater sich auch von Pro­gres­si­ven und Libe­ra­len und deren „fal­scher Barm­her­zig­keit“ abge­grenzt, wel­che Wun­den ver­bin­de, ohne sie zuvor zu behan­deln und zu pfle­gen, aber, anders als bei Bene­dikt XVI., mei­ne ich nicht, daß es hier­bei in erster Linie um eine dia­lek­ti­sche Gegen­über­stel­lung geht, son­dern jeden­falls mehr dar­um, daß der Papst für sei­ne Per­son und Agen­da einen etwa­igen tra­di­tio­na­li­sti­schen Vor­wurf von sich wei­sen möch­te, selbst eine fal­sche Barm­her­zig­keit zu verkörpern.

Letztentscheidung und Autorität des Papstes, Vorbildfunktion Pauls VI.

Gleich­zei­tig hat der Hei­li­ge Vater sehr stark betont, daß er der Papst ist und als sol­cher die letz­te Ent­schei­dung bei ihm liegt. Dabei hat er aus­gie­big Bene­dikt XVI. zitiert, sich also in Rich­tung der Kon­ser­va­ti­ven mit der Kon­ti­nui­täts­fi­gur abge­si­chert. Des­we­gen ist mei­nes Erach­tens auch die Erwar­tung oder Auf­for­de­rung an Bene­dikt XVI. unrea­li­stisch und den eme­ri­tier­ten Papst ver­ken­nend, er sol­le sei­ne Stim­me als Kor­rek­tiv erheben.

Daher hal­te ich es für sehr gut denk­bar, daß die Posi­tio­nen, die jetzt, aber eben nur knapp, die qua­li­fi­zier­te Mehr­heit ver­fehlt haben, im End­ef­fekt mit Fran­zis­kus‘ päpst­li­cher Auto­ri­tät unter­stützt wer­den könn­ten. Amok­lau­fen müs­sen tra­di­ti­ons­treue Katho­li­ken auch dann nicht. Aber sie soll­ten sich davon jeden­falls auch nicht über­ra­schen las­sen: 1967 hat­te sich sogar eine qua­li­fi­zier­te Mehr­heit gegen die soge­nann­te Mis­sa Nor­ma­ti­va aus­ge­spro­chen, 1969 führ­te der seli­ge Papst Paul VI. den­noch den Novus Ordo Mis­sae ein, der die­sem Pro­to­typ wei­test­ge­hend ent­spricht und setz­te ihn mit der aus der Geschich­te hin­läng­lich bekann­ten und unwi­der­leg­li­chen Unnach­gie­big­keit durch. Damals brach die kon­ser­va­ti­ve Oppo­si­ti­on prak­tisch sofort in sich zusam­men. Wo war der Coe­tus Inter­na­tio­na­lis Patrum nach dem Kon­zil? Wenn man es genau nimmt, wäre wäh­rend der pro­gres­si­ven Ver­ein­nah­mung des Kon­zils und danach die Auf­re­gung viel begrün­de­ter und ein Wider­stand, der stand­hält, viel ent­schei­den­der gewe­sen. Auch, wenn er stand­hält: Wird der Hoff­nungs­trä­ger Bur­ke letzt­lich zwangs­läu­fig zu Emi­nenz Sisy­phos wer­den? Zum Gegen­papst Sisy­phus sicher doch nicht.

Text: Cle­mens Vic­tor Oldendorf
Bild: Sisy­phos, Skulp­tur von Andre­as Kuhnlein

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