von Roberto de Mattei*
„Das Drama geht weiter!“ erklärte Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München-Freising in einem Interview (La Repubblica, 20. Oktober 2014). Das Drama ist das der Bischofssynode, die in der Aula einen unerwarteten Paukenschlag erlebte. Die am 13. Oktober vorgelegte Relatio post disceptationem, erhielt trotz Überarbeitungen zu den zentralen Knackpunkten nicht die erwartete Zweidrittelmehrheit: die Zulassung der wiederverheiratet Geschiedenen zur Kommunion und die Öffnung gegenüber homosexuellen Partnerschaften. Für den ersten Punkt stimmten 104 Synodalen dafür, dagegen 74. Zum zweiten Punkt gab es 118 placet und 62 non placet. Trotz des offensichtlichen Débà¢cle zeigte sich Kardinal Marx, einer der eifrigsten Vertreter des progressistischen Flügels zufrieden, weil der revolutionäre Prozeß aus verschiedenen Etappen besteht. Zu einigen Themen, erklärte er, „haben wir zwei Schritte vorwärts und dann einen Schritt zurück gemacht“. Der Schritt zurück wurde durch einen Widerstand der Synodenväter erzwungen, der stärker als erwartet war. Um die Tragweite des Ereignisses zu verstehen, empfiehlt es sich, das Zweite Vatikanischen Konzil in Erinnerung zu rufen: trotz der erbitterten Debatte in der Aula wurden die umstrittensten Dokumente, wie Dignitatis Humanae und Nostra Aetate mit 2.308 gegen 70 das erste und mit 2.221 gegen 88 das zweite Dokument angenommen. Wenn man angesichts des damaligen Ergebnisses von einem Mehrheitskonsens sprach, dann ist heute die Spaltung offensichtlich.
Die Kirche ist ein Schlachtfeld – Trojanisches Pferd wiederverheiratet Geschiedene
Die Kirche ist heute ein Schlachtfeld, wie sie es schon viele Male war von Nicäa bis zum Zweiten Vaticanum, und nie prallten dabei Konservative und Progressisten zusammen, sondern immer Katholiken, die nicht ein Iota des göttlichen Depositum anrühren wollen, und jene, die diesem Depositum etwas Neues hinzufügen wollen. Der Satz von Papst Franziskus, Gott habe „keine Angst vor dem Neuen!“, ist in einem ganz anderen Sinn zu verstehen, als dem, den ihm der Papst zugeschrieben hat. Richtig verstanden kann er nur bedeuten, daß Gott die Novatores nicht fürchtet, sondern deren Werk zerstört und die Aufgabe, sie zu besiegen den Verteidigern des unveränderlichen Lehramtes der Kirche überträgt.
Im Bereich von Glauben und Moral führt jede Ausnahme eine neue Regel ein, und jede neue Regel öffnet den Weg zu einem normativen System, das das vorherige umstürzt. Das Neue hat eine revolutionäre Tragweite, die bereits im embryonalen Stadium zu erkennen ist. Kardinal George Pell bezeichnete in einem Fernsehinterview für Catholic News Service die Forderung der Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene als Trojanisches Pferd, das den Weg zur Anerkennung der homosexuellen Partnerschaften öffnet. Die Zahl der wiederverheiratet Geschiedenen, die um die Zulassung zur Kommunion bitten, ist irrelevant. Hier steht ganz anderes auf dem Spiel: die Anerkennung der Homosexualität durch die Kirche, die nicht mehr als Sünde oder objektiv ungeordnete Neigung verstanden wird, sondern als positive „Spannung“ zum Guten, die der pastoralen Annahme und des rechtlichen Schutzes würdig ist.
Anerkennung der Homosexualität: Marx und Schönborn forderten, Forte erfüllte sofort den Wunsch
Die Kardinäle Marx und Schönborn waren in dieser Sache ganz klar und der Sondersekretär der Synode, Msgr. Bruno Forte, Zögling der häretischen Tübinger Schule erfüllte die Desiderata als Autor der anstößigsten Teile des Zwischenberichts. Die breite Mehrheit der Synodenväter lehnte die skandalösen Paragraphen ab, aber was die Lehre nicht erlaubt, wird in Erwartung, daß die nächste Synode sie zulassen werde, in der Praxis einfach erlaubt. Für viele Laien, Priester und Bischöfe kann Homosexualität praktiziert, wenn auch nicht offiziell anerkannt werden, weil sie für sie keine schwere Sünde ist. Damit verbunden ist die Frage des außerehelichen Zusammenlebens. Wenn die Sexualität außerhalb der Ehe keine schwere Sünde mehr, sondern – sofern stabil und ehrlich – ein positiver Wert ist, dann verdient sie vom Priester gesegnet und vom Staat legalisiert zu werden. Und wenn sie ein Wert ist, dann ist sie auch ein Recht und wenn es ein Recht auf Sexualität gibt, dann ist der Schritt von der Anerkennung des Zusammenlebens Geschiedener zur Anerkennung der Homo-Ehe unvermeidlich.
Augustinus: „Schandtaten wider die Natur immer zu verabscheuen und zu bestrafen“
Das Lehramt der Kirche, das sich im Lauf von zweitausend Jahren nie geändert hat, lehrt dagegen, daß die praktizierte Homosexualität als widernatürliches Laster zu betrachten ist, das nicht nur die ewige Verdammnis der Individuen zur Folge hat, sondern auch den moralischen Ruin der Gesellschaft. Die Worte des Heiligen Augustinus in den Bekenntnissen fassen das Denken der Väter zusammen: „Darum sind Schandtaten, die wider die Natur sind, immer und überall zu verabscheuen und zu bestrafen als solche, die denen Sodoms gleichkommen. Begingen alle Völker solche, so würden sie nach dem göttlichen Gesetze derselben Strafe verfallen, da sie nicht dazu geschaffen sind, um auf solche Weise Mißbrauch zu üben.“ (Confessiones, Buch III, Kapitel 8, Übersetz. Otto F. Lachmann, Reclam 1888).
Die Hirten der Kirche haben im Lauf der Jahrhunderte diese ewiggültige Lehre aufgenommen und weitergegeben. Die christliche Moral hat die Homosexualität immer vorbehaltlos verurteilt und festgelegt, daß dieses Laster auf keine Weise von der Rechtsordnung legalisiert oder von der politischen Macht gefördert werden kann. Als 1994 das Europäische Parlament die erste Resolution zugunsten der homosexuellen Pseudo-Ehe beschloß, rief Johannes Paul II. in seiner Rede vom 20. Februar 1994 in Erinnerung, daß „die rechtliche Anerkennung der homosexuellen Praktik moralisch unzulässig ist. (…) Mit der Resolution des Europäischen Parlaments wird verlangt, eine moralische Unordnung zu legitimieren. Das Parlament hat unrechtmäßig abweichenden, nicht dem Plan Gottes entsprechenden Verhaltensweisen einen institutionellen Wert zuerkannt. (…) Das Wort Christi vergessend – ‚Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32) – hat man versucht den Einwohnern unseres Kontinents das moralische Übel, die Abirrung, eine Form der Sklaverei als Weg der Befreiung aufzuzeigen, indem man selbst das Wesen der Familie verfälscht hat.“
Am 28. Juli 2013 hat sich erstmals im Lehrgebäude ein Riß aufgetan
Am 28. Juli 2013 hat sich ein Riß in diesem Lehrgebäude aufgetan, als Papst Franziskus auf dem Rückflug von Brasilien die explosiven Worte sagte: „Wer bin ich, um zu urteilen!“, die seither dazu gebraucht werden, um jede Form von Überschreitungen zu rechtfertigen. Das Urteil mit der daraus folgenden Definition der Wahrheit und der Verurteilung der Irrtümer, steht sogar par excellance dem Stellvertreter Christi zu, dem obersten Hüter und Richter des Glaubens und der Moral. Unter Berufung auf die Worte von Franziskus haben einige Bischöfe und Kardinäle innerhalb und außerhalb der Synodenaula die Forderung zum Ausdruck gebracht, die positiven Aspekte widernatürlicher Beziehungen aufzugreifen.
Wenn aber eine der schlimmsten Sünden aufhört eine solche zu sein, dann wird dadurch automatisch das Verständnis von Sünde überhaupt angegriffen und lebt das lutherische Verständnis von Barmherzigkeit wieder auf, das vom Konzil von Trient in Bann gestellt wurde. In den am 13. Januar 1547 beschlossenen Canones über die Rechtfertigung heißt es: „Wenn jemand sagt, der rechtfertigende Glauben sei nichts anderes, als eine Zuversicht auf die göttliche Barmherzigkeit“ (Canon 12); „Wenn jemand sagt, Jesus Christus sei den Menschen von Gott nur als ein Erlöser, dem sie glauben und (Is 33,2; Mt 6) nicht auch als ein Gesetzeber, dem sie gehorchen sollen (Canon 21); „Wenn jemand sagt, es gebe (1 Kor 6,10) keine schwere Sünde, als die der Ungläubigkeit“ (Canon 27), „der sei im Bann“.
Kein spielerisches Spektakel, sondern harter Kampf, in den Himmel und Erde verwickelt sind
Es geht um theologische Themen, die eine gesellschaftliche und soziale Rückwirkung haben. Auch Laien haben das Recht und die Pflicht, sich damit auseinanderzusetzen, während sich nicht nur die Synode von 2015 nähert, sondern auch das Jahr 2017, in dem sich zum 500. Mal die Revolution Luthers jährt, aber auch zum 100. Mal die Erscheinungen von Fatima. Das, was in der Kirche im Gange ist, ist nicht ein spielerisches Spektakel, wie Kardinal Marx weismachen möchte, sondern ein harter Konflikt, der Himmel und Erde miteinschließt. Die letzten Akte werden dramatisch, der Epilog aber wird mit Sicherheit siegreich sein laut der göttlichen Verheißung, die von der Gottesmutter in 1917 in der Cova da Iria bestätigt wurde. Möge die Unbefleckte Jungfrau sich herablassen und beharrliche Reinheit der Gedanken und des Handelns all jenen gewähren, die im Eifer des Gefechts mit Mut die Integrität des katholischen Glaubens verteidigen.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Schriftleiter der Monatszeitschrift Radici Cristiane und der Online-Nachrichtenagentur Corrispondenza Romana, von 2003 bis 2011 stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Forschungsrats von Italien, von 2002 bis 2006 außenpolitischer Berater der italienischen Regierung, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Fede e Cultura, Verona 2013; in deutscher Übersetzung sind zuletzt erschienen: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Edition Kirchliche Umschau, Ruppichteroth 2011; Die Türkei in Europa – Gewinn oder Katastrophe?, Resch Verlag, Gräfelfing 2010; Plinio Corràªa de Oliveira – Der Kreuzritter des 20. Jahrhunderts, mit einem Vorwort von Alfons Maria Kardinal Stickler SDB, Österreichische Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum, Wien 2004
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: ACIPrensa