Kirchenaustritte und Glaubwürdigkeitskrise – Offener Brief an Kardinal Lehmann


Offener Brief an Kardinal Karl Lehmann
Offe­ner Brief an Kar­di­nal Karl Lehmann

(Frank­furt am Main) Ende Juli nahm Bischof Karl Kar­di­nal Leh­mann von Mainz zu den bun­des­weit 180.000 Kir­chen­aus­trit­ten Stel­lung, die er als „erschreckend hoch“ wer­te­te. Die Schuld dafür wies er umge­hend dem zurück­ge­tre­te­nen Lim­bur­ger Bischof Tebartz ‑van Elst zu, durch den es „Irr­we­ge und Ver­feh­lun­gen“ gege­ben habe, die einen „Ver­trau­ens- und Glaub­wür­dig­keits­ver­lust“ zur Fol­ge gehabt hätten.
Eine Ursa­chen­be­nen­nung des ehe­ma­li­gen Vor­sit­zen­den der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz, die zu kurz greift und an der Ober­flä­che blei­be, sagt der Arbeits­kreis von Katho­li­ken im Raum Frank­furt am Main und rich­te­te einen Offe­nen Brief an den Bischof von Mainz.

Anzei­ge

Dar­in bezwei­felt der Arbeits­kreis nicht nur den von Kar­di­nal Leh­mann her­ge­stell­ten Zusam­men­hang zwi­schen Kir­chen­aus­trit­ten und dem Fall Lim­burg. In sei­ner eige­nen Ana­ly­se geht der Arbeits­kreis wei­ter und zeigt Ele­men­te einer tie­fen und lang­an­hal­ten­den Kri­se auf. Die Kir­chen­aus­trit­te sei­en eine direk­te Fol­ge der „Pro­te­stan­ti­sie­rung“, die in Tei­len der Katho­li­schen Kir­che in Deutsch­land statt­fin­de und wegen man­geln­der Authen­ti­zi­tät zum eigent­li­chen Glaub­wür­dig­keits­ver­lust füh­re, der Men­schen der Kir­che den Rücken keh­ren läßt.

Im Arbeits­kreis haben sich Katho­li­ken aus acht Diö­ze­sen zusam­men­ge­schlos­sen. Pro­fes­so­ren, Theo­lo­gen, Aka­de­mi­ker, Ange­stell­te und Päd­ago­gen. Ziel des Krei­ses ist es, den katho­li­schen Glau­ben in der Nach­fol­ge Chri­sti zu leben und wei­ter­zu­ge­ben. Die Mit­glie­der des Arbeits­krei­ses beken­nen sich zur Ver­bind­lich­keit der Leh­re aus Tra­di­ti­on und Lehr­amt. Sakra­men­te und lit­ur­gi­sches Gesche­hen sol­len nicht den Anpas­sungs­ver­su­chen an den Zeit­geist preis­ge­ge­ben werden.

Eine Ant­wort von Kar­di­nal Leh­mann auf den Offe­nen Brief ist bis­her nicht erfolgt. Hier der Offe­ne Brief im vol­lem Wortlaut:

 .

Offener Brief
des Arbeitskreises von Katholiken im Raum Frankfurt am Main

an S. E. Kardinal Prof. Dr. Dr. Lehmann

 

An Sei­ne Eminenz,
Herrn Kar­di­nal Dr. Lehmann
Sehr geehr­ter Herr Kardinal!

Die Tages­post ver­öf­fent­lich­te am Don­ners­tag, dem 31.7.2014, fol­gen­den Arti­kel zur wach­sen­den Zahl der Kir­chen­aus­trit­te und bezieht sich dabei auf Sie:

„Als erschreckend hoch wer­tet Kar­di­nal Leh­mann die Zahl von bun­des­weit 180 000 Kir­chen­aus­trit­ten aus der katho­li­schen Kir­che im ver­gan­ge­nen Jahr. Es bestehe ein deut­li­cher Zusam­men­hang mit den Gescheh­nis­sen um den Ende März zurück­ge­tre­te­nen Lim­bur­ger Bischof Tebartz van Elst und des­sen Bau­pro­gramm schreibt der Kar­di­nal in einem am Diens­tag vor­ab ver­öf­fent­lich­ten Bei­trag für die Main­zer Bis­tums­zei­tung. Die Kir­che habe offen­bar, so der lang­jäh­ri­ge Vor­sit­zen­de der deut­schen Bischofs­kon­fe­renz, einen Ver­trau­ens- und Glaub­wür­dig­keits­ver­lust erlit­ten, wie er sel­ten so hef­tig vor­kom­me. Es müs­se dafür gesorgt wer­den, dass Irr­we­ge und Ver­feh­lun­gen, wie sie ohne Fra­ge um den Bischofs­sitz in Lim­burg gesche­hen sei­en, sich min­de­stens in die­ser Gestalt nicht wie­der­hol­ten. Die Alarm­glocken müss­ten viel frü­her „ertö­nen“ und vor allem eine wirk­sa­me Auf­merk­sam­keit erzeugen“.

Sie nen­nen als Grund für die Kir­chen­aus­trit­te Ver­mu­tun­gen, ohne Bele­ge zu nen­nen und machen dazu u.a. Tebartz van Elst und sein Bau­pro­gramm sowie Irr­we­ge und Ver­feh­lun­gen, wie sie um den Bischofs­sitz von Lim­burg gesche­hen sind, ver­ant­wort­lich. Fer­ner spre­chen Sie vom feh­len­den Kon­takt vie­ler Katho­li­ken zur Kirche.

Für eine ernst­haf­te Ana­ly­se grei­fen Sie zu kurz, da Sie nur auf die Cau­sa Tebartz van Elst ver­wei­sen und eine Ursa­chen­ana­ly­se für den feh­len­den Kon­takt vie­ler Katho­li­ken zur deut­schen Kir­che ver­mei­den und die Grund­satz­fra­ge nicht stel­len, wie stellt sich die­se Kir­che, deren höch­stem Gre­mi­um Sie cir­ca 25 Jah­re vor­ge­stan­den haben, heu­te denn wirk­lich dar? Mit die­sem Zei­ge­fin­gen zei­gen Sie auf den Lim­bur­ger Bischof, ohne wahr­zu­neh­men, dass der Dau­men der­sel­ben Hand auf Sie als lang­jäh­ri­gen Vor­sit­zen­den der Bischofs­kon­fe­renz und damit höch­sten Ver­ant­wor­tungs­trä­ger zeigt. Wenn so vie­le Chri­sten der Kir­che den Rücken keh­ren, muss doch die Fra­ge gestellt wer­den, war­um hat die Kir­che an Glaub­wür­dig­keit ver­lo­ren? Erken­nen die­se Men­schen in der Bot­schaft der Kir­che noch das Heil oder Ihr Heil? Wel­che Ori­en­tie­rung geben die Hir­ten ihren Gläu­bi­gen dazu? Sie müss­ten dabei erken­nen, dass gera­de die Spra­che der Hir­ten, deren Spre­cher Sie waren, von einer poly­pho­nen Dis­so­nanz geprägt ist, hin­ter der die Leh­re, in der wir alle sozia­li­siert wur­den, für die Gläu­bi­gen mas­kiert wird. Immer häu­fi­ger wider­spre­chen Hir­ten öffent­lich der im Glau­bens­be­kennt­nis und Kate­chis­mus defi­nier­ten kirch­li­chen Leh­re. Die­se Pro­ble­ma­tik soll an eini­gen Punk­ten bei­spiel­haft dar­ge­stellt werden.

Einer der füh­ren­den deut­schen Hir­ten pre­digt zwar die Lie­be Got­tes, leug­net aber die Sün­de, das Gericht, das Fege­feu­er und die Höl­le für die Unbuß­fer­ti­gen und erweckt so den Ein­druck, als kön­ne der Gläu­bi­ge in der Hoff­nung auf die gren­zen­lo­se Barm­her­zig­keit Got­tes unge­straft wei­ter sün­di­gen? (katho​li​schen​.info vom 18.11.2013)

Ein Ande­rer will die Auf­wei­chung der Sakra­men­ten­leh­re mit einer Rela­ti­vie­rung der ehe­li­chen Treue.

Ein Drit­ter spricht offen, dass er sich eine wei­te­re Pro­te­stan­ti­sie­rung der katho­li­schen Kir­che wün­sche, wohl­wis­send, dass der Pro­te­stan­tis­mus im Schis­ma zur katho­li­schen Kir­che steht.

Der Näch­ste denkt in einem Nach­rich­ten­me­di­um über die Sexu­al­mo­ral nach und sieht Ver­än­de­rungs­be­darf in der Moral- und Sexu­al­ethik der Katho­li­schen Kir­che. Er glaubt, dass die Moral­leh­re der Katho­li­schen Kir­che von den Gläu­bi­gen über­wie­gend als „Ver­bots­mo­ral“ und „lebens­fern“ ange­se­hen wird. Er gibt damit den Anspruch der Kir­che auf, das mora­li­sche Gewis­sen der Welt zu sein.

Auch die „römi­schen Per­len“ und Inter­views las­sen kei­ne Kon­si­stenz der Leh­re mehr erken­nen. Das Kern­pro­blem besteht dar­in, dass das, was tra­di­tio­nell als Wahr­heit gelehrt wur­de, zukünf­tig kei­nen Bestand hat. Kon­kret: die Hir­ten der Kir­che wider­spre­chen der Leh­re und hal­ten die­ses noch für eine intel­lek­tu­el­le Lei­stung. Wen wun­dert es, dass die Gläu­bi­gen dem kle­ri­ka­len Neu­sprech nicht fol­gen kön­nen und der Kir­che den Rücken kehren?

Der einst hei­li­ge Ritus mit sei­ner tie­fen Sym­bo­lik ist ver­pönt. Vie­len Kir­chen hat man mit soge­nann­ten bau­li­chen Erneue­run­gen oft einem Bil­der­sturm glei­chend die Hei­li­gen weg­ge­nom­men, die Got­tes­häu­ser gera­de­zu ent­seelt und zu kah­len, ste­ri­len Ver­samm­lungs­or­ten umfunk­tio­niert. In den mei­sten Bischofs­kir­chen steht der Bischofs­stuhl an zen­tra­ler Stel­le, an der einst das Aller­hei­lig­ste, der eucha­ri­sti­sche Chri­stus einen zen­tra­len und ange­stamm­ten Platz hat­te. Die erkenn­ba­re Bot­schaft lau­tet, dass der Mensch in Per­son des Bischofs den Platz Chri­sti ein­ge­nom­men hat. Ein sub­ti­les Sym­bol der heu­ti­gen Kirche.

Das „ehe­ma­li­ge Salz der Erde“ hat sei­ne Kraft verloren.

Die Liste lie­ße sich belie­big fort­set­zen. Aber die­se Wider­sprüch­lich­kei­ten der heu­ti­gen Ver­kün­di­gung in Wort und Sym­bol über­se­hen Sie in Ihrer Ana­ly­se. Ein treu­er Katho­lik schrieb zur inne­ren Evi­denz der katho­li­schen Leh­re vor kur­zem: „Frü­her habe ich öfter gesagt, wenn ich denn schon nicht an die Katho­li­sche Kir­che glau­ben wür­de, wäre ich fas­zi­niert von der Logik Ihres Denkens“.

Die­sen Vor­zug geben vie­le der heu­ti­gen Hir­ten auf.

In Ita­li­en ent­schul­di­gen sich schon Gläu­bi­ge in öffent­li­chen Leser­brie­fen, dass sie bis­her tra­di­ti­ons­treu waren. Mög­li­cher­wei­se bestand auch der größ­te Feh­ler von Bischof Tebartz van Elst dar­in, dass auch er sich für sei­ne Tra­di­ti­ons­treue nie ent­schul­digt hat.

Es darf nie­man­den wun­dern, wenn katho­li­sche Gläu­bi­ge – über Jahr­zehn­te durch man­geln­de Hir­ten­sor­ge in ihrem Glau­ben schwach gewor­den- der Insti­tu­ti­on in gro­ßer Zahl den Rücken kehren.

Ein­lei­tung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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