(Rom) Der von Papst Franziskus nicht in seinem Amt bestätigte ehemalige Kardinalstaatssekretär Tarcisio Kardinal Bertone schreibt an seinen Memoiren. „Er schreibt in aller Ruhe und mit Präzision, es ist aber sicher – sagen Menschen, die ihm nahestehen – daß er mit manchen ein Hühnchen rupfen werde“, so der Vatikanist Marco Tosatti.
Kardinal Bertone ist durch Papst Franziskus nicht nur aus seinem Amt entfernt worden. Der amtierende Papst ernannte Bertones Vorgänger, den Anti-Ratzingerianer Angelo Kardinal Sodano persönlich zum Synodalen der soeben zu Ende gegangenen Bischofssynode über die Familie, nicht aber den zu sehr als Ratzinger-nahe geltenden Bertone.
Beträchtlicher Teil der Kritik an Bertone galt Benedikt XVI.
Während seiner ganzen Amtszeit sah sich Kardinal Bertone heftigem Beschuß ausgesetzt. Dazu trugen eigene Schwächen in der Führungsqualität bei, vor allem jedoch die Feindschaft von Kardinal Sodano und dessen Getreuen, der seine Absetzung durch Benedikt XVI. nie verwinden konnte. Die Kirchenkreise, die Benedikt XVI. zunehmend als Last empfanden, es aber nicht wagten, den Papst zu kritisieren, schossen um so eifriger auf den Kardinalstaatssekretär.
Das interne Tauziehen ging soweit, daß eine Gruppe von Kardinälen zwei Jahre vor dessen Amtsverzicht von Benedikt XVI. die Abberufung Bertones forderte. Eine Forderung, die dem Loyalitätsverständnis des deutschen Papstes widersprach, „obwohl auch er nicht immer glücklich über das Wirken seines wichtigsten Mitarbeiters war, verteidigte er ihn“, so Tosatti. Bertone war während der Amtszeit von Joseph Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation von 1995–2002 Sekretär dieser Kongregation. Im selben Jahr ernannte ihn Johannes Paul II. zum Erzbischof von Genua. Zum Papst gewählt holte ihn Joseph Ratzinger 2006 als Kardinalstaatssekretär in den Vatikan zurück, weil er seinem langjährigen Mitarbeiter vertraute.
„Opfer von Maulwürfen und Schlangen“
Benedikt XVI. dürfte klar gewesen sein, daß der wachsende Rücktrittsdruck, der auf den Kardinalstaatssekretär ausgeübt wurde, in Wirklichkeit ihm galt. Das führte zur ungewöhnlichen Situation, daß ein Papst seinen Staatssekretär verteidigen mußte, der eigentlich den Papst zu verteidigen gehabt hätte. Eine Schieflage, die das Pontifikat für Benedikt XVI. sicher nicht leichter machte.
Kardinal Bertone, der sehr gut Deutsch spricht, schreibt seit seiner Pensionierung an seinen Erinnerungen als Staatssekretär. Sie hätte bereits am 15. August 2013 erfolgen sollen, zog sich wegen gesundheitlicher Gründe seines Nachfolgers, Kardinal Pietro Parolin, bis zum 15. Oktober hin. „Er ist sehr gut dokumentiert und führte einen präzisen Kalender, in dem er Tag für Tag seine Treffen, Gespräche und Gesprächsthemen verzeichnete“, so Tosatti.
Das literarische Genre der Memoiren ist selten, erst recht, wenn ein Kardinalstaatssekretär zur Feder greift und über seine Arbeit in der Nähe des damals amtierenden Papstes schreibt. Um genau zu sein, dürfte es dafür noch keinen Präzedenzfall geben. Der Kardinal scheint gerade von gewissen Umständen, die mit den Angriffen gegen seine Person und mit seiner Pensionierung zusammenhängen, angetrieben zu werden. Damals sprach Bertone davon, das Opfer von „Maulwürfen und Schlangen“ geworden zu sein.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: La Stampa (Screenshot)